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21.11.2008 · IWW-Abrufnummer 083604

Oberlandesgericht Frankfurt/Main: Beschluss vom 21.06.2008 – 3 Ws 499/05, 3 Ws 501/05

Ein Durchsuchungsbeschluss ist rechtswidrig, wenn die in ihm genannten sicherzustellenden Unterlagen dem an das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers anknüpfenden Beschlagnahmeverbot unterliegen, weil sie - auch von Dritten - zu Verteidigungszwecken übergeben wurden.


3 Ws 499/05
3 Ws 501/05

Gründe:

I.

Dem Angeschuldigten legt die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main mit Anklage vom 29.3.2004 unter anderem einen Betrug in einem besonders schweren Fall sowie Urkundenfälschung in zwei Fällen zur Last. Da der Angeschuldigte in der Folgezeit unbekannten Aufenthalts war, erging am 18.5.2004 Haftbefehl des Landgerichts Frankfurt am Main. Am 17.8.2004 wurde der Angeschuldigte in Österreich festgenommen. Bei seiner Festnahme konnten mehrere in seinem Besitz befindliche Diplomatenpässe der Republik Liberia sowie mehrere Schreiben des Außenministeriums der Republik Liberia sichergestellt werden. Am 19.8.2004 erließ das Landgericht Frankfurt am Main daraufhin einen Internationalen Haftbefehl. Die Auslieferung des Angeschuldigten ist zwar bewilligt, im Hinblick auf das in Österreich gegen den Angeschuldigten laufende Strafverfahren jedoch aufgeschoben. Die Auslieferungshaft ist außer Vollzug gesetzt.

Im Rahmen des Haftverschonungsverfahrens hat der zum damaligen Zeitpunkt tätige Verteidiger Rechtsanwalt Y mit Schriftsatz vom 15.12.2004, gerichtet an das Landgericht Frankfurt am Main, vorgetragen, dass die beim Angeschuldigten sichergestellten Diplomatenpässe der Republik Liberia nicht gefälscht seien und hierbei auf eine anliegende Stellungnahme des Interpolbüros der liberianischen Polizei verwiesen. Tatsächlich befand sich die von Rechtsanwalt Y bezeichnete Stellungnahme nicht als Anlage bei seinem Schriftsatz vom 15.12.2004.

Mit Verfügung vom 14.3.2005 ersuchte die Vorsitzende der Strafkammer das Polizeipräsidium Frankfurt am Main um weitere Ermittlungen hinsichtlich der Echtheit der beim Angeschuldigten aufgefundenen Diplomatenpässe und Schreiben des Außenministeriums der Republik Liberia.

In der Folgezeit versuchten die Ermittlungsbehörden, die von RA Y in seinem Schreiben v. 15.12.2004 bezeichnete Stellungnahme des Interpolbüros der liberianischen Polizei zu erlangen. Rechtsanwalt Y, der mittlerweile sein Mandat niedergelegt hatte, zeigte sich jedoch nicht bereit, die Stellungnahme den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stellen und verwies auf den jetzigen Verteidiger Rechtsanwalt X. Eine Anfrage der Staatsanwaltschaft bei Rechtsanwalt X bezüglich der Stellungnahme des Interpolbüros der Liberianischen Polizei verlief ebenfalls ergebnislos. Mit Telefax vom 6.4.2005 teilte RA X mit, dass nicht die Verteidigung, sondern KHK A mit den Ermittlungen beauftragt sei.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 28.4.2005 ordnete daraufhin das Landgericht Frankfurt am Main mit dem angefochtenen Beschluss vom 3.5.2005 (Bl. 1498 d. A.) die Durchsuchung der Kanzleiräume der Verteidiger Rechtsanwalt Y und Rechtsanwalt X sowie die Beschlagnahme der im Schriftsatz des Rechtsanwalts Y vom 15.12.2004 genannten Stellungnahme des Interpolbüros der liberianischen Polizei zur Echtheit der im Besitz des Angeschuldigten befindlichen Diplomatenpässe der Republik Liberia sowie der diesbezüglichen Originalschreiben des Aussenministeriums der Republik Liberia an.

