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13.03.2007 · IWW-Abrufnummer 070866

Landgericht Bochum: Beschluss vom 22.12.2006 – 1 KLs 46 Js 77/05

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Landgericht Bochum
1. Strafkammer des Landgerichts Beschluss

1 Kls 46 Js 77/05

Tenor:

Die Erinnerung des Rechtsanwalts 0 aus Bielefeld vom 02.08.2006 gegen die Kostenfestsetzung vom 08.08.2006 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Dem Angeklagten B ist in dem vor der erkennenden Kammer geführten Verfahren 1 KLs 46 Js 77/05 unter anderem das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zur Last gelegt worden. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde der ehemalige Mitangeklagte H zum Termin am 02.08.2006 als Zeuge geladen. Vor seiner Vernehmung wurde dem Zeugen H Rechtsanwalt 0 (im Folgenden: Erinnerungsführer) als Zeugenbeistand gem. § 68b StPO beigeordnet. Der Erinnerungsführer war zuvor bereits als Pflichtverteidiger für H tätig gewesen. Bei der Vernehmung berief sich der Zeuge auf sein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO sowie ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 52 StPO.

Unter dem 02.08.2006 beantragte der Erinnerungsführer die Festsetzung folgender Gebühren:

Grundgebühr Verteidigung Nr. 4100, 4101 VV RVG 132,00 EUR
Verfahrensgebühr für ersten Rechtszug Nr. 4112 VV RVG 124,00 EUR
Terminsgebühr für Hauptverhandlung Nr. 4114 VV RVG 216,00 EUR
Geschäftsreise (280 km je 0,30 EUR) 84,00 EUR
Abwesenheitsgeld Nr. 7005 Nr. 2 VV RVG 35,00 EUR
Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Summe netto 611,00 EUR
16 % USt 97,76 EUR
Summe brutto 708,76 EUR
Auslagen Parken Bochum 3,00 EUR
Gesamtbetrag 711,76 EUR.

Am 08.08.2006 setzte die Rechtspflegerin die dem Erinnerungsführer zu zahlenden Gebühren und Auslagen unter Absetzung der beantragten Grundgebühr auf 558,64 EUR fest. Zur Begründung führte sie aus, der Erinnerungsführer habe als Pflichtverteidiger des Zeugen H die Grundgebühr bereits verdient. Er sei dem Zeugen unter anderem deshalb als Beistand beigeordnet worden, weil er das Verfahren bereits gekannt habe. Unter diesen besonderen Voraussetzungen sei eine weitere Grundgebühr nicht entstanden; die erneute Vorbereitung des Verfahrens aus Zeugensicht werde durch die Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG abgegolten.

Hiergegen wendet sich der Erinnerungsführer mit seiner unter dem 02.08.2006 datierenden Erinnerung, die am 23.08.2006 bei Gericht eingegangen ist. Er ist der Auffassung, die Grundgebühr sei zu Unrecht abgesetzt worden. Ein Rechtsanwalt als Zeugenbeistand erhalte die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger. Da es sich bei der Tätigkeit als Zeugenbeistand um eine andere Angelegenheit als die einer Verteidigertätigkeit handele, finde eine Anrechnung oder Gebührenbegrenzung nach § 15 Abs. 2 oder Abs. 5 RVG nicht statt. Ergänzend macht er geltend, dass über die allgemeine Einarbeitung hinaus unter anderem ein Gespräch mit dem Verteidiger des Angeklagten H1 geführt worden sei, in dem es um Informationen bzgl. des Verfahrensstandes und des eingelegten Rechtsmittels gegangen sei. Zudem seien Einzelfragen zu Umfang und Grenzen des § 55 StPO nach rechtskräftiger Verurteilung des Zeugen H, aber noch lautendem" Revisionsverfahrens des Bruders H1 mit dem Mandanten zu klären gewesen.

Die Rechtspflegerin hat der Erinnerung unter Hinweis auf die Begründung der Kostenfestsetzung nicht abgeholfen. Die von der Kammer gehörte Bezirksrevisorin hat hierzu wie folgt Stellung genommen: Die Grundgebühr sei im vorliegenden Fall zu erstatten, weil die Verteidigungsstrategie für einen Angeklagten eine völlig andere sei als diejenige eines Zeugen, der zur Wahrheit verpflichtet sei. Auch wenn der Umfang der Tätigkeit aufgrund der vorherigen Kenntnis des Sachverhalts sicherlich geringer sei, würde sich dies allenfalls auf die Höhe der Gebühr eines Wahlverteidigers auswirken.

II.

Die gemäß § 56 Abs. 1 RVG zulässige Erinnerung ist unbegründet.

1.
Das in sieben Teile gegliederte RVG kennt sowohl in Teil 3 (Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten, Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit, der öffentlichrechtlichen Gerichtsbarkeiten, Verfahren nach dem Strafvollzugsgesetz und ähnliche Verfahren) Abschnitt 4 als auch in Teil 4 (Strafsachen) Abschnitt 3 und in Teil 5 (Bußgeldsachen) Abschnitt 2 so genannte Einzeltätigkeiten. Dies sind Tätigkeiten, die von den regelmäßigen, im Vergütungsverzeichnis (Anlage 1 zum RVG) aufgelisteten Tätigkeiten nicht umfasst sind.

