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01.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093172

Vergabekammer Südbayern: Beschluss vom 17.06.2009 – Z3-3-3194-1-22-05/09

1. Mit der Auswahl des Wertungskriteriums "Anfahrtszeit vom Bürositz zur Baustelle" wird die Ortsansässigkeit abgefragt und bewertet. Dies verstößt gegen das Wettbewerbsprinzip und den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1, 2 und 5 GWB, sowie gegen § 16 Abs. 3 VOF. Grundsätzlich ist der Begriff der räumlichen Nähe zur Baustelle nicht zu verwechseln mit der erforderlichen "Präsenz" vor Ort, wobei die "Ortsansässigkeit" nach allgemeiner Rechtssprechung ein vergabefremdes Kriterium darstellt.



2. Es liegt auch dann ein Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 97 Abs. 1 GWB) vor, wenn der Vergabevermerk nicht den Anforderungen des § 18 VOF entspricht. Denn "über die Vergabe ist ein Vermerk zu fertigen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellungen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält".*)
3. Die Wertung der Referenzen hat durchgängig auf die Gleichwertigkeit bezüglich gleicher Aufgabenstellung und Größe zu erfolgen. Wenn die Projektsumme der gewerteten Referenzen der vorgezogenen Bieter um ein vielfaches unter der voraussichtlichen Auftragssumme für vorliegendes Projekt liegen, entbehrt dies jeglicher Vergleichbarkeit, da für die Einhaltung von Terminen und Kosten bei niedrigen Auftragssummen im Vergleich mit Großprojekten, die sich über längere Zeiträume erstrecken und komplexere Aufgabenstellungen enthalten, nicht der gleiche Maßstab angesetzt werden kann.


Vergabekammer Südbayern

Beschluss

vom 17.06.2009

Az.: Z3-3-3194-1-22-05/09

Vollzug des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (VgV) und der Bayer. Nachprüfungsverordnung (BayNpV);

....

Die Regierung von Oberbayern - Vergabekammer Südbayern - erlässt auf die mündliche Verhandlung vom 03.06.2009 durch den Vorsitzenden Herrn Auer, den hauptamtlichen Beisitzer Herrn Pilz und den ehrenamtlichen Beisitzer Herrn Dittrich folgenden

Beschluss:

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig und begründet. Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin ist in ihren Rechten verletzt ist. Das Vergabeverfahren wird daher in den Stand vor Wertung der Bewerbungen zu o.g. Auswahlverfahren versetzt.

1. Hierbei wird der Antragsgegner verpflichtet, die Wertung erneut und unter Einbezug der Rechtsauffassung der Vergabekammer durchzuführen.

2. Die Gebühr für das Vergabenachprüfungsverfahren wird auf .... Euro festgesetzt. Auslagen der Vergabekammer werden nicht erhoben.

3. Die Kosten des Verfahrens sowie die vor der Vergabekammer zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen trägt der Antragsgegner. Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin beabsichtigt für die .... die Vergabe von .... Dies wurde in einer EU-weiten Bekanntmachung vom ...2009 im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften im Wege eines Verhandlungsverfahrens nach VOF ausgeschrieben.

Der Zuschlag erfolgt lt. II.1.1 in stufenweiser Beauftragung für Ingenieurleistungen nach § 68 HOAI, Leistungsphasen I - IX.

Eine Vergabe in Einzellosen ist nicht vorgesehen (lt. II.1.8 der Bekanntmachung).

Die Antragsgegnerin beauftragte für die Durchführung des Vergabeverfahrens das Ingenieurbüro X.

Ein Zeitpunkt zur Absendung der Aufforderung zur Angebotsabgabe unter IV.3.5 wurde nicht benannt.

Frist für den Angebotseingang der Teilnahmeanträge war der ...2009, 12.00 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt lagen 10 Teilnahmeanträge vor, u.a. der der Antragstellerin.

Diese hatte eine Bewerbung eingereicht obwohl ihrer Rüge seitens der Vergabestelle zu diesem Zeitpunkt nicht abgeholfen worden war.

Der Rügeinhalt vom 29.04.2009 bezieht sich auf die von der Vergabestelle in den Bewerbungsunterlagen mitgeteiltem Wertungskriterium zur örtlichen Präsenz.

