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19.06.2009 · IWW-Abrufnummer 091965

Oberlandesgericht Brandenburg: Beschluss vom 25.03.2009 – 1 Ss 15/09

Eine Gefährdung des Untersuchungsergebnisses durch Verzögerung zum Zeitpunkt der Anordnung einer Blutprobe durch einen Polizeibeamten ist bei einem Ergebnis des Atemalkoholtests von 2,05 Promille und der durch die unsichere Fahrweise zu Tage getretenen erheblichen Alkoholisierung nicht gegeben. Bei diesem Ermittlungsbild muss der Polizeibeamte davon ausgehen, dass der mögliche zwischenzeitliche körpereigene Abbau des Alkohols im Blut während der Zeitdauer bis zur Erlangung einer (zumindest fernmündlich erteilten) richterlichen Anordnung nicht zum Beweismittelverlust führen wird und die Verzögerung durch die Anwendung anerkannter Rückrechnungsmethoden zwischen Blutentnahme und Tatzeitpunkt ausgeglichen werden kann.


1 Ss 15/09
14 Cs 141/08 AG Oranienburg
25.03.2009

Brandenburgisches Oberlandesgericht

Beschluss

In der Strafsache

wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr

hat der 1. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch
die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Thaeren-Daig,
die Richterin am Oberlandesgericht Michalski und
die Richterin am Landgericht Marks
am 25. März 2009
beschlossen:

Die (Sprung-) Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vom 20. August 2008 wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens und die ihm in diesem erwachsenen notwendigen Auslagen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Oranienburg hat gegen den Angeklagten mit Urteil vom 20. August 2008 wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr, begangen mittels eines Fahrrades, eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 12,– € verhängt.

Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 22. August 2008, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tage, Rechtsmittel eingelegt. Nach der Zustellung des vollständig abgefassten Urteils am 10. Oktober 2008 hat der Angeklagte mit anwaltlichem Schriftsatz vom 10. November 2008, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tage, bestimmt, dass das Rechtsmittel als Revision durchgeführt werden soll und beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg aufzuheben und den Angeklagten freizusprechen.

Der Angeklagte rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Im Wege der Verfahrensrüge beanstandet er die Verwertung des Alkoholuntersuchungsbefundes des Brandenburgischen Landesinstituts für Rechtsmedizin vom 12. Dezember 2007 betreffend die dem Angeklagten am 08. Dezember 2007 um 21.34 Uhr entnommenen Blutprobe, weil die Anordnung der Entnahme der Blutprobe durch die Polizeibeamten gegen den wegen des Verdachts der Trunkenheit im Verkehr auf frischer Tat betroffenen Angeklagten unter bewusster Missachtung des Richtervorbehalts erfolgt sei. Im Wege der Sachrüge moniert der Angeklagte insbesondere, das Tatgericht habe die Aussagen der als Zeugen einvernommenen Polizeibeamten …und … fehlerhaft gewürdigt, weil die Zeugen in der Hauptverhandlung ausweislich des zitierten Protokolls anders ausgesagt hätten, als im Urteil niedergelegt.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg hat in ihrer Stellungnahme vom 13. Februar 2009 die Verwerfung der Revision als offensichtlich unbegründet beantragt. Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft läge – unabhängig von der vorliegend unbeantwortet gelassenen Frage eines Beweiserhebungsverbotes im Falle der Blutprobenentnahme ohne richterliche Anordnung – jedenfalls kein Beweisverwertungsverbot vor. Eine gezielte Umgehung des Richtervorbehalts bzw. ein gleichwertiger schwerer Verfahrensverstoß sei hier nicht erkennbar.

II.

Die (Sprung-) Revision des Angeklagten ist nach §§ 333, 335 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (341 Abs. 1, 344, 345 StPO).

In der Sache hat sie keinen Erfolg.

