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20.11.2008 · IWW-Abrufnummer 083554

Oberlandesgericht Karlsruhe: Beschluss vom 16.07.2008 – 3 Ws 281/08

Der Vergütungsanspruch des Verteidigers, der an Stelle des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin als Verteidiger bestellt worden ist, beschränkt sich nicht auf die Terminsgebühren, sondern umfasst alle durch die anwaltliche Tätigkeit im Einzelfall verwirklichten Gebührentatbestände des Teil 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG.


OBERLANDESGERICHT KARLSRUHE

3 Ws 281/08

wegen schweren Menschenhandels u. a.

hier: Beschwerde gegen die Festsetzung der Pflichtverteidigervergütung

Beschluss vom 16. Juli 2008

Tenor:

Auf die Beschwerde des gerichtlich bestellten Verteidigers, Rechtsanwalt B. in F., wird der Beschluss des Landgerichts M. vom 07. Mai 2008 und der Festsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin des selben Gerichts vom 07. Mai 2007 dahin geändert, dass der Beschwerdeführer über den bislang festgesetzten Betrag hinaus eine weitere Vergütung von 180,88 ¤ erhält.

Die weiter gehende Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

In dem gegen den Angeklagten und fünf Mitangeklagte geführten Strafverfahren vor dem Landgericht M. stellte der Beschwerdeführer am 26.04.2007 zu Beginn des 72. Verhandlungstages, an welchem die beiden Pflichtverteidiger des Angeklagten verhindert und deshalb nicht erschienen waren, den Antrag, dem Angeklagten für diesen Terminstag als Verteidiger beigeordnet zu werden. Nach Anhörung des Angeklagten und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft wurde der Beschwerdeführer mit Verfügung des Vorsitzenden dem Angeklagten für diesen Terminstag als Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO beigeordnet.

Mit Schriftsatz vom 27.04.2007 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung der Vergütung für seine Tätigkeit als Pflichtverteidiger im Hauptverhandlungstermin am 26.04.2007, wobei er u. a. eine Grundgebühr nach Nr. 4100, eine Verfahrensgebühr gem. Nr. 4112 sowie eine Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale nach Nr. 7002 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG geltend machte. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle setzte die dem Beschwerdeführer aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung mit Festsetzungsbeschluss vom 07.05.2007 - ohne Berücksichtigung der Grund- und Verfahrensgebühr sowie der Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale - auf 496,46 ¤ fest. Die gegen den Festsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin erhobene Erinnerung, mit welcher der Beschwerdeführer seinen Vergütungsanspruch in der ursprünglich geltend gemachten Höhe weiterverfolgte, hat die Strafkammer mit Beschluss vom 07.05.2008 als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingelegte Beschwerde des Verteidigers, mit welcher unverändert die Festsetzung der bislang unberücksichtigt gebliebenen Grund- und Verfahrensgebühr sowie der Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale begehrt wird.

Das zulässige Rechtsmittel (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 8 RVG) hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.

II.

Der Beschwerdeführer, der dem Angeklagten im Hauptverhandlungstermin am 26.04.2007 an Stelle der verhinderten, die Verteidigung des Angeklagten ansonsten führenden Pflichtverteidiger als Verteidiger beigeordnet war, kann für diese Tätigkeit entgegen der Auffassung der Strafkammer auch eine Grundgebühr nach Nr. 4100 sowie die Post- und Telekommunikationsdienstleistungspauschale gem. Nr. 7002 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG beanspruchen. Dagegen ist eine Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG nicht angefallen.

Nach der überwiegenden Auffassung in der Rechtsprechung soll indes dem wegen der Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin bestellten Verteidiger als Vergütung für seine Tätigkeit als sogenannter "Terminsvertreter" nur die Terminsgebühren zustehen, weil er lediglich als Vertreter des die Verteidigung insgesamt führenden Pflichtverteidigers beigeordnet worden sei und der Vertreter für die Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins keine höhere Vergütung beanspruchen könne als in der Person des vertretenen Pflichtverteidigers angefallen wäre (vgl. KG NStZ-RR 2005, 327; RGVreport 2007, 108 (Ls); OLG Celle StraFo 2006, 471; RGVreport 2007, 71 (Ls); OLG Hamm RGVreport 2007, 108 (Ls); Hartmann Kostengesetze 38. Aufl. RGV VV 4100, 4101 Rdnr. 2; a. A. OLG Hamm AGS 2007, 37; Burhoff in Gerold/Schmidt RVG 18. Aufl. VV 4100, 4101 Rdnr. 5 u. VV 4106, 4107 Rdnr. 6; Burhoff in Burhoff RVG Straf- und Bußgeldsachen 2. Aufl. Nr. 4100 VV Rdnr. 8). Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen.

