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08.04.2008 · IWW-Abrufnummer 081037

Hessisches Landessozialgericht: Urteil vom 29.11.2007 – L 4 KA 56/07 ER

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Hessisches Landessozialgericht

L 4 KA 56/07 ER

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 27. August 2007 aufgehoben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig die Tätigkeit als Vertragszahnarzt an einem weiteren Ort in der C-Straße in C-Stadt bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu gestatten.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens um die Genehmigung einer vertragszahnärztlichen Tätigkeit außerhalb des Vertragszahnarztsitzes an einem weiteren Ort (Zweigpraxis).

Der Antragsteller ist zur vertragszahnärztlichen Versorgung im Zuständigkeitsbereich der Beklagten zugelassen und betreibt mit seinem Praxispartner Dr. Dr. S., der zugleich als Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (MKG-Chirurgie) zur vertragsärztlichen Versorgung wie auch als Zahnarzt zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen ist, eine Gemeinschaftspraxis mit Praxissitz in A-Stadt. Der Praxispartner besitzt außerdem die bis 31. März 2009 befristete Genehmigung zur Ausübung der vertragsärztlichen Tätigkeit als Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurg in einer Zweigpraxis in C-Stadt. Im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens ist dem Praxispartner durch inzwischen rechtskräftig gewordenen Beschluss des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 27. August 2007 vorläufig auch die Ausübung einer Tätigkeit als Vertragszahnarzt in der Zweigpraxis in C-Stadt genehmigt worden. Die gegen den Beschluss des Sozialgerichts von der Antragsgegnerin eingelegte Beschwerde hat der erkennende Senat mit Beschluss vom 13. November 2007 zurückgewiesen (Az.: L 4 KA 57/07 ER).

Den gemeinsam mit seinem Praxispartner gestellten Antrag vom 11. Dezember 2006 auf Genehmigung einer zahnärztlichen Zweigpraxis in C-Stadt lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 19. April 2007 ab, weil die allgemeinzahnärztliche Versorgung in C Stadt bei neun zugelassenen Vertragszahnärzten gewährleistet sei. Eine Verbesserung der Versorgung durch den Antragsteller sei nicht möglich, wobei die Verbesserung der vertragszahnärztlichen Versorgung durch den Praxispartner auf dem Gebiet der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie unstreitig sei. Den hiergegen unter Hinweis auf den Schwerpunkt "Kinderzahnheilkunde", der in C-Stadt und Umgebung sonst nicht angeboten werde, eingelegten Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 2007 zurück. Die Angabe eines Tätigkeitsschwerpunktes beinhalte lediglich den Hinweis auf eine besonders nachhaltige Ausübung der Zahnheilkunde in einem Teilbereich und führe nicht zu einer Verbesserung der gesamten allgemeinzahnärztlichen Versorgung. Aus der fehlenden Angabe eines Schwerpunktes bei den übrigen Vertragszahnärzten könne nicht geschlossen werden, dass diese nicht dennoch einen entsprechenden Schwerpunkt hätten. Außerdem sei die ordnungsgemäße Versorgung am Sitz in A-Stadt nicht gewährleistet. Die angegebenen Sprechzeiten (Montag bis Mittwoch von 12:00 bis 14:00 Uhr, Donnerstag 12:00 bis 17:00 Uhr und Freitag 9:00 bis 11:00 Uhr) in Verbindung mit der Entfernung zwischen den Praxissitzen von 59,8 km und den damit verbundenen reinen Fahrzeiten (bei günstigsten Verhältnissen 45 Minuten je einfacher Wegstrecke) führten zu einer zeitlichen Abwesenheit von zumindest 20,5 Stunden vom Sitz der Hauptpraxis in A-Stadt. Damit sei dort eine ordnungsgemäße Versorgung nicht mehr gewährleistet.

Die hiergegen am 1. August 2007 erhobene Klage ist beim Sozialgericht Marburg nach Abtrennung des Verfahrens des Antragstellers unter dem Aktenzeichen S 12 KA 375/07 anhängig.

