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05.04.2006 · IWW-Abrufnummer 061003

Oberlandesgericht Zweibrücken: Beschluss vom 23.02.2006 – 3 W 6/06

1. Zu den Anforderungen an die Kenntnis des gesetzlichen Erben vondem Anfall und dem Grunde der Berufung für den Beginn der Frist zur Ausschlagung der Erbschaft.



2. Zur Anfechtung der Versäumnis der Ausschlagungsfrist, wenn die Erbschaft wegen Verstreichens der für die Ausschlagung vorgeschriebenen Frist als angenommen gilt.


Pfälzisches Oberlandesgericht
Zweibrücken
Beschluss

Aktenzeichen:
3 W 6/06

In dem Verfahren

betreffend die Erteilung eines Erbscheins über die Erbfolge nach der am 13. Dezember 2003 in K....., ihrem letzten Wohnsitz, verstorbenen A...... M.... H...... geb. H........., geboren am ...........,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Dury und die Richter am Oberlandesgericht Petry und Jenet auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1) vom 12./13. Januar 2006 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 14. Dezember 2005

ohne mündliche Verhandlung

am 23. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

I. Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Geschäftswertfestsetzung aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird das Verfahren zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung, auch über die etwaige Erstattung außergerichtlicher Kosten im Verfahren der weiteren Beschwerde, an das Landgericht Koblenz zurückverwiesen.

II. Der Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 13 361,-- ¤ festgesetzt.

Gründe:

I.

Die verwitwete Erblasserin ist am 13. Dezember 2003 im Alter von 89 Jahren verstorben. Der im Jahre 1950 geborene Beteiligte zu 1) ist das jüngste ihrer drei Kinder aus erster Ehe. Die Beteiligte zu 2) ist Gläubigerin eines gegenüber der Erblasserin zu Lebzeiten durch bestandskräftigen Bescheid festgesetzten Rückforderungsanspruchs wegen zu Unrecht ausgezahlter Rentenleistungen in Höhe von restlich 13 361,-- ¤.

Im Zuge der Nachforschungen des Nachlassgerichts zur Ermittlung der Erben ist eine letztwillige Verfügung der Erblasserin nicht bekannt geworden.

Mit Schreiben vom 11. März 2004 teilte der Rechtspfleger des Nachlassgerichts dem Beteiligten zu 1) mit, dass seine Geschwister die Erbschaft ausgeschlagen und als Begründung dafür eine Überschuldung des Nachlasses angegeben hätten. Im Weiteren lautet der Formulartext des Anschreibens - auszugsweise - wie folgt:

"Soweit bekannt ist, dürfte Ihnen damit die Erbschaft angefallen sein. Falls Sie die Erbschaft nicht annehmen (ausschlagen) wollen, kann dies nur binnen einer Frist von 6 Wochen seit Kenntnis von dem Anfall und dem Grund der Berufung erfolgen. Die Frist beginnt bei testamentarischer Erbfolge frühestens mit der Testamentseröffnung, spätestens jedoch mit Erhalt dieses Schreibens. Sie kann nicht verlängert werden und führt nach Ablauf grundsätzlich zur Annahme der Erbschaft. Die Ausschlagungserklärung kann zur Niederschrift des Nachlaßgerichts (Amtsgericht Koblenz) oder in öffentlich beglaubigter Form (Unterschriftsbeglaubigung durch Notar oder - in Rheinland-Pfalz - auch durch die Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung) erfolgen ..."

Mit eigenhändigem Brief vom 9. April 2004, beim Nachlassgericht eingegangen am 14. April 2004, antwortete der Beteiligte zu 1) dahin, dass er "die Nachlasssache (ablehne)".

Der Nachlassrechtspfleger wies den Beteiligten zu 1) mit Schreiben vom 15. April 2004 auf die Formunwirksamkeit der von ihm erklärten Erbausschlagung hin. Das gerichtliche Schreiben belehrt nochmals über den Regelungsinhalt der §§ 1944, 1945 BGB und enthält folgenden Satz:

"Die Ausschlagserklärung muss innerhalb der Ausschlagungsfrist bei dem Nachlassgericht vorliegen."

