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21.11.2008 · IWW-Abrufnummer 083605

Landgericht Bonn: Beschluss vom 29.09.2005 – 37 Qs 27/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Bonn

Beschluss
37 Qs 27/05

Tenor:

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich ihrer Auslagen trägt die Beschwerdeführerin.

Gründe:

I.

Das Bundeskartellamt ermittelt gegen zahlreiche Anbieter von Floatglas wegen des Verdachts der unbilligen Behinderung bzw. Diskriminierung von Abnehmern und de Verdachts der Marktaufteilung ihrer Kunden. Zu den verdächtigen Unternehmen zählt auch die Beschwerdeführerin.

Mit Beschluss vom 21.02.2005 erließ das Amtsgericht Bonn - Az. 51 GS 219/05/b1 AG Bonn einen Durchsuchungsbeschluss bezüglich der Geschäftsräume einschließlich sämtlicher Nebenräume der Beschwerdeführerin sowie 'ihrer vertretungsberechtigten Organe bzw. Mitglieder solcher Organe und ordnete die Verwahrung oder Sicherstellung der dabei aufgefundenen Beweismittel an. Grundlage der Ermittlungen war ein vermuteter Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot der §§ 1, 20 Abs. 1 GWB, 46 Abs. 1 OwiG. Im Falle des § 98 Abs. 2 StPO war das vorgefundene Beweismaterial binnen drei Tagen dem Gericht zur Entscheidung über die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme vorzulegen.

Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hatte darüber hinaus am 11.02.2005 - Az. C - eine Nachprüfungsentscheidung gegen die I GmbH sowie alle direkt oder indirekt von diesem Unternehmen kontrollierten Unternehmen einschließlich der E AG erlassen wegen des Verdachts der Teilnahme an folgenden wettbewerbswidrigen Vereinbarungen und/oder aufeinander abgestimmten Verhaltsweisen in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union:

- der Festsetzung von Preisen einschließlich der Festsetzung eines "Energiekostenzuschlags";
- der gegenseitige Zuteilung von Kunden;
- und der Beschränkung der Produktionskapazitäten.

Auf Antrag des Bundeskartellamtes vom 15.2.2005 erließ das Amtsgericht Bonn mit Beschluss gleichfalls vom 21.02.2005 - Az. 51 GS 219/05/b7 - aufgrund dieser Nachprüfungsentscheidung einen weiteren Durchsuchungsbeschluss bezüglich der Geschäftsräume einschließlich sämtlicher Nebenräume der Beschwerdeführerin und ordnete die Verwahrung oder Sicherstellung der dabei aufgefundenen Beweismittel an. Gestützt wurde dieser Beschluss auf eine mögliche Verletzung des Art. 81 des EG-Vertrages. Dabei hatte die Kommission das Bundeskartellamt ersucht, für sie die Nachprüfung im Hinblick auf diese Vorwürfe durchzuführen. Zu diesem Zweck sollte das Bundeskartellamt ausweislich der Nachprüfungsvollmacht vom 16.2.2005 über die "in Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1/203 genannten Befugnisse" verfügen.

Die bei der Durchsuchung am 22.02.2005 in den Geschäftsräumen der E AG in F - in deren Räumlichkeiten sich auch die Geschäftsräume der I GmbH befinden sichergestellten Gegenstände mit den Asservaten - Nr. 1-46 wurden nach der Entscheidung des Bundeskartellamtes zu Az. B - Flachglas gem. § 98 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 OWIG wegen Gefahr im Verzug förmlich beschlagnahmt, da diese nicht freiwillig herausgegeben wurden. In der Durchsuchungsniederschrift wurde als Begründung angegeben, dass der Richter des Amtsgerichts Bonn zum Zeitpunkt des Widerspruchs um 18:55 Uhr nicht erreichbar gewesen sei. In der Rubrik "Belehrung bei Beschlagnahme wegen Gefahr im Verzug" der Durchsuchungsniederschrift ist vermerkt, dass gegen diese Vorgehensweise Gefahr im Verzug kein ausdrücklicher Widerspruch erhoben worden sei.