Den am 1. August 2007 vom Antragsteller gemeinsam mit seinem Praxispartner gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat das Sozialgericht Marburg nach Abtrennung des Verfahrens mit Beschluss vom 27. August 2007 als unbegründet "zurückgewiesen", weil kein Anordnungsanspruch bestehe. Nach § 24 Abs. 1, 2 und 3 S. 1 bis 2 der Zulassungsverordnung für Vertragszahnärzte (Zahnärzte-ZV) in der Fassung des Vertragsarztrechtsänderungsgesetzes (VÄndG vom 22. Dezember 2006 - BGBl. I Seite 3439) sei u. a. Voraussetzung, dass die Versorgung der Versicherten an dem weiteren Ort außerhalb des Vertragszahnarztsitzes durch die Zweigpraxis verbessert werde (§ 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Zahnärzte-ZV). Dies sei durch die Eröffnung einer Zweigpraxis durch den Antragsteller im Gegensatz zu seinem Praxispartner nicht der Fall. Zwar stelle der Begriff der "Verbesserung" der vertragszahnärztlichen Versorgung nunmehr geringere Anforderungen als der Begriff der "Erforderlichkeit" nach § 15a BMV-Ä/EKV-Ä (a.F.). Der Begriff der Verbesserung setze aber zumindest eine Bedarfslücke voraus, die zwar nicht unbedingt zur Gewährleistung der vertragszahnärztlichen Versorgung geschlossen werden müsse, die aber eine nachhaltige Verbesserung des Angebots oder der Erreichbarkeit am Ort der Zweigpraxis herbeiführe. Eine Versorgungsverbesserung könne daher nur eintreten, wenn die bereits vorhandenen ärztlichen Leistungserbringer das Leistungsangebot des Zweigpraxisbewerbers nicht oder nicht im erwünschten Umfang erbringen könnten. Hierbei stehe dem Zulassungsgremium nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 20. Dezember 1995, Az.: 6 RKa 55/94) ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Nach der Absicht des Gesetzgebers könne nicht jede Eröffnung einer weiteren Praxis bzw. Zweigpraxis unter dem Gesichtspunkt der freien Arztwahl zur Versorgungsverbesserung in diesem Sinne führen, sonst hätte es einer besonderen Regelung nicht bedurft. Lägen die Voraussetzungen für eine Ermächtigung oder Sonderbedarfszulassung vor, so diene die Zweigpraxis immer einer Verbesserung der Versorgung. Auch in der ortsnäheren Erbringung spezieller Leistungen sei eine Versorgungsverbesserung zu erkennen. Eine Verbesserung sei in der Regel auch dann anzunehmen, wenn unabhängig vom Versorgungsgrad im bedarfsplanungsrechtlichen Sinne regional oder lokal nicht oder nicht im erforderlichen Umfang angebotene Leistungen im Rahmen der Zweigpraxis erbracht werden und die Versorgung auch nicht durch andere Vertragszahnärzte in zumutbarer Entfernung sichergestellt werden könne. Dies gelte auch, wenn in der Zweigpraxis spezielle Untersuchungs- und Behandlungsmethoden angeboten würden, die im Planungsbereich nicht im erforderlichen Umfang vorhanden seien. Die vom Antragsteller angestrebte Zweigpraxis verbessere in diesem Sinne nicht die vertragszahnärztliche Versorgung. Er habe lediglich behauptet, sein Schwerpunkt liege im Bereich der Kinderzahnheilkunde. Diese gehöre aber zur Ausbildung aller Zahnärzte. Eine weitere Vertiefung, Ausbildung oder Weiterbildung sei auch nach der Weiterbildungsordnung der Landeszahnärztekammer Hessen nicht vorgesehen. Der Antragsteller habe auch nicht dargelegt, worin sich seine Tätigkeit von der anderer Vertragszahnärzte am Ort der Zweigpraxis unterscheide. Es sei auch nicht davon auszugehen, dass die Vertragszahnärzte ohne Schwerpunktbezeichnung "Kinderzahnheilkunde" Kinder nicht in gleicher Weise wie der Antragsteller versorgen könnten. Wegen des fehlenden Anordnungsanspruchs könne das Vorliegen eines Anordnungsgrundes dahingestellt bleiben.

