Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

23.11.2005 · IWW-Abrufnummer 053348

Finanzgericht München: Beschluss vom 14.02.2005 – 1 V 305/04

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Az.: 1 V 305/04

Finanzgericht München

BESCHLUSS

In der Streitsache XXX
hat der 1. Senat des Finanzgerichts München unter Mitwirkung ohne mündliche Verhandlung am 14. Februar 2005 beschlossen:

1. Die Vollziehung der nachstehenden Einkommensteuerbescheide für 1991, 1992 und 1994
wird in Höhe folgender Steuerbeträge ausgesetzt (in EUR):
Jahr Datum des letzten Bescheides Einkommensteuer entspricht DM
- 1991: 20. Juli 2000 xx xx
- 1992: 30. September 1997 xx xx
- 1994: 4. Juli 2000 xx xx

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

3. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen.

Rechtsmittelbelehrung XXX

Gründe

I.

Streitig ist in der Hauptsache, ob der in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Antragsteller Verluste aus einem Anwaltsbüro in Belgien mit seinen deutschen Gewinnen aus der selbständigen Arbeit als Rechtsanwalt verrechnen darf.

Die verheirateten Antragsteller werden beim Antragsgegner - dem Finanzamt (FA) ? zusammen zur Einkommensteuer (ESt) veranlagt. Der Antragsteller betreibt seine Hauptkanzlei in München. Im Jahr 1991 eröffnete er in Brüssel in gemieteten Räumen ein Büro, das bis zur Anstellung eines Rechtsanwaltes Ende des Jahres 1992 lediglich von einer Teilzeitsekretärin betreut wurde. Die Kanzlei wurde unter der Brüsseler Anschrift in das belgische Anwaltsverzeichnis aufgenommen und die Begründung der Niederlassung angezeigt. Das Büro war mit Telefon- und Faxanschluss sowie Kopierer ausgestattet. Nach Angaben des Antragstellers habe es als Anlaufstelle zur Kontaktaufnahme und -pflege mit Mandanten vor Ort und in seltenen Einzelfällen als Konferenzraum gedient. Dagegen seien Rechtsfälle nur in München bearbeitet worden, und auch Schriftsätzen seien ausschließlich in der Kanzlei in München verfasst worden.

Im Rahmen einer im Jahr 1994 für die Jahre 1989 bis 1991 durchgeführten Außenprüfung (AP) beantragten die Antragsteller, die Verluste des Brüsseler Büros im Jahr 1991 von den Gewinnen der Münchner Kanzlei abzuziehen. Die Verluste wurden nach einer gesonderten Einnahmen- und Ausgabenrechnung für das auswärtige Büro ermittelt. Nach Ansicht der Antragsteller führe allein der Unterhalt einer festen Einrichtung in Brüssel noch nicht zu einem Besteuerungsrecht des belgischen Staates. Vielmehr müsse nach dem Arbeitsortprinzip die Berufstätigkeit unmittelbar dort ausgeführt werden. Der Prüfer für Auslandsbeziehungen der Oberfinanzdirektion (OFD) München ging davon aus, dass die Verlustverrechnung nicht möglich sei, weil nach den konkreten Verhältnissen im Brüsseler Büro nicht mehr nur vorbereitende Tätigkeiten ausgeübt worden seien. Vielmehr seien im Jahr 1991 Stellenanzeigen aufgegeben worden, und man habe nach einem Rechtsanwalt für das dortige Büro gesucht. Auch seien Besprechungen in Brüssel erfolgt. Der Antragsteller habe selbst Einnahmen aus dem Mandat "N " der ständigen Einrichtung in Brüssel zugeordnet. Nach dem Kommentar zum OECD-Musterabkommen (OECD-MA) zu Art. 14 sei daher das Besteuerungsrecht dem belgischen Staat zugeordnet. Vorbereitende und laufende Aufwendungen, die im Zusammenhang mit steuerfreien ausländischen Einnahmen stehen, dürften gem. § 3c Einkommensteuergesetz (EStG) nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden (BFH-Urteil vom 28. April 1983 IV R 122/79, BFHE 138, 366, BStBl II 1983, 566; Finanzgericht -FG- München, Urteil vom 26. November 1993 10 K 3763/90, Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG- 1995, 247). Sie dürften lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden.

