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05.05.2006 · IWW-Abrufnummer 061313

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 20.09.2005 – 3 Ss OWi 610/05

Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot bedarf aber einer eingehenden Begründung und ist mit ausreichenden Tatsachen zu belegen.


Beschluss

Bußgeldsache

gegen P.D.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 30. Mai 2005 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 09. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin (§ 80 Abs. 1 OWiG n.F.) nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft sowie des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 30. Mai 2005 wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Bottrop zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Bottrop hat den Betroffenen durch das angefochtene Urteil vom
30. Mai 2005 wegen fahrlässiger Geschwindigkeitsüberschreitung außerhalb geschlossener Ortschaft um 41 km/h zu einer Geldbuße von 200,- ¤ verurteilt.

Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 21.08.2004 gegen 13.18 Uhr mit dem PKW VW seiner Ehefrau (amtliches Kennzeichen: XXXXXX), die BAB 42 von Duisburg in Fahrtrichtung Dortmund, wobei er die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um - nach Abzug eines Toleranzwertes von 3 % = 4 km/h - 41 km/h überschritt.

In den Urteilsgründen wird im Anschluss an die Feststellungen und die Beweiswürdigung zu den Rechtsfolgen Folgendes ausgeführt:

"Der Bußgeldkatalog sieht bei einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften eine Geldbuße in Höhe von 100,-- EUR und ein Fahrverbot von einem Monat vor.

Die Verhängung eines Fahrverbotes wäre eine Härte ganz außergewöhnlicher Art. Der Betroffene ist Werkleiter des Eigenbetriebs der Stadt M. Grün und Wald als Rechtsnachfolger des Grünflächenamtes. Er ist zuständig für die gesamte Grünflächenpflege der Stadt M. (Städtischer Walder, Friedhöfe, Grünflächen aller Art). Aufgabe des Betroffenen ist der Einsatz, die Kontrolle und die Beaufsichtigung der Mitarbeiter. Die Grünflächen sind über das gesamte Stadtgebiet M. verteilt. Dem Betroffenen steht ein Dienstwagen (ohne Fahrer) zur Verfügung, um die auf das Stadtgebiet verteilten Einsatzstellen abzufahren. Ein zusammenhängender Urlaub läßt sich mit den Führungsaufgaben des Betroffenen nicht vereinbaren.

Der Betroffene ist nicht vorbelastet. Er ist im Besitz der Fahrerlaubnis seit mehr als 30 Jahren.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ist von der Verhängung eines Fahrverbotes unter gleichzeitiger Verdoppelung der Geldbuße abgesehen worden."

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes richtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Essen beigetreten.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.

Die Urteilsgründe genügen den Anforderungen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung an die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu stellen sind. Daher ist die von der Staatsanwaltschaft Essen ausgesprochene Beschränkung des Rechtsmittels auf den Rechtsfolgenausspruch wirksam. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sind - nur - erforderlich die Angabe des Messverfahrens und des berücksichtigten Toleranzwertes, soweit die Überzeugung des Tatrichters von der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf mit anerkannten Geräten in weithin standardisierten Verfahren gewonnenen Messergebnissen beruht (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 3 StVO, Rdnr. 56 b m.w.N.). Im übrigen hat sich hat der Betroffene vorliegend geständig eingelassen.

Jedoch kann der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben. Denn die Erwägungen des Gerichts rechtfertigen weder für sich genommen noch unter Gesamtwürdigung aller Umstände das Absehen von der Verhängung eines gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BKatV bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 41 km/h gemäß der lfd. Nr. 11.3.7 der Tabelle c des Anhangs zu Nr. 11 der Anlage zu § 1 Abs. 1 BKatV regelmäßig vorgesehenen Fahrverbots von einem Monat. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz der Verwirklichung eines Regeltatbestandes der Bußgeldkatalogverordnung der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass von einem Fahrverbot abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (BGH NZV 1992, 286 (287)). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen eingeräumt, das nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin von dem Beschwerdegericht überprüfbar wäre, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsbeschlüsse vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; vom 22.08.2002 - 3 Ss OWi 620/02 -). Zwar kann in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass durch die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbotes der Arbeitsplatz oder eine sonstige wirtschaftliche Existenzgrundlage des Betroffenen gefährdet wäre, das Absehen von einem Fahrverbot begründen (Senatsbeschlüsse vom 13.11.2001 - 3 Ss OWi 951/01 - und vom 22.08.2002 - 3 Ss OWi 620/02 -). Eine solche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen hat das Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss jedoch gerade nicht festgestellt.

Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot bedarf aber einer eingehenden Begründung und ist mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 06.12.2001 - 3 Ss OWi 975/01 -; vom 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; OLG Hamm NZV 1996, 118). Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Die Ausführungen des Amtsgerichts zu der Tätigkeit des Betroffenen als Werkleiter des Eigenbetriebs der Stadt M. Grün und Wald, des Inhaltes seiner Tätigkeit und des Umstandes, dass zusammenhängender Urlaub nicht mit den Führungsaufgaben des Betroffenen vereinbar sei, ist hierzu nicht ausreichend. Eine existenzielle Gefährdung ergibt sich aus diesen Ausführungen noch nicht, denn es fehlt an konkreten Darlegungen, für welchen zusammenhängenden Zeitraum der Arbeitgeber bereit - letztlich auch verpflichtet ist - Urlaub zu gewähren, ob der Betroffene die den Urlaub überschreitende Restzeit des Fahrverbotes durch eine andere Tätigkeit, die nicht das Führen von Kraftfahrzeugen erfordert, überbrücken kann und ob eine gleichwohl erfolgende Verhängung des Fahrverbotes eine Kündigung nach sich ziehen würde. Die tatrichterliche Überzeugung darf nicht ausschließlich aus einer wenig aussagekräftigen und nicht näher belegten Einlassung des Betroffenen abgeleitet werden. Vielmehr müssen - ggf. unter Ladung von Zeugen - die näheren Auswirkungen des Fahrverbotes ermittelt und in die Erwägungen einbezogen werden, was vorliegend den Urteilsgründen nicht hinreichend entnommen werden kann (vgl. Senatsbeschluss vom 18.03.2004 - 3 Ss OWi 11/04 -; OLG Hamm, Beschluss vom 04.02.2001 - 1 Ss OWi 776/01 -; Hentschel, a.a.O., § 25 StVG Rdnr. 25 u. 26 m.w.N.). Derartig - überprüfte - Folgen, die dem Verlust der wirtschaftlichen Existenz gleichstehen und damit eine Härte außergewöhnlicher Art zu begründen vermögen, hat das Amtsgericht nicht festgestellt. Es fehlen in diesem Zusammenhang insbesondere Ausführungen dazu, ob es dem Betroffenen durch zumutbare Maßnahmen, etwa die Finanzierung eines Fahrers für einen Teil der Dauer des Fahrverbotes, die nicht durch Urlaub überbrückt werden kann, möglich und zumutbar ist, die beruflichen Folgen abzumildern. Von einer grundsätzlichen Zumutbarkeit eines entsprechenden finanziellen Aufwandes - notfalls auch unter Aufnahme eines Kredites - geht die Rechtsprechung regelmäßig aus, wenn der Betroffene - wie den Urteilsgründen zu entnehmen ist - in geregelten finanziellen Verhältnissen lebt (vgl. Senatsbeschluss vom 02. August 2005 - 3 Ss OWi 468/05; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312 ff.; BayObLG NZV 2022, 143). Berufliche oder finanzielle Nachteile sind von dem Betroffenen regelmäßig hinzunehmen. Andernfalls wäre die Verhängung eines Fahrverbotes gegen Betroffene, die beruflich auf ihr Fahrzeug angewiesen sind, praktisch ausgeschlossen.

Da zu erwarten ist, dass das Amtsgericht zu den Folgen eines Fahrverbots für den Betroffenen weitergehende Feststellungen treffen kann, kann der Rechtsfolgenausspruch, der wegen der Wechselwirkung von Bußgeldhöhe und Fahrverbot insgesamt aufzuheben ist, keinen Bestand haben. Die Sache war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Bottrop zurückzuverweisen.

RechtsgebietStPOVorschriftenStPO § 267

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