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16.10.2009 · IWW-Abrufnummer 093145

Landesarbeitsgericht Hamm: Urteil vom 18.03.2009 – 2 Sa 1108/08

Eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, wonach erforderliche Überstunden des Arbeitnehmers mit der monatlichen Vergütung abgegolten sind, ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam (im Anschluss an LAG Hamm vom 11.07.2007 - 6 Sa 410/07).


2 Sa 1108/08

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 27.06.2008 4 Ca 673/08 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.12.2004 aufgrund eines zunächst befristeten Arbeitsvertrages als technischer Angestellter gegen eine monatliche Vergütung von zuletzt 3.000,00 ¤ tätig. Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis am 03.01.2007 zum 31.03.2007.

Mit der vorliegenden am 13.11.2007 eingegangenen Klage macht der Kläger restliche Vergütungsansprüche geltend. In der Berufungsinstanz streiten die Parteien nur noch darüber, ob dem Kläger Vergütung für 102 Überstunden in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.565,70 ¤ zusteht. Die Beklagte hält einen Anspruch des Klägers für nicht gegeben, weil im Arbeitsvertrag folgendes vereinbart worden ist:

"§ 3

Für seine Tätigkeit erhält der Arbeitnehmer ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von Euro 2.500,00.

Nach sechs Monaten erhält der Arbeitnehmer ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von Euro 3.000,00.

Das Bruttogehalt bezieht sich auf jeweils 45 Arbeitsstunden wöchentlich. Davon sind 38 Normalstunden und 7 Mehrarbeitsstunden. Die Mehrarbeitsstunden können im Falle betrieblicher Erfordernisse ganz oder teilweise abgebaut und verrechnet werden.

Mit der vorstehenden Vergütung sind erforderliche Überstunden des Arbeitnehmers mit abgegolten."

Die vereinbarten sieben Mehrarbeitsstunden beziehen sich auf das im Arbeitsvertrag vereinbarte Schichtsystem mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 45 Stunden, die in 38 Normalstunden und 7 Mehrarbeitsstunden aufgeteilt wird.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 27.06.2008 zur Zahlung von 1.565,70 ¤ brutto nebst Zinsen verurteilt und die weitergehende Klage abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits hat es der Beklagten zu 72 % und dem Kläger zu 28 % auferlegt. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger könne gemäß den §§ 611, 612 BGB die Vergütung der auf seinem Arbeitszeitkonto bei seinem Ausscheiden befindlichen 102 Plusstunden beanspruchen. § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrages stehe dem nicht entgegen, weil es sich dabei um eine vorformulierte Arbeitsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handele, die gemäß § 307 Abs. 1 Satz 3 BGB unwirksam sei, weil sie den Kläger entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige. Der Umfang der mit abgegoltenen Überarbeit werde weder konkretisiert noch begrenzt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung will die Beklagte die Abweisung der Klage erreichen. Zur Begründung ihres Rechtsmittels trägt sie vor, es sei bereits in Frage zu stellen, ob es sich bei Klausel über die Abgeltung von Überstunden überhaupt um eine kontrollfähige Nebenleistungspflicht i.S.v. § 305 Abs. 3 BGB handele. Da dem erstinstanzlichen Gericht lediglich ein Auszug des Arbeitsvertrages vorgelegen habe, sei ferner in Frage zu stellen, ob es sich dabei überhaupt um einen vorformulierten Vertrag zur Mehrfachverwendung handele. Im Übrigen sei eine einzelvertragliche Vereinbarung, wonach mit dem vereinbarten Gehalt auch etwaige Mehrarbeit abgegolten sei, nicht grundsätzlich unzulässig. Aus der streitigen Vereinbarung gehe mit hinreichender Klarheit hervor, dass mit der vereinbarten Vergütung von 3.000,00 ¤ auch etwa anfallende Mehrarbeit abgegolten sei. Auslegungszweifel bestünden insoweit nicht. Es müsse berücksichtigt werden, dass der Kläger als Leiter des Hochregallagers tätig gewesen und die vereinbarten 3.000,00 ¤ die Gegenleistung für die vom Kläger zu leistende Arbeitszeit von 38 Normalstunden zzgl. sieben Mehrarbeitsstunden gewesen sei. Unter Zugrundelegung des sich daraus ergebenden Stundenlohnes sei die pauschale Abgeltung der geleisteten Mehrarbeit im Vergleich zur üblichen Vergütung bei anderen Unternehmen und bei vergleichbaren Tätigkeiten angemessen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 27.06.2008 - 4 Ca 673/08 - abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung der Vergütung für die vom Kläger unstreitig geleisteten Überstunden in Höhe von 1.565,70 ¤ brutto verurteilt. Die im Arbeitsvertrag vereinbarte Pauschalabgeltung ist gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Das Berufungsgericht folgt der Auffassung des Arbeitsgerichts.