Die Feststellungen der AP wurden im ESt-Änderungsbescheid 1991 vom 25. Mai 1996 ausgewertet. Darin wurden die Verluste aus dem Brüsseler Büro entsprechend der Auffassung des Prüfers lediglich im Rahmen des Progressionsvorbehalts berücksichtigt. Entsprechend verfuhr das FA in den auf Grund einer weiteren AP für die Folgejahre ergangenen EstÄnderungsbescheiden vom 30. September 1997 für die Jahre 1992 bis 1994. Die Einsprüche und die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) blieben erfolglos. Ebenso erfolglos blieb der Einspruch gegen die Ablehnung der AdV hinsichtlich des Jahres 1991.

Mit ihrem Antrag an das Gericht verfolgen die Antragsteller ihr Begehren weiter.

Zur Begründung tragen sie vor, dass die auf das Brüsseler Büro entfallenden Verluste im Hinblick auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) ohne weiteres von den deutschen Gewinnen abgezogen werden dürften. Sie verweisen insbesondere auf die Entscheidungen des EuGH vom 12. September 2003 C-431/01 ([Mertens], EuGHE 2002, I- 07073) und vom 14. Dezember 2000 C-141/99 ([AMID], EuGHE 2000, I-11619), sowie auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) an den EuGH vom 13. November 2002 I R 13/02 (BFHE 201, 73, BStBl II 2003, 795), in dem dieser gemeinschaftsrechtliche Bedenken am Abzugsverbot für nach einem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) freigestellte Verluste äußere.

Aus dieser Rechtsprechung ergebe sich, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide insoweit bestünden, als sie den Abzug der auf das Brüsseler Büro entfallenden Verluste verwehren. Die Verluste des Brüsseler Büros beziffern die Antragsteller wie folgt:
Jahr Verlust (DM)
- 1991:
- 1992:
- 1993:
- 1994:

Die Antragsteller beantragen,
die Vollziehung der ESt-Bescheide 1991 bis 1994 aufzuheben, soweit sie auf dem Nichtabzug der Verluste des Brüsseler Büros als Betriebsausgaben beruhen.

Das FA beantragt,
den Antrag abzuweisen.

Es bezieht sich auf eine Weisung der OFD München vom 24. November 2003, in der diese in solchen Fällen die Voraussetzungen für ein Ruhen nach § 363 Abs. 2 der Abgabenordnung für gegeben hält, jedoch unter Hinweis auf eine Verfügung der OFD Frankfurt vom 17. Juni 2003 S 2118a A-1-St II 22 (JurisNr FMNR304310003, Deutsches Steuerrecht 2003, 1395) nicht diejenigen für eine Aussetzung der Vollziehung.

Auf Anfrage des Gerichts trugen die Antragsteller ergänzend vor, das Brüsseler Büro sei unselbständiger Annex des Münchner Büros gewesen und habe eine werbende und dienende Funktion für dieses zu erfüllen gehabt. Bis Ende September 1992 sei kein Anwalt in Brüssel beschäftigt gewesen. Sämtliche anwaltlichen Tätigkeiten hätten in München stattgefunden. Lediglich zwei Mandate seien anteilig dem Büro Brüssel zugeordnet worden. Hierbei handele es sich um das Mandat "N ", bei dem - soweit erinnerlich - im Wege der Schätzung ein Honorar-Teilbetrag von 10.000,-- DM (Rechnung vom Juni 1991) dem Brüsseler Büro zugeordnet worden sei, weil ein entsprechender Teil der anwaltlichen Tätigkeit in Brüssel erbracht worden sei. Dementsprechend sei das Mandat D " anteilig mit 20.000,-- DM (Rechnung vom August 1991) dem Brüsseler Büro zugeordnet worden. Die in Brüssel beschäftigte Teilzeitsekretärin habe keine einer Anwaltssekretärin üblicherweise zuzuordnenden Leistungen erbracht, sondern vielmehr für die Aufrechterhaltung des Büros und dessen büromäßige Verwaltung gesorgt. Die im Vorfeld avisierten Besprechungen mit hochrangigen Beamten der Europäischen Union hätten - soweit erinnerlich - nicht stattgefunden.