Bei den am 19.5.2005 durchgeführten Durchsuchungen wurden in der Kanzlei von Rechtsanwalt X zwei Kopien aus seiner Handakte und im Büro von Rechtsanwalt Y drei Faxschreiben aus der Handakte beschlagnahmt.

II.

1. Die von Rechtsanwalt X hinsichtlich der Durchsuchung seiner Kanzleiräume eingelegte Beschwerde, die sowohl die Durchsuchungs- als auch die Beschlagnahmeanordnung umfasst, ist zulässig, § 305 S. 2 StPO. Bezüglich der zwischenzeitlich durch Vollzug erledigten Durchsuchungsanordnung richtet sich die Beschwerde nunmehr auf Feststellung der Rechtswidrigkeit.

Die Beschwerde ist in vollem Umfang begründet.

Der angefochtene Durchsuchungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt am Main ist rechtswidrig. Die Voraussetzungen einer Durchsuchung der Kanzleiräume des Verteidigers Rechtsanwalt X lagen nicht vor.

Hinsichtlich der Schreiben des Außenministeriums gab es schon keine Anhaltspunkte dafür, dass sich diese Unterlagen im Besitz von Rechtsanwalt X befanden. Anders als im Fall der Durchsuchung beim Verdächtigen (§ 102 StPO) muss bei der Durchsuchung bei anderen Personen aufgrund bestimmter bewiesener Tatsachen - und nicht nur aufgrund von Vermutungen - die Annahme gerechtfertigt sein, dass die Durchsuchung zur Auffindung des bestimmten Beweismittels führen wird, § 103 StPO. Solche Tatsachen lagen bezüglich der Schreiben des Außenministeriums nicht vor. Der Schriftverkehr zwischen den Ermittlungsbehörden und Rechtsanwalt X betraf lediglich die von Rechtsanwalt Y in seiner Stellungnahme vom 15.12.2004 bezeichnete Stellungnahme des Interpolbüros der liberianischen Polizei. Allein die Tatsache, dass der Beschwerdeführer Verteidiger des Angeschuldigten ist, rechtfertigte nicht den Schluss, dass sich die gesuchten Schreiben des Außenministeriums in seiner Anwaltskanzlei befanden und das deren Durchsuchung zur Auffindung dieser Gegenstände führen würde.

Im übrigen ergibt sich die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Durchsuchungsbeschlusses - auch hinsichtlich der gesuchten Stellungnahme des Interpolbüros der liberianischen Polizei - aus dem unzulässigen Zweck der Maßnahme. Denn Durchsuchungen dürfen nicht zu dem Zweck vorgenommen werden, Gegenstände aufzuspüren, die nach § 97 StPO von der Beschlagnahme ausgenommen sind (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 45. Auflage, § 103 Rdnr. 6, 7 m.w.N.). Die Gegenstände, die bei dem Verteidiger RA X sichergestellt werden sollten, unterliegen einem Beschlagnahmeverbot, im vorliegenden Fall dem an das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers nach § 53 Abs. 1 Nr. 2 StPO anknüpfenden Beschlagnahmeverbot nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO. Danach sind Gegenstände vor der Beschlagnahme geschützt, wenn ihr Aussagegehalt das Vertrauensverhältnis betrifft. Die Reduzierung des Anwendungsbereichs von § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO nur auf solche Gegenstände, die innerhalb des Vertrauensverhältnisses entstanden sind, lässt sich weder aus dem Wortlaut noch dem Sinn und Zweck des Gesetzes entnehmen (KK-Nack, StPO, 5. Aufl., § 97, Rdnr. 16; Meyer-Goßner, a.a.O., § 97, Rdnr. 30 jew. m.w.N.). Unter das Beschlagnahmeverbot fallen demnach auch Urkunden, die ein Dritter dem Verteidiger zum Zwecke der Verteidigung übergeben hat, da die durch diese Unterlagen zu beweisenden Tatsachen von dem Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers umfasst werden (vgl. Senat, StV 1982, 64; OLG Hamm. StV 1995, 570; LG Fulda, NJW 2000, 1508; Meyer-Goßner, a.a.O., § 97 Rdnr. 30, 36 ff.; jew. m.w.N.). Dies gilt auch dann, wenn aus bestimmten Umständen darauf geschlossen werden kann, dass es sich um Unterlagen handelt, die der Entlastung des Angeklagten dienen (vgl. Senat, a.a.O.).

