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25.05.2009 · IWW-Abrufnummer 091175

Finanzgericht Niedersachsen: Urteil vom 18.11.2008 – 15 K 101/08

Absenkung der Altersgrenze für Kinder in Berufsausbildung auf 25 Jahre verstößt nicht gegen die Verfassung


URTEIL

vom 18.11.2008
Az.: 15 K 101/08

Tatbestand

Streitig ist die Gewährung von Kindergeld für ein Kind für den Zeitraum, nachdem dieses sein 25. Lebensjahr vollendet hat.

Die Klägerin ist als Beamtin des gehobenen Dienstes in der Steuerverwaltung des Landes Niedersachsen tätig. Sie ist die leibliche Mutter ihres Sohnes X., geboren am xx.xx. 1983. Dieser absolvierte in der Zeit vom 1. August 2000 bis 31. Juli 2003 eine Ausbildung […]. Im Anschluss daran besuchte er bis Mitte des Jahres 2005 die Berufsbildende Schule […] und erlangte auf diese Weise die Fachhochschulreife. Seit dem Wintersemester 2005/2006 ist das Kind X. an der Hochschule X. immatrikuliert und studiert dort im Studiengang […].

Nachdem die Beklagte zuletzt mit Bescheid vom 7. Dezember 2005 gegenüber der Klägerin Kindergeld für das Kind X. für den Zeitraum 1. Januar 2006 bis 31. August 2009 festgesetzt hatte, hob sie mit Bescheid vom 23. November 2007 die Kindergeldfestsetzung gemäß § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab dem 1. Februar 2008 auf. Zur Begründung verwies die Beklagte auf die Absenkung der Altersgrenze in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG durch Artikel 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (Bundesgesetzblatt – BGBl - I 2006, 1652).

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin form- und fristgerecht Einspruch ein. Zu dessen Begründung trug sie vor, die Begründung der Gesetzesänderung durch das Steueränderungsgesetz 2007 in der Bundestagsdrucksache 16/1545 überzeuge nicht. Demzufolge solle mit der Absenkung der Altersgrenze einer künftig veränderten Bildungsstruktur mit schnell zu erreichenden Schulabschlüssen Rechnung getragen werden und gleichzeitig gewisse Anreize geschaffen werden, ein aufgenommenes Studium zügiger zu beenden. Eine solch veränderte Bildungsstruktur sei allerdings noch nicht schulische Realität, da der erste Jahrgang, der nach zwölf Jahren das Abitur ablegen werde, der Abiturjahrgang 2011 sei. Es wäre erforderlich gewesen, hinreichende Übergangsregelungen für Studenten zu schaffen, die aufgrund der schulischen und universitären Gegebenheiten nicht die Möglichkeit besessen hätten, schneller ihre Ausbildung zu absolvieren.

Der Einspruch hatte keinen Erfolg; die Beklagte wies diesen durch Einspruchsbescheid vom 4. Februar 2008 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 10. März 2008 Klage erhoben mit dem Begehren, die Beklagte zu verpflichten, Kindergeld für ihren Sohn X. ab Februar 2008 ihr gegenüber festzusetzen. Zur Begründung trägt sie vor:

Die gesetzliche Neuregelung verstoße gegen das in Art. 20 des Grundgesetzes (GG) verankerte Vertrauensschutzprinzip. Sie enthalte eine unechte Rückwirkung für Studierende, die ihr Studium vor dem Tag des Gesetzesbeschlusses aufgenommen hätten. Diese Rückwirkung sei verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber habe ohne Übergangsregelung das schutzwürdige Vertrauen der Klägerin verletzt.

Die Klägerin trägt vor, ihr Sohn sein kein "Bummelstudent". Er werde aller Voraussicht nach in der Regelstudienzeit seine Diplom-Prüfung ablegen können. Insofern treffe die Begründung des Steueränderungsgesetzes 2007 auf den vorliegenden Fall nicht zu.

