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26.11.2009 · IWW-Abrufnummer 093806

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 26.07.2009 – 3 K 62/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


3 K 62/07

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein Schenkungsteuerbescheid aufgrund eines später von den Finanzbehörden des Kantons Tessin (Schweiz) erteilten Bescheides unter Anrechnung der in der Schweiz gezahlten Schenkungsteuer zu ändern ist.

Der Kläger reichte am (...) 1995 beim Beklagten (Finanzamt - FA -) eine Schenkungsteuererklärung ein. Hierauf gab er an, seine Mutter, Frau A, habe ihm in 01/1994 den Betrag von W DM und in 02/1994 einen weiteren Betrag von X DM durch Überweisung zugewandt. Frau A hatte zum Zeitpunkt der Zuwendungen ihren Wohnsitz im Kanton Tessin (Schweiz). Unter Berücksichtigung einer Vorschenkung aus dem Jahre 1986 (...) setzte das FA im Hinblick auf die erste Zuwendung mit Bescheid vom (...) 1995 (...) Schenkungsteuer in Höhe von Y DM fest. Mit weiterem Bescheid vom (...) 1995 (...) setzte das FA für die zweite Zuwendung unter Berücksichtigung von Vorschenkungen in Höhe von insgesamt (...) Schenkungsteuer in Höhe von Z DM fest.

Nachdem die Schenkerin (...) verstorben war, setzte die Finanzbehörde des Kantons Tessin mit Bescheid vom (...) 2002 Schenkungsteuer in Höhe von insgesamt (...) Schweizer Franken (SFr.) zuzüglich einer Buße wegen hinterzogenen Steuern in Höhe von (...) SFr. und Zinsen in Höhe von (...) SFr. fest. (...)

Am (...) 2004 beantragte der Kläger, die in der Schweiz gezahlte Schenkungsteuer auf die deutsche Schenkungsteuer anzurechnen, hilfsweise die deutsche Schenkungsteuer in Höhe der in der Schweiz gezahlten Steuer zu erlassen. Beim Bescheid vom (...) 2002 handele es sich um einen Grundlagenbescheid i. S des § 171 Abs. 10 der Abgabenordnung (AO). Mit Bescheid vom (...) 2006 lehnte das FA die begehrte Änderung ab. Eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sei wegen eingetretener Festsetzungsverjährung nicht möglich. Da der Bescheid der tessinischen Finanzbehörde keinen Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO darstelle, komme auch keine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in Betracht. Schließlich handele es sich bei diesem Bescheid um kein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO; das FA nahm insoweit auf das rechtskräftige Urteil des Finanzgerichts (FG) Düsseldorf vom 21. August 1998 4 K 5740/94 (EFG 1998, 1605) Bezug.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte der Kläger (...) Einspruch ein, den das FA mit Einspruchsbescheiden vom (...) als unbegründet zurückwies. Auf die Gründe dieser Entscheidungen wird Bezug genommen.

Der Kläger hat (...) Klage erhoben. Zur Begründung macht er geltend, dass die Voraussetzungen einer Anrechnung nach § 21 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) im Streitfall vorlägen. Einer Änderung der Schenkungsteuerbescheide stünden keine verfahrensrechtlichen Hindernisse entgegen. Der Bescheid vom (...) 2002 stelle einen Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO dar und begründe ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO.

Der Kläger beantragt,

unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides (...) in Gestalt der Einspruchsentscheidungen (...) das FA zu verpflichten, die durch den Bescheid vom (...) 1995 (...) festgesetzte Schenkungsteuer um (...) DM auf (...) DM und die durch den Bescheid vom (...) 1995 (...) festgesetzte Schenkungsteuer um (...) DM auf (...) DM zu ermäßigen.

