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12.08.2009 · IWW-Abrufnummer 092644

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 05.05.2009 – 3 Ws 68/09

Zur Zuständigkeit des Einzelrichters in Kostenfestsetzungssachen und zu den Folgen eines Verstoßes gegen das Einzelrichterprinzip durch Entscheidung des Gesamtspruchkörpers.



Sofern der Terminsvertreter jedenfalls an einem vollwertigen Hauptverhandlungstermin teilnimmt und eine umfassende Tätigkeit als Verteidiger entfaltet, die nach ihrer Bedeutung und dem tatsächlich geleisteten Aufwand einer Terminswahrnehmung durch den ordentlichen Pflichtverteidiger gleichsteht, so hat er Anspruch auf sämtliche im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teil 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG.


3 Ws 68/09

Tenor:

Der angefochtene Beschluss des Landgerichts Bielefeld vom 27. Januar 2009 wird aufgehoben.

Die Pflichtverteidigervergütung wird auf weitere 216,58 EUR festgesetzt.

Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde erstinstanzlich in einer Schwurgerichtssache vor dem Landgericht Bielefeld durch den ihm als Pflichtverteidiger beigeordneten Rechtsanwalt T aus E verteidigt. Wegen dessen Verhinderung am zweiten Hauptverhandlungstag ordnete die Kammer dem Angeklagten für den Termin am 3. Dezember 2008 den Beschwerdeführer als Vertreter des ordentlichen Pflichtverteidigers bei.

Mit Vergütungsfestsetzungsantrag vom 5. Dezember 2009 hat der Beschwerdeführer für seine Tätigkeit die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung beantragt und folgende Gebühren und Auslagen zur Erstattung aus der Staatskasse angemeldet:

1. Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG| 162,00 EUR,
2. Verfahrensgebühr Nr. 4113 VV RVG| 322,00 EUR,
3. Terminsgebühr Nr. 4121 VV RVG| 434,00 EUR,
4. Auslagenpauschale| 20,00 EUR,
5. Abwesenheitsgeld für den 03.12.2008| 35,00 EUR,
6. Reisekosten für den 03.12.2008| 122,40 EUR,
Zwischensumme| 1.095,40 EUR,
19 % Ust.| 208,12 EUR,
Gesamtsumme| 1.303,52 EUR.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 17. Dezember 2008 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen unter Absetzung der Grund-, Verfahrensgebühr sowie der Auslagenpauschale auf insgesamt 703,77 EUR einschließlich anteiliger Umsatzsteuer festgesetzt. Die gegen die Kürzung des Erstattungsanspruchs erhobene Erinnerung des Beschwerdeführers vom 23. Dezember 2008 hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Beschluss als unbegründet zurückgewiesen.

Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde vom 4. Februar 2009 vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, dass auch der nur für einen Tag vertretungsweise beigeordnete Verteidiger klassischer "Vollverteidiger" sei und deshalb gebührenrechtlich keinen Einschränkungen unterliege.

II.

Die gemäß den §§ 56 Abs. 2 Hs. 2, 33 Abs. 3 RVG statthafte und zulässige Beschwerde hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

Zur Entscheidung über die Beschwerde ist gemäß § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 Hs. 2 RVG der Senat als Kollegialgericht berufen, weil die Strafkammer die angefochtene Entscheidung in entsprechender Besetzung erlassen hat.

1)

Der Beschluss vom 27. Januar 2009 ist aufgrund seiner Fassung durch den gesamten Spruchkörper bereits formell nicht ordnungsgemäß ergangen. Die Kammer hat über die Erinnerung des Beschwerdeführers mit drei Berufsrichtern entschieden, obgleich nach § 56 Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 8 S. 1 RVG der Einzelrichter für die Entscheidung zuständig gewesen wäre. Zwar ist das Erinnerungsverfahren mit Verfügung der Vorsitzenden vom 23. Januar 2009 (Bl. 23 des Kostenhefts) zunächst einem Kammermitglied zur weiteren Veranlassung zugeschrieben worden. Die angegriffene Entscheidung hat die Kammer indes in voller Besetzung getroffen, ohne dass ihr die Angelegenheit von dem originär als Einzelrichter zuständigen Kammermitglied wegen besonderer Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art oder wegen rechtsgrundsätzlicher Bedeutung übertragen worden wäre. Eine solche Übertragungsentscheidung lässt sich weder ausdrücklich noch konkludent dem Kostenheft entnehmen. Vielmehr ist - wie sich aus der Sachbehandlung durch die Kammer ergibt - die Zuständigkeit des Einzelrichters erkennbar unberücksichtigt geblieben.