Im Übrigen habe sich ihr Sohn zu Beginn des Studiums entscheiden müssen, ob er sich im Rahmen der gesetzlichen studentischen Krankenversicherung absichern oder im Rahmen des Beihilfesystems bleiben wolle. Diese Entscheidung sei nach § 8 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch (SGB V) unwiderruflich. Die vom Sohn X. damals im Vertrauen auf die Gewährung des Kindergeldes getroffene Entscheidung könne er somit nicht mehr rückgängig machen. Insofern verweist die Klägerin auf eine Bekanntmachung des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 21. Juni 2006 (Niedersächsisches Ministerialblatt 2006, 615).

Außerdem verstoße die Neuregelung gegen das auch vom Gesetzgeber zu beachtende Übermaßverbot. Der Verlust der Kindergeldberechtigung habe ebenfalls Auswirkungen auf die Gewährung von Beihilfen sowie den Familienzuschlag nach dem Bundesbesoldungsgesetz, so dass insgesamt in einem Zeitraum von zwei Jahren mit einer Mehrbelastung von 7.536 EUR bei studierenden männlichen Kindern bzw. 9.456 EUR bei studierenden weiblichen Kindern zu rechnen sei.

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Bescheids vom 23. November 2007 und der Einspruchsentscheidung vom 4. Februar 2008 die Beklagten zu verpflichten, gegenüber der Klägerin Kindergeld für ihren Sohn X. für den Zeitraum über den 1. Februar 2008 hinaus bis zur Vollendung seines 27. Lebensjahres zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer im Einspruchsbescheid vertretenen Auffassung fest und verweist auf die bestehende Rechtslage.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -; Schriftsatz der Klägerin vom 7. Juli 2008, Blatt 26 der Gerichtsakte; Schriftsatz des Beklagten vom 7. Mai 2008, Blatt 25 der Gerichtsakte).


Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 23. November 2007 und der Einspruchsbescheid vom 4. Februar 2008 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Beklagte hat zutreffend die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Klägerin für ihren Sohn X. ab 1. Februar 2008 aufgehoben. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die gesetzliche Regelung bestehen nicht.

1. Der Klägerin steht ab Februar 2008 für ihren Sohn X. kein Kindergeld mehr zu, da er im Januar 2008 sein 25. Lebensjahr beendete.

a) Nach §§ 62, 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG in der für das Streitjahr maßgeblichen Fassung wird für ein Kind, das sich in Berufsausbildung befindet, Kindergeld grundsätzlich nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres gewährt. Über diesen Zeitraum hinaus wird ein Kind nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG oder § 32 Abs. 5 EStG ausnahmsweise dann berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten oder den gesetzlichen Grundwehrdienst oder Zivildienst geleistet hat, sich zum Wehrdienst verpflichtet hat oder eine Tätigkeit als Entwicklungshelfer ausgeübt hat. Diese Ausnahmetatbestände sind im Streitfall nicht erfüllt.

b) Der erkennende Senat teilt nicht die von der Klägerin gegen diese gesetzliche Regelung vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken.

aa) Die zum 1. Januar 2007 in Kraft getretene Absenkung der Altersbegrenzung für berücksichtigungsfähige Kinder in der Berufsausbildung von 27 auf 25 Jahren durch Artikel 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes vom 19. Juli 2006 (BGBl I 2006, 1652) enthält keinen Verstoß gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleiteten Rückwirkungsverbot.

Gesetzliche Regelungen können die Vergangenheit in unterschiedlicher Weise einbeziehen. Sie können sich Geltung auch für die Zeit vor ihrem Inkrafttreten beilegen oder aber sich mit der Geltung für die Zeit nach ihrem Inkrafttreten begnügen, ihre Rechtsfolgen aber von Vorgängen abhängig machen, die sich vor ihrem Inkrafttreten zugetragen haben. Diese unterschiedlichen Formen der Rückbeziehung werden als echte bzw. unechte Rückwirkung (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 5. Mai 1987 1 BvR 724/81 u.a., BVerfGE 75, 246, 279 f. m.w.N.), vom 2. Senat des BVerfG auch als Rückbewirkung von Rechtsfolgen bzw. als tatbestandliche Rückanknüpfung bezeichnet (Beschluss des BVerfG vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 242 ff., Bundessteuerblatt – BStBl - II 1986, 628, 641 ff. m.w.N.).