Unter Punkt 4.9 der Wertungsmatrix wird die Anfahrtszeit zur Baustelle als Kriterium aufgestellt und mit Wichtung versehen. Dies sei nach Auffassung der Antragstellerin unzulässig.

In seinem Antwortschreiben vom 30.04.2009 von BPM widerspricht die Antragsgegnerin dem Rügeinhalt. Die Anfahrtszeit zur Baustelle sei insofern relevant, da eventuelle Anfahrten bei unvorhersehbaren Ereignissen im Baustellenbetrieb notwendig werden könnten.

Dieses Kriterium sei eine Maßnahme der Qualitätssicherung nach § 13 Abs. 2f VOF zur Steigerung der Effizienz.

Die Antragstellerin erwidert hierauf am 06.05.2009 unter nochmaliger Verweisung auf das Rügeschreiben, dass die Antragsgegnerin mit ihren Erklärungen den in der Rüge genannten Punkten nicht abgeholfen habe und kündigt mit nochmaliger Fristsetzung zum 08.05.2009 ein Nachprüfungsverfahren an, falls die Antragsgegnerin das streitgegenständliche Kriterium nicht zurückziehe.

Ihrem Schreiben fügte die Antragstellerin einen Auszug aus einem nicht näher benannten Kommentar zu den §§ 16 & 24 VOF bei, aus welchen nach ihrer Auffassung hervorgehe, dass das Kriterium der Ortsnähe nicht herangezogen werden dürfe.

Am 07.05.2009 teilt die Antragsgegnerin mit, dass der gerügte Vergabeverstoß bereits mit Schreiben vom 30.04.2009 hinreichend beantwortet sei, auch werde auf das Urteil des OLG München vom 28.04.2009 in diesem Zusammenhang verwiesen.

Desweiteren habe sich die Antragstellerin mit der Abgabe ihrer Bewerbung sämtlichen Anforderungen und Inhalten der Bewerbungsunterlagen unterworfen. Außerdem sei nun - nach Öffnung der Angebote - eine inhaltliche Stellungnahme bzw. eine Änderung der Wertungskriterien nicht mehr möglich.

Daraufhin versandte die Antragstellerin am 11.05.2009 ihren Nachprüfungsantrag, der am 13.05.2009 bei der Vergabekammer einging. Dieser wurde am 13.05.2009 der Antragsgegnerin zugestellt mit der Aufforderung, sämtliche die Vergabe betreffenden Unterlagen unverzüglich vorzulegen.

In ihrem Nachprüfungsantrag wiederholt die Antragstellerin im Wesentlichen die Argumentation ihres Rügeschreibens. Sie verweist zudem auf die unverhältnismäßige Überbewertung (höchstmöglich er- reichbare Punktzahl) des vergabefremden Kriteriums "Ortsnähe" im Vergleich zum Kriterium der Projektreferenzen. Sie beantrage daher, das Vergabeverfahren aus den o.g. Gründen zu annulieren und eine neue Ausschreibung ohne das vergabefremde Kriterium der Ortsnähe durchzuführen. Auf das Diskriminierungsverbot auswärtiger Bewerber lt. § 16 VOF sei verwiesen.

In seiner Stellungnahme vom 25.05.2009 verlangt daraufhin der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die Zurückweisung des Nachprüfungsantrags. Dieser sei unbegründet, da die behaupteten Rechtsverstöße nicht vorlägen und die Antragstellerin wegen nicht ausreichender Referenzen sowieso keine Chance auf den Zuschlag gehabt hätte. Außerdem handele es sich bei dem streitgegenständlichen Wertungskriterium nicht lediglich um die Ortsnähe sondern um die benötigte Anfahrtszeit zur Baustelle. Eine kurze Anfahrtszeit - bzw. Reaktionszeit sei aufgrund von unvorhersehbar auftretenden Ereignissen geboten, zumal es sich bei vorliegendem Bauprojekt um Arbeiten während des laufenden Schulbetriebs handele. Hierzu sei auch auf das Urteil des OLG München vom 28.04.2006, Verg 6/06 sowie auf auf die Entscheidung der VK Sachsen vom 31.01.2007, 1/SVK/124- 06 verwiesen.

