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21.04.2006 · IWW-Abrufnummer 061129

Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 19.01.2005 – 20 U 186/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 05.07.2004 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Essen abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.382,83 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.07.2003 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Versicherungsleistungen aus einer Vollkaskoversicherung in Anspruch.

Die Klägerin war Leasingnehmerin des Pkw Opel Astra G Caravan Selection mit dem amtlichen Kennzeichen ###########, für den bei der Beklagten eine Fahrzeugvollversicherung genommen worden war.

Mit dem versicherten PKW verunfallte ein Mitarbeiter der Klägerin am 16./17.02.2003 in N auf der B-Straße als berechtigter Fahrer. Das Fahrzeug wurde stark beschädigt.

Der Schaden (Wiederbeschaffungswert ./. Restwert) betrug unstreitig 5.714,83 EUR. Unstreitig geworden ist im Laufe des Rechtsstreits überdies, daß im Versicherungsvertrag eine Selbstbeteiligung in Höhe von 332,00 EUR vereinbart ist.

Der Fahrer des versicherten PKW benachrichtigte nach dem Unfall nicht die Polizei, sondern begab sich mit dem Wagen von der Unfallstelle zu seiner Wohnung in der H-Straße in F. Ein Nachbar, der Zeuge N, beobachtete, wie das verunfallte Fahrzeug in der H-Straße etwa um Mitternacht in einer ihm auffälligen Weise bewegt wurde und verständigte die Polizei. Diese suchte die Umgebung ab, ermittelte den Unfallort und leitete zunächst ein Ermittlungsverfahren gegen den Fahrer L wegen Unfallflucht ein (343 Js 632/03 StA Duisburg), das jedoch mangels Fremdschaden schließlich am 16.05.2003 eingestellt wurde.

Von den polizeilichen Ermittlungen erfuhr der Geschäftsführer der Klägerin am 18.02.2003, als die Polizei sich von ihm den Fahrzeugschlüssel für das verunfallte Fahrzeug aushändigen ließ.

Die Beklagte erlangte durch eine telefonische Anfrage der Polizei am 26.02.21003 Kenntnis von dem Unfall selbst und von den polizeilichen Ermittlungen.

Unter dem 26.02.2003, bei der Beklagten eingegangen am 04.03.2003, erstattete die Klägerin eine Schadenanzeige, in der sie einen Unfall vom 16.02.2003 meldete. Die Frage danach, ob der Unfall polizeilich aufgenommen wurde, wurde verneint.

Mit Schreiben vom 21.03.2003 fragte die Beklagte bei der Klägerin an, warum die Polizei nicht zu dem Unfall hinzugezogen wurde. Die Klägerin gab zur Antwort, die Polizei sei nicht gerufen worden, weil kein fremder Schaden entstanden sei.

Die Beklagte warf der Klägerin vor, die polizeilichen Ermittlungen verschwiegen zu haben und lehnte die Entschädigung aus der Vollkaskoversicherung mit Schreiben vom 08.07.2003 mit der Begründung ab, die Klägerin habe die ihr obliegende Aufklärungspflicht verletzt.

Die Klägerin hat zunächst 5.714,83 EUR eingeklagt und nach Antragstellung die Klage in Höhe des vereinbarten Selbstbehalts von 332,00 EUR teilweise zurückgenommen.

Sie hat zu dem Unfallhergang vorgetragen und zu der ihr vorgeworfenen Verletzung ihrer Aufklärungspflicht behauptet, sie habe die Frage nach einer polizeilichen Unfallaufnahme dahin verstanden, daß sie nur nach einer polizeilichen Unfallaufnahme am Unfallort gefragt werde, nicht aber nach dem gegen den Fahrer eingeleiteten Ermittlungsverfahren wegen Unfallflucht.

Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt und u.a. behauptet, der Geschäftsführer der Klägerin habe nicht nur in seiner Schadenanzeige vom 26.02.2003 eine polizeiliche Unfallaufnahme verneint, sondern auch wahrheitswidrig in einem späteren Telefongespräch mit ihrem Mitarbeiter K in Abrede gestellt, daß die Polizei mit dem Unfall befaßt sei.

Das Landgericht hat die Zeugen K, B und N vernommen und sodann die Klage abgewiesen, weil sich die Beklagte wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht zu Recht auf Leistungsfreiheit gemäß § 6 III VVG i.V.m. § 7 I Abs. 2 S. 3, 5, V Abs. 4 AKB berufen habe. Auf den Inhalt des am 05.07.2004 verkündeten Urteils wird wegen der Begründung sowie wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz Bezug genommen.

Die Klägerin greift das Urteil mit der Berufung an, verfolgt ihr Klageziel weiter und macht geltend, die Beklagte sei nicht aufklärungsbedürftig gewesen, da sie bereits Kenntnis von den polizeilichen Ermittlungen gehabt habe, deren Nichtangabe sie ihr, der Klägerin, anlaste.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivortrags wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie deren Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat den Geschäftsführer der Klägerin persönlich gehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk zur mündlichen Verhandlung vom 19.01.2005 verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig und begründet.

Sie führt zur Abänderung des landgerichtlichen Urteils im beantragten Umfang.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf Entschädigung aus der Vollkaskoversicherung in Höhe des zuerkannten Betrages von 5.382,83 EUR (5.714,83 EUR ./. Selbstbeteiligung von 332,00 EUR) zu (§§ 1 Abs. I s. 1 VVG, 12 (1)II. e) AKB).