Nach herkömmlicher Auffassung, der der 1. Senat des BVerfG folgt (Beschlüsse des BVerfG vom 13. Mai 1986 1 BvR 99, 461/85, BVerfGE 72, 175, 196, und vom 11. Oktober 1988 1 BvR 743/86, 1 BvL 80/86, BVerfGE 79, 29, 45 f.), ist zwischen echter und unechter Rückwirkung zu unterscheiden. Echte (retroaktive) Rückwirkung eines Gesetzes liegt vor, wenn das Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Demgegenüber wird als unechte (retrospektive) Rückwirkung bezeichnet, wenn ein Gesetz auf in der Vergangenheit begründete, auf Dauer angelegte, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt.

Der 2. Senat des BVerfG legt seiner Beurteilung eine abgewandelte Definition zugrunde: Eine Rechtsnorm entfalte dann Rückwirkung - im Unterschied zur tatbestandlichen Rückanknüpfung, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betreffe -, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs hinsichtlich der Rechtsfolgen auf einen Zeitpunkt festgelegt sei, der vor dem Zeitpunkt liege, zu dem die Norm rechtlich existent, d.h. gültig geworden sei (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, a.a.O., und vom 13. November 1990 2 BvF 3/88, BVerfGE 83, 89, 110).

Der erkennende Senat kommt in Anwendung dieser vom BVerfG entwickelten Grundsätze zu dem Ergebnis, dass die Regelung des Artikels 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 keine Rückwirkung enthält. Die Absenkung der Altersgrenze bedeutet für den Kindergeldberechtigten eine Einschränkung seiner Berechtigung. Diese Einschränkung als Rechtsfolge greift nach den Bestimmungen des Steueränderungsgesetzes 2007 in der Zukunft mit Inkrafttreten des Gesetzes zum 1. Januar 2007 Platz. Dabei knüpft der Tatbestand der Einschränkung an das Erreichen der Altersgrenze in der Zukunft an. Denn Artikel 1 Nr. 11 des Steueränderungsgesetzes 2007 erlangt lediglich Geltung für Kindergeldberechtigte mit Kindern, die ab dem 1. Januar 2007 das 25. Lebensjahr vollenden. Für Kinder, die bereits zu diesem Zeitpunkt 25 - aber noch nicht 27 - Jahre alt waren, enthält Artikel 1 Nr. 19 Buchst. d des Steueränderungsgesetzes 2007 durch Einfügung des Satzes 4 in den § 52 Abs. 4 EStG eine Übergangsregelung dergestalt, dass Kinder, die im Jahr 2006 das 25. oder 26. Lebensjahr vollendeten, noch bis zur Erreichung ihres 27. Lebensjahrs und Kinder, die im Jahr 2006 das 24. Lebensjahr vollendeten, noch bis zur Erreichung ihres 26. Lebensjahrs berücksichtigungsfähig sind. Damit liegen Tatbestand und Rechtsfolge der einschränkenden Regelung in der Zukunft ohne rückwirkende Anknüpfung oder Wirkung.

Die Klägerin verkennt die Grenzen der Rückwirkung, wenn sie vorträgt, die Neuregelung knüpfe an den Beginn der Berufsausbildung des Kindes an und enthalte damit eine (unechte) Rückwirkung für Studierende, die ihr Studium vor dem Tag des Gesetzesbeschlusses aufgenommen hätten. Denn die Berufsausbildung des Kindes ist nicht Tatbestand der Einschränkung, sondern Tatbestand der Bewilligung des Kindergeldes über das 18. Lebensjahr hinaus.

bb) Darüber hinaus ist ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin auf die weitere Gewährung des Kindergelds nicht ersichtlich.