Die als weiteren Punkt von der Antragstellerin bemängelte Überbewertung des Kriteriums "Anfahrtszeit" sei für das Nachprüfungsverfahren allerdings irrelevant, da dieser angebliche Vergaberechtsverstoß nicht Gegenstand der Rüge gewesen sei.

Es werde außerdem beantragt, seitens der Vergabekammer festzustellen, dass die Antragstellerin die zur Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragsgegnerin zu tragen habe und dass die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragsgegnerin notwendig sei.

Ebenfalls am 25.05.2009 teilte die Vergabestelle der Antragstellerin im Absageschreiben nach § 13 VgV mit, dass ihre Bewerbung aufgrund nicht wertbarer Referenzen ausgeschieden werde.

Die Antragstellerin rügte daraufhin ihren Ausschluss vom weiteren Vergabeverfahren mit Schreiben vom 26.05.2009 und forderte die Vergabestelle auf, ein nachprüfbares Bewertungsschema vorzulegen.

Am 28.05.2009 erwiderte die Antragstellerin das anwaltliche Schreiben der Antragsgegnerin dahingehend, dass die Entscheidung des OLG München nicht mit dem vorliegenden Sachverhalt vergleichbar sei, da die Antragsgegnerin im streitgegenständlichen Bauprojekt eine dauerhafte Präsenz vor Ort fordere und nicht eine Anwesenheit "im Bedarfsfall" wie im Fall der OLG - Entscheidung beschrieben. Des weiteren beanstande die Antragstellerin die vorgenommene Bewertung ihrer Referenzen.

Im Gegenzug reagierte die Vergabestelle mit Schriftsatz vom 29.05.2009 - eingegangen bei der Vergabekammer am 02.06.2009 - mit der Zurückweisung der von der Antragstellerin vorgetragenen Punkte. Dabei wiederholte sie inhaltlich im wesentlichen die im Schreiben vom 25.05.2009 genannten Gründe. Die Vorgaben zur Bewertung der Referenzen seien der Antragstellerin bereits aus den Vergabeunterlagen bekannt gewesen, die nun dagegen erhobenen Rügen seien daher nicht nur unbegründet sondern auch verfristet.

Der ehrenamtliche sowie der hauptamtliche Beisitzer haben die Entscheidung über Beiladungen und den Umfang der Akteneinsicht auf den Vorsitzenden übertragen. Die Vergabekammer hat mit Schreiben vom 29.05.2009 die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 03.06.2009 geladen. Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Im Einzelnen wird auf deren Inhalt sowie die weiteren vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.

Die mündliche Verhandlung fand am 03.06.2009 im Dienstgebäude des Verwaltungsgerichts München statt. Die Beteiligten hatten während der Verhandlung Gelegenheit, ihre Standpunkte vorzutragen, eine Beschlussformel wurde nicht gefasst. Auf das diesbezügliche Protokoll wird verwiesen. Die Anträge der Antragsgegnerin vom 25.05.2009 werden aufrechterhalten. Die Antragstellerin beantragte festzustellen, dass sie in ihren Rechten verletzt sei und das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Auffassung der Vergabekammer zurückzuversetzen und zu wiederholen sei.

II.

Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
Da das Vergabeverfahren noch vor dem 24.04.2009 begonnen wurde, ist noch die alte Fassung des GWB anzuwenden. Auf eine gesonderte Nomenklatur "a.F." wird im Folgenden jedoch verzichtet. Es gelten die Übergangsbestimmungen gem. § 23 VgV, Fassung nach BGBl. I vom 23.04.2009.

Die sachliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus § 104 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) bzw. § 1 Abs. 1 und 2 der Verordnung zur Regelung von Organisation und Zuständigkeiten im Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge (BayNpV).

Die Vergabekammer Südbayern ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1 BayNpV örtlich zuständig, da die Vergabestelle ihren Sitz im Regierungsbezirk .... hat (§ 2 Abs. 2 Satz 3 BayNpV).

