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14.12.2006 · IWW-Abrufnummer 063666

Oberlandesgericht Koblenz: Urteil vom 12.10.2006 – 5 U 456/06

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Geschäftsnummer: 5 U 456/06
10 O 553/03 LG Koblenz

Verkündet am 12. Oktober 2006

OBERLANDESGERICHT KOBLENZ

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

In dem Rechtsstreit XXX

hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Kaltenbach sowie die Richter am Oberlandesgericht Dr. Menzel und Weller
auf die mündliche Verhandlung vom 28. September 2006

für R e c h t erkannt:

Auf die Berufung der Klägerin wird der Beklagte unter Aufhebung des Urteils der 10. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 3. März 2006 verurteilt, an die Klägerin 9.933,32 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Dezember 2003 zu zahlen; das weitergehende Rechtsmittel wird unter Abweisung der Klage im Übrigen zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/10 und der Beklagte 9/10.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.


E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

I. Die Klägerin macht als gesetzliche Krankenversicherung auf sie übergegangene Ansprüche einer Patientin gegen den Beklagten geltend. Anknüpfungspunkt dafür ist ein laparoskopischer Eingriff, den dieser am 17. September 1999 durchführte. Danach wurden in der Zeit von Oktober 1999 bis August 2000 stationäre und ambulante urologische Folgebehandlungen erforderlich, die durch eine Harnleiterläsion veranlasst waren. Für deren Kosten macht die Klägerin den Beklagten verantwortlich. Insoweit steht ein Gesamtbetrag von 11.080,25 EUR in Rede. Er ist nebst Zinsen Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Die Patientin hatte sich bereits längerfristig in der gynäkologischen Behandlung des Beklagten befunden. 1992 war ihr eine Zyste am rechten Eierstock entfernt worden. Vier Jahre später gab es in beiden Ovarialbereichen eine neue Zystenbildung. Während sich die linke Zyste konservativ reduzieren ließ, wuchs die rechte an. Daraufhin entfernte sie der Beklagte bei dem streitigen Eingriff. Der Versuch, dies schon 1996 zu tun, war an Verwachsungen gescheitert.

Der schlechte Zustand der Patientin veranlasste eine Revisionsoperation, die am 20. September 1999 von anderer Seite vorgenommen wurde. Dabei zeigte sich, dass der Dünndarm in seiner terminalen Schlinge perforiert war.

Die Klägerin hat dem Beklagten vorgeworfen, den Eingriff vom 17. September 1999 ohne hinreichende Aufklärung über dessen Risiken und über alternative Behandlungsmethoden durchgeführt zu haben. Tatsächlich sei es verfehlt gewesen, laparaskopisch vorzugehen. Statt dessen sei im Hinblick auf die bei der Patientin vorhandenen Verwachsungen ein offener Bauchschnitt angezeigt gewesen, wenn man nicht überhaupt von einer Operation abgesehen und lediglich hormonell behandelt hätte. Wäre der Beklagte entsprechend verfahren, hätte es die Verletzungen am Dünndarm und am Harnleiter mit deren Folgekosten nicht gegeben.

Das Landgericht hat die Klage nach der Befragung eines Sachverständigen abgewiesen. Es hat gemeint, dass die Entfernung der Zyste indiziert gewesen sei und der dafür vom Beklagten eingeschlagene Weg in dessen Ermessen gelegen habe. Der Eingriff vom 17. September 1999 sei fachgerecht erfolgt. Problematisch sei allein gewesen, dass der Beklagte eine Verresnadel ohne vorherige Inzision der Haut eingeführt habe. Das könne jedoch nicht ohne weiteres als fehlerhaft angesehen werden und sei auch letztlich nicht für die Schädigung der Patientin verantwortlich zu machen. Zudem sei zweifelhaft, ob der Harnleiter überhaupt schon am 17. September 1999 verletzt worden sei.