Gegen den ihm am 28. August 2007 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 12. September 2007 Beschwerde eingelegt, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat. Er ist der Auffassung, die Versorgung der Versicherten werde am Ort der beantragten Zweigpraxis durch seine Tätigkeit verbessert. Bei dem Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde" handle es sich um eine spezielle Behandlungsmethode, die im Planungsbereich nicht in erforderlichem Umfang angeboten werde. Zwar seien Tätigkeitsschwerpunkte nicht in der Weiterbildungsordnung enthalten, gleichwohl beinhalteten sie eine nachhaltige Spezialisierung, die eine Verbesserung der Versorgung mit sich bringe und von der Landeszahnärztekammer auch zertifiziert würden. Durch die Kombination der zahnärztlichen Behandlung mit dem Schwerpunkt "Kinderzahnheilkunde" mit der MKG-chirurgischen Tätigkeit des Praxispartners ergebe sich eine erhebliche Verbesserung zur Behandlung von Kleinkindern über mehrere Stunden in Narkose. Eine derartige Behandlungsmöglichkeit bestehe ansonsten im Umkreis von 50 km um C-Stadt nur noch in Privatkliniken. Die Behandlung von Kleinkindern unter sechs Jahren über mehr als drei bis vier Stunden in Narkose werde lediglich von dem Anästhesisten der Gemeinschaftspraxis durchgeführt. Außerdem ergebe sich auch durch die Kombination der Kieferchirurgie mit der konservierenden Behandlung eine erhebliche Verbesserung für viele Patienten. Denn oftmals müssten die Krankheitsbilder sowohl chirurgisch als auch konservierend angegangen werden, wie etwa bei einer Missbildung, etwa dem sog. Ankyloglosson (Verwachsen der Zunge mit dem Boden der Mundhöhle). Hier werde von dem Praxispartner Dr. Dr. S. der chirurgische Eingriff durchgeführt, während der Antragsteller kariöse Zähne saniere. Eine derartige kombinierte Behandlungsmöglichkeit bestehe in C-Stadt und Umgebung nicht. Diese Leistungen könnten auch nicht von anderen Zahnärzten erbracht werden, weil diese nicht in Gemeinschaftspraxis mit einem MKG-Chirurgen niedergelassen seien. Die Behandlungsmöglichkeit für Kleinkinder in Narkose erfordere natürlich auch strukturelle Voraussetzungen der Praxis. Außerdem bestehe eine Zusammenarbeit mit der P-Klinik, in die die Patienten bei Notwendigkeit postoperativ eingewiesen werden könnten.

Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 27. August 2007 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig die Tätigkeit als Zahnarzt an einem weiteren Ort in der C-Straße in C-Stadt,
hilfsweise
bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, zu gestatten.

Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die Kombination zwischen Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde" eines Praxispartners mit der MKG-chirurgischen Tätigkeit des anderen Praxispartners könne nicht zur Begründung einer Versorgungsverbesserung herangezogen werden. Sowohl der Bundesmantelvertrag-Ärzte als auch § 24 Zahnärzte-ZV stellten auf die Versorgungsverbesserung durch den jeweiligen einzelnen Vertragszahnarzt ab, die sich aus dessen Behandlungs- oder Untersuchungsmethoden ergeben müsse. Eine Kombination der Fachkompetenzen in einer Gemeinschaftspraxis könne insoweit nicht herangezogen werden, weil damit nicht die Verbesserung der örtlichen Versorgung durch den Vertragszahnarzt selbst, sondern die Vorteile einer Gemeinschaftspraxis gegenüber Einzelniederlassungen ins Auge gefasst würden. Im Übrigen nimmt die Antragsgegnerin auf die Begründung des angegriffenen Beschlusses Bezug.

Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist sachlich begründet. Der angegriffene Beschluss des Sozialgerichts Marburg vom 27. August 2007 war aufzuheben und die Antragsgegnerin gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig die Tätigkeit als Zahnarzt in der Zweigpraxis in C-Stadt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu gestatten.

Zutreffend hat das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass eine einstweilige Anordnung nur ergehen kann, wenn Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht sind (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 1 und 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Dies ist hier der Fall. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt der Anordnungsanspruch vor, denn aufgrund der bekannten und zwischen den Beteiligten unstreitigen Tatsachen steht fest, dass die Versorgung der Versicherten am Ort der geplanten Zweigpraxis (in C-Stadt) durch die vertragszahnärztliche Tätigkeit des Antragstellers mit Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde" verbessert wird und hierdurch die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes (in A-Stadt) nicht beeinträchtigt wirt (§ 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 und 2 Zahnärzte-ZV).