Gesetze, die auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirken, können Grundrechte berühren, wobei in die erforderliche grundrechtliche Bewertung die Grundsätze des Vertrauensschutzes einfließen (Beschlüsse des BVerfG vom 14. Mai 1986 2 BvL 2/83, a.a.O., und vom 11. Oktober 1988 1 BvR 743/86, 1 BvL 80/86, a.a.O., 46). Gegen diese Grundsätze wird verstoßen, wenn das Gesetz einen Eingriff vornimmt, mit dem der Betroffene nicht zu rechnen brauchte und sein Vertrauen schutzwürdiger ist als das mit dem Gesetz verfolgte Anliegen; es ist abzuwägen zwischen dem Ausmaß des Vertrauensschadens des einzelnen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit (vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 20, Rdnr. 73a, m.w.N.).

Bei dieser Abwägung hat im Streitfall das auf den Fortbestand der bisherigen Gesetzeslage gerichtete Vertrauen der Kindergeldberechtigten und damit der Klägerin zurückzutreten. Das nach der Begründung der Gesetzesänderung für das Steueränderungsgesetz 2007 (Bundestagsdrucksache 16/1545) verfolgte Anliegen, mit der Absenkung der Altersgrenze einer künftig veränderten Bildungsstruktur mit schnell zu erreichenden Schulabschlüssen Rechnung zu tragen und gleichzeitig gewisse Anreize zu schaffen, ein aufgenommenes Studium zügiger zu beenden, sind anzuerkennende Motive und Ziele des Gesetzgebers. Wenn die Klägerin einwendet, der erste Jahrgang, der nach zwölf Jahren das Abitur ablegen werde, sei der Abiturjahrgang 2011, so bezieht sie dabei lediglich die schulischen Regelungen des Bundeslandes Niedersachsen ein. Tatsächlich haben sich in die Bundesländer zu unterschiedlichen Zeitpunkten für die Erreichbarkeit eines Abiturabschlusses nach zwölf Jahren entschieden. Seit 2001 sind viele Bundesländer dem Beispiel des Saarlands gefolgt und haben die Zeit bis zum Abitur auf zwölf Jahre verkürzt. Ferner hielten zwei neue Bundesländer (Sachsen und Thüringen) am Modell der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik einer zwölfjährigen Schulzeit fest und führten ein dreizehntes Schuljahr nie ein. Die Umstellungstermine der anderen Bundesländer ergeben sich wie folgt:

Zeitpunkt der vollzogenen Umstellung auf eine 12jährige Schulzeit / Bundesland
2007 / Sachsen-Anhalt
2008 / Mecklenburg-Vorpommern
2009 / Saarland
2010 / Hamburg
2011 / Bayern; Niedersachsen
2012 / Baden-Württemberg; Berlin; Bremen
2013 / Nordrheinwestfalen; Hessen
2015 / Brandenburg

Wegen der unterschiedlichen vollständigen Umstellungstermine in den Bundesländern ist es nicht zu beanstanden, wenn der Bundesgesetzgeber sich im Wege einer Typisierung für einen Termin entscheidet, zu dem er die Auswirkungen der Änderungen der Schulzeit für Regelungen auf Bundesebene als Motivation heranzieht. Dass die Klägerin und ihr Sohn X. dann eventuell nicht dieser Typisierung entsprechen, ist hinzunehmen.