Die Unterlagen mit der Nr. 40 des Asservatenverzeichnisses wurden im Büro von Rechtsanwalt L, Leiter der Rechtsabteilung der I GmbH, aufgefunden. Inhaltlich handelt es sich um einen Ordner mit einem Rechtsgutachten und diversen Schreiben u.a. der B Rechtsanwälte sowie um Notizen des Rechtsanwalts L in Bezug auf diese Schreiben und erfolgte Besprechungen, welche u.a. die wettbewerbsrechtliche Beurteilung des Lieferverhaltens der Beschwerdeführerin gegenüber einem Abnehmer behandeln.

Mit Schriftsatz vom 09.03.2005 haben die B Rechtsanwälte unter Beifügung einer "Strafprozessvollmacht" vom 22.02.2005 für die I GmbH beim Amtsgericht Bonn die gerichtliche Entscheidung über die Beschlagnahmeanordnung des Bundeskartellamtes vom 22.02.2005 beantragt, soweit zwischen der I GmbH und der Anwaltssozietät B Rechtsanwälte unter deren Aktenzeichen 0 und der Mandatsbezeichnung "T" geführte anwaltliche Korrespondenz betroffen ist.

Das Bundeskartellamt beantragte bei dem Amtsgericht Bonn unter dem 21.03. 2005 die richterliche Bestätigung der Beschlagnahme der in den Geschäftsräumen der E AG in F aufgefundenen Unterlagen mit der Nr. 40 des Asservatenverzeichnisses vom 22.02.2005.

Mit Beschluss vom 15.04.2005 bestätigte das Amtsgericht Bonn - Az. 51 GS 518/0$ AG Bonn - die Beschlagnahme der aufgefundenen Unterlagen. In der sowohl auf die Nachprüfungsentscheidung der Kommission als auch im Hinblick auf da~ nationale Ermittlungsverfahren des Bundeskartellamts gestützten Begründung führte das Amtsgericht u.a. aus, dass ein Beschlagnahmeverbot gem. §§ 97 Abs. 1, 2 i.V.m. 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO LV.m. 46 Abs. 1 OWIG mangels Gewahrsam der Rechtsanwälte B an ihren Unterlagen nicht bestehe und sich ein solches auch nicht aus dem Recht auf eine effektive Verteidigung ergebe. Es habe sich nicht um Verteidigungsunterlagen gehandelt, da sie nicht zwecks Verteidigung gegen einen konkreten Vorwurf im bußgeldrechtlichen Ermittlungsverfahren angefertigt worden seien.

Mit der Schriftsatz vom 13.05.2005 hat sich die Beschwerdeführerin gegen den bestätigenden Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Bonn vom 15. 04.2005 gewendet und u.a. die Aufhebung dieses Beschlusses beantragt. Sie ist der Ansicht, die aufgefundenen Unterlagen seien Verteidigungsunterlagen. Insoweit sei auf die Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Jahre 2003 und nicht auf die Durchsuchung abzustellen. Des weiteren erstrecke sich das Beschlagnahmeverbot des § 97 Abs. 1 StPO auch auf die bei dem Syndikusanwalt Laufgefundenen Unterlagen. Die geführte Korrespondenz sei nach dem nationalen Verfahrensrecht übergelagerten europäischen Kartellrecht über den Grundsatz des legal Privilege vor Kenntnisnahme, Beschlagnahme und Verwertung geschützt, unabhängig davon, ob die Beschlagnahme allein in Ausführung des auf nationalem Recht fußenden Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts Bonn vom 21.02.2005 zu Az. 51 GS 219/05 oder (auch) im Wege der Amtshilfe für die Europäische Kommission nach Art. 22 Abs. 2 VO Nr. 1/2003 erfolgt sei.

Das Amtsgericht Bonn hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Amtsgericht die durchgeführte Beschlagnahme gem. § 98 Abs. 2 StPO bestätigt.

1. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin besteht kein Beschlagnahmeverbot nach nationalem Recht.

Hinsichtlich des hier nach deutschem Recht in Betracht kommenden Bußgeldverfahrens wegen Verstoßes gegen §§ 20,81 Abs. 4, 48 GWB verweist § 46 Abs. 1 und Abs. 2 OWiG auf die Vorschriften der StPO.

a) Gem. § 94 Abs. 1 und Abs. 2 StPO sind Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, in 'Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen und bei Gewahrsam einer nicht freiwillig herausgabebereiten Person zu beschlagnahmen.

Bei den Unterlagen, die in dem Ordner Asservat Nr. 40 des Asservatenverzeichnisses sichergestellt wurden, handelt es sich nach dem Ergebnis der vorläufigen Sichtung um solche, die als Beweismittel im kartellrechtlichen Ordnungswidrigkeitenverfahren in Betracht kommen. Dies stellt auch die Beschwerdeführerin nicht ernsthaft in Abrede.

Auch sofern letztlich nicht jedes der im Ordner Asservat Nr. 40 enthaltenen Schriftstücke für eine Beweisführung geeignet sein mag und im weiteren Ordnungswidrigkeitenverfahren verwendet werden wird, steht dies einer Beschlagnahme nicht entgegen. Gemäß § 94 StPO dürfen Unterlagen beschlagnahmt werden, die "als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können". Dies erfordert eine Prognoseentscheidung der Ermittlungsbehörde, der allerdings nicht abverlangt werden kann, dass jedes BIatt eines Aktenordners auch tatsächlich für die zur Beweisführung relevant ist.

b) Es besteht nach nationalem Recht kein Beschlagnahmeverbot.
(1) Das Recht auf effektive Verteidigung wird im Grundgesetz durch das alIgemeine Freiheitsrecht und das Rechtsstaatsprinzip gem. Art 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie durch Art. 6 Abs. 3 der EMRK als Ausprägung des Anspruchs auf ein faires Verfahren geschützt (vgl. BGHSt 44, s. 46). Hieraus folgt, dass Verteidigungsunterlagen über den Wortlaut des § 97 Abs. 2 S. 1 StPO hinaus auch dann nicht beschlagnahmt werden dürfen, Wenn sie sich im Gewahrsam des Beschuldigten befinden. Ferner sind alle Unterlagen, die der Beschuldigte zur Vorbereitung und Konzeption seiner Verteidigung anfertigt, beschlagnahmefrei, auch soweit sie nicht für seinen Verteidiger bestimmt sind und nur dem persönlichen Gebrauch des Beschuldigten dienen.

Der Begriff Verteidigungsunterlagen erfasst dabei aber nur Aufzeichnungen, die der Beschuldigte anlässlich der gegen ihn erhobenen Vorwürfe angefertigt hat, sofern es sich um Korrespondenz im Rahmen eines bestehenden Verteidigungsverhältnisses handelt (vgl. LG Bonn, Beschluss vom 27.03.2002, Az. 37 Qs 91/01 in WuW/E DE-R 917). Wird ein Ermittlungsverfahren gegen den Mandanten eingeleitet, garantiert § 148 StPO dem freien Verkehr zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Danach ist sämtliche Korrespondenz, gleichgültig, ob sie sich bei dem Anwalt oder dem Mandanten befindet, geschützt, soweit diese einen Bezug zur Verteidigung hat, wie auch Schriftstücke des Mandanten, die zur Vorbereitung der Verteidigung dienen (BGH NJW 1973, 2035).

Das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist eingeleitet, sobald eine Behörde eine Maßnahme trifft, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden strafrechtlich vorzugehen, auch wenn der Beschuldigte noch unbekannt ist (vgI. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage 2005, Einl Rdn. 60). Nach der höchstrichterlichen Rechtssprechung ist auch anerkannt, dass etwa polizeiliche Verhaltensweisen schon nach ihrem äußeren Befund belegen, dass bestimmte Personen allein durch Befragen ohne Hinweis auf die Bßschuldigteneigenschaft dennoch als Beschuldigte angesehen werden, insbesondere bei einer bei dem Verdächtigen vorgenommenen Durchsuchung (vgl. BGHSt 38, S. 214 f.).