Am 18. Mai 2004 ging beim Nachlassgericht eine notariell beglaubigte Erklärung des Beteiligten zu 1) vom 20. April 2004 ein, worin dieser die Erbschaft aus allen Berufungsgründen ausschlägt. Mit weiterem Schreiben vom 27. August 2004, beim Nachlassgericht eingegangen am 30. August 2004, hat der Beteiligte zu 1) in notariell beglaubigter Form die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist erklärt.

Die Beteiligte zu 2) hat zum Zwecke der Zwangsvollstreckung am 12. Januar 2005 gemäß § 792 ZPO die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der bezeugen soll, dass die Erblasserin aufgrund gesetzlicher Erbfolge von dem Beteiligten zu 1) allein beerbt worden ist.

Gegen die durch Vorbescheid angekündigte Absicht des Nachlassgerichts, dem Erbscheinsantrag entsprechen zu wollen, hat der Beteiligte zu 1) Beschwerde eingelegt, die beim Landgericht ohne Erfolg geblieben ist. Die Zivilkammer hat ihre Entscheidung - übereinstimmend mit dem Amtsgericht - zusammengefasst im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Beteiligte zu 1) sei gesetzlicher Erbe geworden, weil im Zeitpunkt des Eingangs der formgültigen Ausschlagungserklärung beim Nachlassgericht am 18. Mai 2004 die mit Zugang des gerichtlichen Schreibens vom 11. März 2004 in Lauf gesetzte Ausschlagungsfrist von sechs Wochen abgelaufen gewesen sei. Zwar könne die verspätete Vorlage der formwirksamen Ausschlagungserklärung als Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gewertet werden; es fehle jedoch an einem Anfechtungsgrund, weil nach den Gesamtumständen des Falles der Beteiligte zu 1) keiner Fehlvorstellung über die bei der Ausschlagung einzuhaltenden Formalien unterlegen sein könne.

Demgegenüber wiederholt der Beteiligte zu 1) mit der Rechtsbeschwerde sein Tatsachenvorbringen, wonach er davon ausgegangen sein will, dass er die Erbausschlagung bereits mit der Beglaubigung seiner entsprechenden Erklärung beim Notar bewirkt habe. In diesem Sinne habe er die gerichtlichen Anschreiben vom 11. März und 15. April 2004 verstanden, und er sei auch seitens des Notariats nicht darauf hingewiesen worden, dass er die ihm ausgehändigte Ausschlagungsurkunde noch an das Nachlassgericht übermitteln müsse.

II.

Die weitere Beschwerde ist statthaft (§ 27 Abs. 1 FGG), nicht an eine Frist gebunden und auch im Übrigen verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden (§ 29 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGG). Die Berechtigung des Beteiligten zu 1) zur Einlegung der weiteren Beschwerde ergibt sich gemäß §§ 20 Abs. 1, 29 Abs. 4 FGG schon aus der Zurückweisung seiner Erstbeschwerde.

Das sonach zulässige Rechtsmittel ist auch begründet und führt in der Sache zu einem jedenfalls vorläufigen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO), weil die Zivilkammer entgegen § 12 FGG, § 2358 Abs. 1 BGB den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt und deshalb auf einer nicht tragfähigen Tatsachengrundlage entschieden hat. Dieser Rechtsfehler macht es dem Senat als Rechtsbeschwerdegericht unmöglich, nachzuprüfen, ob die Ausschlagungserklärung des Beteiligten zu 1) dem Nachlassgericht am 18. Mai 2004 fristgerecht zugegangen ist. Er führt zur Aufhebung der Entscheidung über die Erstbeschwerde. Die Sache wird zur anderweiten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen.