Gegenstand der Vergabe ist ein Dienstleistungsauftrag i. S. d. § 99 Abs. 4 GWB. Die Antragsgegnerin ist Auftraggeber gemäß § 98 Nr.1 GWB.

Der Anwendungsbereich des vierten Teil des GWB und der BayNpV ist nur eröffnet, wenn der geschätzte Auftragswert den Schwellenwert erreicht oder übersteigt (§ 100 Abs. 1 GWB i. V. m. § 1 Abs. 1 Satz 2 BayNpV). § 100 Abs. 1 GWB verweist bezüglich der Schwellenwerte auf eine Rechts- verordnung nach § 127 GWB. Die Bundesregierung hat mit der Verordnung über die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung - VgV) eine Rechtsverordnung i. S. d. § 127 Nr. 1 GWB erlassen.
Die Schwellenwerte ergeben sich im vorliegenden Fall aus § 2 Nr. 5 VgV.
Der maßgebliche Schwellenwert von 206.000 Euro für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträge gemäß des zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Ausschreibung geltenden Bestimmungen bei weitem überschritten.

Eine Ausnahmebestimmung des § 100 Abs. 2 GWB liegt nicht vor. Der Zuschlag ist noch nicht erteilt.

1. Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags

Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

1.1 Antragsbefugnis

Gemäß § 107 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es ein Interesse am Auftrag hat, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt. Die Antragstellerin hat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Da ihr der Zuschlag nicht erteilt wird, droht ihr ein finanzieller Schaden.

1.2 Unverzügliche Rüge

Gemäß § 107 Abs. 3 GWB ist ein Nachprüfungsantrag zulässig, soweit die Antragstellerin den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften bereits im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber unverzüglich gerügt hat. Der Antrag ist außerdem zulässig, soweit Verstöße gegen Vergabevorschriften, die aufgrund der Bekanntmachung erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung genannten Frist zur Angebotsabgabe oder zur Bewerbung gegenüber dem Auftraggeber gerügt werden.

Der Nachprüfungsantrag vom 13.05.2009 ist demzufolge im Hinblick auf die Rügeobliegenheit zulässig, da der mit dem Vergabenachprüfungsantrag geltend gemachte Vergaberechtsverstoß mit Schreiben vom 29.04.2009 noch vor Ende der Angebotsfrist, unverzüglich und ohne schuldhaftes Zögern im Sinne des § 121 BGB, im Sinne des § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB gegenüber der Antragsgegnerin gerügt wurde.

2. Begründetheit des Nachprüfungsantrags

Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.

2.1 Wertungskriterium Ortsansässigkeit

Mit der Auswahl des Wertungskriteriums "Anfahrtszeit vom Bürositz zur Baustelle" wird die Ortsansässigkeit abgefragt und bewertet. Hiermit verstößt die Antragsgegnerin gegen das Wettbewerbsprinzip und den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß § 97 Abs.1,2 und 5 GWB, sowie gegen § 16 Abs. 3 VOF.

Grundsätzlich ist der Begriff der räumlichen Nähe zur Baustelle nicht zu verwechseln mit der erforderlichen "Präsenz" vor Ort, wobei die "Ortsansässigkeit" nach allgemeiner Rechtssprechung ein vergabefremdes Kriterium darstellt. (siehe VK-Bund, Beschl. v. 10.05.2001, VK Sachsen, B.v. 31.01.2007 - 1 /SVK/124-06; VK Sachsen, B.v. 19.11.2001, 1 / SVK/119-01)

Somit beinhaltet die Anfahrtszeit zur Baustelle vom "Bürositz nach ...." (Punkt 4.9 der Bewertungsmatrix) bereits ihrem Sinn nach eine Abfrage der Ortsansässigkeit und nicht der örtlichen Präsenz, denn diese wird bereits unter Punkt 4.8 der Bewertungsmatrix abgefragt. Lt. Weyand Praxiskommentar Vergaberecht unter 6.9.4.20.1 Rnr. 688 ist die "Standortnähe der Bieter zum Erfüllungsort .... kein vergaberechtskonformes Kriterium. Die Berücksichtigung der Entfernung stellt eine lokale Beschränkung des Wettbewerbs und somit einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (§ 97 Abs. 2 GWB) dar (1. VK Sachsen, B. v. 31.01.2007 - Az.: 1/SVK/124-06; B. v 03.12.2004 - Az.: 1/SVK/104- 04, 1/SVK/104-04G; VK Brandenburg, B. v. 21.07.2004 - Az.: VK 35/04, 38/04)."