Nach diesen Grundsätzen hatte das Ermittlungsverfahren im vorliegenden Fall bereits mit der Aktenanlegung durch die Kartellbehörden im Jahre 2003 begonnen. Daraus folgt aber nicht, dass auch ein Verteidigungsverhältnis S9hon ab diesem Zeitpunkt zu bejahen wäre und damit die aus dem Jahr 2004 erstellten Unterlagen "automatisch" geschützt wären. Denn der Beginn d~r Ermittlungen und der Zeitpunkt eines Verteidigungsverhältnisses müssen zeitlich nicht zusammen fallen und dies. ist in der Regel auch nicht der Fall.

Der Schutz der Vertraulichkeit zwischen Verteidiger und Beschuldiger kann erst geschützt sein, nachdem der Betroffene von der Aufnahme der Ermittlungen erfahren hat (vgl. BGHSt.44, 46, 48). Andernfalls könnte sich der Beschuldigte im Extremfall schon bei Begehung der Tat auf die Vertraulichkeit einer anwaltlichen Beratung berufen.

Im vorliegenden Fall ist der Beginn des Verteidigungsverhältnisses dokumentiert durch die Unterzeichnung der "Strafprozessvollmacht" am 22.2.2005 (also am Tag der Durchsuchung). Das schließt allerdings nicht aus, dass die Beschwerdeführerin bereits vorher von der Aufnahme von Ermittlungen gegen sich erfahren haben könnte. Es kann hier aber letztlich o1jfen bleiben, wann genau das Verteidigungsverhältnis begründet wurde. Denn die Korrespondenz, insbesondere auch die Erstellung des Rechtsgutachtens, fand jedenfalls nicht zu Verteidigungszwecken im Hinblick auf ein Bußgeldverfahrens statt. Allein der Umstand, dass im dem Rechtsgutachten (auch) eine bußgeldrechtliche Stellungnahme im Hinblick aM einen etwaigen Verstoß gegen §20 Abs. 1 GWB enthalten war, führt nicht zu einer Einstufung als Verteidigungskorrespondenz. Es handelt sich um eine allgemeine Stellungnahme zur Rechtlage, so dass der konkrete Bezug auf Ermittlungen der Kartellbehörden fehlt.

Soweit die Beschwerdeführerin darauf abstellt, sie sei durch die Beschlagnahmefreiheit benachteiligt, da gerade Unternehmen mit einer gewissen Marktgröße sich im Hinblick auf einen möglichen KarteIlrechtsverstoß beraten lassen, mag dies im Ausgangspunkt zutreffend sein. Dies kann allerdings nicht dazu führen, dass die gesamte laufende Anwaltskorrespondenz im Rahmen allgemeiner Beratung noch vor Begründung des Verteidigungsverhältnisses, ggf. auch noch vor Beginn eines Ermittlungsverfahrens, als Verteidigungsunterlagen angesehen werden kann (vgI. LG Mainz NStZ 1986, s. 473). Eine Ausdehnung des Beschlagnahmeverbots auch auf diese vor Anbahnung des Verteidigerverhältnisses entstandenen Unterlagen würde zu einer vom Gesetz nicht beabsichtigten Aushöhlung der generellen Beschlagnahmefähigkeit aller Beweismittel führen. Denn zwischen der allgemeinen Rechtsberatung und der Strafverteidigung besteht ein wesensmäßig erheblicher Unterschied: die Rechtsberatung zielt auf die Sachverhaltsgestaltung, während die Strafverteidigung allein die Bewertung von abgeschlossenen Sachverhalten unter sanktionsrechtlichen Gesichtspunkten betreibt. Hierbei muss er mit dem Mandanten auf dessen möglicherweise schon begangene Fehler vertrauensvoll eingehen können, während die Rechtsberatung sich in der Vermeidung von Fehlern erschöpfen sollte.