Nach Absatz 1 der Vorbemerkung zu Teil 4 sind "die Vorschriften" für die Tätigkeit als Beistand ( ... ) eines Zeugen ( ... ) entsprechend anzuwenden. Danach ist zwar auch Teil 4 Abschnitt 1 entsprechend anzuwenden, sodass der Rechtsanwalt danach ggf. wie ein Verteidiger Grund-, Verfahrens- und Terminsgebühr abrechnen kann. Gleichermaßen sind aber auch die Vorschriften des Teils 4 Abschnitt 3 entsprechend anwendbar, sodass auch eine Vergütung für eine Einzeltätigkeit in Betracht kommt.

Weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass für die Tätigkeiten gemäß Absatz 1 der Vorbemerkung 4 zu Teil 4 VV RVG ausschließlich und unabhängig vom tatsächlichen Umfang der Beauftragung und Tätigkeit des Rechtsanwalts die Vorschriften des Teils 4 Abschnitt 1, d.h. die Vorschriften für die Vergütung eines Verteidigers anzuwenden sein sollen.

Die Vorbemerkung 4 zu Teil 4 VV RVG gilt nach der Systematik der VV RVG für den gesamten Teil 4 VV RVG. Für die jeweiligen (Unter)Abschnitte gibt es eigene, gesondert überschrieben und nummerierte Vorbemerkungen. Demzufolge bezieht sich der Wortlaut in Absatz 1 der Vorbemerkung 4 zu Teil 4 VV RVG, nämlich dass "die Vorschriften" entsprechend anzuwenden sind, auf die gesamten Vorschriften des Teils 4 VV RVG.

Auch aus der Begründung des Gesetzgebers ergibt sich insoweit nicht eindeutig, dass - entgegen dem Wortlaut des Gesetzes - für die Vergütung der Tätigkeit eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand ausschließlich die Vorschriften für die Vergütung des Verteidigers (Abschnitt 1 des Teils 4 VV RVG) anzuwenden sein sollen. Die Gesetzesmaterialien sind nach Auffassung der Kammer in sich widersprüchlich.

Auf der einen Seite heißt es darin, dass der Rechtsanwalt auch im Strafverfahren als Beistand für einen Zeugen ( ... ) die gleichen Gebühren wie ein Verteidiger erhalten soll. Die Gleichstellung mit einem Verteidiger sei sachgerecht, weil die Gebührenrahmen ausreichend Spielraum böten, dem konkreten Arbeitsaufwand des Rechtsanwalts Rechnung zu tragen. Bei der Bestimmung der konkreten Gebühren werde sich der Rechtsanwalt als Beistand für einen Zeugen ( ... ) an dem üblichen Aufwand eines Verteidigers in einem durchschnittlichen Verfahren messen lassen müssen (vgl. Drucksache 15/1971, S. 220). Diese Formulierung spräche dafür, dass sich die Vergütung eines Rechtsanwalts für die Tätigkeit als Zeugenbeistand tatsächlich ausschließlich nach Abschnitt 1 des Teils 4 VV RVG richten sollte (so etwa OLG Köln NStZ 2006, 410; OLG Koblenz; Beschluss vom 11.04.2006, 1 Ws 201/06).

Andererseits wird in der gleichen Drucksache aber auch ausgeführt, der Rechtsanwalt solle für die Tätigkeit als Zeugenbeistand die gleichen Gebühren wie ein Verfahrensbevollmächtigter in dem entsprechenden Verfahren erhalten. Nach Absatz 1 der Vorbemerkung 4 sollten die Vorschriften dieses Teils für die Tätigkeit des Rechtsanwalts als Beistand ( ... ) eines Zeugen ( ... ) entsprechend anwendbar sein (vgl. Drucksache 15/1971, S. 146, 220). Diese Darstellung bestätigt den tatsächlichen Gesetzeswortlaut, der eine Beschränkung dahingehend, dass nur die Vorschriften eines (Unter)Abschnitts des Teils 4 VV RVG für die Vergütung eines Rechtsanwalts als Zeugen beistand anzuwenden sein soll, nicht vornimmt (so OLG Oldenburg JurBüro 2006, 197).

Die Gesetzesbegründung ist damit nicht eindeutig. Soweit sich aus ihr aber ergeben könnte, dass ein Rechtsanwalt als Zeugenbeistand stets die Vergütung eines Verteidigers erhalten soll, also ausschließlich der Abschnitt 1 des Teils 4 VV RVG anzuwenden ist, hat diese Ansicht jedenfalls keinen Niederschlag im Gesetzeswortlaut gefunden.

