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18.04.2006 · IWW-Abrufnummer 061000

Finanzgericht Düsseldorf: Urteil vom 12.01.2006 – 14 K 4078/05 Kg

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Finanzgericht Düsseldorf
14. Senat

Urteil
Aktenzeichen: 14 K 4078/05 Kg

Tenor:

Unter Änderung des Bescheides vom 29. Juli 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 30. August 2005 wird die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für seine Tochter Angelka zusätzlich für den Zeitraum Januar 2002 bis September 2002 Kindergeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist das Kindergeld für den Zeitraum Januar bis September 2002.

Der Kläger ist der Vater der am 8. März 1983 geborenen Angelka. Die Tochter des Klägers befand sich seit dem 1. Dezember 2000 in Ausbildung zur Augenoptikerin. Ausweislich der Ausbildungsbescheinigung vom 26. Januar 2001 sollte das monatliche Bruttogehalt der Tochter ab dem 1. Dezember 2000 850 DM und ab dem 1. August 2001 1.100 DM betragen. Etwaige Zusatzleistungen waren ausweislich dieser Bescheinigung nicht vorgesehen. Einer weiteren Bescheinigung über die Fortdauer bzw. das Ende der Berufsausbildung vom 15. Juli 2002 ist zu entnehmen, dass das Ausbildungsende für den Januar 2003 vorgesehen war. Darüber hinaus war als monatliche Ausbildungsvergütung für die Zeit ab dem 1. Juli 2002 ein Betrag von 789,14 EUR angegeben. Außerdem sollte die Tochter des Klägers folgende Sonderzuwendungen erhalten: Juni 2002 307 EUR, November 2002 307 EUR.

Im Anschluss daran errechnete die Beklagte unter dem 2. August 2002 im Rahmen einer Prognose eine voraussichtliche Überschreitung der Einkommensgrenze für das Jahr 2002. Dabei zog sie von den Einkünften aus nichtselbstständiger Tätigkeit lediglich den Arbeitnehmerpauschbetrag in Höhe von 1.044 EUR ab.

Mit Bescheid vom 3. September 2002 hob die Beklagte sodann die Festsetzung des Kindergeldes für das Kind Angelka ab dem Monat Januar 2002 auf und forderte zugleich das für den Zeitraum Januar 2002 bis Juni 2002 zuviel gezahlte Kindergeld in Höhe von 924 EUR zurück. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Unter dem 21. Juli 2005 teilte der Kläger unter Hinweis auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 der Beklagten mit, dass das Bruttojahreseinkommen seiner Tochter 11. Gehaltsabrechnung 2002 9.537,18 EUR betragen habe. Unter Abzug der Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 1.993 EUR sowie einer Werbungskostenpauschale in Höhe von 920 EUR errechnete der Kläger sodann ein Nettoeinkommen in Höhe von 6.624 EUR.

Dazu überreichte der Kläger u. a. die Abrechnung der Brutto-Netto-Bezüge für den Monat Dezember 2002.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2005 gewährte die Beklagte sodann Kindergeld für den Zeitraum von Oktober 2002 bis Januar 2003 in Höhe von 154 EUR monatlich. Zur Begründung führte sie aus, der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sei auf alle offenen Fälle anzuwenden. Nach Bestandskraft eines Bescheides sei ein später gestellter Antrag als Neuantrag für die ungeregelten Monate zu behandeln (§ 67 Abs. 1 Einkommensteuergesetz -EStG-). Die Festsetzung für das Kind sei mit Bescheid vom 3. September 2002 bestandskräftig aufgehoben worden. Kindergeld könne daher frühestens ab dem Folgemonat der Bekanntgabe des Bescheides - Oktober 2002 - festgesetzt werden.

Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 11. August 2005 Einspruch ein. Zur Begründung führte er ergänzend aus, selbst wenn man dem Inhalt des Bescheides vom 29. Juli 2005 folgen wolle, so wäre Kindergeld zumindest bereits ab Juli 2002 zu gewähren. Denn mit Bescheid vom 3. September 2002 habe die Beklagte lediglich über den Zeitraum bis einschließlich Juni 2002 entschieden, für den Zeitraum danach enthalte der Bescheid keine Entscheidung.