Vom 1. Oktober 1992 bis 31. März 1994 sei der Rechtsanwalt S im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses in Brüssel beschäftigt worden. Er sei jedoch nicht lediglich als Brüsseler Anwalt eingestellt gewesen, sondern habe "auch für München tätig werden" sollen. Er sei hauptsächlich mit Akquirierungsversuchen für Mandanten vor dem Hintergrund der europäischen Förderprogramme Phare oder Tactis beschäftigt gewesen. Soweit noch feststellbar, sei im Zeitraum der Beschäftigung des Rechtsanwalts S nur ein Mandat ("Fa. M ") ? zumindest anteilig - dem Brüsseler Büro zugeordnet und über dieses abgerechnet worden (Kostennoten vom Januar bis März 1993 über 78.048,-- bFr, 55.088,-- bFr und 33.080,-- bFr). Soweit erinnerlich hätten diese Beträge im Verhältnis zum Gesamtumsatz dem Anteil des gesamten Tätigkeitsumfangs entsprochen, der in Brüssel erbracht worden sei.

Zum 1. Juli 1994 sei der in Bonn wohnhafte und als Rechtsanwalt zugelassene Dr. R als freier Mitarbeiter in die Kanzlei eingetreten. Dessen Leistungen seien "schwerpunktmäßig in Bonn angesiedelt gewesen", auch wenn er sich zeitweise im Brüsseler Büro aufgehalten habe, u. a. um Kontakte zu europäischen Verbänden zu halten. Rechtsanwalt Dr. R habe einige Mandate für die Kanzlei des Antragstellers bearbeitet. Die Bearbeitung habe in Bonn, am Sitz des freien Mitarbeiters, stattgefunden, weshalb die Rechnungsstellung seitens der Kanzlei von München aus erfolgt sei. Das Mandat "C " habe Dr. R zwar akquiriert, bearbeitet worden sei es jedoch ausschließlich von Anwälten aus dem Münchner Büro.

Mit Ablauf des 30. Juni 1996 habe das Vertragsverhältnis mit Dr. R geendet. Er habe nur noch als Repräsentant für das Büro Brüssel gegen Entgelt für die Verwaltung des Büros fungiert. Er sei formal auf dem Briefkopf geführt worden, habe jedoch keinerlei anwaltliche Tätigkeit mehr für den Antragsteller entfaltet - weder in Bonn noch in Brüssel. Ab diesem Zeitpunkt sei im Brüsseler Büro keine anwaltliche Tätigkeit mehr ausgeübt worden.

Belgische Steuern seien aufgrund der Tatsache, dass das Brüsseler Büro lediglich Verluste ausgewiesen habe, niemals abgeführt worden. Belgische Steuererklärungen seien von 1991 bis 1996 Nichterklärungen oder solche über Verluste. Die Steuererklärung 1997 sei verloren gegangen, von 1998 bis 2002 seien keine Erklärungen vorhanden. Für den Veranlagungszeitraum 2003 habe RA Dr. R eine Nichterklärung erstellt.

II.

Die Anträge haben Erfolg.

Der erkennende Senat legt die Anträge dahingehend aus, dass die Jahre 1989 und 1990 irrtümlich im Antrag aufgeführt sind, da bezifferte Aussetzungsanträge lediglich für die Folgejahre gestellt wurden und sich der Sachverhalt, dessen rechtliche Würdigung angegriffen wird, lediglich auf die Jahre ab 1991 auswirkt. Im Jahr 1993 ergibt sich keine steuerliche Auswirkung, weil die Steuer schon bisher auf 0,-- DM festgesetzt war und sich die Erhöhung der Verluste über den erhöhten Verlustrücktrag nur auf die Steuerfestsetzung für das Jahr 1991 auswirkt. Der Senat legt das Rechtsschutzbegehren deshalb dahingehend aus, dass insoweit lediglich die Berücksichtigung des erhöhten Rücktrages bei der Festsetzung für das Jahr 1991 beantragt ist.

1. Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Nach der ständigen BFHRechtsprechung seit dem Beschluss vom 10. Februar 1967 III B 9/66 (BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182) sind ernstliche Zweifel in diesem Sinne dann anzunehmen, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken. Dies ist auf der Grundlage einer summarischen Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Begebenheiten anhand des vorliegenden Akteninhalts zu entscheiden.

Nach diesen Maßstäben bejaht der erkennende Senat für den Streitfall ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide. Die Anträge sind daher begründet.