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ergänzend macht das FA geltend, als Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO komme allein die Entstehung der tessinischen Schenkungsteuer, nicht aber die Erteilung des Bescheides vom (...) 2002 in Betracht. Auch nach dem im Kanton Tessin geltenden Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrecht sei die Steuer jedoch bereits im Jahre 1994, nicht aber nach Erlass der Bescheide vom (...) 1995 entstanden.

Dem Gericht lag zur Entscheidung ein Band Schenkungsteuerakten vor.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Herabsetzung der durch die Bescheide vom (...) 1995 festgesetzten Schenkungsteuer (§ 101 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FA hat eine Anrechnung der tessinischen Schenkungsteuer zu Unrecht abgelehnt.

1. Bei Erwerbern, die in einem ausländischen Staat mit ihrem Auslandsvermögen zu einer der deutschen Erbschaftsteuer entsprechenden Steuer - ausländische Steuer - herangezogen werden, ist in den Fällen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, sofern nicht die Vorschriften eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung anzuwenden sind, auf Antrag die festgesetzte, auf den Erwerber entfallende, gezahlte und keinem Ermäßigungsanspruch unterliegende ausländische Steuer insoweit auf die deutsche Erbschaftsteuer anzurechnen, als das Auslandsvermögen auch der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt (§ 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG). Wenn der Erblasser zur Zeit seines Todes kein Inländer war, gelten als Auslandsvermögen i. S. des § 21 Abs. 1 ErbStG alle Vermögensgegenstände mit Ausnahme des Inlandsvermögens i. S. des § 121 des Bewertungsgesetzes (BewG) sowie alle Nutzungsrechte an diesen Vermögensgegenständen (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 ErbStG). Nach § 21 Abs. 1 Satz 4 ErbStG ist die ausländische Steuer nur anrechenbar, wenn die deutsche Erbschaftsteuer für das Auslandsvermögen innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der ausländischen Erbschaftsteuer entstanden ist.

Im Streitfall liegen die sich aus § 21 ErbStG ergebenden materiell-rechtlichen Voraussetzungen für eine Anrechnung der tessinischen Schenkungsteuer vor. Durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Nachlass- und Erbschaftsteuern vom 30. November 1978 (DBA-Schweiz) werden Schenkungsteuerfälle nicht erfasst (vgl. auch Kapp / Ebeling, ErbStG, § 21, Rz. 41). In der Schweiz werden Erbschaftsteuern und Schenkungsteuern nicht vom Bund, sondern von den Kantonen in unterschiedlicher Ausgestaltung erhoben (vgl. Jülicher, in: Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG, § 21, Rz. 126). Die Schenkungsteuer (imposta di donazione) wurde mit Bescheid der zuständigen Kantonalbehörde vom (...) 2002 festgesetzt, und ausweislich einer Belastungsanzeige der G-Bank wurde der Gesamtbetrag von (...) SFr. gezahlt. Da Frau A zum Zeitpunkt der Zuwendungen ihren Wohnsitz in der Schweiz hatte, war sie nicht Inländerin i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 ErbStG. Im Übrigen ist die deutsche Schenkungsteuer innerhalb von fünf Jahren seit dem Zeitpunkt der Entstehung der tessinischen Schenkungsteuer entstanden. Während nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG bei Schenkungen unter Lebenden die Steuer mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung entsteht, kommt es für die tessinische Schenkungsteuer auf den Zeitpunkt an, zu dem die Schenkung vereinbart oder versprochen wurde (...).

2. Verfahrensrechtlich sind die in Bestandskraft erwachsenen Schenkungsteuerfestsetzungen unter Anrechnung der mit Bescheid vom (...) 2002 festgesetzten tessinischen Schenkungsteuer gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern. Hiernach ist ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Die Festsetzungsfrist beginnt in diesem Fall erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt (§ 175 Abs. 1 Satz 2 AO).

