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30.04.2009 · IWW-Abrufnummer 091402

Europäischer Gerichtshof: Urteil vom 12.02.2009 – C-515/07

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

12. Februar 2009(*)

„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie – Gegenstände und Dienstleistungen, die dem Unternehmen für die Zwecke besteuerter Umsätze und nicht besteuerter Umsätze zugeordnet sind – Recht auf unmittelbaren und vollständigen Abzug der beim Erwerb solcher Gegenstände und Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer“

In der Rechtssache C‑515/07

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden mit Entscheidung vom 2. November 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 22. November 2007, in dem Verfahren

Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie

gegen

Staatssecretaris van Financiën

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Juhász, G. Arestis und J. Malenovský,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. Oktober 2008,

unter Berücksichtigung der Erklärungen:

– der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. de Grave als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und C. Blaschke als Bevollmächtigte,
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes als Bevollmächtigten,
– der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch T. Harris als Bevollmächtigte im Beistand von K. Lasok, QC,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch D. Triantafyllou und W. Roels als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Dezember 2008

folgendes

Urteil

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 2 und 6 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Richtlinie).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Vereniging Noordelijke Land- en Tuinbouw Organisatie (im Folgenden: VNLTO) gegen den Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär der Finanzen) wegen Nacherhebung von Mehrwertsteuer.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Art. 2 der Richtlinie sieht vor:

„Der Mehrwertsteuer unterliegen:

1. Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt;

…“

Art. 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie lautet:

„Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:

a) die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat;

b) die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke.

Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von diesem Absatz vorsehen, sofern solche Abweichungen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.“

Art. 17 Abs. 2 und 6 der Richtlinie lautet:

„(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:

a) die geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden;



(6) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen, die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen und Repräsentationsaufwendungen.

Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind.“

Nationales Recht

Art. 2 des Gesetzes von 1968 über die Umsatzsteuer (Wet op de omzetbelasting 1968, im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) bestimmt:

„Von der Steuer, die für die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen geschuldet wird, wird die Steuer auf die Lieferung von Gegenständen und die Erbringung von Dienstleistungen an den Unternehmer, auf den von ihm durchgeführten innergemeinschaftlichen Erwerb von Gegenständen und auf die Einfuhr von für ihn bestimmten Waren abgezogen.“

Art. 15 dieses Gesetzes bestimmt:

„1. Die vom Unternehmer nach Art. 2 abzuziehende Steuer ist

a) die Steuer, die ihm im Veranlagungszeitraum andere Unternehmer in einer vorschriftsgemäß erstellten Rechnung für ihm gelieferte Gegenstände oder ihm erbrachte Dienstleistungen in Rechnung gestellt haben;



soweit der Unternehmer die Gegenstände und Dienstleistungen im Rahmen seines Unternehmens verwendet.



(4) Der Abzug der Steuer erfolgt entsprechend der Bestimmung der Gegenstände und Dienstleistungen zu dem Zeitpunkt, zu dem die Steuer dem Unternehmer in Rechnung gestellt wird, oder zu dem Zeitpunkt, zu dem sie geschuldet wird. Wenn sich zu dem Zeitpunkt, zu dem der Unternehmer die Gegenstände und Dienstleistungen verwendet, herausstellt, dass er die diesbezügliche Steuer zu einem größeren oder kleineren Teil abgezogen hat, als er aufgrund der Verwendung der Gegenstände oder Dienstleistungen berechtigt war, schuldet er die von ihm zu viel abgezogene Steuer von diesem Zeitpunkt an. Die geschuldete Steuer wird nach Artikel 14 [des Umsatzsteuergesetzes von 1968] entrichtet.

Die von ihm zu wenig abgezogene Steuer wird ihm auf Antrag erstattet.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Die VNLTO fördert die Interessen des Agrarsektors in den Provinzen Groningen, Friesland, Drenthe und Flevoland. Ihre Mitglieder – im Agrarsektor tätige Unternehmen – zahlen an sie Beiträge, von denen der größte Teil für die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Interessen bestimmt ist.

Neben der Wahrnehmung dieser Interessen erbringt die VNLTO ihren Mitgliedern eine Reihe individueller Dienstleistungen, für die sie eine gesonderte Vergütung berechnet. Diese Dienstleistungen werden auch Dritten angeboten. Die Gewinne aus dieser Geschäftstätigkeit werden für die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen der Mitglieder verwendet.