2. Rechtslage nach dem DBA-Belgien nach innerstaatlichem Recht

Das DBA-Belgien weist in Art. 14 das Besteuerungsrecht für Einkünfte aus einem freien Beruf dem Ansässigkeitsstaat zu, im Streitfalle also Deutschland. Soweit die Person allerdings im anderen Staat über eine feste Einrichtung verfügt, liegt das Besteuerungsrecht für Einkünfte - soweit sie der Tätigkeit zugerechnet werden können, die über die feste Einrichtung ausgeübt wird - bei dem Staat, in dem sich die feste Einrichtung befindet, im Streitfalle also Belgien. Art. 14 DBA-Belgien ist inhaltsgleich mit Art. 14 OECD-MA. Bei den Einkünften des Antragstellers aus Rechtsanwaltstätigkeit handelt es sich um Einkünfte aus freiem Beruf i.S. des Art. 14 Abs. 2 DBA-Belgien. Das Büro in Brüssel stellt bei summarischer Beurteilung eine feste Einrichtung i.S. des DBA-Belgien dar, wovon auch die Parteien ausgehen. Dass die anwaltliche Tätigkeit im Wesentlichen in München ausgeübt worden ist, nimmt der festen Einrichtung bei summarischer Prüfung nicht diesen Charakter (vgl. BFH-Urteil vom 10. Mai 1989 I R 50/85, BFHE 157, 142, BStBl II 1989, 755).

Das Besteuerungsrecht steht dem Staat der festen Einrichtung jedoch nur insoweit zu, als die Einkünfte der Tätigkeit zugerechnet werden können, die über diese feste Einrichtung ausgeübt wird. Im Ergebnis muss eine Gewinnabgrenzung zwischen fester Einrichtung und Stammhaus stattfinden, die üblicherweise nach der direkten, der indirekten oder der gemischten Methode erfolgt (zu dieser Methodik vgl. Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Kommentierung zum OECD-MA Art. 7 Rz. 188). Bei summarischer Betrachtung sind danach die Honorareinnahmen überwiegend dem Stammhaus in München zuzurechnen, dem Ort, an dem die Tätigkeit des Anwalts als Hauptberufsträger überwiegend erfolgt ist (vgl. Debatin/Wassermeier, a.a.O., MA Art. 14 Rz. 95). Das FA hat allerdings bislang nicht berücksichtigt, dass auch die dienende Funktion als "Europäische Fassade" und die dort erbrachten Assistenzleistungen nach der direkten Methode zu bewerten und der festen Einrichtung gewinnerhöhend, dem Stammhaus aber gewinnmindernd zuzurechnen sind (vgl. zu unternehmensinternen Dienstleistungen Debatin/Wassermeier, a.a.O., MA Art. 7 Rz. 287). Allerdings kann auch der erkennende Senat im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung eine derartige Zurechnung nicht vornehmen, weil die Antragsteller auch nach Hinweis des Gerichts keine hinreichenden als Maßstab tauglichen Fakten vorgetragen haben, die eine Zurechnung von Teilen des Aufwands der Brüsseler Einrichtung zum Stammhaus ermöglichen würden. Letztlich kann der Senat jedoch diese Frage offen lassen, weil sämtliche Verluste des Brüsseler Büros für Zwecke der AdV als verrechnungsfähig angesehen werden.

Soweit nach dem Vorstehenden Verluste der festen Einrichtung verbleiben, sind diese nach der Freistellungsmethode des Art. 14 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 DBA-Belgien in Deutschland nicht zu berücksichtigen. Die Freistellung erfasst Einkünfte ohne Unterschied, ob es sich um positive oder - wie im Fall der überschießenden Aufwendungen - negative Einkünfte handelt (ständige Rspr. seit dem Urteil des Reichsfinanzhofs vom 26. Juni 1935, VI A 414/35, RStBl 1935, 1358; vgl. auch BFH-Urteil vom 12. Januar 1983, I R 90/79, BStBl II 1983, 382; Debatin/ Wassermeier, a.a.O., MA Art. 14 Rz. 57 a.E.). Somit kommt es nach den Grundsätzen dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung in Fällen wie dem vorliegenden in Deutschland nicht zur Verlustverrechnung, wie sie der Österreichische Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 25. September 2001 99/14/0217 (Internationales Steuerrecht -IStR- 2001, 754) für möglich hält.