Mit Einspruchsentscheidung vom 30. August 2005 wies die Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück. Ergänzend führte er aus, die Voraussetzungen, unter denen die Bestandskraft des ablehnenden Bescheides nach den Korrekturvorschriften der §§ 172 ff. Abgabenordnung und des § 70 Abs. 2 bis 4 Einkommensteuergesetz rückwirkend durchbrochen werden könne, seien nicht gegeben. Zwar seien die Korrekturvorschriften der AO und des EStG grundsätzlich anwendbar, weil seinerzeit mit der Aufhebungsentscheidung eine Prüfung in der Sache verbunden gewesen sei. Jedoch greife kein Korrekturbestand ein. Insbesondere scheide eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (nachträgliches Bekanntwerden von Tatsachen oder Beweismitteln) aus, weil eine nachträgliche Änderung der Rechtsprechung oder eine andere rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes durch die Verwaltungsbehörde keine neue Tatsache im Sinne von § 173 AO sei.

Mit der am 28. September 2005 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Ergänzend macht er geltend, im Jahre 2002 sei die maßgebliche Einkommensgrenze nicht überschritten gewesen, sodass ihm für das gesamte Jahr und nicht erst für die Zeit ab Oktober 2002 Kindergeld zugestanden habe. Hätte die Beklagte das Recht bereits im Jahre 2002 richtig angewandt, hätte sie den Bescheid vom 3. September 2002 nicht erlassen dürfen.

Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 29. Juli 2005 und der Einspruchsentscheidung vom 30. August 2005 zu verpflichten, ihm für seine Tochter Angelka für den Zeitraum Januar 2002 bis September 2002 Kindergeld in der gesetzlichen Höhe zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr bisheriges Vorbringen.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsatz vom 21. November 2005 bzw. mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2005 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben (§ 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung -FGO).

Die Klage ist begründet.

Der Bescheid vom 29. Juli 2005 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 100 Abs. 1 Satz 2 FGO). Die Beklagte ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Änderung des Bescheides vom 3. September 2002 bezüglich der Monate Januar bis September 2002 nicht mehr möglich ist.

Für ein Kind, das - wie im Streitfall die Tochter des Klägers - das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wird auf Antrag Kindergeld gewährt, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG vorliegen (§§ 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 Satz 2, 67 Abs. 2, 72 Abs. 7 EStG). Danach besteht ein Anspruch auf Kindergeld u.a. dann, wenn das Kind für einen Beruf ausgebildet wird (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a EStG). Im Streitfall lagen die Kindergeldvoraussetzungen nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG während des gesamten Jahres 2002 vor. Die Tochter des Klägers befand sich in dem gesamten Zeitraum in einer Ausbildung zur Augenoptikerin.

Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG setzt der Kindergeldanspruch zusätzlich voraus, dass die eigenen Einkünfte und Bezüge des Kindes, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, den Jahresgrenzbetrag - von 7.188 EUR im Jahr 2002 - nicht überschreiten.

Auch diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Die im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zu berücksichtigenden Einkünfte der Tochter des Klägers berechnen sich wie folgt:

Bruttogehalt laut Gehaltsabrechnung 12/2002 9.537,18 EUR
abzüglich Werbungskostenpauschale 1.044,00 EUR
abzüglich Sozialversicherungsbeiträge 1.993,26 EUR
insgesamt 6.499,92 EUR.

Der Jahresgrenzbetrag von 7.188 EUR wird damit nicht überschritten, was zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist, zumal die Beklagte Kindergeld für die Monate Oktober bis Dezember 2002 bereits gewährt hat.

Entgegen der Auffassung der Beklagten hindert die Bestandskraft des Aufhebungsbescheides vom 3. September 2002 die Kindergeldgewährung für die Monate Januar bis September 2002 nicht, da § 70 Abs. 4 EStG eine entsprechende Berichtigung ermöglicht.