Mit der kraft Verweisung auf das Erinnerungsverfahren anzuwendenden Vorschrift des § 33 Abs. 8 S. 1 RVG ist aber durch das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz vom 25. April 2004 (BR-Drucks. 280/08) eine originäre Einzelrichterzuständigkeit in Kostenfestsetzungssachen geschaffen worden. Das Einzelrichterprinzip soll insbesondere in den weniger bedeutsamen Nebenverfahren zu einer Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung führen und dem Interesse eines ressourcenbewussten Personaleinsatzes Rechnung tragen (zu vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 69, S. 110 f. zu § 568 ZPO). Die gesetzliche Zuweisung an den Einzelrichter wird in der Rechtsprechung für das strafprozessuale Rechtsmittelverfahren teilweise für unzulässig gehalten (zu vgl. LG Dresden Beschl. v. 7. September 2007 - 5 KLs 109 Js 27593/05; Beschl. v. 28. Februar 2007 - 3 Qs 9/07; LG Ulm Beschl. v. 12. April 2005

- 1 Qs 1027/05). Zur Begründung wird angeführt, dass eine Entscheidungsbefugnis des Einzelrichters weder gerichtsverfassungs- noch prozessrechtlich vorgesehen und deshalb systemwidrig sei. Diese Aufassung kann jedoch nicht überzeugen. Sie setzt sich über wesentliche strukturelle Änderungen der Kostenrechtsmodernisierung hinweg und ist mit dem Gesetz nicht zu vereinbaren. Der Gesetzgeber hat - wie sich aus dem klaren Wortlaut des § 33 Abs. 8 S. 1 RVG ergibt - bei der Einführung des Einzelrichterprinzips gerade nicht zwischen Strafsachen und den übrigen Angelegenheiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit unterschieden. Auch wenn die Vorschrift inhaltlich an § 568 S. 1 ZPO angelehnt ist, besteht kein sachlicher Grund, ihre Geltung für das Kostenfestsetzungsverfahren in Strafsachen zu verneinen (zu vgl. OLG Hamm 4. Strafsenat Beschl. v. 17. April 2007 - 4 Ws 97/07). Die tatsächlichen und rechtlichen Fragen, die sich bei der Kostenfestsetzung stellen, sowie die Bedeutung der kostenrechtlichen Abwicklung des Hauptverfahrens weichen im Straf- und im Zivilprozess nicht maßgeblich voneinander ab (zu vgl. OLG Hamm a.a.O.). Die mit der Einzelrichterzuständigkeit verfolgte gesetzgeberische Intention, den mit einer Entscheidung durch das Richterkollegium verbundenen personellen Aufwand gemessen an der Bedeutung der kostenrechtlichen Rechtsmittelverfahren in Grenzen zu halten (zu vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 111), gilt für den Straf- und Zivilprozess gleichermaßen. Darüber hinaus stehen auch keine strafprozessualen Prinzipien der in § 33 Abs. 8 S. 1 RVG vorgesehenen originären Zuständigkeit des Einzelrichters entgegen. Ein Grundsatz, demzufolge die Rechtsmittelgerichte stets mit drei Berufsrichtern zu besetzen sind, gilt in Strafsachen nicht. So sind für das Verfahren vor den Landgerichten nach § 76 GVG und für das Verfahren vor den Oberlandesgerichten gemäß § 122 Abs. 1 GVG (z.B. § 80 a OWiG; §§ 51 Abs. 2 S. 4, 42 Abs. 3 RVG) durchaus andere Spruchkörperbesetzungen zugelassen.