Eine Verlustverrechnung nach § 2a Abs. 3 EStG, der im Streitjahr noch gegolten hat, scheidet mangels gewerblicher Einkünfte aus.

3. Anwendungsvorrang des primären Gemeinschaftsrechts

Das primäre Gemeinschaftsrecht, wozu unter anderem die Grundfreiheiten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im Folgenden: EG-Vertrag -EGV-; zitiert nach der sog. Amsterdamer Fassung vom 2. Oktober 1997, zuletzt geändert durch den Vertrag von Nizza vom 26. Februar 2001 [ABl. EG C 80/1]), gehören, genießt gegenüber dem nationalen Recht Anwendungsvorrang (EuGH-Urteil vom 5. Februar 1963 Rs 26/62, EuGHE 1963, 00003; Bundesverfassungsgericht -BVerfG- Entscheidungen vom 9. Juni 1971 2 BvR 225/69, BVerfGE 31, 145; vom 8. April 1987 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223). Dies gilt auch gegenüber dem Recht der direkten Steuern, die zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, jedoch unter dem Vorbehalt, dass diese ihre Zuständigkeit unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts ausüben müssen (ständige Rspr., vgl. EuGH-Beschluss vom 12. September 2002 C-431/01 [Mertens], EuGHE 2002, I-07073, Tz. 25, m.w.N.). Der Anwendungsvorrang besteht nach überwiegender Meinung auch gegenüber Doppelbesteuerungsabkommen (vgl. Scherer, Doppelbesteuerung und Europäisches Gemeinschaftsrecht, München 1995, S. 110 Fn. 205 m.w.N.).

Zur Auslegung der Vorschriften des EG-Vertrages ist als gesetzlicher Richter i.S. des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes in letzter Instanz ausschließlich der EuGH berufen (Art. 220, 234 EGV; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223). Die Verpflichtung aus Art. 234 EGV zur Vorlage an den EuGH greift allerdings im vorliegenden Verfahren nicht ein, weil zum Einen die Beschwerde zum BFH zugelassen wird (BFHUrteil vom 2. April 1996 VII R 119/94, BFHE 180, 231, BFH/NV 1996, 306; Beschluss vom 14. März 2002 V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038) und zum Anderen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen dessen besonderen Charakters als dringende vorläufige Maßnahme eine Vorlage ausscheidet (EuGH-Urteil vom 24. Mai 1977 107/76, EuGHE 1977, 00957 [Hoffmann-La Roche]); BFH-Beschluss vom 17. Dezember 1997 I B 108/97, BFHE 185, 30, BStBl II 1998, 558). Somit ist der erkennende Senat zur Entscheidung berufen, ob und ggf. inwieweit die Grundfreiheiten des EGV in ihrer inhaltlichen Konkretisierung durch die Rechtsprechung des EuGH im Rahmen des Anwendungsvorrangs die Vorschriften des DBA verdrängen oder überlagern.

4. Ernstliche Zweifel an Gemeinschaftsrechtskonformität

Der EuGH misst - ungeachtet der Tatsache, dass die direkten Steuern ausschließlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen (vgl. EuGH-Urteil vom 14. Februar 1995 C-279/93, EuGHE 1995, I-225 [Schumacker]) - in sämtlichen jüngeren Entscheidungen nationale Vorschriften zur direkten Besteuerung vollumfänglich am Maßstab des primären Gemeinschaftsrechts. Danach sind im Streitfall auch die Vorschriften des DBA-Belgien an diesem Maßstab zu messen ? auch wenn in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten wird, die Regelung des DBA diene der Abgrenzung des Umfangs der Besteuerungshoheit und liege deshalb alleine in der Kompetenz der Mitgliedstaaten (vgl. z. B. Hahn, IStR 2002, 681, 686).