§ 24 Abs. 3 Zahnärzte-ZV in der Fassung des VÄndG eröffnet mit Wirkung vom 1. Januar 2007 jedem zugelassenen Vertragszahnarzt die Möglichkeit, vertragszahnärztliche Tätigkeiten außerhalb seines Vertragszahnarztsitzes an weiteren Orten auszuüben, wenn und soweit 1. die die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und 2. die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragszahnarztsitzes nicht beeinträchtigt wird. Der Begriff der Versorgungsverbesserung ist im Gesetz nicht näher beschrieben und auch aus den Gesetzesmaterialien zum VÄndG ergeben sich keine konkretisierenden Hinweise für seine Auslegung (ebenso Schallen, Zulassungsverordnung, Kommentar, 5. Auflage 2006, § 24 Rdnr. 643). Ausgangspunkt der Beurteilung ist die bestehende vertragszahnärztliche Versorgung vor dem Hintergrund des gesetzlichen Auftrages an die Krankenkassen und die Leistungserbringer zur Sicherstellung einer bedarfsgerechten und gleichmäßigen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechenden Versorgung der Versicherten (§ 70 Abs. 1 SGB V). Hiernach gewinnen grundsätzlich auch bedarfsplanungsrechtliche Gesichtspunkte und Differenzierungen Relevanz für die Frage, ob die Zulassung einer Zweigpraxis eine Verbesserung der Versorgungssituation an dem Ort der Zweigpraxis bedeutet. Für Zahnärzte gelten jedoch die Regelungen über die Zulassungsbeschränkungen nicht mehr (§§ 101 Abs. 6, 103 Abs. 8 und 104 Abs. 3 in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz vom 26. März 2007, BGBl. I, 378). Die von dem Antragsteller beabsichtigte vertragszahnärztliche Tätigkeit in der Zweigpraxis in C-Stadt befindet sich somit in einem Bereich, ohne planungsrechtliche Einschränkungen. Ob insoweit neben zusätzlichen qualitativen vertragszahnärztlichen Tätigkeiten auch lediglich quantitativ zusätzliche Tätigkeiten als Verbesserung der Versorgung der Versicherten angesehen werden können (so Schallen, a.a.O., Rdnr. 652), kann der Senat dahingestellt lassen, zusätzliche qualitativ bessere Tätigkeiten stellen in jedem Falle insoweit auch eine Versorgungsverbesserung der Versicherten dar, wenn in dem betreffenden Planungsbereich regional oder lokal solche nicht oder nicht im erforderlichen Umfang angeboten werden. In diesem Sinne liegt auch nach den Mantelverträgen-Zahnärzte eine Verbesserung der Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten in der Regel (auch) dann vor, wenn in der Zweigpraxis spezielle Untersuchungs- und Behandlungsmethoden angeboten werden, die im Planungsbereich nicht im erforderlichen Umfang angeboten werden (s. z.B. § 6 Abs. 6 S. 4 bis 6 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte )BMV-Z(, Stand 1. Juli 2007). Dabei handelt es sich bei diesen Regelungen - worauf das erstinstanzliche Gericht zutreffend hingewiesen hat - um nicht abschließende Norminterpretationen des § 24 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 Zahnärzte-ZV. Nach Auffassung des Senats stellen auch vertragszahnärztliche Tätigkeiten mit dem Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde", wie sie der Antragsteller ausübt, eine qualitative Verbesserung der Versorgung der Versicherten im Sinne dieser Vorschrift dar. Bei einem Vertragszahnarzt, der diesen Tätigkeitsschwerpunkt führt, ist davon auszugehen, dass er auf diesem Gebiet über vertiefende und neueste Kenntnisse und Fertigkeiten verfügt, die ein Vertragszahnarzt ohne diesen Tätigkeitsschwerpunkt zumindest nicht in gleichem Umfang besitzt, auch wenn die Kinderzahnheilkunde grundsätzlich Gegenstand der Ausbildung aller Zahnärzte ist. Die Voraussetzungen zum öffentlichen Führen u. a. des Tätigkeitsschwerpunktes "Kinderzahnheilkunde" sind in der Ordnung zur Anerkennung besonderer Kenntnisse und Fertigkeiten in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde vom 13. Dezember 2004 (beschlossen in der Delegiertenversammlung der Landeszahnärztekammer Hessen am 19. Mai 2001 aufgrund § 25 Nr. 14 Heilberufsgesetz i. V. m. § 15 der Berufsordnung der Landeszahnärztekammer Hessen) geregelt. Danach erteilt die Landeszahnärztekammer aufgrund einer strukturierten Fortbildung ("Curriculum") die Genehmigung zum öffentlichen Führen eines Kammerzertifikates "Fortbildung". Hierauf aufbauend wird die Genehmigung zum Führen eines Tätigkeitsschwerpunktes erteilt, wenn zusätzlich entsprechend praktische Erfahrungen und Fertigkeiten im jeweiligen Bereich/Gebiet gemäß den Vorgaben dieser Ordnung sachgerecht nachgewiesen werden (Präambel und §§ 3, 4 der zuvor zitierten Ordnung). Systematisch vermittelte vertiefende Kenntnisse theoretischer und insbesondere auch praktischer Art auf speziellen Gebieten der Zahnheilkunde dienen der qualitativen Verbesserung der Versorgung der Versicherten nicht zuletzt auch deshalb, weil ein entsprechend fortgebildeter Zahnarzt in der Regel und typischer Weise auch über verbesserte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden auf diesem Gebiet verfügen wird, zumal die Landeszahnärztekammer zur Qualitätssicherung die Qualitätsanforderungen für Referenten, Hospitation und Supervisionspraxen selbst festlegt (§ 6 Nr. 3 der zuvor zitierten Ordnung). Darüber hinaus ist der Zahnarzt, der einen Tätigkeitsschwerpunkt führt, verpflichtet, an kontinuierlicher Fortbildung teilzunehmen und dies auf Anforderung der Landeszahnärztekammer Hessen nachzuweisen. Die Befugnis zum Führen des Tätigkeitsschwerpunktes kann widerrufen werden, wenn die erforderlichen Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind (§ 7 Nrn. 2 und 3 der zuvor zitierten Ordnung).