Das Landgericht hat damit über die Erinnerung des Beschwerdeführers in fehlerhafter Besetzung entschieden. Dieser formelle Mangel führt jedoch nicht zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Vielmehr ist hier das Nachprüfungsverbot des § 33 Abs. 8 S. 4 RVG entsprechend anzuwenden. Diese Vorschrift nimmt die erfolgte oder unterlassene Übertragung eines Verfahrens von dem Einzelrichter auf das Richterkollegium ausdrücklich von einer Anfechtung aus. Sofern aber eine zu Unrecht ergangene Entscheidung durch den Einzelrichter ein Rechtsmittel nicht zu begründen vermag, muss Gleiches (zumindest) gelten, wenn der Gesamtspruchkörper - wie hier - irrtümlich seine Entscheidungszuständigkeit bejaht hat. Dies entspricht zum einen dem § 33 Abs. 8 S. 2 RVG zugrunde liegenden Verhältnis zwischen Einzelrichter und Spruchkörper. Zum anderen liegt im Ergebnis in beiden Fällen eine fehlerhafte Nicht- bzw. Übertragung auf den kollegialen Spruchkörper vor, auf die im Interesse der Verfahrensvereinfachung und Beschleunigung ein Rechtsmittel gemäß § 33 Abs. 8 S. 4 RVG gerade nicht gestützt werden kann (zu vgl. BT-Drucks. 14/4722, S. 110 f.). Eine Anwendbarkeit des § 33 Abs. 8 S. 4 RVG wird nur dann ausscheiden müssen, wenn die Besetzung des Spruchkörpers auf Willkür beruht und dadurch die Sache - unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG - dem gesetzlichen Richter entzogen wird (vgl. zu § 568 ZPO BGH Beschluss v. 13. März 2003 - IX ZB 134/02). Vorliegend geht die vorschriftswidrige Besetzung des Rechtsmittelgerichts hingegen ersichtlich auf einen Irrtum über das Verfahren zurück.

2)

In der Sache kann der angefochtene Beschluss dagegen keinen Bestand haben. Dem Beschwerdeführer steht über den zuerkannten Festsetzungsbetrag hinaus noch ein Vergütungsanspruch in der aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Höhe zu.

Der Beschwerdeführer ist dem Angeklagten durch Beschluss der Kammervorsitzenden für den Hauptverhandlungstermin am 3. Dezember 2008 zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Auch wenn die Beiordnung nicht ausdrücklich mit dem einschränkenden Zusatz "als Terminsvertreter" erfolgt ist, so hat - wie dem Hauptverhandlungsprotokoll vom 3. Dezember 2008 unzweifelhaft zu entnehmen ist - bei allen Beteiligten Einvernehmen darüber bestanden, dass die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Pflichtverteidiger auf die Wahrnehmung dieses einen Termins beschränkt sein sollte. Damit ist er aber gerade nicht uneingeschränkt als weiterer Verteidiger neben dem ordentlichen Pflichtverteidiger tätig geworden, sondern als dessen Terminsvertreter.

In den Fällen der vertretungsweisen Beiordnung hat der Senat bislang die Auffassung vertreten, dass dem eingeschränkt beigeordneten Pflichtverteidiger lediglich die Terminsgebühr zusteht, nicht dagegen die - bereits in der Person des ordentlichen Pflichtverteidigers angefallenen - Grund- und Verfahrensgebühren (zu vgl. Senatsbeschl. v. 28. November 2006 - 3 Ws 569/06; ebenso OLG Celle Beschl. v. 25. August 2006 - 1 Ws 423/06; KG Berlin Beschl. v. 29. Juni 2005 - 5 Ws 164/05; OLG Dresden Beschl. v. 5. September 2007 - 1 Ws 155/07). Dem hat die Erwägung zugrunde gelegen, dass rein tatsächlich die Tätigkeit des Vertreters nach Aufwand und Bedeutung eher hinter der des ordentlichen Pflichtverteidigers zurückbleiben wird und deshalb erst recht keine höhere Vergütung auslösen kann als diejenige, die dem ordentlich bestellten Pflichtverteidiger bei einer eigenen Terminswahrnehmung zugestanden hätte. Ob an diesem Grundsatz weiterhin uneingeschränkt festzuhalten ist, bedarf vorliegend indes keiner abschließenden Entscheidung. Sofern der Terminsvertreter jedenfalls an einem vollwertigen Hauptverhandlungstermin teilnimmt und eine umfassende Tätigkeit als Verteidiger entfaltet, die nach ihrer Bedeutung und dem tatsächlich geleisteten Aufwand einer Terminswahrnehmung durch den ordentlichen Pflichtverteidiger gleichsteht, so hat er Anspruch auf sämtliche im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teil 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG.