Aus dem Bedeutungszusammenhang, in dem § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO steht, und aus seiner Zielsetzung ergibt sich zunächst, dass der Begriff "Ereignis" alle rechtlich bedeutsamen Vorgänge umfasst. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Ferner verdeutlichen die sprachliche Bedeutung des Begriffs "eintritt" und der Bedeutungszusammenhang mit § 173 Abs. 1 AO, dass sich der Vorgang ereignen muss, nachdem der Steueranspruch entstanden ist, und bei Änderung eines Steuerbescheids, nachdem dieser Steuerbescheid ergangen ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegen dagegen nicht vor, wenn das FA - wie im Fall des § 173 Abs. 1 AO - lediglich nachträglich Kenntnis von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; BFH-Urteil vom 21. April 1988 IV R 215/85, BFHE 153, 485, BStBl II 1988, 863) oder wenn das FA den Sachverhalt lediglich anders würdigt (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; BFH-Urteil vom 3. August 1988 I R 115/84, BFH/NV 1989, 482).

Es reicht nicht aus, dass das spätere Ereignis den nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalt anders gestaltet. Die Änderung muss sich darüber hinaus - ungeachtet der zivilrechtlichen Wirkungen - steuerlich in der Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, m.w.N.).

Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche Bedeutung zukommt, ob m. a. W. eine solche Änderung dazu führt, dass bereits eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern oder vollständig entfallen, bestimmt sich alleine nach dem jeweils einschlägigen materiellen Recht (vgl. BT-Drucks VI/1982, S. 114, S. 155 zu § 156 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -; Beschluss des Großen Senats des BFH in BFE 172, 66, BStBl II 1993, 897, m.w.N.; BFH-Urteil vom 13. September 2000 X R 148/97, BFHE 193, 129, BStBl II 2001, 641). Nach diesem ist zu beurteilen, ob zum einen eine Änderung des ursprünglich gegebenen Sachverhalts den Steuertatbestand überhaupt betrifft und ob darüber hinaus der bereits entstandene (vgl. § 38 AO) materielle Steueranspruch mit steuerlicher Rückwirkung noch geändert werden oder entfallen kann. Liegen beide Voraussetzungen vor, dann bedarf es für die Änderung eines bereits bestandskräftigen Steuerbescheids des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO als verfahrensrechtlicher Grundlage.

Bei den laufend veranlagten Steuern wie der Einkommensteuer sind die aufgrund des Eintritts neuer Ereignisse materiell-rechtlich erforderlichen steuerlichen Anpassungen regelmäßig nicht rückwirkend, sondern in dem Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem sich der maßgebende Sachverhalt ändert. Dieser Grundsatz ist jedoch nur insoweit maßgebend, als die einschlägigen steuerrechtlichen Regelungen nicht bestimmen, dass eine Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts zu einer rückwirkenden Änderung (Wegfall) steuerlicher Rechtsfolgen führt (vgl. § 41 AO). Eine solche Rechtslage ist insbesondere bei Steuertatbeständen gegeben, die an einen einmaligen Vorgang anknüpfen wie z.B. bei § 29 Abs. 1 ErbStG (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897).

Ob es sich bei Festsetzung und Zahlung ausländischer Schenkungsteuer um ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO handelt, wird von Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beantwortet. Das FG Düsseldorf hat diese Frage in seinem Urteil in EFG 1998, 1605, verneint. Während nach § 29 Abs. 1 ErbStG in den dort angeführten Fällen die Steuer "mit Wirkung für die Vergangenheit" erlösche, enthalte § 21 Abs. 1 ErbStG eine entsprechende Regelung nicht. Soweit der BFH in seinem Urteil vom 11. Juni 1996 I R 8/96 (BFHE 181, 125, BStBl II 1997, 117) für den Fall des § 34 c des Einkommensteuergesetzes (EStG) die Anwendbarkeit des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO bejahe, beruhe dies allein auf der Sonderregelung des § 68 c Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) in der bis 20. Oktober 1995 geltenden Fassung.