Weiter heißt es unter Rnr.690: "Nach Auffassung des OLG München ist es zwar nicht zu beanstanden, wenn der Auftraggeber von den Teilnehmern Angaben über die Erreichbarkeit und Präsenz im Bedarfsfall verlangt und das Angebot eines Jour fixe bei der Auswahl positiv bewertet. .... (OLG München, B. v. 28.04.2006 - Az.: Verg 6/06; 1. VK Sachsen, B. v. 31.01.2007 - Az.: 1/SVK/124-06). Allerdings ist "bei dem Kriterium "Präsenz vor Ort" .... im Rahmen eines VOF-Verfahrens für die Wertung nach Ausführungsphasen zu unterscheiden. Grad und Umfang der örtlichen Präsenz sind an der Erforderlichkeit für die Auftragsausführung zu messen. Insbesondere ist darzulegen, warum eine Kommunikation mittels der modernen Medien nicht ausreichend ist und in welchem zeitlichen Rahmen eine Anwesenheit erforderlich ist (VK Nordbayern, B. v. 01.02.2008 - Az.: 21.VK-3194 - 53/07)." Der von der Antragsgegnerin vorgetragenen Auffassung, die Ortsnähe sei eine Maßnahme der Qualitätssicherung und bewirke eine Steigerung der Effizienz kann die Vergabekammer im vorliegenden Fall nicht folgen.

Bei den ausgeschriebenen Ingenieursleistungen handelt es sich nicht um Projektsteuerung, sondern um Leistungen als Fachprojektant. Diese haben im Gegensatz zu den bauleitenden Projektleitern (Architekten), welchen die Gesamtüberwachung obliegt, nicht in hohem Maße Koordinierungsmaßnahmen vor Ort zu treffen, sondern sind lediglich für ihre eigenen Gewerke zuständig. Das Ermessen der Vergabestelle, inwieweit eine Präsenz vor Ort notwendig ist, ist hierbei nicht unbeschränkt, es findet seine Beschränkung bereits in den üblich bekannten HOAI-Vertragsmustern, in welchen es sinngemäß heißt, dass die Kontrollen zur Bauüberwachung in den zeitlichen Abständen zu erfolgen haben, die zur Erfüllung der Bauleitungsleistung nach HOAI erforderlich sind. Eine damit einhergehende Forderung nach nicht nur einer Präsenz, sondern des Unternehmenssitzes am Auftragsort ist daher unzulässig. Auch kann "die notwendig damit einhergehende Diskriminierung solcher Bewerber und Verhandlungsteilnehmer, die ihren Sitz an einem anderen als dem Auftragsort haben, regelmäßig nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt werden und steht im eklatanten Widerspruch zum europaweiten Wettbewerb" (Müller-Wrede, Kommentar zur VOF, 3.Aufl. zu § 16 VOF, Rnr. 46). Sachliche Gründe wie z.B. drohende "Gefahr in Verzug" konnten seitens der Antragsgegnerin nicht überzeugend dargelegt werden, da die Oberbauleitung nicht dem zu beauftragenden Projektanten obliegt. Auch handelt es sich nicht um ein Bauvorhaben, das komprimierten außergewöhnlich kurzen Ausführungszeiten unterliegt. Die Gesamtlaufzeit beträgt nach Aussage der Antragsgegnerin 10 Jahre und ist in viele kleinteilige Bauabschnitte untergliedert.

2. 2 Wertungsmängel

Das zur Nachprüfung gestellte Vergabeverfahren leidet außerdem an auffallenden Wertungsmängeln. Hierbei entscheidet die Kammer, inwieweit im Rahmen des ihr von § 114 Abs.1 GWB eingeräumten Ermessensspielraums bei der Entscheidung darüber, welches die geeigneten Maßnahmen sind, die festgestellte Rechtsverletzung zu beseitigen. Sie ist an Anträge nicht gebunden. Ziel ihrer Entscheidung ist in jedem Falle die Einwirkung auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens. Die Maßnahme muss jedoch geeignet sein, die Rechtsverletzung zu beseitigen, gleichzeitig aber auch das mildeste Mittel hierfür sein (OLG Koblenz, Beschluss vom 04.07.2007 - Az.: 1 Verg 3/07).