Im Einzelnen gilt dazu Folgendes:

1. Das Recht zur Ausschlagung der Erbschaft ist befristet. Nach §§ 1944 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 1945 Abs. 1 BGB muss in Fällen ohne Auslandsberührung die Ausschlagung durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht binnen sechs Wochen ab dem Zeitpunkt erfolgen, in welchem der Erbe von dem Erbfall und dem Grunde seiner Berufung Kenntnis erlangt. Die Kenntnis von dem Anfall und dem Berufungsgrund (§ 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB) setzt Folgendes voraus: Der Erbe muss bestimmte und überzeugende Kenntnis davon haben, dass der Erblasser gestorben und er selbst Erbe geworden ist. Hierzu muss er auch wissen, aus welchem konkret einschlägigen erbrechtlichen Tatbestand sich die rechtliche Folge seiner Berufung zur Erbschaft ergibt. Wie § 1948 Abs. 1 BGB zeigt, ist die Berufung kraft Gesetzes ein anderer Grund als die Berufung durch Verfügung von Todes wegen. Die Ausschlagungsfrist beginnt deshalb erst zu laufen, wenn der Erbe nicht bloß von der Berufung überhaupt, aus dem einen oder anderen Grund, sondern von dem tatsächlichen Berufungsgrund weiß. Als gesetzlichem Erben muss ihm deshalb bekannt sein, dass keine letztwillige Verfügung vorhanden ist, welche das gesetzliche Erbfolgerecht ausschließt (vgl. zum Ganzen: BGH NJW-RR 2000, 1530 = FamRZ 2000, 1504 = MDR 2000, 1193; BGH RPfleger 1968, 183; BayObLG NJW 1953, 1431, 1432; MüKo/Leipold, BGB 4. Aufl. § 1944 Rdnr. 3; Staudinger/Otte, BGB Neubearb. 2000, § 1944 Rdnrn. 8 bis 11; Soergel/Stein BGB 13. Aufl. § 1944 Rdnrn. 8, 10; Palandt/Edenhofer BGB 65. Aufl., § 1944 Rdnrn. 2, 4).

So sehr das Interesse der Nachlassgläubiger eine rasche Klärung der Rechtsnachfolge erfordert, so sehr verlangt das Interesse des Erben, dass dieser bei seiner Entschließung über den konkreten Berufungsgrund Klarheit besitzt. Das Gesetz gibt den Interessen des Erben den Vorzug (Lange/Kuchinke, Erbrecht 5.Aufl. § 8 III 1 b [S. 198]).

2. Kenntnis i. S. v. § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB setzt ein hinlänglich sicheres Erfahren der maßgeblichen Umstände voraus, aufgrund dessen ein Handeln vernünftigerweise verlangt werden kann. Dafür ist erforderlich, aber auch genügend, wenn dem Erben die tatsächlichen oder rechtlichen Umstände in so zuverlässiger Weise bekannt geworden sind, dass von ihm erwartet werden kann, in die Überlegungen über Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft einzutreten. Dabei dürfen die Anforderungen an die Sicherheit der Kenntnis allerdings nicht überspannt werden. Einer von Zweifeln gänzlich freien Gewissheit des Erben vom Anfall der Erbschaft bedarf es nicht; es genügt, dass er wenigstens eine feste Vorstellung gewonnen hat, mit der er rechnen und aufgrund deren er sich entschließen kann.

Ein Irrtum über Tatsachen kann Kenntnis in diesem Sinne ebenso verhindern wie eine irrige rechtliche Beurteilung, wenn deren Gründe nicht von vornherein von der Hand zu weisen sind. Fahrlässige Unkenntnis des Erben steht seiner Kenntnis nicht gleich (vgl. zum Ganzen: BGH NJW-RR 2000, 1530; BGH RPfleger 1968, 183; BayObLG FamRZ 1994, 264, 265; BayObLGZ 1968, 68, 74; KG FG-Prax 2004, 127, 129; OLG Brandenburg FamRZ 1998, 1619, 1620; Staudinger/Otte aaO § 1944 Rdnrn. 10 bis 12).