Wie der Antragsteller unbestritten vorgetragen hat, sind in C-Stadt und Umgebung keine weiteren Zahnärzte zugelassen, die den Tätigkeitsschwerpunkt "Kinderzahnheilkunde" führen. Damit steht jedenfalls fest, dass die dort zugelassenen Vertragszahnärzte offenbar keine Fortbildung nach der zuvor zitierten Ordnung zur Anerkennung besonderer Kenntnisse und Fertigkeiten in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit diesem Schwerpunkt betrieben haben und demzufolge auch nicht die in der entsprechenden Fortbildung zweifellos vermittelten Kenntnisse und Fertigkeiten in gleichem Umfang beziehungsweise in gleicher Qualität gegenüber dem Versicherten anwenden können. An dem Eintritt einer Versorgungsverbesserung durch die Eröffnung der beantragten Zweigpraxis hat der erkennende Senat daher keine Zweifel.

Darüber hinaus wird hierdurch auch nicht die ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes in A-Stadt beeinträchtigt, wie der Senat bereits in dem vergleichbaren Fall des Mitinhabers der Gemeinschaftspraxis Dr. Dr. S. mit Beschluss vom 13. November 2007 entschieden hat (Az.: L 4 KA 57/07 ER). Nach § 6 Abs. 6 S. 7 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) bzw. § 8a Abs. 1 S. 7 Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte (EKV-Z), jeweils Stand vom 1. Januar 2007 mit Änderungsvertrag mit Wirkung vom 1. Juli 2007, wird eine ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragszahnarztsitzes in der Regel dann nicht beeinträchtigt, wenn die Dauer der Tätigkeit des Vertragszahnarztes in der oder den Zweigpraxen ein Drittel seiner Tätigkeit am Vertragszahnarztsitz nicht übersteigt. In dem gemeinsamen Rundschreiben der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZVB) und der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen zu den Mantelneuregelungen zum 1. Juli 2007 infolge der Zulassung rechtlichen Neuregelungen im SGB V und in der Zahnärzte-ZV durch das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG) vom 15. Juni 2007 heißt es zur näheren Erläuterung, dass sich die Bundesmantelvertragspartner an der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts orientiert hätten, wonach eine Nebentätigkeit eines Vertragszahnarztes in der Regel die Erfüllung seiner vertragszahnärztlichen Pflichten dann nicht infrage stellt, wenn die Nebentätigkeit ein Drittel der Dauer seiner Tätigkeit in der vertragszahnärztlichen Praxis nicht übersteigt. Dies ändert allerdings nichts an der grundsätzlichen Verpflichtung des Vertragszahnarztes, an jedem seiner Tätigkeitsorte eine ordnungsgemäße Versorgung seiner Patienten sicherzustellen. Er hat daher am jeweiligen Tätigkeitsort während seiner angekündigten Behandlungszeiten zur Verfügung zu stehen und im Abwesenheitsfall eine entsprechende Vertretung beziehungsweise eine Notfallversorgung zu organisieren.