Aus diesem Grund kann die Klägerin verfassungsrechtliche Bedenken auch nicht darauf stützen, dass ihr Sohn kein "Bummelstudent" sei. Die Gesetzesbegründung spricht von einem "Anreiz für eine schnellere Aufnahme der Berufstätigkeit des Kindes." Dieser Anreiz trifft jedes Kind in formeller typisierender Art und Weise und kann aufgrund der Vielzahl der Studiengänge und Berufsausbildungen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Lebenssituationen nicht jede Fallgestaltung in tatsächlich gleichmäßigem Umfang treffen. Dass der Sohn der Klägerin das Studium voraussichtlich in der Regelstudienzeit vollenden wird und er zuvor eine Ausbildung […] absolvierte, sind konkrete Umstände des Streitfalles, die die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht berühren. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass verfassungsrechtliche Bedenken gegen die typisierende überholte Altersgrenze von 27 Jahren (zutreffend) zu keiner Zeit im Schrifttum oder in der Rechtsprechung geäußert worden sind. Aber auch im Rahmen der alten Rechtslage - bei Gewährung des Kindergelds für in Ausbildung befindliche Kinder bis zum 27. Lebensjahr – wurde nicht unterschieden zwischen Kindern, die sich nach der Schule für ein Studium entscheiden und Kindern, die erst nach Abschluss einer Lehre mit einem Studium beginnen. Somit konnte in den letztgenannten Fällen in Abhängigkeit von der Art der Lehre und des Studiengangs auch bei zügigem Studium die Altersgrenze von 27 Jahren erreicht werden mit der Folge, dass kein Kindergeld zu gewähren war.

Vor dem Hintergrund des anzuerkennenden Anliegens des Gesetzgebers muss das Vertrauen der Klägerin auf die Gewährung des Kindergelds bis zum 27. Lebensjahrs ihres Sohnes zurücktreten. Denn ein schlichtes Vertrauen darauf, dass Kindergeld in der Zukunft bis zu einem bestimmten Alter des Kindes gewährt wird, ist nicht schutzwürdig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Sohn der Klägerin im Hinblick darauf sein Studium aufgenommen hat. Denn die Entscheidung für ein Studium ist eine der wichtigen Lebensentscheidungen, die Auswirkungen auf die berufliche und damit alltägliche Zukunft des potentiell Studierenden besitzt. In diese Entscheidung fließen vielschichtige Motivationen, Fähigkeiten und Neigungen des potentiell Studierenden ein. Dabei kommt der Frage, wie lange für ein studierendes Kind Kindergeld gewährt wird, lediglich eine untergeordnete Rolle zu. Zudem steht die Entscheidung über die Aufnahme eines Studiums dem volljährigen Kind zu und nicht den Eltern, so dass ein dispositionsbezogenes Vertrauen der Eltern als Kindergeldberechtigten in diesem Fall nicht begründet werden kann.

cc) Auch Art. 6 Abs. 1 GG hinderte den Gesetzgeber nicht an der Einführung der Kürzungsvorschrift.

Das in dieser Grundrechtsnorm enthaltene Verbot, Ehe und Familie durch staatliche Maßnahmen zu benachteiligen, gilt auch für den Bereich der staatlichen Gewährung von Leistungen und Vorteilen (vgl. Beschluss des BVerfG vom 27. Mai 1970 1 BvL 22/63, 1 BvL 27/64, BVerfGE 28, 324, 347). Eine Benachteiligung von Familien in diesem Sinne hat die Kürzungsregelung jedoch offensichtlich nicht zur Folge. Personen, die nicht einer Familie angehören, erhalten keine stärkere Förderung, denn Kinderlose erhalten überhaupt kein Kindergeld.

Mit der aus Art. 6 Abs. 1 GG folgenden Pflicht des Staates, Ehe und Familie durch geeignete Maßnahmen zu fördern (vgl Entscheidungen des BVerfG vom 17. Januar 1957 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, 76; vom 21. Oktober 1980 1 BvR 179/78, 1 BvR 464/78, BVerfGE 55, 114, 126), ist die Kürzung des Kindergeldes in seiner Funktion als allgemeine Sozialleistung ebenfalls vereinbar.