Diese Entscheidung greift die Klägerin in Erneuerung ihres erstinstanzlichen Verlangens an. Sie räumt jetzt zwar ein, dass die Zyste 1999 habe entfernt werden müssen, hält aber daran fest, dass dies ? zumal angesichts des damaligen Stands der medizinischen Technik und der Erfahrung des Beklagten ? nicht wie geschehen laparoskopisch hätte passieren dürfen. Schon deshalb hafte der Beklagte für die Folgen des Eingriffs; das sei nicht nur die Dünndarmperforation, sondern jedenfalls mittelbar auch die Harnleiterläsion. Darüber hinaus treffe den Beklagten der Vorwurf mangelhafter Aufklärung, weil er die Möglichkeiten und Risiken einer Laparoskopie und einer Laparotomie nicht gegenüberstellend aufgezeigt habe. Dem tritt der Beklagte entgegen und verteidigt die klageabweisende erstinstanzliche Entscheidung.

II. Die Berufung der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einem weitgehenden Zuspruch der Klage.

Der Beklagte schuldet der Klägerin auf der Grundlage von § 116 SGB X, §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB Schadensersatz für die Kosten der beiden stationären Aufenthalte der Patientin in der Urologischen Klinik der Universität ? im Oktober 1999 und im Januar 2000 sowie der dort im August 2000 ambulant durchgeführten Harnwegskontrolle. Deren Summe ist durch die von der Klägerin vorgelegten Einzelrechnungen hinreichend nachgewiesen. Die Rechnungen belaufen sich auf 5.368,93 DM, 13.825,96 DM und 233,00 DM. Das entspricht ? abweichend von der Berechnung der Klägerin, die zu 11.080,25 EUR gelangt ist ? insgesamt 9.933,32 EUR, die der Beklagte zu erstatten hat. Dazu kommen gemäß § 291, 288 Abs. 1 BGB Rechtshängigkeitszinsen.

Die vorgenannten Kosten sind, wie der Beklagte nicht in Abrede gestellt hat, Folge der Harnleiterverletzung der Patientin, die in zwei operativen Schritten behoben werden musste. Für diese Verletzung ist der Beklagte verantwortlich. Dabei kann auf sich beruhen, ob sie ? gemäß der Vermutung des gerichtlichen Sachverständigenständigen Dr. S... ? unmittelbar bei dem Eingriff vom 17. September 1999 entstand oder ? was Dr. S... daneben nicht ausgeschlossen hat ? erst im Zuge der Revisionsoperation vom 20. September 1999 herbeigeführt wurde (vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl., vor § 249 Rn. 73). Denn diese Operation wäre ohne den Eingriff vom 17. September 1999 nicht erfolgt. Sie war durch ihn bedingt, weil der Beklagte dabei, wie Dr. S... und darüber hinaus auch der Sachverständige Dr. K? in seinem nach § 411 a ZPO verwertbaren Gutachten im Rechtsstreit zwischen der Patientin und dem Beklagten bemerkt haben, die terminale Dünndarmschlinge perforiert hatte und die Revisionsoperation lediglich wegen der damit verbundenen Beeinträchtigungen erforderlich wurde.

Die nach alledem schadensauslösende Darmperforation ist dem Beklagten haftungs-rechtlich anzulasten. Das beruht einmal darauf, dass sie im Zuge einer nicht gänzlich lege artis durchgeführten Laparoskopie zustande kam, und ergibt sich des Weiteren ?unabhängig davon ? daraus, dass der Laparoskopie keine wirksame Patienteneinwilligung zugrunde lag.

Dr. S... hat in seinem schriftlichen Gutachten (dort S. 13 = Bl. 118 GA) die Einschränkung gemacht, dass der Beklagte die Patientin nur ?im Wesentlichen nach den Regeln der ärztlichen Kunst behandelt? habe und ?kein wesentlicher Behandlungsfehler? vorliege. Diese Einschränkung hat er damit begründet, dass der Einstich der Verresnadel ohne vorherigen Hautschnitt ?nicht nachvollziehbar? sei. So sei das Risiko einer Darmverletzung unnötig erhöht worden (S. 15 des Gutachtens = Bl. 120 GA). Davon ist Dr. S... auch bei seiner mündlichen Befragung nicht abgerückt. Er hat lediglich zu erwägen gegeben, dass die Verresnadel im konkreten Fall auf einen geringeren Hautwiderstand als üblich gestoßen sein könnte, weil die Patientin im Einstichbereich vernarbt gewesen sei. Das war jedoch eine bloße Spekulation (?dazu habe ich keine Erfahrung?, S. 2 des Terminsprotokolls = Bl. 167 GA) und erst recht nicht dahin zu verstehen, dass aufgrund der Narbenbildung jedweder Widerstand gefehlt habe und die Verresnadel ebenso gängig hätte gesetzt werden können, wie dies nach einem Hautschnitt der Fall gewesen wäre.