3. a) Steht eine Berufung des Erben kraft Gesetzes in Rede und war der Erblasser nicht dauernd testierunfähig, kann der gesetzliche Erbe von dieser Berufung nie mit absoluter Gewissheit Kenntnis haben, weil stets die Möglichkeit besteht, dass der Erblasser ein noch unbekanntes eigenhändiges Testament niedergeschrieben hat. Deswegen ist nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur bei gesetzlicher Erbfolge Kenntnis des Berufungsgrundes grundsätzlich schon dann anzunehmen, wenn dem gesetzlichen Erben die Familienverhältnisse bekannt sind und er nach den Gesamtumständen keine begründete Vermutung haben kann oder hat, dass eine ihn ausschließende letztwillige Verfügung vorhanden sei (OLG Brandenburg FamRZ 1998, 1619, 1621 m. w. N.; BayObLG NJW 1953, 1431, 1432; Soergel/Stein aaO § 1944 Rdnr. 10; Palandt/Edenhofer aaO § 1944 Rdnr. 4; Lange/Kuchinke aaO [S. 199]). Andererseits kann selbst bei einem nahen Angehörigen des Erblassers die nötige Kenntnis von seiner Berufung als gesetzlicher Erbe fehlen, wenn die Bande innerhalb der Familie vor dem Erbfall über längere Zeit abgerissen waren und er deshalb hinsichtlich des letzten Willens des Erblassers und zum Vorhandensein einer Verfügung von Todes wegen auf bloße Mutmaßungen ohne realen Hintergrund angewiesen ist.

b) Letztlich liegt die Frage, ob und wann ein Erbe hinlänglich sichere Kenntnis vom Anfall der Erbschaft sowie vom Grunde der Berufung erlangt hat auf tatsächlichem Gebiet und ist stets nach den gesamten Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Persönlichkeit des Erben, zu beurteilen. Private Mitteilungen außenstehender Dritter (z.B. von Nachlassgläubigern), die für den Erben nicht überprüfbar sind, genügen hierfür regelmäßig nicht. Bei einem rechtlich Unkundigen kann im Einzelfall auch das Fehlen eines Aktivnachlasses oder die Annahme, ein solcher fehle, die Kenntnis vom Anfall der Erbschaft ausschließen (BayObLG FamRZ 1994, 264, 265; Staudinger/Otte aaO § 1944 Rdnr. 11).

c) Wann danach die Ausschlagungsfrist zu laufen beginnt und ob eine Ausschlagungserklärung fristgerecht beim Nachlassgericht eingegangen ist, haben die Tatgerichte im Erbscheinsverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 2358 Abs. 1 BGB, § 12 FGG von Amts wegen zu ermitteln. Führen die Aufklärungsbemühungen hinsichtlich der Wahrung der Ausschlagungsfrist zu keinem eindeutigen Ergebnis, wirkt sich dies zum Nachteil des Gegners des Ausschlagenden aus, weil dieser insoweit die materielle Feststellungslast trägt (OLG Düsseldorf MDR 1978, 142, 143; BGH NJW-RR 2000, 1530 m. w. N.; Palandt/Edenhofer aaO, § 1944 Rdnr. 8).

4. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hätte das Landgericht ermitteln müssen, wann der Beteiligte zu 1) tatsächlich Kenntnis im Sinne einer festen Vorstellung von dem Erbanfall und dem Berufungsgrund erlangt hat.