Zwar ermächtigt die Vorschrift des § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB die Vergabekammer zu keiner allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle. Sie kann ihrer Entscheidung auch keine vom Antragsteller zur Begründung seines Nachprüfungsantrages nicht herangezogene, ihn aber gleichwohl belastende Rechtsverstöße zugrunde legen. Etwas anderes kann im Einzelfall jedoch gelten, wenn von offenkundigen und schwerwiegenden Vergabeverstößen auszugehen ist, die auch die Rechtsposition des Antragstellers berühren (VK Sachsen, Beschl. v. 14.04.2008 - 1/SVK/013-08).

Im vorliegenden Fall wurde innerhalb des Wertungsspielraums ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung (§ 97 Abs. 2 GWB) der Bieter festgestellt, der außerdem einer auch nur ansatzweise nachvollziehbaren Begründung im Vergabevermerk entbehrt. Denn es liegt auch dann ein Verstoß gegen das Transparenzgebot (§ 97 Abs. 1 GWB) vor, wenn der Vergabevermerk nicht den Anforderungen des § 18 VOF entspricht. Denn "über die Vergabe ist ein Vermerk zu fertigen, der die einzelnen Stufen des Verfahrens, die Maßnahmen, die Feststellungen sowie die Begründung der einzelnen Entscheidungen enthält. Die Bieter haben ein subjektives Recht auf ausreichende Dokumentation des Vergabeverfahrens und der wesentlichen Entscheidungen im Vergabeverfahren. Die Dokumentation des Vergabeverfahrens und aller wesentlichen Entscheidungen sind zeitnah, lückenlos, laufend, und nachvollziehbar zu dokumentieren" (VK Südbayern, Z3-3-3194-1-18-05/08), was vorliegend nicht der Fall ist.

Lt. Weyand, Praxiskommentar Vergaberecht 6.3.3.1.3.2.3 ist der Regelinhalt des Vergabevermerks nach § 18 VOF daher umfassend angelegt. Im Vergabevermerk muss das gesamte Verfahren auch in den Einzelheiten dokumentiert sein, so dass der Vergabevermerk einen erheblichen Detaillierungsgrad aufzuweisen hat (2. VK Bund, B. v. 13.07.2005 - Az.: VK 2-75/05). Aufgrund dieser hohen inhaltlichen Anforderungen an die Dokumentation reichen insbesondere formelhafte Begründungen für die Entscheidungen des Auftraggebers nicht aus (1. VK Hessen, B. v. 12.02.2008 - Az.: 69 d VK- 01/2008; B. v. 25.08.2006 - Az.: 69 d VK 37/2006; VK Schleswig-Holstein, B. v. 20.01.2009 - Az.: VKSH 17/08; B. v. 11.01.2006 - Az.: VK-SH 28/05; VK Rheinland-Pfalz, B. v. 04.05.2005 - Az.: VK 20/05).

Denn ohne entsprechende Dokumentation ist es nicht möglich, zu kontrollieren, ob der Beurteilungsspielraum fehlerfrei ausgeübt wurde (3. VK Bund, B. v. 26.01.2005 - Az.: VK 3-224/04). Vor allem ist immer dann eine ausführlichere Begründung notwendig, wenn mehrere Gesichtspunkte, z. B. bei der Wertung im Rahmen der Auftragserteilung gegeneinander abgewogen werden müssen (OLG Frankfurt, B. v. 28.11.2006 - Az.: 11 Verg 4/06 - instruktiver Fall; B. v. 16.08.2006 - Az.: 11 Verg 3/06; VK Hessen, B. v. 12.02.2008 - Az.: 69 d VK- 01/2008).