Nach § 70 Abs. 4 EStG ist eine Kindergeldfestsetzung aufzuheben oder zu ändern, wenn nachträglich bekannt wird, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG über- oder unterschreiten. Die Vorschrift soll sicherstellen, dass eine Kindergeldfestsetzung für ein volljähriges Kind auch nach Ablauf des Kalenderjahres korrigiert werden kann, wenn die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Grenzbetrag nach § 32 Abs. 4 EStG entgegen einer früheren Prognose der Familienkasse über - oder unterschreiten. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass eine steuerliche Entscheidung wegen des Jährlichkeitsprinzips grundsätzlich rückblickend erfolgt, die Steuervergütung Kindergeld jedoch bereits im Laufe des Kalenderjahres monatlich gezahlt wird (Bundestagsdrucksache 14/6160, S. 14).

Im Streitfall hat sich nach Erlass des Aufhebungsbescheides herausgestellt, dass die Einkünfte und Bezüge des Kindes unter Berücksichtigung der nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehenden gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge (vgl. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs -BFH/NV- 2005, Beilage 3, 260 bis 266) den Grenzbetrag unterschreiten.

Der Auffassung des Beklagten, § 70 Abs. 4 EStG komme deshalb nicht zum Tragen, weil die auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts geänderte Rechtsauffassung bezüglich der Behandlung der Sozialversicherungsbeiträge kein nachträgliches Bekanntwerden im Sinne des § 70 Abs. 4 EStG darstelle, vermag der Senat nicht zu folgen.

Die Vorschrift des § 70 Abs. 4 EStG trägt - wie bereits erwähnt - dem Umstand Rechnung, dass eine abschließende Entscheidung darüber, ob die Einkünfte und Bezüge des Kindes den Jahresgrenzbetrag überschreiten oder nicht, regelmäßig erst nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres getroffen werden kann (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juli 2001 VI R 55/00, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofes -BFHE- 196, 270, Bundessteuerblatt -BStBI- II 2002,86; vom 30. November 2004 VIII R 6/03, BFH/NV 2005, 890). Vor Ablauf des Kalenderjahres steht die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge zwangsläufig nicht fest, vielmehr ist insoweit nur eine mehr oder weniger sichere Prognose möglich, nach der die Familienkasse die Entscheidung über die Gewährung oder Nichtgewährung des Kindergeldes für das noch laufende Kalenderjahr trifft. Insofern wird die tatsächliche Höhe der Einkünfte und Bezüge nach Ablauf des betreffenden Kalenderjahres gegenüber der Prognoseentscheidung zwangsläufig nachträglich bekannt. Damit eröffnet § 70 Abs. 4 EStG stets eine Berichtigungsmöglichkeit, soweit die abschließende Überprüfung nach Ablauf des Jahres ein Unter- oder Überschreiten des Grenzbetrages abweichend von der Prognoseentscheidung ergibt. Die Berichtigungsmöglichkeit besteht nach der vom Senat als zutreffend erachteten Entscheidung des BFH vom 26. Juli 2001 (VI R 55/00, BFHE 196, 270, BStBl II 2002, 86) z.B. auch dann, wenn die Familienkasse bei ihrer Prognoseentscheidung voraussichtliche Aufwendungen des Kindes als Werbungskosten berücksichtigt hat, die sie bei abschließender Prüfung dann doch nicht als Werbungskosten anerkennt - die Korrektur also auf einer geänderten Rechtsauffassung beruht. Entsprechendes muss auch für den umgekehrten Fall gelten, dass bestimmte Aufwendungen im Rahmen der Prognoseentscheidung als nicht abzugsfähig behandelt wurden, was sich nachträglich als rechtlich unzutreffend herausstellt. Insofern tragen derartige Prognoseentscheidungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht den Charakter der Vorläufigkeit in sich.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war zuzulassen, da die Rechtssache im Hinblick auf die Frage der Anwendbarkeit des § 70 Abs. 4 EStG in einer Vielzahl gleichgelagerter, bereits anhängiger Verfahren von Relevanz ist und somit grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

RechtsgebieteEinkommensteuer, KindergeldVorschriften§ 32 Abs. 4, § 70 Abs. 4 EStG

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