Die Erblasserin ist am 13. Dezember 2003 verstorben. Nach allgemeiner Lebenserfahrung liegt nahe, dass der Beteiligte zu 1) unmittelbar nach dem Tod seiner Mutter vom Erbfall erfahren hat. Das besagt aber nicht zugleich, dass er mindestens sechs Wochen vor dem 18. Mai 2004 (Eingang der formwirksamen Ausschlagungserklärung beim Nachlassgericht) darüber hinaus auch über den Grund seiner Berufung zum Erben sichere Kenntnis gehabt hätte, er also nichts davon wusste und aufgrund eigenen Wissens auch keine begründete Vermutung dahin hatte, dass eine Verfügung von Todes wegen vorliegt, welche sein gesetzliches Erbrecht (§ 1924 Abs. 1 BGB) ausschließt.

a) Soweit die Vorinstanzen eine Kenntniserlangung des Beteiligten zu 1) von seiner Berufung aufgrund gesetzlicher Erbfolge spätestens mit Zugang des Schreibens des Nachlassgerichts vom 11. März 2004 annehmen, kann dem schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Inhalt dieses Schreibens keine bestimmte Erbenstellung und keinen bestimmten Berufungsgrund erkennen lässt; die einleitende Mitteilung, seine Geschwister hätten die Erbschaft ausgeschlagen, war für sich allein nicht geeignet, dem Beteiligten zu 1) als juristischem Laien die erforderliche Kenntnis vom Berufungsgrund "gesetzliche Erbfolge" zu vermitteln. Unabhängig davon wäre es, selbst wenn das Schreiben des Nachlassgerichts vom 11. März 2004 die erforderlichen Angaben enthalten hätte, für den Beginn der Ausschlagungsfrist nicht auf den Zugang des Schreibens und die damit gegebene Möglichkeit der Kenntnisnahme angekommen, sondern allein auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Kenntniserlangung, weil ansonsten die verschuldete Nichtkenntnis - was rechtlich nicht zulässig ist - der Kenntnis i. S. v. § 1944 Abs. 2 Satz 1 BGB gleichgestellt würde (vgl. BayObLGZ 1968, 68, 75, 76).

b) Das schließt aber nicht aus, dass der Beteiligte zu 1) gleichwohl mindestens sechs Wochen vor dem 18. Mai 2004 aufgrund hinreichend zuverlässiger anderweitiger Informationen eine feste Vorstellung dahin hatte, zum gesetzlichen (Mit-)Erben seiner Mutter berufen zu sein. So kann beispielsweise die Erblasserin sich zu Lebzeiten im Beisein ihrer Kinder, Enkel, sonstiger Verwandter oder Bekannter dazu geäußert haben, ob sie eine letztwillige Verfügung errichtet hatte oder nicht; entsprechende Bekundungen seiner Mutter können in Anwesenheit des Beteiligten zu 1) gemacht oder ihm aus zuverlässiger Quelle zugetragen worden sein.

Allerdings hat der Beteiligte zu 1) gegenüber dem Nachlassgericht mit Schreiben vom 20. April 2004 und vom 27. August 2004 (Bl. 18 und Bl. 49 der Akten 4 VI 6/04 Amtsgericht Koblenz) behauptet, er habe "keinen Kontakt mehr" mit der Erblasserin gehabt. Ob dies zutrifft und, bejahendenfalls, der Anlass dafür sowie der Zeitraum, über welchen keine persönliche Verbindung zur Mutter bestanden haben soll, sind unaufgeklärt. Ein etwaiges Zerwürfnis könnte dem Beteiligten zu 1) plausiblen Anlass gegeben haben, seine Enterbung durch die Mutter für möglich zu halten. War der familiäre Umgang vor dem Erbfall über längere Zeit abgebrochen und hatte der Beteiligte zu 1) deshalb keine Kenntnis über die Lebensumstände und Vorstellungen der Erblasserin, kann dies der Annahme entgegenstehen, er habe die für eine Ausschlagungsentscheidung in Betracht kommenden Umstände hinreichend sicher gekannt.

Andererseits können auch Umstände nach dem Erbfall dem Beteiligten zu 1) alsbald die Kenntnis von seiner Berufung zum gesetzlichen Erben vermittelt haben, etwa von ihm nicht angezweifelte Informationen aus dem Kreis der Familie oder dem sonstigen Umfeld der Erblasserin, dass eine letztwillige Verfügung nicht aufgefunden wurde. Die Überschuldung des Nachlasses und die Frage nach der Abwicklung der Erbfallschulden und sonstigen Nachlassverbindlichkeiten dürften Gesprächsthema innerhalb der Familie gewesen sein. Etwaige Äußerungen oder Reaktionen des Beteiligten zu 1) bei solchen Gelegenheiten können im Rahmen freier Beweiswürdigung gegebenenfalls Rückschlüsse auf seine Kenntnis von der Berufung zum gesetzlichen (Mit-)Erben erlauben.