(2) Auch das anwaltliche Berufsrecht begründet im vorliegenden Fall kein Beschlagnahmeverbot. Das in §§ 97 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StPO i.V.m. § 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO i.Vm. § 46 Abs. 1 OWiG normierte berufsrechtliche Beschlagnahmeverbot erstreckt sich auf die in dem Ordner Asservat Nr. 40 enthaltenen Unterlagen schon deshalb nicht, weil sich diese Gegenstände nicht im Gewahrsam der zur Zeugnisverweigerung berechtigten Personen also der B Rechtsanwälte - befanden (§ 97 Abs. 2 S. 1 StPO), sondern im Mitgewahrsam des Syndikusanwaltes L als Leiter der Rechtsabteilung der I GmbH standen.

Bei im Gewahrsam eines Syndikusanwaltes aufgefundenen Unterlagen besteht nur dann Beschlagnahmefreiheit, wenn er mit typischen anwaltlichen Aufgaben befasst ist (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage 2005, § 53 Rdn. 15), mithin nur, wenn Unterlagen betroffen sind, die er als Rechtsanwalt zur Erbringung von anwaltlichen Leistungen gegenüber Dritten erstellt hat. Soweit der Syndikusanwalt für sein Unternehmen tätig wird (z.B. als Leiter der Rechtsabteilung), handelt es sich nicht um eine Anwaltstätigkeit i.S.d. § 53 StPO.(Senge in Karlsruher Kommentar, Rdn. 15 zu § 53 StPO m.w.N.) Denn es fehlt gerade die weisungsfreie Stellung als Organ der Rechtspflege. Nur soweit der Syndikusanwalt neben seiner Einbindung in ein bestimmtes Unternehmen auch für außenstehende Dritte tätig wird, erfüllt er das Regelbild des zeugnisverweigerungsberechtigten Anwalts. Diese Differenzierung wird auch in § 46 Abs. 2 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung vorgenommen (vgl. dazu BGH NJW 1999, 1715 ff.) und so liegen die Dinge auch im konkreten Fall: Die beschlagnahmten Unterlagen befanden sich lediglich im Mitgewahrsam von Rechtsanwalt L. Sie waren nicht vom ihm, sondernden B Rechtsanwälten verfasst und ihm in seiner Funktion als Leiter der Rechtsabteilung übersandt worden. Die Beschwerdeführerin hatte daher zumindest Mitgewahrsam an den beschlagnahmten Unterlagen.

Soweit das Landgericht Frankfurt mit Beschluss vom 17.12.1992 (StV 1993, S. 351 f.) die Beschlagnahmefreiheit von bei einem Syndikusanwalt aufgefundenen Unterlagen bejaht hat, erfolgte dies aufgrund des Umstandes, dass nach einer vorgelegten eidesstattlichen Versicherung das Dienstverhältnis des Rechtsanwaltes so ausgestaltet war, dass er auch während seiner Dienstzeit bei dem Unternehmen als Rechtsanwalt auf eigene Rechnung tätig werden konnte und insoweit die fraglichen Unterlagen zur Verfügung gestellt bekam. Außerdem hatte der Syndikusanwalt die Unterlagen in seinem Büro in einem abschließbaren Schrank, zu dem er allein einen Schlüssel besaß, aufbewahrt. Dass die tatsächliche Ausgestaltung des Dienstverhältnisses und die konkreten Örtlichkeiten vorliegend diesen Voraussetzungen entsprachen, behauptet die Beschwerdeführerin auch in ihrer weiteren Stellungnahme vom 18.07.2005 nicht. Da jedenfalls ein das Beschlagnahmeverbot ausschließender Mitgewahrsam der Beschwerdeführerin als Beschuldigte bestand (vgl. BGHSt 19, S; 374), kann die Beschwerde schon deshalb keinen Erfolg haben.