Im Jahr 2000 erwarb die VNLTO Gegenstände und nahm Dienstleistungen in Anspruch, die sowohl für ihre mehrwertsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeiten als auch für die anderen, damit nicht zusammenhängenden Tätigkeiten verwendet wurden. Sie machte für diese Gegenstände und Dienstleistungen, die sie auch für ihre Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder verwendete, den vollständigen Vorsteuerabzug geltend.

Für das Steuerjahr 2000 brachte die VNLTO die Vorsteuer in Bezug auf die besteuerten Dienstleistungen in Abzug. Ferner brachte sie einen Teil der Vorsteuer in Bezug auf die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen der Mitglieder der VNLTO in Abzug. Am 14. Mai 2001 beantragte die VNLTO die Erstattung eines zusätzlichen Mehrwertsteuerbetrags in Bezug auf diese Tätigkeiten. Damit machte die VNLTO einen Anspruch auf Abzug der Vorsteuer in Höhe von 79 % für sämtliche von ihr bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen geltend. Mit Bescheid vom 3. August 2001 lehnte der Belastinginspecteur [Leiter des Finanzamts] die beantragte Erstattung ab.

Am 26. März 2002 setzte der Belastinginspecteur gegen die VNLTO einen Nacherhebungsbescheid für das fragliche Steuerjahr fest, in dem er die Vorsteuer auf die Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen der Mitglieder der VNLTO in dem Verhältnis anrechnete, in dem diese Tätigkeiten zu Einkünften der Vereinigung geführt hatten. Dies ergab einen Abzug in Höhe von 49 % für sämtliche von der VNLTO bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen.

Mit Schreiben vom 26. April 2002 legte die VNLTO gegen diesen Nacherhebungsbescheid Einspruch ein. Mit Entscheidung vom 15. Mai 2002 hielt der Belastinginspecteur den Bescheid aufrecht.

Die VNLTO erhob hiergegen Klage beim Gerechtshof Leeuwarden. Am 17. Juni 2005 wies das Gericht diese Klage ab. Es führte aus, dass die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen keine unmittelbare, dauerhafte und notwendige Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Tätigkeiten der VNLTO darstelle. Die VNLTO könne daher die ihr in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer nicht abziehen, soweit sie die Gegenstände und Dienstleistungen im Rahmen der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder bezogen habe.

Am 27. Juli 2005 legte die VNLTO gegen die Entscheidung des Gerechtshof Leeuwarden Kassationsbeschwerde ein.

Der Hoge Raad der Nederlanden, der auf diese Weise mit dem Rechtsstreit befasst worden ist, hat erklärt, dass es im Ausgangsverfahren um den Abzug der Mehrwertsteuer gehe, die bei den Ausgaben für den Bezug der Gegenstände und Dienstleistungen verbucht worden sei, die sowohl für die mehrwertsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Tätigkeiten als auch für damit nicht zusammenhängende andere Umsätze verwendet worden seien.

Das vorlegende Gericht wirft daher die Frage auf, ob die VNLTO ihrem Unternehmen Gegenstände, die keine Investitionsgüter seien, und Dienstleistungen zuordnen kann, so dass sie die gesamte bei deren Bezug entrichtete Mehrwertsteuer sofort abziehen kann, auch wenn diese Gegenstände und Dienstleistungen teilweise im Rahmen von Tätigkeiten verwendet worden sind, die in keinem Zusammenhang mit den gemäß Art. 2 der Richtlinie besteuerten Leistungen stehen.

Unter diesen Umständen hat der Hoge Raad der Nederlanden beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Sind die Art. 6 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 1, 2 und 6 der Sechsten Richtlinie so auszulegen, dass ein Steuerpflichtiger nicht nur Investitionsgüter, sondern alle Gegenstände und Dienstleistungen, die sowohl für Zwecke des Unternehmens als auch für unternehmensfremde Zwecke verwendet werden, insgesamt seinem Unternehmen zuordnen und die beim Erwerb dieser Gegenstände und der Inanspruchnahme dieser Dienstleistungen in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer sofort und vollständig abziehen kann?