Zu all diesen Umständen wird das Landgericht weitere Ermittlungen durchzuführen haben. Dabei werden der Beteiligte zu 1), auch zur Gewinnung des erforderlichen Eindrucks von seiner Persönlichkeit (BayObLG FamRZ 1994, 264, 265), und (vorbehaltlich der Aussagetüchtigkeit der rechtlich betreuten Gisela K.) zumindest seine beiden Schwestern persönlich zu hören sein.

5. Sollte die Zivilkammer aufgrund der Würdigung der noch zu erhebenden Beweise wiederum zu dem Ergebnis gelangen, dass die beim Nachlassgericht am 18. Mai 2004 eingegangene Ausschlagungserklärung des Beteiligten zu 1) verfristet war und damit die Erbschaft als angenommen galt (§ 1943 BGB), ist erneut in die Prüfung einzutreten, ob die (etwaige) Versäumung der Ausschlagungsfrist wirksam angefochten (§§ 1956, 1954 Abs. 1 und Abs. 2, 1955, 1945 Abs. 1 BGB) und dadurch die Erbenstellung des Beteiligten zu 1) rückwirkend beseitigt wurde (§§ 1953 Abs. 1, 1957 Abs. 1 BGB).

a) Gemäß § 1956 BGB kann die Versäumung der Ausschlagungsfrist in gleicher Weise wie die Erbschaftsannahme angefochten werden. Da das Gesetz in den §§ 1954 bis 1957 BGB zwar von der Möglichkeit einer Anfechtung ausgeht, jedoch keine besonderen Bestimmungen zu den Gründen enthält, die eine Anfechtung rechtfertigen können, sind insoweit die allgemeinen Vorschriften der §§ 119 ff BGB maßgebend (KG FG-Prax 2004, 127, 128; BayObLG NJW-RR 1999, 590, 591; Staudinger/Otte aaO § 1954 Rdnr. 2; Palandt/Edenhofer aaO § 1954 Rdnr. 1).

Wenn die Erbschaft nur als angenommen "gilt" (§ 1943 BGB), finden gemäß § 1956 BGB die §§ 119 ff BGB auf die Versäumung der Ausschlagungsfrist mit der Maßgabe Anwendung, dass anstelle des Tatbestandsmerkmals "Willenserklärung" (hier mit dem objektiven Erklärungswert einer Erbschaftsannahme) zu lesen ist "Versäumung der Ausschlagungsfrist". Die in der Fristversäumung liegende Annahme kann also auch dann nach § 119 Abs. 1 BGB angefochten werden, wenn der als Erbe Berufene die Erbschaft in Wirklichkeit nicht hat annehmen wollen, weil er - etwa in Unkenntnis der Amtsempfangsbedürftigkeit der Ausschlagungserklärung - geglaubt hat, bereits wirksam ausgeschlagen zu haben (RGZ 143, 419, 424; BayObLG NJW-RR 1994, 586; OLG Hamm RPfleger 1985, 364; Staudinger/Otte aaO § 1956 Rdnr. 3; Soergel/Stein aaO § 1956 Rdnr. 2; Palandt/Edenhofer aaO § 1956 Rdnr. 1; DNotI-Report 2006, 21, 23).