Nach der Rechtsprechung des EuGH steht einer Regelung eines Mitgliedstaats, nach der eine Gesellschaft innerstaatlichen Rechts mit Sitz im Inland bei der Veranlagung zur Körperschaftsteuer einen in einem bestimmten Jahr erlittenen Verlust nur dann vom steuerpflichtigen Gewinn des darauf folgenden Jahres abziehen kann, wenn dieser Verlust nicht dem Gewinn einer ihrer festen Betriebsstätten in einem anderen Mitgliedstaat in dem ersten der beiden Jahre hat zugeordnet werden können, Artikel 43 EG-Vertrag (Niederlassungsfreiheit) insofern entgegen, als ein so zugeordneter Verlust in keinem der betroffenen Mitgliedstaaten vom steuerpflichtigen Einkommen abgezogen werden kann, während dies sehr wohl möglich wäre, wenn sich die Betriebsstätten der Gesellschaft ausschließlich in dem Mitgliedstaat befänden, in dem sie ihren Sitz hat (EuGH-Urteil vom 14. Dezember 2000 C-141/99 [AMID], EuGHE 2000, I-11619). In seinem Beschluss vom 12. September 2002 (C-431/01 [Mertens]. EuGHE 2002, I-07073) legt der EuGH den Art. 39 (Freizügigkeit) ähnlich aus. Der Rechtfertigungsgrund des Zusammenhangs des Steuersystems ("Kohärenz") wurde vom EuGH in mehreren Entscheidungen so eingeschränkt, dass wohl nicht zu erwarten ist, dass er in einem Fall wie dem vorliegenden diesen als Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ansehen würde. Insbesondere rechtfertigt der mögliche Vorteil, dass etwaige belgische Betriebstättengewinne nicht in Deutschland besteuert werden, es nicht, dass Verluste letztlich in keinem Staat berücksichtigt werden können (so ausdrücklich EuGH [Mertens], a.a.O., zu Art. 39 EGV).

Für den EuGH ist in seiner jüngeren Rechtsprechung alleine von Bedeutung, ob ein Sachverhalt dann, wenn er im Inland verwirklicht wäre, steuerlich günstiger behandelt würde, als wenn er in einem anderen Mitgliedstaat verwirklicht wäre. Ein solcher Sachverhalt ist im Streitfall gegeben. Hätte der Antragsteller sein Zweigbüro statt in Brüssel etwa in Hamburg eröffnet, so hätte er den dort erzielten Verlust ohne weiteres mit den Gewinnen des Stammhauses verrechnen können. Auch der BFH hegt in seinem Vorlagebeschluss vom 13. November 2002 I R 13/02 (BFHE 201, 73, BStBl II 2003, 795) Zweifel, ob der Ausschluss der Verlustverrechnung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sei. In der Literatur ist die Frage Gegenstand einer streitig geführten Diskussion (vgl. dazu Hahn, a.a.O., m.w.N.). Somit ist die Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität des Verrechnungsverbotes über die Grenze als zweifelhaft zu beurteilen.

5. Unsicherheit über Rechtsfolge einer etwaigen Gemeinschaftsrechtswidrigkeit

Die vom EuGH oder vom nationalen Gericht ausgesprochene Gemeinschaftsrechtswidrigkeit führt nicht automatisch zur Nichtanwendbarkeit der einschlägigen Regeln des DBA-Belgien und der innerstaatlichen Vorschriften (vgl. BFH-Urteil vom 11. Januar 1992 I B 77/91, BFHE 166, 350, BStBl II 1992, 618). Vielmehr ist es Sache des nationalen Gerichts, nach nationalem Recht die Folgerungen aus der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit zu ziehen (vgl. dazu das zuletzt genannte BFH-Urteil). Der EuGH geht allerdings regelmäßig auch im Bereich der direkten Steuern von der Objektivität des Rechts aus. Grundsätzlich seien Normen des nationalen Rechts nicht anzuwenden, wenn und soweit sie gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen (vgl. z.B. EuGH-Urteil vom 22. Oktober 1998 C-10/97-C-22/97, EuGHE 1998, I-06307). Das nationale Gericht habe in diesen Fällen unter mehreren nach der innerstaatlichen Rechtsordnung in Betracht kommenden Wegen diejenigen zu wählen, die zum Schutz der durch das Gemeinschaftsrecht gewährten individuellen Rechte geeignet erscheinen. Ein im Streitfall möglicher - jedoch nicht der einzige - Weg wäre, die Anrechnung von Betriebsstättenverlusten in Deutschland nach dem Beispiel des in den Streitjahren für gewerbliche Einkünfte geltenden § 2a Abs. 3 EStG zuzulassen, also die deutsche Rechtslage durch Richterrecht ex tunc zu überschreiben. Der Antragsteller würde in diesem Fall zu seinem Ziel gelangen.