Eine Ausnahme von der Beschlagnahmefreiheit ergäbe sich allenfalls dann, wenn die Unterlagen dem Verteidiger nicht für die Zwecke der Verteidigung übergeben worden sind, wofür vorliegend keine Anhaltspunkte ersichtlich sind.

Ob eine Ausnahme von der Beschlagnahmefreiheit ebenfalls dann anerkannt werden kann, wenn der Verteidiger seine privilegierte Stellung offensichtlich missbraucht, um Akten, Schriftstücke oder andere Gegenstände dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden zu entziehen (zustimmend Meyer-Goßner, a.a.O., § 97 Rdnr. 39 m.w.N.; kritisch und im Ergebnis offen gelassen: Senat, a.a.O.; LG Fulda, a.a.O.) kann letztlich dahinstehen, da eine solche Einschränkung jedenfalls nur für extreme Ausnahmefälle, nämlich nur dann anerkannt werden kann, wenn feststeht, dass mit dem Verteidigerprivileg ausschließlich ein von der Verfahrensordnung missbilligtes Ziel verfolgt wird und keinerlei Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine verfahrensfremde Rechtsverwirklichung noch hinnehmbar erscheinen lassen, wobei im Zweifel eine Vermutung zu Gunsten der Zulässigkeit selbst missbräuchlicher Ausnutzung von Verfahrensrechten besteht (vgl. Senat a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidiger des Angeschuldigten unter den vorgenannten Voraussetzungen dem Gericht die bezeichneten Urkunden vorenthalten hat, sind nicht ersichtlich. Allein der Umstand, dass der Verteidiger auf das gerichtliche und staatsanwaltschaftliche Ersuchen in der Sache nicht eingegangen ist, vermag einen offensichtlichen Missbrauch nicht zu begründen. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass der Verteidiger des Angeschuldigten in Wahrnehmung seiner Funktion und nach pflichtgemäßer anwaltlicher Güter- und Interessenabwägung rechtfertigende Gründe hatte, sich entsprechend zu verhalten. Damit fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die Feststellung, dass der Verteidiger Rechtsanwalt X sein Verteidigungsprivileg in dem oben gekennzeichneten Sinne missbraucht hat.

Soweit sich die Kammer auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm im Beschluss vom 23.6.1988 (Az.: 1 VAs 3/88 - zit. nach JURIS) stützt, vermag dies eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm betrifft die Überprüfung der Art und Weise einer Durchsuchung im Rahmen des Antrags auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 23 EGGVG. Gegenstand dieser Entscheidung ist daher nicht die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung, sondern lediglich die Überprüfung der ordnungsgemäßen Durchführung einer rechtmäßig angeordneten Durchsuchung.

Ein Ausschluss der Beschlagnahmefreiheit nach § 97 Abs. 2 S. 3 StPO liegt ebenfalls nicht vor.

Die gesuchten Unterlagen unterfallen daher der Beschlagnahmefreiheit gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO, weswegen die zum Auffinden dieser Beweismittel angeordnete richterliche Durchsuchung der Kanzleiräume von Rechtsanwalt X rechtswidrig war.

Demzufolge ist auch die Beschlagnahmeanordnung hinsichtlich der in der Kanzlei von Rechtsanwalt X sichergestellten Unterlagen aufzuheben. Es handelt sich hierbei um beschlagnahmefreie Schriftstücke, die dem Verteidiger herauszugeben sind.

2. Die von Rechtsanwalt Y durch seinen Vertreter Rechtsanwalt Z eingelegte und als "Widerspruch" bezeichnete Beschwerde gegen die Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnung ist unzulässig. Die Beschwerde ist gemäß § 306 Abs. 1 StPO schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen. Der als Beschwerde aufzufassende "Widerspruch" ist jedoch nur mündlich anlässlich der erfolgten Durchsuchung eingelegt worden.

RechtsgebietStPOVorschriftenStPO § 53 I Nr. 2 StPO § 97 I Nr. 3 StPO § 98 StPO § 102 StPO § 103

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