Dem Gesetzgeber steht Gestaltungsfreiheit bei der Entscheidung darüber zu, auf welche Weise er den ihm aufgetragenen Schutz verwirklichen will (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 6. Mai 1975 1 BvR 332/72, BVerfGE 39, 316, 326; vom 23. November 1976 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, 123 f.). Aus Art. 6 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip lässt sich zwar die allgemeine Pflicht des Staates zu einem Familienlastenausgleich entnehmen, nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen ist. Wie der Bundesfinanzhof bereits mit Urteilen vom 26. Februar 2002 VIII R 92/98 (BFHE 198, 201, BStBl II 2002, 596) und vom 13. August 2002 VIII R 80/97 (BFH/NV 2002, 1456) dargelegt hat, ist nach der Rechtsprechung des BVerfG dem in Art. 20 Abs. 1 GG verankerten Sozialstaatsprinzip i.V.m. Art. 6 GG kein Gebot zu entnehmen, Sozialleistungen in einer bestimmten Weise und einem bestimmten Umfang zu gewähren und jegliche die Familien treffenden Belastungen auszugleichen. Der Gesetzgeber war lediglich verpflichtet, das nach sozialhilferechtlichen Kriterien zu ermittelnde Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner Familie (Beschlüsse des BVerfG vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84 u.a., BVerfGE 82, 60, BStBl II 1990, 653, unter C.II.1. und 2. der Gründe; vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246, BStBl II 1999, 174, unter C.I.3.) und ab dem Jahr 2000 zusätzlich einen Betreuungsbedarf (Beschluss des BVerfG vom 10. November 1998 1 BvR 2296/96, 1 BvR 1081/97, BVerfGE 99, 216, BStBl II 1999, 182) im wirtschaftlichen Ergebnis von der Einkommensteuer freizustellen. Dementsprechend besteht kein Recht auf Kindergeld als staatlicher Hilfe in einer bestimmten Höhe (vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, § 66 EStG Anm. 4).

Aus Art. 6 Abs. 1 GG folgt auch nicht, dass der Staat die Familie ohne Rücksicht auf sonstige öffentliche Belange zu fördern hätte. Die staatliche Familienförderung durch finanzielle Leistungen steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann. Der Gesetzgeber hat im Interesse des Gemeinwohls neben der Familienförderung auch andere Gemeinschaftsbelange bei seiner Haushaltswirtschaft zu berücksichtigen und dabei vor allem auf die Funktionsfähigkeit und das Gleichgewicht des Ganzen zu achten.

Nach diesen Grundsätzen kann bei einer Gesamtbetrachtung der Leistungen, die der Staat für Kinder erbringt (vgl. Beschluss des BVerfG vom 23. November 1976 1 BvR 150/75, a.a.O.), nicht festgestellt werden, dass durch die Absenkung der Altersgrenze bei Kindern in Berufsausbildung von 27 auf 25 Jahre die Familienförderung durch den Staat offensichtlich unangemessen ist und dem Förderungsgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht mehr genügt.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, und die Kläger haben auch nicht geltend gemacht, dass die Absenkung der Altersgrenze den Vorgaben durch das BVerfG zum sächlichen Existenzminimum (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 29. Mai 1990 1 BvL 20/84 u.a., a.a.O.; vom 25. September 1992 2 BvF 4/89, 2 BvF 5/89, BVerfGE 87, 153, BStBl II 1993, 413; vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, a.a.O.; vom 10. November 1998 2 BvR 1220/93, BVerfGE 99, 273, BStBl II 1999, 194) nicht genügt. Die Klägerin hat bei ihrem Vorbringen, die gesetzliche Änderung führe über einen Zeitraum von zwei Jahren zu Mehrbelastungen von 7.536 EUR bei studierenden männlichen Kindern bzw. 9.456 EUR bei studierenden weiblichen Kindern, insbesondere nicht berücksichtigt, dass anstelle der nunmehr nicht zustehenden Ansprüche auf Kindergeld bzw. kindbedingte Steuerfreibeträge Aufwendungen für den Unterhalt eines sich in Berufsausbildung befindlichen Kindes im Rahmen von außergewöhnlichen Belastungen nach § 33 a Abs. 1 EStG steuerlich berücksichtigt werden können.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

RechtsgebieteEStG, KindergeldVorschriften§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG

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