Der Antragsteller hat die Dauer seiner Tätigkeiten am Vertragszahnarztsitz mitgeteilt. In der Summe umfassen diese einen Zeitraum von 53,5 Stunden pro Woche. Die beabsichtigten Praxisöffnungszeiten in der Zweigpraxis sind vom Antragsteller mit 12 Stunden angegeben worden. Selbst wenn man die zwischen den Beteiligten unstreitigen Fahrtzeiten von A-Stadt nach C-Stadt beziehungsweise umgekehrt von 45 Minuten pro Strecke hinzuaddiert, stellen dann 16,5 Stunden noch kein Drittel von 53,5 Stunden pro Woche dar.

Nicht gehört werden kann die Antragsgegnerin auch mit ihrer Argumentation, die so genannte Drittelregelung knüpfe nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an einer 40-Stunden-Woche an. Zwar ist es zunächst zutreffend, dass das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 30. Januar 2002 (B 6 KA 20/01 R; vgl. auch BSG, Entscheidungen vom 11. September 2002, B 6 KA 23/01 R und vom 5. Februar 2003, B 6 KA 22/02 R) ausgeführt hat, dass ein Vertragsarzt oder Vertragspsychotherapeut nicht mehr als 13 Stunden wöchentlich in einem Beschäftigungsverhältnis außerhalb seiner vertragsärztlichen beziehungsweise vertragspsychotherapeutischen Tätigkeit stehen könne. Insoweit ist das Bundessozialgericht von einer 40-Stunden-Woche ausgegangen. Diese Rechtsprechung kann aber nicht auf die Genehmigung einer Zweigpraxis übertragen werden. Das ergibt sich bereits aus dem Wortlaut der bundesmantelvertraglichen Regelungen. Denn in § 6 Abs. 6 S. 7 des BMV-Z beziehungsweise § 8a Abs. 1 S. 7 EKV-Z knüpft die Drittelregelung nicht an einer 40 Stunden-Woche an, sondern ausdrücklich an die Dauer der Tätigkeit des Vertragszahnarztes am Vertragszahnarztsitz. Darunter kann nur die tatsächliche Tätigkeit des Vertragszahnarztes verstanden werden und nicht eine (fiktive) 40-Stunden-Woche. Auch aus dem gemeinsamen Rundschreiben der Bundesmantelvertragspartner kann nichts anderes entnommen werden. Denn darin heißt es, man habe sich an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts "orientiert", als man die Drittelregelung statuiert hat. Aber auch die übrigen Ausführungen weisen eindeutig nach, dass die Bundesmantelvertragspartner davon ausgehen, dass die Tätigkeit in der Zweigpraxis "ein Drittel seiner Tätigkeit am Vertragszahnarztsitz nicht übersteigt". Damit knüpfen die Bundesmantelvertragspartner eindeutig gerade nicht an einer 40-Stunden-Woche an. Sie haben sich ausschließlich bezüglich des prozentualen Anteils an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts orientiert. Auch aus § 6 Abs. 6 S. 10 BMV-Z bzw. § 8a Abs. 1 Satz 10 EKV-Z kann entnommen werden, dass die Bundesmantelvertragspartner nicht auf eine fiktive Arbeitszeit, sondern auf tatsächliche Tätigkeitszeiten abstellen wollten. Denn dort heißt es bezüglich der Dauer der Tätigkeit von angestellten Zahnärzten in der Zweigpraxis, dass deren Tätigkeit "ein Drittel der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit am Vertragszahnarztsitz nicht überschreiten" darf. Daher kommt es nicht darauf an, ob auch sachliche Gründe dagegen sprechen, die BSG-Rechtsprechung zur Frage des Umfangs einer abhängigen Beschäftigung neben einer vertragsärztlichen Tätigkeit auf die Genehmigungspraxis bezüglich Zweigpraxen zu übertragen.