Dem an Stelle des verhinderten Pflichtverteidigers für die Dauer eines Hauptverhandlungstermins bestellten Verteidiger ist für den in der Bestellung bezeichneten Verfahrensabschnitt die Verteidigung des Angeklagten ohne jede inhaltliche Beschränkung übertragen. Eine Beiordnung lediglich als Vertreter des bereits bestellten Pflichtverteidigers der Gestalt, dass der Beigeordnete gleichsam als Hilfsperson des eigentlichen Pflichtverteidigers in dessen Beiordnungsverhältnis miteinbezogen wird, kennt die Strafprozessordnung nicht. Deren Zulässigkeit lässt sich auch nicht aus allgemeinen Grundsätzen ableiten (a. A. KG NStZ-RR 2005, 327). Durch die Bestellung als Verteidiger für einen Terminstag an Stelle des verhinderten Pflichtverteidigers wird vielmehr ein eigenständiges öffentlich-rechtliches Beiordnungsverhältnis begründet, auf Grund dessen der bestellte Verteidiger während der Dauer der Bestellung die Verteidigung des Angeklagten umfassend und eigenverantwortlich wahrzunehmen hat. Aus der Eigenständigkeit der jeweiligen Beiordnungsverhältnisse folgt zugleich, dass die anwaltlichen Tätigkeiten der jeweiligen Pflichtverteidiger auch hinsichtlich ihrer Vergütung gesondert zu bewerten sind. Da der wegen der Abwesenheit des verhinderten Pflichtverteidigers für einen Hauptverhandlungstermin bestellte Verteidiger umfassend mit der Wahrnehmung der Verteidigerrechte und -pflichten betraut war, kommt - unbeschadet der zeitlichen Begrenzung der Beiordnung - eine gebührenrechtliche Einstufung der in der Hauptverhandlung entfalteten Tätigkeit als Einzeltätigkeit im Sinne des Teil 4 Abschnitt 3 des Vergütungsverzeichnisses in Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG nicht in Betracht (vgl. OLG Dresden AGS 2007, 618; KG NStZ-RR 2005, 327; OLG Hamm AGS 2007, 37). Die Vergütung beurteilt sich vielmehr nach den für den Verteidiger geltenden Bestimmungen in Teil 4 Abschnitt 1 des Vergütungsverzeichnisses und bemisst sich im Einzelfall nach den durch die anwaltlichen Tätigkeit konkret verwirklichten Gebührentatbeständen.

Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze steht dem Beschwerdeführer für seine Pflichtverteidigertätigkeit über den bislang zuerkannten Festsetzungsbetrag hinaus die Grundgebühr nach Nr. 4100 des Vergütungsverzeichnisses in Höhe von 132,- ¤ zu, mit welcher die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall abgegolten wird. Des weiteren kann er die Pauschale für Post - und Telekommunikations-dienstleistungen nach Nr. 7002 des Vergütungsverzeichnisses in Höhe von 20,- ¤ beanspruchen. Dagegen ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 4112 des Vergütungsverzeichnisses, welche gemäß Vorbemerkung 4 Abs. 2 des Vergütungsverzeichnisses für das Betreiben der Geschäfte einschließlich der Information entsteht, nicht angefallen. Eine in den Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr fallende Tätigkeit hat der Beschwerdeführer nicht entfaltet. Die zur Wahrnehmung des Hauptverhandlungstermins am 26.04.2007 erforderliche Vorbereitung fiel mit der ersten Einarbeitung in den Rechtsfall zusammen und wird durch die Grundgebühr mit abgegolten. Die Anfertigung eines Berichts über den Verlauf des Terminstags für die beiden die Verteidigung führenden Pflichtverteidiger gehörte zur Nachbereitung des Termins und fällt damit in den Abgeltungsbereich der Terminsgebühren (vgl. Burhoff in Gerold/Schmidt aaO VV Vorb. 4 Rdnr. 11; Burhoff aaO Vorbemerkung 4 Rdnr. 39).

Unter Berücksichtigung der Mehrwertsteuer steht dem Beschwerdeführer somit über den bereits mit Beschluss der Urkundsbeamtin vom 07.05.2007 festgesetzten Betrag hinaus eine weitere Vergütung in Höhe von insgesamt 180,88 ¤ zu.

III.

Eine Kosten- und Auslagenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).

RechtsgebietRVGVorschriftenRVG § 45 Abs. 3

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