Der Beschwerdeführer hat vorliegend in einer Kapitalstrafsache, in der es um den Tatvorwurf des Mordes ging, an einem Hauptverhandlungstermin teilgenommen und den Angeklagten im Rahmen einer sog. "Vollverteidigung" umfassend anwaltlich vertreten. In dem Termin am 3. Dezember 2008 ist durch die Vernehmung mehrerer Zeugen, der Verlesung von Urkunden und der Inaugenscheinnahme diverser Lichtbilder und Lichtbildmappen umfangreich Beweis erhoben und darüber hinaus von dem Beschwerdeführer ein Beweisantrag gestellt worden. Entsprechend des Umfangs und der Bedeutung des Hauptverhandlungstermins für das Schwurgerichtsverfahren erschöpfte sich die Tätigkeit des Beschwerdeführers hier nicht in der bloßen Teilnahme an dem Termin sowie in dessen Vor- und Nachbereitung. Vielmehr ging die ordnungsgemäße Wahrnehmung der Verteidigertätigkeit in dem abgehaltenen Hauptverhandlungstermin deutlich über die bloße Abstimmung der Vorgehensweise mit dem ordentlichen Pflichtverteidiger hinaus und setzte eine eigene Einarbeitung in die Sache und genaue Aktenkenntnisse voraus. Danach sind zumindest im vorliegenden Fall dem Beschwerdeführer als Terminsvertreter auch die begehrte Grundgebühr nach Nr. 4101 VV RVG für die Einarbeitung in den Rechtsfall sowie die Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale nach Nr. 7002 VV RVG zuzuerkennen (zu vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 16. Juli 2008 - 3 Ws 281/08; OLG Düsseldorf Beschl. v. 29. Oktober 2007 - 1 Ws 318/08; OLG München Beschl. v. 23. Oktober 2008 - 4 Ws 140/08).

Eine in den Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr nach Nr. 4119 VV RVG fallende Tätigkeit hat der Beschwerdeführer dagegen nicht entfaltet. Die Verfahrensgebühr erfasst die gesamte Tätigkeit des Verteidigers im jeweiligen Verfahrensabschnitt und jeweiligen Rechtszug, soweit diese über den Abgeltungsbereich der Grundgebühr hinausgeht und hierfür keine besonderen Gebühren vorgesehen sind (zu vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl., Vorb. 4 VV, Rn. 10 ff.). Die zur Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins am 3. Dezember 2008 erforderliche Vorbereitung wird danach aber bereits durch die Terminsgebühr abgegolten, ebenso die von dem Beschwerdeführer angeführte Anfertigung eines Berichts über den Verlauf des Termins als dessen Nachbereitung. Die Einarbeitung in die Rechtssache fällt in den Abgeltungsbereich der Grundgebühr, so dass darüber hinaus eine Verfahrensgebühr nicht entstanden ist.

Demgemäß steht dem Beschwerdeführer - über den bereits zuerkannten Festsetzungsbetrag hinaus - ein weiterer Vergütungsanspruch zu, der sich wie folgt berechnet:

Grundgebühr Nr. 4101 VV RVG| 162,00 EUR,
Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG| 20,00 EUR
Summe| 182,00 EUR
zzgl. 19 % USt.| 34,58 EUR
Gesamtsumme| 216,58 EUR.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 56 Abs. 2 S. 2 und S. 3 RVG.

RechtsgebietRVGVorschriftenRVG § 2 Abs. 2 RVG § 33 Abs. 8 RVG § 45 Abs. 3 RVG § 56 Abs. 2 RVG Anl. 1 Teil 4 Abschn. 1

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