1. Entgegen der vom Landgericht vertretenen Auffassung ist der Klägerin keine Verletzung ihrer Aufklärungsobliegenheit anzulasten, die zur Leistungsfreiheit führen würde (§ 6 Abs. III VVG i.V.m § 7 I Abs. 2 Satz 3, 5, V Abs. 4 AKB).

Der Senat unterstellt mit dem Landgericht, daß der Geschäftsführer der Klägerin die Frage in dem Schadenformular nach einer polizeilichen Unfallaufnahme dahin verstanden hat, daß nur die eigentliche Unfallaufnahme vor Ort durch die Polizei erfragt worden war, die unstreitig nicht stattgefunden hat.

Dem Landgericht ist dahin zu folgen, daß die Klägerin gleichwohl gehalten war, der Beklagten die polizeilichen Ermittlungen anzugeben, denn die Aufklärungsobliegenheit beschränkt sich nicht auf die bloße Beantwortung der im Schadenformular formulierten Fragen. Die Klägerin hätte deshalb spätestens am 26.03.2003 in dem aus Anlaß der schriftlichen Anfrage der Beklagten vom 21.03.2003 geführten Telefongespräch ihres Geschäftsführers mit dem Zeugen K auf dessen Frage, ob die Polizei mit dem Unfall überhaupt befaßt sei, das Ermittlungsverfahren offenbaren müssen.

Die - möglicherweise auch bewußt - wahrheitswidrige Verneinung dieser Frage führt allerdings entgegen der vom Landgericht vertretenen Meinung nicht zur Leistungsfreiheit der Beklagten, da diese schon am 26.02.2003, mithin vor Eingang der Schadenanzeige der Klägerin, positive Kenntnis von den polizeilichen Ermittlungen hatte. Deshalb kann im Ergebnis offenbleiben, ob das Telefongespräch vom 26.03.2003 mit dem von dem Zeugen K bekundeten Inhalt stattgefunden hat, was der Geschäftsführer der Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in Abrede gestellt hat.

Die positive Kenntnis erfragter Umstände steht einem Recht des Versicherers auf Leistungsfreiheit wegen einer Verletzung von Auskunftspflichten auch dann entgegen, wenn die Frage nach relevanten Umständen vorsätzlich falsch beantwortet worden ist.

Richtig ist zwar der Ansatz des Landgerichts, daß § 33 Abs. II VVG auf die Aufklärungspflicht nicht, auch nicht entsprechend, anwendbar ist (so schon BGH, Urt.v. 24.06.1981 - IV a ZR 133/80 - VersR 1982, 182).

Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats die Folge der Leistungsfreiheit wegen einer Verletzung der Auskunftspflicht nur solange gerechtfertigt, wie der Versicherer selbst noch keine Kenntnis der erfragten Umstände besitzt (Senat, Urt.v. 21.03.1990 - 20 U 207/89 NJW-RR 1990, 1310; Urt.v. 12.02.1992 - 20 U 89/91 - r+s 1993, 442 [443]). Denn Sinn der Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers ist es, den Versicherer in die Lage zu versetzen, sachgerechte Entschließungen über die Behandlung des Versicherungsfalls zu treffen. Die Aufklärungspflicht setzt somit ein Aufklärungsbedürftnis des Versicherers voraus, das bei positiver Kenntnis vom Versicherungsnehmer falsch beantworteter oder verschwiegender Umstände fehlt. Deshalb sind in einem solchen Fall falsche Angaben eines Versicherungsnehmers nicht als Aufklärungspflichtverletzung zu werten, da es nicht gerechtfertigt ist, die Sanktion des Anspruchsverlustes eintreten zu lassen, wenn schutzwürdige Interessen des Versicherers nicht berührt werden (Senat, aaO.).

Die Entscheidungen des Senats haben Zustimmung erfahren (Knappmann in Prölss/Martin, AKB, § 7 Rn.10; Römer in Römer/Langheid, VVG, § 6, Rn. 20; Versicherungsrechts-Handbuch/Marlow, § 13 Rn. 21; Terbille Versicherungsrecht, § 2 Rn. 282 sowie § 9, Rn. 249; kritisch allerdings Prölss in Prölss/Martin, VVG, § 34 Rn. 11).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Die Beklagte hatte mithin aus den dargelegten Gründen wegen ihrer positiven Kenntnis von den polizeilichen Ermittlungen kein Aufklärungsbedürfnis. Deshalb kann sie sich nicht auf ein Recht zur Leistungsfreiheit berufen; das gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer der Klägerin die polizeilichen Ermittlungen gegen den Fahrer L bewußt verschwiegen hat.

1. Aus dem Verhalten des Fahrers L kann die Beklagte ebenfalls kein Recht zur Leistungsverweigerung herleiten. Es ist nicht ersichtlich, daß der Fahrer L etwa Repräsentant der Klägerin war. Die Beklagte ist darlegungs- und beweisbelastet für die tatsächlichen Umstände, aus denen sie eine Repräsentantenstellung ableiten oder begründen will. Trotz eines ihr mit der Ladungsverfügung erteilten Hinweises hat sie keine Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt, die geeignet wären, eine Repräsentantenstellung des L zu begründen.

2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 286, 288 I BGB, §§ 92 Abs. II, 708 Nr. 10 ZPO; die Kostenentscheidung berücksichtigt den Umstand, daß die Klagerücknahme hinsichtlich der anfänglichen Zuvielforderung von 332,00 EUR verhältnismäßig gering war und keine besonderen Kosten verursacht hat.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlaßt (§ 543 ZPO n.F.).

RechtsgebieteVVG, AKBVorschriftenVVG § 6 III VVG § 33 Abs. II AKB § 5 AKB § 5 Abs. 4 AKB § 7 I Abs. 2 S. 3

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