Dagegen sieht ein Teil der Literatur die Festsetzung der ausländischen Schenkungsteuer als rückwirkendes Ereignis an (so etwa Jülicher, a.a.O., § 21, Rz. 47: ders., Anmerkung zum Urteil des FG Düsseldorf in EFG 1998, 1605, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge - ZEV - 1999, 80; Gebel, Erbschaftsteuer bei deutsch-spanischen Nachlässen - Probleme der Steueranrechnung, Internationales Steuerrecht - IStR - 2001, 71, 75 f.). Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an.

Durch sein Urteil in BFHE 181, 125, BStBl II 1997, 117, hat der BFH entschieden, dass auf Einkünfte, die nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 - DBA-USA 1989 - (BGBl. II 1991, 354, BStBl I 1991, 94) in den USA steuerpflichtig sind, aber nur deshalb dort nicht versteuert werden, weil der Steuerpflichtige in den USA keine Steuererklärung abgibt, im Inland nicht die Freistellungsmethode (Art. 23 Abs. 2 Buchst. a DBA-USA 1989), sondern die Anrechnungsmethode (Art. 23 Abs. 2 Buchst. b DBA-USA 1989) anzuwenden ist. Sollte es künftig noch zu einer Besteuerung in den USA und zur Einleitung eines Verfahrens nach Art. 25 DBA-USA 1989 kommen, ohne dass die Doppelbesteuerung vermieden wird, ist nach dieser Entscheidung die Besteuerung in den USA als ein Ereignis anzusehen, das gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zurückwirken und eine Änderung des jetzt angefochtenen Steuerbescheides rechtfertigen würde.

Dieser Grundsatz ist auch auf die nachträgliche Festsetzung und Zahlung ausländischer Schenkungsteuer anzuwenden. Dabei verkennt der Senat die Besonderheiten der Schenkungsteuer (vgl. hierzu etwa Meincke, ErbStG, 15. Aufl., Einführung, Rz. 1 ff.) und die Unterschiede zwischen der Besteuerung der Einkünfte einerseits und der Besteuerung einer freigebigen Zuwendung unter Lebenden (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) andererseits nicht. Während Einkünfte im Regelfall fortlaufend erzielt werden und daher periodisch besteuert werden, gehört die Erbschaft- und Schenkungsteuer zu den nicht periodischen Steuern. Die bestehenden Unterschiede rechtfertigen es jedoch nicht, zwar die nachträgliche Festsetzung einer ausländischen Steuer auf das Einkommen, nicht aber die nachträgliche Festsetzung einer ausländischen Schenkungsteuer als rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu qualifizieren.

Den Argumenten, mit denen das FG Düsseldorf (Urteil in EFG 1998, 1605) die Anwendbarkeit des vom BFH aufgestellten Grundsatzes zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO auf die nachträgliche Festsetzung ausländischer Erbschaftsteuer ablehnt, folgt der Senat nicht. Das BFH-Urteil in BFHE 181, 125, BStBl II 1997, 117, bezieht sich nicht (ausschließlich) auf § 34 c EStG, sondern nimmt über Art. 23 Abs. 2 Satz 2 DBA-USA auch zur Freistellung von Einkünften aus Quellen in den USA Stellung, die sich nicht nach § 34 c EStG regelt und für die deshalb auch § 68 c EStDV a.F. nicht einschlägig sein kann (so auch Jülicher, ZEV 1999, 80).