(3) Zwar hat das Bundeskartellamt entgegen der Sollvorschrift des § 98 Abs. 2 S. 1 StPO den Antrag auf richterliche Bestätigung der Beschlagnahme nicht binnen drei Tagen gestellt. Die Frist von drei Tagen ab Ende der Durchführung der Beschlagnahme bei ausdrücklichem Widerspruch des Betroffenen ist jedoch kein Wirksamkeitserfordernis der Beschlagnahme (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Auflage 2005, § 98 Rdn. 14). Insoweit kann auch d,f1~in stehen, ob hier tatsächlich überhaupt ein ausdrücklicher Widerspruch bei der Beschlagnahme erfolgt ist.

2. Ein Beschlagnahmeverbot ergibt sich auch nicht aus dem europäischen Recht. Die Beschlagnahme der streitgegenständlichen Unterlagen erfolgte durch das Bundeskartellamt im Hinblick auf das von ihr betriebene Bußgeldverfahren nach § 98 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG, wenngleich beide Durchsuchungsbeschlüsse, mithin auch der betreffend der Nachprüfungsentscheidung der Kommission vom 11.02.2005, am gleichen Tag vollzogen wurden.

a.) Gem. Art. 22 Abs. 1, Abs. 2 S. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 des Rates v6m 16.12.2002 vollzieht die nationale Wettbewerbsbehörde die Nachprüfung nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts. Bereits unter Geltung der Verordnung Nr. 17/1962 des Rates vom 06.02.1962 war anerkannt, dass die nationalen Gerichte bei der Entscheidung über Durchsuchungen und Beschlagnahmen das jeweilige innerstaatliche Recht anwenden (vgl. EuGH, Urteil vom 22.10.2002 Roquettes Freres, Az. C-94/00, Slg. 2002, 1-9011). Gem. Art. 12 Abs. 1; der Verordnung Nr. 1/2003 findet ein Informationsaustausch zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten statt. Nach Art. 12 Abs. 3 2. Spiegelstrich der Verordnung Nr. 1/2003 dürfen diese Informationen aber nur dann als Beweismittel verwendet werden, wenn sie in einer Weise erhoben worden sind, die hinsichtlich der Wahrung der Verteidigungsrechte natürlicher Personen das gleiche Schutzniveau wie nach dem für die empfangene Behörde geltenden innerstaatlichen Recht gewährleistet.

Nach dem nationalen Recht besteht aber - wie bereits ausgeführt - keine Beschlagnahmefreiheit.

b.) Die Beschlagnahmefreiheit folgt auch nicht aus den Grundsätzen des sog. (professional) legal privilege.

(1) Das legal privilege ist auch nach Ablösung der Verordnung Nr. 17/1962 des Rates vom 06.02.1962 in der Verordnung Nr. 1/2003 des 1 Rates vom 16.12.2002 nicht ausdrücklich berücksichtigt worden, obgleich es nach der Rechtsprechung des EuGH in dem Nachprüfungsverfahren der Kommission gegen das Unternehmen AM&S der gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz des Schutzes der Vertraulichkeit von Dokumenten aus der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandaten grundsätzlich anerkannt worden ist.

Der EuGH hat dabei auf die unterschiedliche Begründung des legal privilege in den Mitgliedsstaaten hingewiesen und lediglich die gemeinsamen Kriterien herangezogen. In den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist die Vertraulichkeit des Schriftverkehrs geschützt, wenn der Schriftwechsel zum einen im Rahmen und im Interesse des Rechts des Mandanten auf Verteidigung geführt wird und zum anderen von unabhängigen Rechtsanwälten ausgeht, also von solchen, die nicht durch einen Dienstvertrag an den Mandaten gebunden sind (EuGH Rs. 155/79 AM&S, Sig. 1982, S. 1575 Rdn. 18 = NJW 1983, S. 503). Des weiteren ist hiernach nicht nur die nach Eröffnung des Verwaltungsverfahrens geführte schriftliche Korrespondenz erfasst, sondern auch frühere Mitteilungen, soweit sie einen Bezug zum Verfahrensgegenstand aufweisen (vgl. EuGH Rs. 155/79 AM&S, Sig. 1982, S. 1575 Rdn. 23; EuG Rs. T-30/89 Hilti, Sig. 1990, 11-163).