1. Soweit die Revision mit der Sachrüge beanstandet, das Tatgericht habe die Aussagen der Zeugen ….und …. fehlerhaft gewürdigt, bleibt ihr der Erfolg versagt. In diesem Vorbringen liegt die Rüge der Verletzung des § 261 StPO (Inbegriffsrüge) mit der Begründung, die Zeugen hätten anders ausgesagt, als im Urteil niedergelegt.

a) Dass der Revisionsführer seine Beanstandung im Zusammenhang mit seinen Darlegungen zur Sachrüge und ohne ausdrücklichen Hinweis auf § 261 StPO vorgetragen hat, ist unerheblich. Denn ein Irrtum in der Bezeichnung der Rüge als Sach- oder Verfahrensrüge ist unschädlich, vorausgesetzt, dass der Inhalt der Begründungsschrift – wie hier – deutlich erkennen lässt, welche Rüge gemeint ist. Entscheidend ist die wirkliche rechtliche Bedeutung des Revisionsangriffs, wie er dem Sinn und Zweck des Revisionsvorbringens zu entnehmen ist; eine Bezeichnung der verletzten Gesetzesvorschrift ist nicht erforderlich (vgl. BGH in NStZ 2007, 115 m.w.N.)

In der Revisionsbegründung werden die tatsächlichen Grundlagen der Rüge der Verletzung des § 261 StPO vorgetragen. Dies genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

b) Gleichwohl dringt der Revisionsführer mit seiner Inbegriffsrüge nicht durch.
Verstöße gegen das Verfahrensrecht können in der Revision nur Bedeutung gewinnen, wenn sie bewiesen sind. Der Nachweis des vorliegenden Revisionsvortrages, die Zeugen ….und …. hätten in der Hauptverhandlung, anders als im Urteil niedergelegt, ausgesagt, erfordert regelmäßig die Rekonstruktion der tatrichterlichen Beweisaufnahme durch das Revisionsgericht; dahingehende Nachforschungen des Revisionsgerichts – etwa anhand von Aufzeichnungen und Angaben des Verteidigers oder sonstiger Prozessbeteiligter – würden aber der Ordnung des Revisionsverfahrens widersprechen. Den Inhalt der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen, ist allein Sache des Tatgerichts, der dafür bestimmte Ort ist das Urteil. Was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage festgehalten ist, bindet das Revisionsgericht ohne Möglichkeit eines Gegenbeweises (BGH St 21, 149; 29, 18; Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., § 261, Rn. 38a). Das gilt auch, wenn der wesentliche Inhalt einer Aussage, deren Würdigung der Revisionsführer im Urteil beanstandet, nach § 273 Abs. 2 StPO in das Protokoll der Hauptverhandlung aufgenommen worden ist. Denn das Tatgericht entscheidet gemäß § 261 StPO nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung, nicht aufgrund des Protokolls, für dessen Inhalt allein der Vorsitzende und der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Verantwortung tragen (§ 271 Abs. 1 StPO), das regelmäßig nicht vorgelesen und erst nach der Verkündung des Urteils abgeschlossen wird (vgl. BGH St 38, 14 m.w.N.; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozess, 7. Aufl., Rn. 496; Krause, Die Revision im Strafverfahren, 5. Auflage, Rn. 16; Meyer-Goßner, a.a.O, § 273, Rn. 36).

Demgegenüber kann eine Verfahrensrüge ausnahmsweise auf einen Widerspruch des Urteils mit einer gemäß § 273 Abs. 3 StPO wörtlich niedergeschriebenen, verlesenen und genehmigten Aussage gestützt werden (vgl. BGH a.a.O.m.w.N.). Dass es sich bei den zitierten Niederschriften um ein derartiges qualifiziertes Inhaltsprotokoll handelt, behauptet aber der Revisionsführer nicht.

2. Die auf die Missachtung eines Beweisverwertungsverbotes gestützte (weitere) Verfahrensrüge begründet die Revision ebenfalls nicht.

a) Allerdings bestand ein Beweiserhebungsverbot. Die Voraussetzungen, unter denen ein Polizeibeamter die Entnahme einer Blutprobe beim Beschuldigten gemäß § 81a Abs. 2 StPO anordnen darf, lagen hier nicht vor.

Das angefochtene Urteil enthält hierzu folgende Feststellungen:

„… Obwohl ihm bewusst war, dass er infolge des Genusses alkoholischer Getränke absolut fahruntüchtig war, befuhr der Angeklagte [am Samstag, den 08.12.2007) gegen 21.10 Uhr auf dem Radweg [mit dem Fahrrad] die Bernauer Straße und die Berliner Straße in Fahrtrichtung Berlin. Der Angeklagte fiel den Polizeibeamten … und … wegen seiner unsicheren Fahrweise auf. In Höhe der Blutgasse hielten die Polizeibeamten den Angeklagten an, um ihn zu kontrollieren. Nachdem die Polizeibeamten Alkoholgeruch in der Atemluft des Angeklagten wahrgenommen hatten und der durchgeführte Atemalkoholtest einen Wert von 2,05 Promille aufwies, wurde dem Angeklagten die weiteren Maßnahmen (Blutentnahme) erklärt … der Angeklagte [versuchte] sich der Blutentnahme durch Flucht zu entziehen …. Der Polizeibeamte … ordnete die Entnahme der Blutprobe an ….