2. Wenn Frage 1 bejaht wird: Führt die Anwendung von Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie in Bezug auf Dienstleistungen und Gegenstände, die keine Investitionsgüter sind, dazu, dass die Mehrwertsteuer einmalig in dem Veranlagungszeitraum, in dem der Abzug für diese Dienstleistungen und Gegenstände gewährt wird, erhoben wird, oder muss auch in den darauffolgenden Zeiträumen eine Erhebung stattfinden? Soweit Letzteres zutrifft: Wie ist dann für die Gegenstände und Dienstleistungen, für die der Steuerpflichtige keine Abschreibungen vornimmt, die Besteuerungsgrundlage zu bestimmen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

Die niederländische Regierung macht geltend, ein Steuerpflichtiger könne beim Bezug von Investitionsgütern oder anderen Gegenständen und Dienstleistungen die in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer nicht abziehen, soweit diese Gegenstände und diese Dienstleistungen für die Zwecke von Umsätzen verwendet würden, die dieser Steuer nicht unterlägen. Dies sei der Fall, wenn die betreffenden Tätigkeiten in der Wahrnehmung allgemeiner Interessen bestünden.

Die VNLTO solle nach ihrer Satzung die Interessen des Agrarsektors in mehreren Provinzen der Niederlande und die Interessen der in diesem Sektor tätigen Unternehmer fördern. Sie sei zu diesem Zweck der Land- en Tuinbouw Organisatie Nederland angeschlossen und bemühe sich über diese Organisation um die Wahrnehmung der Interessen der Landwirte auf Gemeinde-, Provinzial-, nationaler und internationaler Ebene. Die VNLTO schaffe Anreize für eine Politik zur Entwicklung der Landwirtschaft in den Bereichen Forschung, Aufklärung und Ausbildung.

Im Rahmen der Erörterungen vor dem Gerichtshof hat die niederländische Regierung klargestellt, dass für die Beantwortung der ersten Frage nicht zwischen einer natürlichen und einer juristischen Person zu unterscheiden sei. Im Ausgangsverfahren wolle die VNLTO allerdings einen Abzug der Mehrwertsteuer in Bezug auf ihre nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten, konkret den Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder, erreichen.

Die deutsche Regierung ist der Ansicht, dass ein Steuerpflichtiger nicht nur die Investitionsgüter, sondern alle Gegenstände, die sowohl für Zwecke des Unternehmens als auch für unternehmensfremde Zwecke verwendet würden, insgesamt seinem Unternehmen zuweisen könne. Für Dienstleistungen gelte dies nur, soweit sie im Rahmen der Verwendung eines Gegenstands bezogen würden, der dem Unternehmen vollumfänglich zugeordnet sei. Im Rahmen der Besteuerung der Verwendung solcher Gegenstände oder Dienstleistungen für unternehmensfremde Zwecke sei es Sache der Mitgliedstaaten, die Besteuerungszeiträume im Einzelnen festzulegen.

Die portugiesische Regierung macht geltend, dass eine juristische Person die Vorsteuer auf Investitionsgüter oder andere Gegenstände oder Dienstleistungen, die ausschließlich für ihre eigenen Zwecke verwendet würden, nicht vollständig abziehen könne, wenn diese Gegenstände zum Zeitpunkt ihres Erwerbs sowohl für mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeiten als auch für die Erzielung von nicht steuerbaren Umsätzen bestimmt seien.

Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs darf ein Steuerpflichtiger andere Gegenstände und Dienstleistungen als Investitionsgüter und Dienstleistungen zur Schaffung neuer Investitionsgüter, die gemischt, d. h. für Unternehmenszwecke und für private oder unternehmensfremde Zwecke verwendet würden, seinem Unternehmen nicht vollständig zuordnen.

Die Kommission macht geltend, dass ein Steuerpflichtiger nur berechtigt sei, Investitionsgüter und ausnahmsweise Dienstleistungen mit Merkmalen, vergleichbar denen von Investitionsgütern, die sowohl für Unternehmenszwecke als auch für unternehmensfremde Zwecke verwendet würden, seinem Unternehmen zuzuordnen und die Vorsteuer hierfür sofort und vollständig abzuziehen.

Antwort des Gerichtshofs

Bei seiner ersten Frage geht es dem vorlegenden Gericht um die Bestimmung des Umfangs des in Art. 6 Abs. 2 und Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie vorgesehenen Vorsteuerabzugsrechts in einem Fall, in dem der Steuerpflichtige Gegenstände und Dienstleistungen, für deren Bezug er die geschuldete Mehrwertsteuer entrichtet hat, sowohl für die Zwecke seines Unternehmens als auch für „unternehmensfremde Zwecke“, wie es in der Vorlagefrage heißt, d. h. im vorliegenden Fall für die Zwecke anderer als der besteuerten Umsätze, verwendet hat.