(2) Hingegen ist auch nach europäischen Kartellverfahrensrecht der Schriftwechsel mit Syndikusanwälten nicht generell privilegiert (vgl. EuGH Rs. 155/79 AM&S, Sig. 1982, S. 1575 Rdn. 21). Vielmehr hat der EuGH über die in der Literatur befürwortete Erstreckung des legal privilege auf Syndikusanwälte, welche auch Gegenstand der Rechtssache Akzo Nobel Chemicals Ud. und Akcros Chemicals Ud. ist, noch keine abschließende Entscheidung getroffen.

Nachdem der Präsident des EuG mit Beschluss vom 30.10.2003, Az. T125/03 in der Rechtssache Akzo Nobel Chemicals Ud. und Akcros Chemicals Ud. ./. Kommission (Slg. 2003, 11-04771) zunächst in Ziffer 6. und 7. des Beschlusses im Wege der einstweiligen Anordnung den Vollzug der Entscheidung der Kommission im Nachprüfungsverfahren über einen Antrag auf Schutz durch das Berufsgeheimnis in der Rechtssache T-253/03 R bis zum Erlass des Hauptsacheurteils ausgesetzt und Unterlagen, die im Sinne des legal privilege beschlagnahmefrei sein könnten, in gerichtliche Verwahrung genommen hatte, wurde diese Entscheidung mit Beschluss des EuGH vom 27.09.2004 (Az. C-7/04) mangels Dringlichkeit wieder aufgehoben. In der Begründung hat der EuGH unter Bezugnahme auf die Entscheidung Roquette Freres darauf abgestellt, dass die Kommission im Falle eines Verstoßes gegen die Beschlagnahmefreiheit daran gehindert ist, die verfahrenswidrig im Zuge der Nachprüfungsentscheidung erlangten Beweisstücke in einem Verfahren wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu verwenden. Hiernach hat der EuGH lediglich ein Beweisverwertungsverbot nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens in Aussicht gestellt.

Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kann daher derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass nach europäischem Recht dem Syndikusanwalt die gleichen Schutzrechte zustehen wie einem externen Anwalt. Vielmehr hat der Präsident des EuG mit Beschluss vom 30.10.2003 lediglich die Frage aufgeworfen, ob aufgrund der Änderung des Berufsrechts der Rechtsanwälte seit 1982 und die Anerkennung des Privilegs in den Mitgliedstaaten die Privilegierung nicht auf die Korrespondenz mit unternehmensinternen Rechtsanwälten ausgedehnt werden sollte (vgl. Rieger/Jester/Sturm, Das Europäische Kartellverfahren: Rechte und Stellung der Beteiligten nach Inkrafttreten der va 1/03, Beiträge zum Transnationalen Wirtschaftsrecht, Heft 35). Auch soweit der Präsident des EuG im Beschluss vom 30.10.2003 die weitere Frage aufgeworfen hat, ob die zum Zweck der externen Rechtsberatung erstellten Unterlagen dem Schutz des Anwaltsprivilegs unterfallen, ist diese Frage für das europarechtliche Kartellverfahren noch nicht entschieden ist.

c. Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist ein Beschlagnahmeverbot schon insoweit nicht gegeben, als in dem Asservat Nr. 40 Unterlagen enthalten sind, die ausschließlich von dem Syndikusanwalt L erstellt worden sind.