Es bedarf hierzu keiner umfassenden Ausführlichkeit, es muss jedoch ohne weitere Erläuterung nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen der Auftraggeber sich für ein bestimmtes Angebot entschieden oder einen bestimmten Bieter für ungeeignet gehalten hat (VK Baden-Württemberg, B. v. 26.09.2008 - Az.: 1 VK 33/08; 2. VK Brandenburg, B. v. 21.02.2007 - Az.: 2 VK 58/06; VK Düsseldorf, B. v. 9.4.2003 - Az.: VK-8/2003-B; VK Lüneburg, B. v. 08.05.2006 - Az.: VgK-07/2006; B. v. 05.07.2005 - Az.: VgK-26/2005; B. v. 23.2.2004 - Az.: 203-VgK-01/2004, B. v. 10.3.2003 - Az.: 203- VgK-01/2003; 3. VK Saarland, B. v. 23.04.2007 - Az.: 3 VK 2/2007, 3 VK 3/2007; B. v. 09.03.2007 - Az.: 3 VK 1/2007; 1. VK Sachsen, B. v. 24.02.2005 - Az.: 1/SVK/004-05). Dem ist beispielsweise gem. VK Brandenburg, Beschl.v. 12.11.2008 - VK 35/08 dann Genüge geleistet, "wenn sich in der Akte die Bewertungsbögen der einzelnen Mitglieder befinden, aus denen sich ergibt, mit welcher Punktzahl jedes einzelne Leistungsmerkmal bewertet worden ist." Dies ist im streitgegenständlichen Verfahren jedoch nicht der Fall, es findet sich lediglich eine Tabelle über alle Bewerber und deren erreichte Gesamtpunktzahl.

Hinzu kommt, dass bei der Wertung der Referenzen nicht durchgängig auf die Gleichwertigkeit bezüglich gleicher Aufgabenstellung und Größe geachtet wurde. So liegt die Projektsumme der gewerteten Referenzen des Zweit- und Drittbieters um ein vielfaches unter der voraussichtlichen Auftragssumme für vorliegendes Projekt. Die Einhaltung von Terminen und Kosten bei niedrigen Auftragssummen im Vergleich mit Großprojekten, die sich über längere Zeiträume erstrecken und komplexere Aufgabenstellungen enthalten, entbehrt jeglicher Vergleichbarkeit und führt - wie im Bewertungsschema von BPM unter Punkt 12 erwähnt, zur Nicht-Wertbarkeit. Warum die Referenzen der beiden o.g. Wettbewerber trotzdem und sogar mit voller Punktzahl gewertet wurden, ist weder nachvollziehbar noch im Vergabevermerk dokumentiert.

Die Wiederholung der Wertung ist daher ohne das Kriterium "Anfahrtszeit vom Bürositz zur Baustelle" durchzuführen. Außerdem ist bei der Wertung der Referenzen in besonderem Masse auf das Gleichbehandlungsgebot sowie auf einen ausreichenden Dokumentationsgrad zu achten.

3. Kosten des Verfahrens

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Da dem Antragsgegner aufgegeben wird, die strittige Ausschreibung in den Stand vor der Wertung zurückzuversetzen, ist er im Verfahren unterlegen und hat die Kosten zu tragen.

Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 128 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 25.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und im Einzelfall auf 50.000 Euro erhöht werden kann.

Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens.

Im Interesse einer bundeseinheitlichen Handhabung ist von der Vergabekammer in Anlehnung an die von den Vergabekammern des Bundes mit Stand Januar 2003 aufgestellten Kriterien zur Berechnung der Kosten gemäß § 128 GWB entsprechend dem personellen und sachlichen Aufwand unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung die Gebühr auf .... Euro festzusetzen.

Der Antragsgegner ist von der Zahlung der Gebühr befreit. Dies ergibt sich aus § 128 Abs. 1 Satz 2 GWB i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 2 VwKostG.

Von der Antragstellerin wurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500,00 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraft dieses Beschlusses an die Antragstellerin zurück überwiesen.

Rechtsmittelbelehrung

....

RechtsgebieteBGB, GWB, VOFVorschriftenBGB § 121; GWB § 97 Abs. 1, 2, 5, § 107 Abs. 3; VOF § 16 Abs. 3, § 18

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