Vorab sei daran erinnert, dass der Unternehmer durch die in der Richtlinie vorgesehene Regelung über den Vorsteuerabzug vollständig von der im Rahmen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden soll. Das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sucht daher, völlige Neutralität hinsichtlich der steuerlichen Belastung aller wirtschaftlichen Tätigkeiten zu gewährleisten, und zwar unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. Urteil vom 22. Februar 2001, Abbey National, C‑408/98, Slg. 2001, I‑1361, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Soweit daher die von einem Steuerpflichtigen bezogenen Gegenstände oder Dienstleistungen für die Zwecke steuerbefreiter Umsätze oder solcher Umsätze verwendet werden, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, kann es somit weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen (vgl. Urteile vom 30. März 2006, Uudenkaupungin kaupunki, C-184/04, Slg. 2006, I-3039, Randnr. 24, und vom 14. September 2006, Wollny, C‑72/05, Slg. 2006, I‑8297, Randnr. 20).

Für eine angemessene Beantwortung der ersten Vorlagefrage ist von den vom nationalen Gericht in der Vorlageentscheidung beschriebenen tatsächlichen Gegebenheiten auszugehen.

Aus der Sachverhaltsdarstellung des Hoge Raad der Nederlanden geht hervor, dass die VNLTO nicht nur besteuerte Tätigkeiten, sondern auch nicht besteuerte Tätigkeiten, nämlich im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder, ausgeführt. Das vorlegende Gericht hat auch angegeben, ausgeführt, dass die VNLTO den Bezug von Gegenständen und Dienstleistungen bei den allgemeinen Kosten verbucht hat, ohne diese Vorgänge ausschließlich ihren nachgeschalteten bestehenden Tätigkeiten zuzuordnen.

In Anbetracht der tatsächlichen Umstände und des Antrags der VNLTO auf Gewährung des Abzugs der Mehrwertsteuer, die diese Vereinigung für den Bezug von Gegenständen und Dienstleistungen entrichtet hat, die sowohl für besteuerte Tätigkeiten als auch für andere, damit nicht zusammenhängende Tätigkeiten, d. h. für solche im Zusammenhang mit der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder, verwendet worden sind, wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die letztgenannten Tätigkeiten als solche „für unternehmensfremde Zwecke“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie, also als Tätigkeiten betrachtet werden können, die anderen Zwecken dienen als die Tätigkeiten der Vereinigung im wirtschaftlichen Bereich.

Das vorlegende Gericht erwähnt im Rahmen seiner Erwägungen insbesondere das Urteil vom 14. Juli 2005, Charles und Charles‑Tijmens (C‑434/03, Slg. 2005, I‑7037), namentlich die Randnrn. 23 bis 25 dieses Urteils, in denen der Gerichtshof die ständige Rechtsprechung zur Mehrwertsteuerregelung für Investitionsgüter bei gemischter Verwendung, d. h. sowohl zu unternehmerischen als auch zu privaten Zwecken, ins Gedächtnis gerufen hat. Daraus geht hervor, dass der Steuerpflichtige im Hinblick auf die Mehrwertsteuer die Wahl hat, einen Gegenstand in vollem Umfang dem Unternehmensvermögen zuzuordnen oder ihn in vollem Umfang in seinem Privatvermögen zu belassen, wodurch der Gegenstand dem Mehrwertsteuersystem vollständig entzogen wird, oder ihn nur im Umfang der tatsächlichen unternehmerischen Verwendung in sein Unternehmen einzubeziehen. Entscheidet sich der Steuerpflichtige dafür, dass Investitionsgüter, die sowohl für unternehmerische als auch für private Zwecke verwendet werden, als Gegenstände des Unternehmens behandelt werden, so ist die beim Erwerb dieser Gegenstände geschuldete Vorsteuer grundsätzlich vollständig und sofort abziehbar. Unter diesen Umständen ist die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder für unternehmensfremde Zwecke nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellt, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der entrichteten Mehrwertsteuer berechtigt hat.

Der Hoge Raad der Nederlanden ist der Ansicht, dass diese Grundsätze auch auf „eine juristische Person …, die als Steuerpflichtiger auch Tätigkeiten ausübt, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen“, Anwendung finden können, so dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie auf diese Person angewandt werden könnte.