Freilich hat Dr. S... seine Beurteilung, es sei infolge der Verfahrensweise des Beklagten dann auch zu einer Läsion des Dünndarms gekommen, durch die ergänzende Einschätzung relativiert, dass die eingetretene Verletzung ebenfalls beim Eindringen der Verresnadel nach einem Hautschnitt hätte entstehen können (S. 13 des Gutachtens = Bl. 118 GA). Das entlastet den Beklagten jedoch nicht, weil damit auf ein mögliches rechtmäßiges Alternativverhalten abgehoben wird, das die Haftung nur dann ausschließt, wenn sicher feststeht, dass es ? über die von Dr. S... in den Raum gestellte bloße Möglichkeit hinaus ? mit Sicherheit die selbe Schadensfolge gehabt hätte (Heinrichs, a. a. O. vor § 249 Rn. 107). Eben das ist aber nach den von Dr. S... vermittelten Erkenntnissen nicht zu ersehen.

Außerdem sind dem Beklagten die Folgen des Eingriffs vom 17. September 1999 auch deshalb zuzurechnen, weil er ihn ohne genügende Aufklärung der Patientin vornahm. Es ist außer Streit, dass er die Ovarialzyste von vornherein auf laparoskopischem Weg entfernen und nur im Notfall auf eine Laparotomie ?umstellen? wollte. Im Sinne einer echten Alternative bot er die Laparotomie aber nicht an. Das aber hätte er ? unabhängig davon, ob es sich dabei, wie die Klägerin meint, um die deutlich vorzugswürdige Vorgehensweise handelte ? tun müssen, weil eine Laparoskopie jedenfalls nicht von vornherein die Methode der Wahl war und ihr eine Laparotomie zumindest mehr oder weniger gleichwertig gegenüberstand. Das hat Dr. S... mit dem Hinweis darauf, dass es insoweit keine allgemeinen Präferenzen gebe (S. 10 und 15 seines Gutachtens = Bl. 115 und 120 GA), dargelegt und das sieht auch der Beklagte nicht anders (zuletzt noch Berufungserwiderungsschrift S. 8 = Bl. 234 GA).

Der Beklagte wäre nur dann davon befreit gewesen, die Patientin auf die Möglichkeit einer Laparotomie hinzuweisen, wenn die von ihm gewählte Laparoskopie die standardmäßige Verfahrensweise gewesen wäre (BGHZ 102, 17, 22). Da sich eine Laparotomie jedoch als konkrete Alternative mit verschiedenen Belastungen und Erfolgschancen anbot, musste er die Patientin darüber unterrichten, damit diese selbst prüfen konnte, was in ihrer persönlichen Situation sinnvoll war und worauf sie sich einlassen wollte (BGH a. a. O.; BGH VersR 1988, 190, 191; OLG-R Hamburg 2000, 250; OLG Köln VersR 1999, 1498; OLG Naumburg VersR 2004, 1460).

Da dies nicht geschehen ist, fehlt es an einer den Eingriff legitimierenden Einwilligung der Patientin. Dass diese ihre Zustimmung, so wie erfolgt, auch im Fall der gebotenen Aufklärung erteilt hätte, ist mit dem bloßen Hinweis auf deren allgemeines Interesse an einer ambulanten Behandlung nicht hinreichend dargetan. Überdies hat die Klägerin eine solche hypothetische Einwilligung mit dem plausiblen Einwand in Abrede gestellt, dass sie sich bei entsprechenden Informationen noch anderweit hätte beraten lassen, um erwägen zu können, ob sie sich tatsächlich dem Beklagten als niedergelassenem Arzt anvertrauen würde.

Nach alledem dringt die Berufung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang durch.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

Rechtsmittelstreitwert: 11.080,25 EUR.

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