Dem Polizeibeamten … war die Vorschrift des § 81a Abs. 2 StPO bekannt …. In Kenntnis dieser Vorschrift hat der Zeuge … entschieden, dass eine zeitnahe, den Untersuchungserfolg nicht gefährdende, Entscheidung eines Richters nach 21.00 Uhr nicht möglich sei…

Die dem Angeklagten um 21.34 Uhr entnommene Blutprobe wies laut Befundbericht des Brandenburgischen Landesinstituts für Rechtsmedizin vom 12.12.2007 eine Blutalkoholkonzentration von 2,04 mg/g auf.“

Nach § 81a Abs. 2 StPO steht die Anordnung der Blutentnahme grundsätzlich dem Richter zu. Der Richtervorbehalt – auch der einfachgesetzliche – zielt auf eine vorbeugende Kontrolle der Maßnahme in ihren konkreten gegenwärtigen Voraussetzungen durch eine unabhängige und neutrale Instanz. Nur bei einer Gefährdung des Untersuchungserfolgs durch die mit der Einholung einer richterlichen Entscheidung einhergehende Verzögerung besteht auch eine Anordnungskompetenz der Staatsanwaltschaft und – nachrangig – ihrer Ermittlungspersonen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen daher regelmäßig versuchen, eine Anordnung des zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie selbst eine Blutentnahme anordnen. Die Gefährdung des Untersuchungserfolgs muss mit Tatsachen begründet werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007 – 2 BvR 273/06 – m.w.N., bei juris). Dabei kann die Annahme von Gefahr im Verzug nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicher Weise zu einem bestimmten Zeitpunkt oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen. Dies korrespondiert mit der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2001, NJW 2001, 1121 ff.)

Das Vorliegen einer solchen Gefährdung unterliegt der vollständigen, eine Bindung an die von der Exekutive getroffenen Feststellungen und Wertungen ausschließenden gerichtlichen Kontrolle (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2007, a.a.O.).

Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inanspruchnahme der Eilkompetenz für die Anordnung einer Blutprobenentnahme durch die Strafverfolgungsbehörden richtet sich nach diesen vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Leitsätzen. Dabei ist der Begriff „Gefahr im Verzug“ nicht nur wegen des Ausnahmecharakters der nichtrichterlichen Anordnung, sondern vor allem wegen der grundrechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts eng auszulegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Februar 2001, a.a.O.).

Hiernach reicht die beim Nachweis von Alkohol und Drogen typischerweise bestehende abstrakte Gefahr, dass durch den körpereigenen Abbau der Stoffe der Nachweis zumindest erschwert wird, für die Annahme von „Gefahr im Verzug“ nicht aus. So wird gerade bei einem höheren Alkoholisierungsgrad, der durch körperliche Ausfallerscheinungen und das Ergebnis einer Atemalkoholmessung zu Tage tritt, der mögliche Abbau in aller Regel so gering sein, dass kurzfristige Verzögerungen, bedingt durch die Einschaltung des Gerichts, mittels Rückrechnung ohne weiteres ausgeglichen werden können (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. November 2007, NStZ 2008, 238f.; OLG Hamburg, Beschluss vom 04. Februar 2008, NJW 2008, 2597; LG Berlin, Beschluss vom 23. April 2008 – 528 Qs 42/08 – bei juris; Thüringer OLG, Beschluss vom 25. November 2008 – 1 Ss 230/08 – bei juris; offen gelassen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2008 – 1 Ss 151/07 – bei juris; OLG Köln, Beschluss vom 26. September 2008 – 83 Ss 69/08 – bei juris; Brandenburgisches OLG, 2. Strafsenat, Beschluss vom 16. Dezember 2008 – 2 Ss 69/08 – bei juris). Je unklarer aber andererseits das Ermittlungsbild in der Situation oder je komplexer der Sachverhalt als solcher ist und je genauer deswegen die Analyse der Blutwerte sein muss, desto eher werden die Ermittlungsbehörden Gefahr im Verzug annehmen und nötigenfalls ohne richterliche Entscheidung handeln dürfen (vgl. OLG Hamburg a.a.O; Thüringer OLG a.a.O.).