I

Die in § 3 des Arbeitsvertrags getroffene Vereinbarung, dass mit dem monatlichen Bruttogehalt des Klägers in Höhe von 3.000,00 ¤ auch erforderliche Überstunden mit abgegolten sind, unterliegt einer Inhaltskontrolle gemäß den §§ 307 ff BGB, denn es handelt sich dabei um eine allgemeine Geschäftsbedingung i.S.v. § 305 Abs. 1 BGB. Bereits der äußere Anschein des in der Berufungsinstanz vorgelegten vollständigen Arbeitsvertrages (Bl. 135 bis 144 GA) spricht für eine vorformulierte und standardisierte Verwendung (vgl. BAG vom 26.01.2005 - 10 AZR 215/04, AP Nr. 260 zu § 611 BGB Gratifikation; HWK/Gotthardt, 3. Aufl., § 305 BGB Rdnr. 14). Vorformulierte Geschäftsbedingungen können auch dann vorliegen, wenn es sich zwar um einen Vertrag für den Einzelfall handelt, sich dieser aber aus mehrfach verwendeten Textbausteinen zusammensetzt (OLG Frankfurt vom 22.11.1990 - 6 U 161/89, NJW 1991, 1489). Eine Inhaltskontrolle von Arbeitsbedingungen findet vorliegend unabhängig davon statt, ob es sich hier um Vertragsbedingungen handelt, die für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert worden sind, denn Arbeitsverträge sind Verbraucherverträge i.S.v. § 310 Abs. 3 BGB, so dass die §§ 307 bis 309 BGB auch dann anzuwenden sind, wenn es sich gemäß § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB um eine vorformulierte Vertragsbedingung handelt, die nur zur einmaligen Verwendung bestimmt ist (BAG vom 25.05.2005 - 5 AZR 572/04, AP Nr. 1 zu § 310 BGB; BAG vom 15.02.2007 - 6 AZR 286/06, NZA 2007, 614; BAG vom 18.03.2008 - 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004).

Weil der Arbeitsvertrag zahlreiche formelhafte Klauseln enthält und nicht auf die individuelle Vertragssituation des Klägers zugeschnitten ist, spricht im Übrigen schon der Anschein für seine Mehrfachverwendung (BAG vom 01.03.2006 - 5 AZR 363/05, BB 2006, 1282; BAG vom 18.03.2008 - 9 AZR 186/07, NZA 2008, 1004).

Der vereinbarte Ausschluss der Vergütung von Überstunden unterliegt der Kontrolle nach den §§ 305 ff BGB, weil es sich dabei nicht um die Überprüfung von Hauptleistungspflichten handelt. Die Kontrollfähigkeit ergibt sich aus dem Charakter der Vereinbarung als Nebenabrede, weil Befugnisse zur Anordnung von Überstunden mit der Pauschalabgeltung durch die vereinbarte Vergütung verbunden wird (ErfK-Preis, 9. Aufl., §§ 305 bis 310 BGB Rdnr. 91).

II

Es kann offen bleiben, ob § 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrages bereits als Überraschungsklausel gemäß § 305 c Abs. 1 nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages geworden ist. Die hier getroffene Pauschalierung der Überstundenvergütung stellt jedenfalls eine unangemessene Benachteiligung des Klägers gemäß § 307 Abs. 1 BGB dar und ist deshalb unwirksam. Das Berufungsgericht folgt insoweit der 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts (Urteil vom 11.07.2007 - 6 Sa 410/07), die auch das Arbeitsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Sie verpflichtet den Kläger nämlich zur Ableistung zusätzlicher Stunden und schließt gleichzeitig eine Vergütungspflicht dafür aus, ohne dass die dafür maßgeblichen Bedingungen konkretisiert oder auch nur bestimmbar sind. Der Kläger kann daraus nicht erkennen, wie viele Überstunden er ggfls. leisten muss und welche von ihm zu erbringenden Gegenleistungen für die vereinbarten 3.000,00 ¤ brutto geschuldet werden. Ohne Begrenzung der "erforderlichen" Überstunden wird damit der Beklagten das Recht zugestanden, einseitig in das Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung einzugreifen. Dies gilt in besonderem Maße im vorliegenden Fall, denn in dem Arbeitsvertrag sind die für das normale Bruttomonatsgehalt von 3.000,00 ¤ zu leistenden Normalstunden und Mehrarbeitsstunden im Einzelnen aufgeschlüsselt. Eine unangemessene Benachteiligung des Klägers ist deshalb gegeben, wenn ihm darüber hinaus ohne Vorgabe konkreter Bedingungen und ohne bestimmbare Grenzen Überstunden auferlegt werden können, die er vergütungsfrei leisten muss (vgl. dazu ErfK-Preis, §§ 305 bis 310 BGB Rdnr. 92; HWK/Gotthardt, 3. Aufl., Anh. §§ 305 bis 310 BGB Rdnr. 39). Eine Ausnahme wird allenfalls dann zugelassen werden können, wenn es sich um die Anordnung eines geringfügigen Überstundendeputats handelt. Dafür liefert der Arbeitsvertrag vorliegend aber keine Anhaltspunkte. Enthält die Klausel bezüglich der zu leistenden Überstunden keine Begrenzung nach oben, hätte die Beklagte gemäß § 3 ArbZG bis zu 60 Arbeitsstunden wöchentlich anordnen können. Dies bedeutet eine Ausweitung der wöchentlichen Arbeitszeit um mehr als 25 %. Damit wird in einem so erheblichen Umfang in das Äquivalenzgefüge zwischen arbeitsvertraglicher Leistungspflicht und Vergütung eingegriffen, dass bei der hier vorliegenden Pauschalabrede nicht mehr von einem angemessenen Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gesprochen werden. Dies rechtfertigt die Unwirksamkeit der Pauschalierungsvereinbarung gemäß § 307 Abs. 1 BGB.

III

Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihres erfolglos gebliebenen Rechtsmittels zu tragen.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der AGB-Kontrolle von Pauschalisierungsabreden bei Überstunden hat das Berufungsgericht gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 307 Abs. 1

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