Es steht außer Frage, dass Tätigkeiten wie die Wahrnehmung der allgemeinen Interessen der Mitglieder durch eine Vereinigung keine „der Mehrwertsteuer unterliegende“ Tätigkeiten im Sinne von Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie sind, da sie nicht in der entgeltlichen Lieferung von Gegenständen oder Erbringung von Dienstleistungen bestehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006, Optigen u. a., C‑354/03, C‑355/03 und C‑484/03, Slg. 2006, I‑483, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zur Frage, ob solche Tätigkeiten als Tätigkeiten betrachtet werden können, die für „unternehmensfremde Zwecke“ im Sinne von Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie ausgeführt werden, ist zu bemerken, dass der Gerichtshof in der Rechtssache, die dem Urteil vom 13. März 2008, Securenta (C-437/06, Slg. 2008, I-1597), das nach Eingang des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens verkündet wurde, zugrunde lag, u. a. damit befasst war, wie die Vorsteuerabzugsberechtigung bei einem Steuerpflichtigen zu bestimmen ist, der zugleich einer wirtschaftlichen und einer nichtwirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht.

Hierzu hat der Gerichtshof in Randnr. 26 des erwähnten Urteils ausgeführt, dass die nichtwirtschaftlichen Tätigkeiten nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen. In Randnr. 28 dieses Urteils hat er klargestellt, dass die mit der Richtlinie geschaffene Regelung über den Vorsteuerabzug alle wirtschaftlichen Tätigkeiten eines Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis betrifft, sofern diese Tätigkeiten selbst der Mehrwertsteuer unterliegen.

Der Gerichtshof ist daher in den Randnrn. 30 und 31 des erwähnten Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass die Vorsteuer auf Aufwendungen eines Steuerpflichtigen nicht zum Abzug berechtigen kann, soweit sie sich auf Tätigkeiten bezieht, die aufgrund ihres nichtwirtschaftlichen Charakters nicht in den Anwendungsbereich der Sechsten Richtlinie fallen; für den Fall, dass ein Steuerpflichtiger zugleich steuerpflichtigen oder steuerfreien wirtschaftlichen Tätigkeiten und nichtwirtschaftlichen, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallenden Tätigkeiten nachgeht, ist der Abzug der Vorsteuer auf Aufwendungen auf der Vorstufe nur insoweit zulässig, als diese Aufwendungen den wirtschaftlichen Tätigkeiten des Steuerpflichtigen zuzurechnen sind.

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass mit Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie, wie der Generalanwalt in Nr. 38 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, keine allgemeine Regel eingeführt werden sollte, nach der Tätigkeiten, die nicht in den Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer fallen, als Tätigkeiten betrachtet werden können, die für „unternehmensfremde“ Zwecke im Sinne dieser Vorschrift ausgeführt werden. Eine solche Auslegung würde nämlich Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie jeden Sinn nehmen.

Im Unterschied zu der Rechtssache Charles und Charles‑Tijmens, die sich auf eine Immobilie bezog, die dem Betriebsvermögen zugeordnet war, bevor sie teilweise einer privaten Nutzung zugeführt wurde, die begriffsmäßig ein dem Unternehmen des Steuerpflichtigen völlig fremder Zweck ist, geht es im vorliegenden Fall um die nicht besteuerten Umsätze der VNLTO, die in der Wahrnehmung der allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder bestehen und nicht als unternehmensfremd betrachtet werden können, da sie den Hauptzweck dieser Vereinigung darstellen.

Deshalb ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie auf die Verwendung von Gegenständen und Dienstleistungen nicht anwendbar sind, die dem Unternehmen für die Zwecke anderer als der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen zugeordnet sind, so dass die Mehrwertsteuer, die aufgrund des Bezugs dieser für solche Umsätze verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen geschuldet wird, nicht abziehbar ist.

Zur zweiten Frage

Angesichts der Antwort auf die erste Vorlagefrage ist die zweite Frage nicht zu beantworten.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 6 Abs. 2 Buchst. a und Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass sie auf die Verwendung von Gegenständen und Dienstleistungen nicht anwendbar sind, die dem Unternehmen für die Zwecke anderer als der besteuerten Umsätze des Steuerpflichtigen zugeordnet sind, so dass die Mehrwertsteuer, die aufgrund des Bezugs dieser für solche Umsätze verwendeten Gegenstände und Dienstleistungen geschuldet wird, nicht abziehbar ist.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

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