Gemessen an diesen Anforderungen war im vorliegenden Fall eine Gefährdung des Untersuchungsergebnisses durch Verzögerung im Sinne des § 81a Abs. 2 StPO zum Zeitpunkt der Anordnung der Blutprobe durch den Polizeibeamten … nicht gegeben. Der Angeklagte war nach dem Ergebnis des Atemalkoholtests (2,05 Promille) und angesichts seiner – durch die unsichere Fahrweise zu Tage getretenen – körperlichen Ausfallerscheinungen erheblich alkoholisiert. Bei diesem Ermittlungsbild hätte der Polizeibeamte davon ausgehen müssen, dass der mögliche zwischenzeitliche körpereigene Abbau des Alkohols im Blut während der Zeitdauer bis zur Erlangung einer (zumindest fernmündlich erteilten) richterlichen Anordnung nicht zum Beweismittelverlust führen werde und die Verzögerung durch die Anwendung anerkannter Rückrechnungsmethoden zwischen Blutentnahme und Tatzeitpunkt ausgeglichen werden könne.

Auch kann die Annahme von Gefahr im Verzug vorliegend – der Angeklagte wurde gemäß der getroffenen Feststellungen am Samstagabend um 21.10 Uhr angetroffen – nicht mit den zeitlichen Umständen begründet werden, weil eine verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters stets zu gewährleisten (vgl. BVerfG in NJW 2001, 1121 ff.; Thüringer OLG a.a.O.)

b) Das Beweiserhebungsverbot hat indes – entgegen der Auffassung der Verteidigung – ein Beweisverwertungsverbot nicht zur Folge.

Ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, ist dem Strafverfahrensrecht fremd. Ein Beweisverwertungsverbot ist demnach eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (vgl. BGH St 44, 243 m.w.N.; BGH in NJW 2007, 2269). Eine gesetzliche Vorschrift, die für den zu beurteilenden Fall ein Beweisverwertungsverbot ausdrücklich anordnet, existiert nicht.

Die Voraussetzungen, unter denen aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall auch ohne ausdrückliche Vorschrift ein Beweisverwertungsverbot anzuerkennen ist, liegen ebenfalls nicht vor.

Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung ‚um jeden Preis‘ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verfahrensverstoßes sowie der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter zu bestimmen ist. Insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers können danach ein Verwertungsverbot nach sich ziehen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Juli 2008, NJW 2008, 3053 m.w.N.; speziell zum Fall des Verwertungsverbots infolge eines Verstoßes gegen § 81a StPO ablehnend: OLG Stuttgart a.a.O.; OLG Hamburg a.a.O; OLG Karlsruhe a.a.O.; OLG Braunschweig, Beschluss vom 18. März 2008 – Ss 29/08 –; OLG Köln a.a.O.; Thüringer OLG a.a.O.; Brandenburgisches OLG, 2. Strafsenat, a.a.O.; LG Flensburg, Beschluss vom 18. April 2008 – 1 Qs 15/08 – bei juris; bejahend: LG Berlin, Beschluss vom 23. April 2008, a.a.O.)

Für den Abwägungsprozess ist hier zunächst von Bedeutung, dass die Anordnung der getroffenen Eilmaßnahme (Blutentnahme) der Polizei nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet ist. Obwohl die Voraussetzungen des § 81a Abs. 2 StPO nicht vorlagen, hatte die Verletzung des Richtervorbehalts deshalb aus objektiver Sicht geringeres Gewicht, als in Fallgestaltungen, wie etwa im Fall des § 100b Abs. 1 StPO (Telekommunikationsüberwachung), in welchen der Polizei die Anordnung von Eingriffen der betreffenden Art schlechthin untersagt ist. Zudem kommt aus objektiver Sicht dem Umstand Bedeutung zu, dass ein richterlicher Anordnungsbeschluss aller Voraussicht nach ergangen wäre (vgl. BGH in NJW 2007, 2269; OLG Hamburg a.a.O.; Thüringer OLG a.a.O.).