Im Übrigen verlangt § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nicht, dass sich aus dem Wortlaut des jeweiligen Einzelsteuergesetzes ausdrücklich die steuerliche Rückwirkung für die Vergangenheit ergeben muss. Zum einen ist die Anrechnung der ausländischen Schenkungsteuer nach § 21 ErbStG Bestandteil der Steuerberechnung. Sie erfolgt damit im Rahmen der Steuerfestsetzung, ist also nicht Gegenstand einer der Steuerfestsetzung nachfolgenden Anrechnungsverfügung. Zum anderen hängt die Anrechnung von mehreren Voraussetzungen ab, die erst nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer - dies ist bei Erwerben von Todes wegen grundsätzlich der Zeitpunkt des Todes des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) und bei Schenkungen unter Lebenden grundsätzlich der Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG) - erfüllt werden können. Die am Todestag oder mit der Ausführung der Zuwendung entstandene Steuer kann nur Bestand haben, soweit sie nicht durch die Anrechnung entfällt oder zumindest gemindert wird. Diesem Gesetzesvorbehalt kann indes nur dann Rechnung getragen werden, wenn die tatsächlichen Anrechnungsmerkmale, soweit sie erst nach der Steuerfestsetzung eintreten, als rückwirkende Ereignisse i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verstanden werden und damit und zu einer Bescheidkorrektur berechtigen (vgl. Gebel, IStR 2001, 71, 76).

Die vierjährige Festsetzungsfrist (siehe unten 3. a), die mit Erlass des Bescheides vom (...) 2002 begann, war bei Antragstellung am (...) 2004 noch nicht abgelaufen.

3. Erläuternd weist der Senat darauf hin, dass eine Anrechnung der tessinischen Schenkungsteuer verfahrensrechtlich allein auf der Grundlage des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO erfolgen kann. Eine andere Korrekturnorm ist im Streitfall nicht einschlägig.

a) Einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO steht der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen.

Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stehen (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO).

Tatsache ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Tatbestandes sein kann. Es kann sich handeln um Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (vgl. BFH-Urteile vom 18. Dezember 1996 XI R 36/96, BFHE 181, 566, BStBl II 1997, 264, m.w.N.; vom 6. Dezember 1994 IX R 11/91, BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192). Es muss sich um eine Tatsache handeln, die nachträglich bekannt wird, die die Finanzbehörde also bei Erlass des zu ändernden Bescheides noch nicht kannte (vgl. BFH-Urteil vom 13. September 2001 IV R 79/99, BFHE 196, 195, BStBl II 2002, 2 , m.w.N.). Das setzt voraus, dass die betreffenden Tatsachen damals bereits vorhanden waren. Erst nachträglich eintretende Tatsachen führen nicht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO (vgl. BFH-Urteile vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, und in BFHE 176, 221, BStBl II 1995, 192).

Aufhebung und Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist möglich (§ 169 Abs. 1 Satz 1 AO). Für Steuern und Steuervergütungen, die - wie die Schenkungsteuer - keine Steuern und Steuervergütungen i. S. des § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO oder Einfuhr- und Ausfuhrabgaben i. S. des Art. 4 Nr. 10 und 11 des Zollkodexes (ZK) sind, beträgt die Festsetzungsfrist vier Jahre (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO). Ist eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten, beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 1 AO später beginnt (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO).

Da jeder der Erbschaftsteuer unterliegende Erwerb (§ 1 ErbStG) vom Erwerber dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt nach § 30 ErbStG anzuzeigen ist, begann die vierjährige Festsetzungsfrist im Streitfall mit Ablauf des 31. Dezember 1995. Die Frist lief am 31. Dezember 1999 ab. Durch den Änderungsantrag vom (...) 2004 wurde der Ablauf der Frist nicht gemäß § 171 Abs. 3 AO gehemmt, weil die Festsetzungsfrist bei Antragstellung bereits abgelaufen war.

b) Eine Änderung der Schenkungsteuerbescheide vom (...) 1995 kann auch nicht nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO vorgenommen werden.

Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Ein Grundlagenbescheid ist gemäß § 171 Abs. 10 Satz 1 AO ein Feststellungsbescheid, ein Steuermessbescheid oder ein anderer Verwaltungsakt, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist. Wird ein Grundlagenbescheid erteilt, endet die Festsetzungsfrist nach dieser Vorschrift nicht vor Ablauf von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheids.