Die sich aus den Gesetzesmaterialien ferner ergebende Intention des Gesetzgebers, die für den Teil 3 der VV RVG vorgesehene Regelung auch für das Strafverfahren zu übernehmen, rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung (so aber Burhoff, RVGReport 2006, 81). Wenn es in Absatz 1 der Vorbemerkung zu Teil 3 VV RVG heißt, für die Tätigkeit als Beistand für einen Zeugen ( ... ) in einem Verfahren, für das sich Gebühren nach diesem Teil bestimmen, entstehen die gleichen Gebühren wie für einen Verfahrensbevollmächtigten in diesem Verfahren, heißt dies auch nur, dass sich die Vergütung des Zeugenbeistandes - ebenso wie diejenige des Verfahrensbevollmächtigten - nach dem konkreten Umfang der Beauftragung und Tätigkeit des Rechtsanwalts richtet. Und diese kann eben auch nur in der Leistung von Einzeltätigkeiten i.S.d. Abschnitts 4 des Teils 3 VV RVG bestehen.

Für die Berechnung der Vergütung des Rechtsanwalts als Zeugenbeistand sind demnach sämtliche Vorschriften des Teils 4 VV RVG zugrunde zu legen; im Einzelnen ergibt sich die Höhe der Vergütung damit aus dem konkreten Umfang der Beauftragung und Tätigkeit des Rechtsanwalts.

Unter Berücksichtigung dessen hat der Erinnerungsführer im vorliegenden Fall jedenfalls keinen Anspruch auf eine weitere als die bereits festgesetzte Vergütung. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich bei der Beistandsleistung des Erinnerungsführers um eine Einzeltätigkeit i.S.d. Ziff. 4301 Nr. 4 VV RVG, so dass auch nur eine solche zu vergüten gewesen wäre. Da allerdings ausschließlich der Erinnerungsführer Erinnerung gegen die Kostenfestsetzung eingelegt hat und auch die Bezirksrevisorin keine Herabsetzung der festgesetzten Vergütung beantragt hat, ist die Kammer an einer solchen gehindert.

Nach Absatz 1 der Vorbemerkung zu Teil 4 VV RVG i.V.m. Abschnitt 3 (Einzeltätigkeiten) des Teils 4 VV RVG entstehen die Gebühren für Einzeltätigkeiten dann, wenn dem Rechtsanwalt nicht die sonstige Verteidigung oder Vertretung übertragen ist. Vorliegend ist der Erinnerungsführer dem Zeugen H gem. § 68b StPO, d.h. "für die Dauer der Vernehmung" als Beistand beigeordnet worden. Hierdurch wird der Gegenstand der anwaltlichen Vertretung begrenzt, auch wenn daraus nicht geschlossen werden kann, dass die Vertretung ausschließlich diese Dauer umfasste. Die Beiordnung ist verständigerweise dahin auszulegen, dass damit auch notwendige Vorgespräche des Beistands mit dem Zeugen erfasst sein sollen.

Der Erinnerungsführer hatte zum Zeitpunkt seiner Beiordnung als Zeugenbeistand für H diesen bereits in dem eigenen Verfahren gegen H umfassend vertreten und verteidigt. Dementsprechend war er über das Verfahren und die Situation des Zeugen vollständig informiert; eine erhebliche zusätzliche Einarbeitung war für die Tätigkeit als Zeugenbeistand daher nicht erforderlich. Die vom Erinnerungsführer dargelegten Vorgespräche rechtfertigen nach Auffassung der Kammer insoweit keine andere Beurteilung. Sinn und Zweck der Beiordnung des Rechtsanwaltes als Zeugenbeistand ist gerade die Interessenwahrnehmung des Mandanten als zur Wahrheit verpflichteten und ggf. zeugnis- oder aussageverweigerungsberechtigten Zeugen. Sie sind damit naturgemäßer Teil der neben der Verteidigung erfolgten Einzeltätigkeit gem. Ziff. 4301 Nr. 4 VV RVG.

Nach Auffassung der Kammer liegt in diesem Fall, in dem der Beistand den Zeugen ohnehin wegen der Tat im prozessualen Sinne verteidigt hat, zu der der Zeuge aussagen soll, nur eine Einzeltätigkeit vor und ist auch nur eine solche hier abrechnungsfähig und zu vergüten.

Die hier vertretene Auffassung entspricht der Subsidiaritätsklausel in Absatz 1 der Vorbemerkung 4.3 zu Teil 4 Abschnitt 3 (Einzeltätigkeiten) VV RVG, wonach die Gebühren für diese Einzeltätigkeiten nur dann entstehen, wenn dem Rechtsanwalt nicht die sonstige Verteidigung oder Vertretung übertragen ist. Im Zusammenspiel mit der Anrechnung nach Absatz 4 jener Vorbemerkung, wonach die nach diesem Abschnitt (Teil 4 Abschnitt 3 VV RVG) entstandenen Gebühren auf die für die Verteidigung oder Vertretung entstehenden Gebühren angerechnet werden, ergibt sich, dass der Rechtsanwalt nicht zweimal für ein und dieselbe Tätigkeit vergütet werden soll. Nur soweit seine Tätigkeit als Einzeltätigkeit anzusehen ist und als solche über den regelmäßigen Rahmen der Verteidigung hinausgeht, rechtfertigt sie die gesonderte Vergütung.

III.

Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.

RechtsgebietRVGVorschriftenTeil 4 Abschnitt 3 VV RVG

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