Als betroffene Rechtsgüter standen sich das hochrangige Interesse an der Sicherheit des Straßenverkehrs nach § 316 StGB, selbst unter Berücksichtung des hier gegebenen Umstandes, dass von dem alkoholisiert Fahrrad fahrenden Angeklagten eine vergleichsweise geringe abstrakte Gefahr ausging, und das – unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehende – Grundrecht des Angeklagten auf körperliche Unversehrtheit aus Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber, wobei es sich bei dem Eingriff in das Grundrecht um einen solchen von relativ geringer Intensität und Tragweite handelte (vgl. OLG Hamburg a.a.O.; Thüringer OLG a.a.O; OLG Köln a.a.O., OLG Stuttgart a.a.O.). Ferner normiert § 81a Abs. 2 StPO – anders als etwa im Fall der Wohnungsdurchsuchung unter Verstoß gegen Artikel 13 Abs. 2 GG – ‚nur‘ einen einfachgesetzlichen Richtervorbehalt (vgl. Thüringer OLG a.a.O.).

Insoweit fällt der Abwägungsprozess in der vorliegenden Fallgestaltung gegen ein Beweisverwertungsverbot aus.

Auch ist in der Gesamtschau der in Betracht zu ziehenden Gesichtspunkte eine willkürliche Annahme der Eingriffsbefugnis durch den Polizeibeamten bzw. ein nach dem Maßstab objektiver Willkür besonders schwerwiegender Fehler seinerseits nicht auszumachen.

Der willkürlichen Annahme von Gefahr im Verzug durch den Polizeibeamten … steht entgegen, dass die Eilzuständigkeit in Fällen der vorliegenden Art bis in die jüngste Zeit von Kollegialgerichten generell angenommen wurde. Auch in der Kommentarliteratur wird diese Position vertreten (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 81a Rn. 25). Eine willkürliche Bejahung seiner Eilkompetenz zum Tatzeitpunkt im Dezember 2007 kann dem Polizeibeamten vor diesem Hintergrund nicht vorgehalten werden. Zwar wird die Rechtsfrage des Richtervorbehaltes für die Anordnung von Blutentnahmen bei Trunkenheitsfahrten insbesondere nach der Entscheidung des BVerfG vom 12. Februar 2007 (a.a.O.) in Rechtsprechung und Literatur kontrovers behandelt, wobei sich entsprechend der restriktiven Vorgaben des BVerfG eine Tendenz zur richterlichen Regelzuständigkeit für die Anordnung von Blutentnahmen abzeichnet (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 26. November 2007, a.a.O.; OLG Hamburg, Beschluss vom 04. Februar 2008, a.a.O.; Thüringer OLG, Beschluss vom 25. November 2008, a.a.O., offen gelassen OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29. Mai 2008, a.a.O.; OLG Köln, Beschluss vom 26. September 2008, a.a.O.; Brandenburgisches OLG, 2. Senat, Beschluss vom 16. Dezember 2008, a.a.O.). Jedoch konnte sich der Polizeibeamte …. damals jedenfalls auf eine (noch) verbreitete Rechtsmeinung und gängige Praxis in der polizeilichen Ermittlungsarbeit stützen. Sein Verhalten lässt sich daher zwanglos (alternativ) sowohl mit einem fehlendem Problembewusstsein als auch mit der – wenn auch irrigen – Rechtsmeinung erklären, in Fällen der vorliegenden Art seien die rechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Eilkompetenz stets erfüllt (so auch OLG Köln a.a.O.).

Zudem legen die festgestellten zeitlichen Verhältnisse einen besonders schwerwiegenden Fehler des Polizeibeamten … nicht nah, soweit er angesichts des Zeitpunkts des Atemalkoholtests am Samstagabend gegen 21.10 Uhr davon ausging, keinen Richter mehr erreichen zu können (so auch Thüringer OLG a.a.O.).

Letztlich ist der Verstoß des Polizeibeamten … gegen die Dokumentations- und Begründungspflicht der Inanspruchnahme seiner Eilkompetenz nicht geeignet, ein Verwertungsverbot zu begründen (vgl. BGH in NStZ-RR 2007, 242; BGH in NStZ 2005, 392). Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG in NJW 2008, 3053f.).

3. Die erhobene Sachrüge bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die hierauf veranlasste Überprüfung des Urteils lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

RechtsgebietStPOVorschriftenStPO § 81a Abs. 2; StPO § 261; StPO § 273

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