Auch die Residenzpflicht steht einer Genehmigung der Zweigpraxis nicht entgegen. Insoweit ist eine wertende Gesamtwürdigung aller Umstände nach Maßgabe des Zwecks der Residenzpflicht vorzunehmen. Für eine Notfallversorgung, für die auch der Mitinhaber der Gemeinschaftspraxis zur Verfügung steht, ist längstens auf eine einfache Fahrzeit von 45 Minuten abzustellen. Diese Zeit ist noch ausreichend, denn in besonders dringenden Fällen steht der Rettungsdienst zur Verfügung und durchgehende Anwesenheitszeiten können am Vertragszahnarztsitz ohnehin nicht gewährleistet werden. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass bereits die gedankliche Möglichkeit der Errichtung einer Zweigpraxis notwendig mit Wegezeiten verbunden ist. In ihrem gemeinsamen Rundschreiben stellen die Bundesmantelvertragspartner allein darauf ab, dass an jedem der Tätigkeitsorte eine ordnungsgemäße Versorgung der Patienten sicherzustellen ist und im Abwesenheitsfall eine Vertretung beziehungsweise eine Notfallversorgung zu organisieren ist. Mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, dass eine einfache Fahrtstrecke von 45-minütiger Dauer, einer ordnungsgemäßen zahnärztlichen Versorgung der Patienten an beiden Orten nicht entgegensteht. Es besteht auch - dies ist gerichtsbekannt - eine gute ausgebaute Verkehrsanbindung mit der BAB 66 zwischen A-Stadt und C-Stadt. Gerade im zahnärztlichen Bereich muss nicht ständig mit extrem eiligen Notfallversorgungen gerechnet werden. Im Übrigen steht im Ballungszentrum A-Stadt auch ein funktionsfähiges Rettungsdienstsystem zur Verfügung. Bezogen auf den Vertragszahnarztsitz A-Stadt ist weiter darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller dort in einer Berufsausübungsgemeinschaft tätig ist, so dass ein Zahnarzt auch bei Abwesenheit des Antragstellers für eilige Behandlungen von Patienten zur Verfügung steht.

Ein Anordnungsgrund liegt ebenfalls vor. Nach herrschender Meinung, der auch der Senat folgt, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund und es ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Regel zu entsprechen, wenn die Klage offensichtlich zulässig und begründet ist (vgl. Keller: in Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 8. Aufl. § 86b Rdnr. 29 m.w.N.). So ist es auch hier. Der mit der Klage bei dem Sozialgericht Marburg angefochtene Bescheid der Antragsgegnerin vom 19. April 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juli 2007 ist - zumindest bezüglich des Antragstellers - offensichtlich rechtswidrig und verletzt diesen in seinen Rechten. Es ist nicht erkennbar, welche öffentlichen Interessen bestehen sollten, die einer vorläufigen Regelung zu Gunsten des Antragstellers entgegenstehen könnten. Auch hat die Antragsgegnerin keinen Vortrag gehalten, dass es zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich wäre, die Ausübung einer vertragszahnärztlichen Tätigkeit des Antragstellers in C-Stadt zu verhindern. Die Hauptsache wird durch die Entscheidung nicht vorweg genommen, da die einstweilige Anordnung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren befristet ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Der Streitwert beträgt 5.000,00 EUR und folgt aus § 197a SGG i.V.m. §§ 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Der Senat folgt insoweit den Vorschlägen im Streitwertkatalog für die Sozialgerichtsbarkeit (Stand: 1. April 2007, unter 16.10 m.w.N.; www.rlp.de), wonach insoweit von dem dreifachen Regelstreitwert auszugehen ist, der im Hinblick auf den Charakter eines einstweiligen Anordnungsverfahrens zu dritteln ist.

Diese Entscheidung kann mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht nicht angefochten werden (§ 177 SGG).

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