Die Bindungswirkung der Grundlagenbescheide besteht darin, dass sie als selbständig anfechtbare und eigener Bestandskraft fähige Verwaltungsakte über bestimmte Besteuerungsgrundlagen Vorentscheidungen treffen. Sie sind daher den Folgebescheiden gegen-über jedenfalls inhaltlich vorrangig, so dass jeder Erlass, jede Änderung oder Aufhebung eines Grundlagenbescheides auf den Folgebescheid durchschlägt (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO). Der Rechtsgrund der Bindungswirkung ist immer das Gesetz. Die Bindung muss durch das Gesetz ausdrücklich angeordnet sein (vgl. BFH-Urteile vom 18. April 1980 III R 34/78, BFHE 130, 441, BStBl II 1980, 682; vom 30. September 1981 II R 105/81, BFHE 134, 192, BStBl II 1982, 80). Hierbei handelt es sich um ein Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gemäß Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG; vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH vom 11. April 2005 GrS 2/02, BFHE 209, 399, BStBl II 2005, 679 , m.w.N.).

Da der Bescheid der Kantonalbehörde vom (...) 2002 keine Bindungswirkung im vorgenannten Sinne entfaltet, handelt es sich nicht um einen Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AO. Eine solche Bindungswirkung wird auch nicht durch § 21 ErbStG angeordnet. Hierdurch wird vielmehr geregelt, unter welchen Voraussetzungen die im Ausland festgesetzte Erbschaftsteuer auf die deutsche Erbschaftsteuer anzurechnen ist. Nach § 21 ErbStG kommt es z.B. darauf an, dass die festgesetzte Steuer auch gezahlt worden ist, dass kein Ermäßigungsanspruch besteht und dass der Steuerpflichtige bei dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt einen Antrag gestellt hat. Während das für den Erlass des Folgebescheids zuständige Finanzamt etwa im Falle des Erlasses, der Aufhebung oder der Änderung eines Bescheides über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für eine Personengesellschaft (§§ 179, 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO), eines Grundsteuermessbescheides (§ 16 des Grundsteuergesetzes - GrStG -, § 184 AO) oder eines Anerkennungsbescheides nach §§ 83, 93 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes (II. WoBauG; vgl. BFH-Urteil in BFHE 130, 441, BStBl II 1980, 682) den Folgebescheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen hat, ergibt sich aus § 21 ErbStG keine Pflicht des FA, bei Erlass, Aufhebung oder Änderung eines ausländischen Erbschaftsteuerbescheides von Amts wegen (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Mai 2003 XI B 171/02, BFH/NV 2003, 1286; Loose, in: Tipke / Kruse, AO, § 175, Rz. 8) den deutschen Erbschaftsteuerbescheid zu korrigieren. Wird z.B. durch einen geänderten Bescheid die festgesetzte ausländische Steuer erhöht, schlägt dies nicht zwangsläufig auf den deutschen Erbschaftsteuer- oder Schenkungsteuerbescheid durch. Denn auch der Erhöhungsbetrag muss nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG zunächst getilgt werden, und eine Anrechnung dieses Betrages erfolgt nur auf Antrag.

Dementsprechend wird in Rechtsprechung und Literatur - soweit ersichtlich - an keiner Stelle der Frage nachgegangen, ob Festsetzungen oder Änderungen der ausländischen Steuer verfahrensrechtlich nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bei der deutschen Erbschaftsteuer berücksichtigt werden können. Als in Frage kommende Korrekturvorschriften werden nur § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO genannt (vgl. Urteil des FG Düsseldorf in EFG 1998, 1605; Jülicher, in: Troll / Gebel / Jülicher, ErbStG, § 21, Rz. 47).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

Die Revision war nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen.

RechtsgebieteErbStG, AOVorschriftenErbStG § 2 Abs. 1 ErbStG § 9 Abs. 1 ErbStG § 21 Abs. 1 AO § 175 Abs. 1

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