Problematisch ist lediglich das Rechtsgutachten der Rechtsanwälte B, da es sich hierbei um Korrespondenz von externen Anwälten mit der Mandantin (vertreten durch den Syndikusanwalt) handelt. Insoweit fallen die nationalen und europäischen Rechtsgrundsätze möglicherweise auseinander. Die deutsche Rechtsprechung zu den Grenzen der Beschlagnahmefreiheit von Anwaltskorrespondenz erscheint enger als die von den europäischen Gerichten in Erwägung gestellten Grundsätze. Da aber die beiden Durchsuchungsbeschlüsse im vorliegenden Fall sowohl auf die Durchsetzung des nationalen Kartellrechts wie auch der europäischen Regelungen in Art. 81 dies EG-Vertrages gerichtet sind, sieht sich die Kammer gehindert, die Beschlagnahmefreiheit festzustellen. Es muss vielmehr dem weiteren Gang der Ermittlungen vorbehalten werden, welcher Verfahrensordnung für die vermuteten KarteIlverstöße maßgeblich ist. Wie dem Schreiben des Bundeskartellamtes vom 30. Mai 2005 an die Europäische Kommission zu entnehmen ist, steht derzeit auch noch nicht fest, welche Behörde die weitere Sachbehandlung im vorliegenden Fall übernehmen wird. Hiernach muss sich auch der zukünftige Rechtschutz ausrichten. Derzeit kann die Kammer nur auf der Grundlage der deutschen Strafprozeßordnung die Beschlagnahmeanordnung beurteilen.

Etwas anderes würde nur gelten, wenn auch bei der Anwendung des nationalen Rechts der Grundsatz des "legale Privilege" in der Ausprägung, wie sie das europäische Recht befürwortet, zu beachten wäre. Dies ist aber nicht der Fall. Der Kammer ist keine nationale Rechtsprechung bekannt, die dies befürworten würde. Der Grundsatz des "legale Privilege" hat auch nicht die Qualität eines europäischen Grundrechts, das bei der Auslegung des nationalen Rechts zu beachten wäre. Darüber hinaus beruhen die Regelungen der StPO auf einer Abwägung verschiedener Rechtsprinzipien (z.B. staatliches Verfolgungsinteresse einerseits und Schutz der Grundrechte der Betroffenen andererseits, vorbeugender Rechtschutz im Ermittlungsverfahren und endgültiger Rechtsfindung in der Hauptverhandlung), die nicht durch die Übernahme einzelner europäischer Grundsätze von einem nationalen Gericht abgeändert werden kann. Ob etwas anders gelten würde, wenn das legale Privilege im nationalen Recht überhaupt nicht beachtet würde, kann dahin gestellt bleiben, da dieses Problem sich hier nicht stellt. Beide Rechtsordnungen kennen diesen Rechtsgrundsatz, lediglich im Detail ergeben sich Unterschiede in der Anwendung. Die demnach gerechtfertigte Bindung der Kammer an die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes verbietet es daher, innerhalb der StPO für den Bereich des Kartellrechts einen Sonderweg zu gehen. Es kann daher auch offen bleiben, ob die Kammer überhaupt berufen wäre, europäische Verfahrensgrundsätze anzuwenden und gegebenenfalls gegenüber europäischen oder nationalen Behörden durchzusetzen (zur beschränkten Prüfungskompetenz der deutschen Gerichte für den Fall, dass das Bundeskartellamt im Wege der Amtshilfe für die Wettbewerbskommission tätig wird, vgl. EuGH NJW 2003, 35 "Roquette Freres" sowie Vocke, wistra 2004,408 ff.; Toepel, NStz 03, 631 ff.).

Für die Beschwerdeführerin ergeben sich durch die Zurückhaltung der Kammer in Bezug auf eine Abänderung der nationalen Rechts auch keine übermäßigen Nachteile. Denn sie wird durch die Anerkennung eines möglichen Beweisverwertungsverbotes durch die europäische Kommission im Falle eines Verfahrens nach Art. 81 EG auf europäischer Ebene hinreichend geschützt. Wird dagegen das Kartellverfahren auf der Grundlage der § 20 GWB fortgeführt (z.B. weil die Zuwiderhandlungen schwerpunktmäßig in Deutschland begangen wurden), dann wird die Beschwerdeführerin hinsichtlich der zu verwertenden Beweismittel nicht besser oder schlechter als jeder andere Betroffene eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens behandelt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.

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