Rechtsfolgenanordnungen nationaler Gerichte ex tunc sind im Bereich der Marktordnung und der indirekten Steuern in einschlägigen Fällen üblich. Allerdings erscheint zweifelhaft, ob dies auch im Bereich der direkten Steuern gelten kann, der anders als der vorgenannte Bereich nicht durch sekundäres Gemeinschaftsrecht eine ausreichende Regelungsdichte und -tiefe aufweist, um einen Rechtsfolgenausspruch aus dem Gemeinschaftsrecht herzuleiten. Infolgedessen werden zur Frage der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung vielfältigste Lösungen diskutiert. Gerade im Blick auf die Doppelbesteuerungsabkommen ist zweifelhaft, welcher Mitgliedstaat Verpflichteter des gemeinschaftsrechtlichen Verlustverrechnungsgebotes sein soll, aber auch, wie der Anspruchsinhalt bestimmt werden sollte (vgl. hierzu Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Band I, 22. Erg.-Lieferung, vor Art. 39 ? 55 EGV, Rz. 254). Selbst innerhalb der EU-Kommission wird diskutiert, durch welchen Staat Gewinne versteuert werden sollen, die nach längerer Verlustphase erwirtschaftet werden, oder nach dem Recht welchen Staates die Gewinnermittlung erfolgt (vgl. Bericht "Unternehmensbesteuerung im Binnenmarkt", (COM(2001)582 endg.), SEK(2001)1681, S. 365, "http://europa.eu.int/comm/taxation_customs/resources/documents/company_tax_study_de.pdf ").

Ob bei einer derartigen Gemengelage, in der Grundsätze beider betroffenen Steuersysteme ebenso wie die auf OECD-Ebene gefundene harmonisierende Lösung in Frage gestellt werden, ein nationales Gericht - dessen Kompetenz auf eines der beiden betroffenen Steuersysteme beschränkt ist - überhaupt einen verantwortlichen Rechtsfolgeausspruch treffen kann, kann dahingestellt bleiben. Der EuGH hat in Fällen, in denen die Kommission selbst dem Mitgliedstaat Anlass gegeben hat, sein Recht für gemeinschaftsrechtskonform zu halten, ausnahmsweise Entscheidungen nur mit Wirkung für die Zukunft getroffen (vgl. EuGH-Urteile vom 9. März 2000 C-437/97, EuGHE 2000, I-01157; vom 13. Februar 1996 C-197/94, EuGHE 1996, I-00505). Auch bei der Frage der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung erscheint es nach der Überzeugung des erkennenden Senats möglich, dass der EuGH im Hauptverfahren eine nur in die Zukunft wirkende Entscheidung treffen könnte. Ebenso hält der Senat es für möglich, dass sich das nationale Gericht in der Hauptsache an einem Rechtsfolgenausspruch im Sinne des Antragstellers durch Erwägungen der Gewaltenteilung oder andere im nationalen Recht wurzelnde Gründe gehindert sehen könnte.

Diese zusätzliche Unsicherheit hinsichtlich der Rechtsfolge - nachdem ein möglicher Verstoß der beanstandeten Regelungen gegen Gemeinschaftsrecht festgestellt ist - bestärkt den Senat in seiner Auffassung, dass die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte zweifelhaft erscheint.

6. Kein entgegenstehendes Gemeinwohl

Allerdings müsste die Aussetzung bzw. Aufhebung der Vollziehung unterbleiben, wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls entgegenstünden. Solche Gründe sieht der erkennende Senat nicht. Zwar dürfte - wenn vergleichbare Fälle grundsätzlich ausgesetzt würden ? der öffentlichen Hand insgesamt ein erhebliches Steueraufkommen nicht zeitnah zur Verfügung stehen. Gleichwohl erscheint nach Einschätzung des erkennenden Senats eine Haushaltsgefährdung ausgeschlossen. Da der Gesetzgeber selbst bis zum Jahr 1998 für sämtliche aktiven gewerblichen Einkünfte in § 2a EStG die grenzüberschreitende Verlustverrechnung zugelassen hat, hat er selbst - jedenfalls für diesen Zeitraum - derartige Gefahren nicht gesehen. Dem schließt sich der erkennende Senat für sämtliche Streitjahre an.

7. Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 135 FGO.

8. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof wird zugelassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

RechtsgebietDBA-BelgienVorschriftenArt. 14, 23 DBA-Belgien

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr