03.12.2008 · IWW-Abrufnummer 083784
Oberlandesgericht Stuttgart: Urteil vom 27.09.2007 – 7 U 64/07
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftsnummer:7 U 64/07
16 O 518/06Landgericht Stuttgart
Verkündet am27. September 2007
Oberlandesgericht Stuttgart
7. Zivilsenat
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
w e g e n Leistung aus Lebensversicherung
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2007 unter Mitwirkung von
XXX
für Recht erkannt:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 16. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 23.02.2007 - 16 O 518/06 - wird
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert des Berufungsverfahrens: bis 6.000,00 €
G r ü n d e :
A
Der Kläger hatte bei der Beklagten seit 01.10.1998 eine Kapitallebensversicherung unterhalten. Nachdem er ab Mai 2001 mit den Versicherungsbeiträgen in Rückstand geraten war, hat die Beklagte den Vertrag gekündigt und darauf hingewiesen, dass aufgrund der kurzen Versicherungsdauer sich kein Rückkaufswert ergeben habe. Im Wege einer Stufenklage begehrt der Kläger Auskunft über den Rückkaufswert der Lebensversicherung und Auszahlung des entsprechenden Betrags.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
Dagegen wendet sich der Kläger unter Vertiefung und Erweiterung seines Vorbringens, insbesondere in rechtlicher Hinsicht, mit dem Rechtsmittel der Berufung.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, Auskunft über den Rückkaufswert der mit dem Kläger geschlossenen Lebensversicherung mit der Versicherungsnummer XXX vom 01.10.1998 zum Stichtag 31.08.2001 zu erteilen;
2. die Angaben aus Ziffer 1 an Eides statt zu versichern;
3. die sich aus der Neuberechnung aus Ziffer 1 ergebenden Ansprüche sowie 208,08 Euro vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten an den Kläger zu bezahlen;
hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, Auskunft über den Rückkaufswert der mit dem Kläger geschlossenen Lebensversicherung mit der Versicherungsnummer XXX vom 01.10.1998 zum Stichtag 31.08.2001 auf der Basis eines Mindestbetrages in Höhe der Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation der Beklagten berechneten ungezillmerten Deckungskapitals zu erteilen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
B
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
I.
Zu Recht ist das Landgericht davon ausgegangen, dass dem Kläger aus dem zwischen den Parteien geschlossenen und von der Beklagten wegen Zahlungsrückstands gekündigten Versicherungsvertrag kein Anspruch auf Auszahlung eines Rückkaufswerts zusteht. Dem Kläger steht deshalb weder ein Auskunftsanspruch noch ein Anspruch auf Neuberechnung des Rückkaufswerts zu.
1.
Dem Kläger ist darin zuzustimmen, dass die den Rückkaufswert im Falle einer vorzeitigen Vertragsbeendigung regelnden Klauseln in den von der Beklagten verwandten Allgemeinen Versicherungsbedingungen - §§ 6 Abs. 3, 16 - nicht dem Transparenzgebot im Sinne von § 9 Abs. 1 AGB-Gesetz bzw. § 307 Abs. 1 BGB entsprechen. Die von der Beklagten verwandten Klauseln sind nahezu wortgleich mit denjenigen, die der Bundesgerichtshof in den Entscheidungen vom 09.05.2001 beanstandet hat (IV ZR 138/99, BGHZ 147, 373 = NJW 2001, 2012; IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354 = NJW 2001, 2014; nunmehr für die von der Beklagten verwandten Klauseln explizit: BGH, Urteil vom 18.07.2007 - IV ZR 258/03). In diesen Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof Klauseln wegen Intransparenz für unwirksam erklärt, die die Beitragsfreistellung, die Kündigung, den Rückkaufswert und die Abschlusskosten betreffen, weil sie dem Versicherungsnehmer die wirtschaftlichen Nachteile nicht vor Augen führten, die durch die Verrechnung insbesondere der Abschlussprovisionen nicht anteilig auf die gesamte Laufzeit des Vertrages, sondern auf die ersten drei bis fünf Jahre entstehen. Die Konsequenzen dieses sog. Zillmerungsverfahrens müssten dem Versicherungsnehmer deutlich gemacht werden. Er müsse bei Vertragsschluss wissen, welche wirtschaftlichen Nachteile ihm bei K ündigung des Vertrages drohten.
a) Wie in den vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fällen wurde auch im vorliegenden Fall in einer Tabelle auf Rückkaufswerte und beitragsfreie Versicherungssummen hingewiesen. Diese Tabelle (Garantiewertetabelle, enthalten in der Anl. B 5) informierte gerade nicht darüber, dass in den ersten drei Jahren nach Vertragsschluss überhaupt kein Rückkaufswert entsteht. Über derartige Folgen muss der Versicherungsnehmer - so der Bundesgerichtshof - bei Vertragsschluss an der Stelle der Allgemeinen Geschäftsbedingungen in Grundzügen unterrichtet werden, an der die Regelung der Kündigung und der Beitragsfreistellung angesprochen wird. Hinweise an anderer Stelle - wie z.B. hier in § 16 der Versicherungsbedingungen - beheben den Mangel an Transparenz in § 6 Abs. 3 nicht.
b) Weiter hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass auch Regelungen wie § 16 der vorliegend verwandten Allgemeinen Versicherungsbedingungen den Anforderungen des Transparenzgebots nicht genügen. Der erste Satz der Klausel, dass die mit dem Abschluss der Versicherung verbundenen Kosten nicht gesondert in Rechnung gestellt werden, verstehe der Versicherungsnehmer als ihm günstig. Umso mehr müsse dem Versicherungsnehmer an derselben Stelle in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verdeutlicht werden, dass die nachfolgenden Regelungen der Verrechnung für ihn einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil für den Fall bedeuten, dass er von seinem gesetzlichen Recht (§§ 176, 174 VVG) Gebrauch mache, den Vertrag in den ersten Jahren zu kündigen oder beitragsfrei zu stellen. Der wirtschaftliche Nachteil eines erheblichen Verlustes seiner eingezahlten Prämien werde dem Versicherungsnehmer mit der im zweiten Satz der Klausel be-schriebenen Regelung nicht hinreichend verdeutlicht. Zwar könne eine Tabelle zur Darstellung der wirtschaftlichen Folgen hilfreich sein, wenn sie garantierte Rückkaufswerte so darstelle, dass der Versicherungsnehmer leicht erkennen könne, in welcher Weise das Anwachsen des Kapitals durch die Verrechnung mit den Abschlusskosten belastet werde. Die notwendige Durchschaubarkeit für den Versicherungsnehmer werde aber erst dann erreicht, wenn in der Klausel auf die Tabelle hingewiesen werde und im Wortlaut der Klausel im Ansatz auf die wirtschaftlichen Folgen der Verrechnung deutlich genug aufmerksam gemacht werde.
c) Zu den Konsequenzen der Unwirksamkeit der Klauseln hat der Bundesgerichtshof in einem weiteren Urteil vom 12.10.2005 (IV ZR 162/03, NJW 2005, 3559, 3565) Stellung genommen (nunmehr auch im Urteil vom 18.07.2007 a.a.O.). Die aufgrund der Unwirksamkeit der Klauseln entstandene Regelungslücke ist nach den Maßstäben der § 6 Abs. 2 AGB-Gesetz bzw. § 306 Abs. 2 BGB in der Weise zu schließen, dass es grundsätzlich bei der Verrechnung der geleisteten, einmaligen Abschlusskosten nach dem Zillmerungsverfahren bleibe. Für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung dürfe der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser Mindestbetrag werde bestimmt durch die Hälfte des nach den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals.
2.
Die letztgenannte Konsequenz ist im vorliegenden Fall jedoch nicht eingetreten. Die Intransparenz der Klauseln wurde durch eine individuelle Aufklärung des Klägers ge-heilt. Grundsätzlich kann das auf einer unklaren Klausel beruhende Informationsdefizit durch eine geeignete individuelle Aufklärung vor oder bei Vertragsschluss behoben werden (vgl. Fuchs in Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Recht, 10. Aufl., § 307 Rn. 346 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Der Gedanke, dass Umstände des Vertragsschlusses in die Beurteilung einzubeziehen sind, ob eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 oder 2 BGB vorliegt, hat in § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB nunmehr auch Eingang in die gesetzliche Neuregelung des AGB-Rechts im Rahmen der Schuldrechtsreform gefunden. Soweit die Beseitigung einer (auch) auf die Vertragsabwicklung bezogenen Intransparenz in Frage steht, sind klare schriftliche Zusatzinformationen erforderlich, die dem Vertragspartner auch noch im Falle eines später auftretenden Konflikts verfügbar sind (Fuchs a.a.O.). So kann nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (NJW 1992, 1097, 1099) eine für sich gesehen intransparente Zinsberechnungsklausel dann unbeanstandet bleiben, wenn zugleich der Effektivzins zutreffend angegeben wird.
Im vorliegenden Fall ist eine Heilung der Intransparenz deshalb anzunehmen, weil dem Kläger bei Antragstellung ein Versicherungsverlauf vorgelegt wurde, dem die Rückkaufswerte für sämtliche Versicherungsjahre zu entnehmen sind. Der Tabelle (Anl. B 2) ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass in den ersten vier Versicherungsjahren nahezu kein Rückkaufswert zu erwarten ist. Dadurch wird das durch die beanstandeten Klauseln und durch die dem Versicherungsschein beigefügte Garantiewertetabelle entstandene Informationsdefizit in Bezug auf die durch die Konsequenzen des Zillmerungsverfahrens entstandenen wirtschaftlichen Nachteile bei frühzeitiger Kündigung ausgeglichen (vgl. auch Römer/Langheid, VVG, 2. Aufl., § 176 Rn. 11). Die Kenntnisnahme des Versicherungsverlaufs hat der Kläger durch Unterschrift bestätigt.
Einer Heilung der Intransparenz steht entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht entgegen, dass in den Versicherungsbedingungen nicht auf den Versicherungsverlauf (Anl. B 2) hingewiesen worden ist. Zu Recht weist die Beklagtenseite in diesem Zusammenhang darauf hin, dass durch diese Argumentation die Gründe, von denen sich der Bundesgerichtshof bei isolierter Beurteilung der Intransparenz der Versicherungsbedingungen hat leiten lassen, in unzulässiger Weise mit der Frage vermischt werden, ob eine Heilung der Intransparenz durch eine Zusatzinformation vorliegt. Der Versicherungsverlauf wurde für den Kläger individuell als Zusatzinformation erstellt und ist nicht Teil des Antragsformulars oder der Versicherungsbedingungen.
Hinzu kommt, dass der Kläger auf die genannten wirtschaftlichen Nachteile zusätzlich auf der Rückseite des Antragsformulars (Rubrik „Höhe des Rückkaufswerts“: „Deshalb fällt bei Kündigung dieser Versicherungen in den ersten Jahren kein oder nur ein niedriger Rückkaufswert an“) und der dem Versicherungsschein beigefügten „Erläuterung der Garantiewerte“ hingewiesen wurde. Ein zusätzlicher Hinweis durch den Versicherungsmakler oder den Versicherungsagenten in einem persönlichen Gespräch ist zur Heilung der Intransparenz nicht erforderlich. Zu Recht hat das Landgericht in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass nicht zu erkennen sei, welche über die im vorliegenden Fall ohnehin notwendige schriftliche Aufklärung hinaus dadurch hätte geleistet werden können.
3.
Schließlich sind die oben genannten Klauseln nicht wegen materieller Unwirksamkeit, etwa wegen unangemessener Benachteiligung der Versicherungsnehmer im Sinne von § 9 AGB-Gesetz, § 307 BGB zu beanstanden. Die in der Klausel geregelte Verrechnung der Abschlusskosten mit den Beiträgen bei Beginn der Vertragslaufzeit weicht nicht von wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung in unangemessener Weise ab. Darauf stellt der Bundesgerichtshof sowohl in der Ausgangsentscheidung vom 09.05.2001 (NJW 2001, 2014) als auch in der Folgeentscheidung vom 12.10.2005 (NJW 2005, 3559) ab (vgl. dazu auch Römer/Langheid a.a.O., § 176 Rn. 10; Elfring NJW 2005, 3677). In der letztgenannten Entscheidung hat der Bundesgerichtshof die im Treuhänderverfahren durchgeführte Ersetzung der durch die Urteile vom 09.05.2001 wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärten Klauseln durch inhaltsgleiche Bestimmungen für unwirksam erklärt. Der Bundesgerichtshof hat beanstandet, dass bei der inhaltsgleichen Ersetzung der Klausel der Nachteil Bestand hätte, obwohl der Vertrag durch den Transparenzmangel unter Verdeckung gerade desselben Nachteils zu Stande gekommen sei. Der Eingriff in die Entschließungs- und Auswahlfreiheit bleibe unbeseitigt und bestünde - bei Einstellung der Prämienzahlungen - in seinen Auswirkungen fort. Dies würde im Ergebnis dazu führen, dass die wegen Intransparenz unwirksame Klausel mit den verdeckten Nachteilen für den Versicherungsnehmer letztlich doch verbindlich bliebe.
Wird der Transparenzmangel - wie hier - anderweitig geheilt, stellt sich die Frage der Perpetuierung des Nachteils gerade nicht.
II.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Die grundsätzlichen Rechtsfragen, ob die für die Ermittlung des Rückkaufswerts relevanten Bestimmungen in Allgemeinen Versicherungsbedingungen wirksam sind sowie die Konsequenzen einer Unwirksamkeit der Klauseln sind höchstrichterlich geklärt. Die Frage, ob die Intransparenz einer Klausel ausnahmsweise geheilt werden kann, ist eine Frage des Einzelfalls und obliegt in erster Linie tatrichterlicher Würdigung.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.