b) Entgegen der Meinung des Landgerichts ist eine Erklärung der Anfechtung durch den Beteiligten zu 1) indes nicht schon in der - möglicherweise verspäteten - Erbausschlagung vom 20. April/18. Mai 2004 zu sehen. Denn aus dieser Erklärung ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte für einen Anfechtungswillen; bei deren Fehlen rechtfertigt allein die objektive Zweckmäßigkeit es nicht, eine Ausschlagung zugleich als Anfechtung der Annahme zu verstehen (BayObLG NJW-RR 1993, 780, 781; Soergel/Stein aaO § 1956 Rdnr. 3; MüKo/Leipold aaO § 1955 Rdnr. 3). Maßgebend für die Wahrung der Anfechtungsfrist, die entsprechend §§ 1956, 1954 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB in dem Zeitpunkt beginnt, in dem der Anfechtungsberechtigte gesicherte Kenntnis von dem Ablaufen der Ausschlagungsfrist und ihren rechtlichen Wirkungen erlangt hat (OLG Hamm RPfleger 1985, 364, 365; Soergel/Stein aaO § 1956 Rdnr. 4), wäre danach der Eingang der notariell beglaubigten Anfechtungserklärung des Beteiligten zu 1) vom 27. August 2004 beim Nachlassgericht am 30. August 2004.

c) Sonach käme es darauf an, ob der Behauptung des Beteiligten zu 1) geglaubt werden kann, er habe erst Anfang August 2004 durch ein Schreiben der Beteiligten zu 2) von der Rechtsunwirksamkeit seiner Erbausschlagung erfahren (Anfechtungserklärung vom 27. August 2004, Bl. 49 d. A. 4 VI 6/04 AG Koblenz). Zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit dieser Angabe müsste der Beteiligte zu 1) persönlich gehört und dabei insbesondere dazu befragt werden, wieso er trotz der eindeutigen Rechtsbelehrung in dem Schreiben des Nachlassgerichts vom 15. April 2004 zu der behaupteten Fehlvorstellung gelangt sein will. Mit Blick auf den weiteren Sachvortrag in dem Anfechtungsschreiben vom 27. August 2004 bestünde gegebenenfalls auch Anlass für eine Vernehmung der erwachsenen Kinder des Beteiligten zu 1) zum Inhalt des mit ihm geführten Gesprächs im Anschluss an deren notariell beglaubigte Erbausschlagungen vom Mai 2004; möglicherweise sind etwaige zuvor bestehende Irrtümer des Beteiligten zu 1) schon damals ausgeräumt worden.

Allein aufgrund der bislang zu den Akten gelangten schriftlichen Auskunft des Notars vom 28. Juni 2005 betreffend die Umstände der Beglaubigung der Erbausschlagung des Beteiligten zu 1) dürfte sich der behauptete Rechtsirrtum hingegen nicht verneinen lassen. Denn der allgemein gehaltenen Erklärung lässt sich nicht eindeutig die Aussage entnehmen, dass gerade auch im konkreten Fall des Beteiligten zu 1) - und gegebenenfalls von wem - über die Notwendigkeit der fristwahrenden Übermittlung der notariell beglaubigten Erklärung an das Nachlassgericht belehrt worden ist; insoweit müsste gegebenenfalls nachgeforscht werden, ob eine Auskunftsperson aus dem Notariat mit zuverlässiger Erinnerung an diesen Vorgang als Zeuge vernommen werden kann.

6. Einer Entscheidung über die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde bedarf es wegen § 131 Abs. 1 Satz 2, Abs. 5 KostO nicht. Im Hinblick auf den nur vorläufigen Erfolg der Rechtsbeschwerde war dem Landgericht zugleich die Entscheidung über die etwaige Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten im dritten Rechtszug gemäß § 13 a Abs. 1 FGG vorzubehalten.

Den Geschäftswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde hat der Senat gemäß §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 1 KostO in Übereinstimmung mit der Wertbestimmung durch das Landgericht festgesetzt.

RechtsgebietBGBVorschriftenBGB § 119 Abs. 1 BGB § 1943 BGB § 1944 Abs. 1 BGB § 1944 Abs. 2 BGB § 1945 BGB § 1954 Abs. 1 BGB § 1954 Abs. 2 BGB § 1956

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