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09.11.2005 · IWW-Abrufnummer 053139

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 25.08.2005 – 2 Ss OWi 546/05

Das Ausschöpfen von Rechtsmitteln und Rechten durch einen Betroffenen kann grundsätzlich nicht als unlauter angesehen werden. Die dadurch entstehende Verfahrensverzögerung muss bei der Beurteilung der Frage, ob langer Zeitablauf der Erforderlichkeit des Fahrverbotes entgegensteht, berücksichtigt werden.


Beschluss

Bußgeldsache

wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Recklinghausen vom 26. April 2005 hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 25. August 2005 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gem. § 79 Abs. 5 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit Urteil vom 9. März 2004 wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit nach den §§ 41 Abs. 2, 49 StVO in Verbindung mit §§ 24, 25 StVG zu einer Geldbuße von 550 ¤ verurteilt und außerdem ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Dieses Urteil hat der Senat auf die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Betroffenen mit Beschluss vom 12. Juli 2004 aufgehoben und an das Amtsgericht zurückverwiesen, weil die obergerichtlichen Anforderungen an die Identifizierung des Betroffenen anhand eines vom Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes nicht hinreichend beachtet waren (vgl. Beschluss des Senats in 2 Ss OWi 403/04; VD 2004, 217 = VA 2004, 175). Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Amtsgericht den Betroffenen nunmehr in dem angefochtenen Urteil erneut wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung verurteilt und eine Geldbuße von 275 ¤ und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der Betroffene am 5. Oktober 2003 die BAB A 43 im Bereich Recklinghausen mit einer Geschwindigkeit von 150 km/h befahren hat, obwohl im Messbereich nur eine Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h zulässig war. Das Amtsgericht ist unter Berücksichtigung eines Toleranzwertes von 5 km/h von einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 145 km/h und damit von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 65 km/h ausgegangen.

Hiergegen richtet sich die erneute Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die er auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Rechtsbeschwerde zu verwerfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Vielmehr war die Rechtsbeschwerde entsprechend dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen, da die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerdebegründung keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen lässt.

1. Die mit der Rechtsbeschwerdebegründung konkludent erklärte Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist zulässig und wirksam. Die vom Amtsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu dem dem Betroffenen zur Last gelegten Geschwindigkeitsverstoß sind ausreichend (vgl. dazu u.a. Senat in DAR 2004, 407 = VRS 106, 458 mit weiteren Nachweisen aus der obergerichtlichen Rechtsprechung). Es beschwert den Betroffenen nicht, dass das Amtsgericht ihn nur wegen eines fahrlässigen Verstoßes verurteilt hat, obwohl angesichts des Maßes der Geschwindigkeitsüberschreitung die Annahme von Vorsatz im Zweifel nicht zu beanstanden gewesen wäre (vgl. dazu OLG Hamm DAR 2005, 407 = VA 2005, 102 = VRS 108, 447).

Wegen der wirksamen Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch kann es auch dahinstehen, ob die Ausführungen des Amtsgerichts zur Täteridentifizierung nunmehr den obergerichtlichen Anforderungen entsprechen, was hinsichtlich der tatrichterlichen Darlegungen zu dem eingeholten Sachverständigengutachten zweifelhaft ist (vgl. dazu die ständige Rechtsprechung des Senats, u.a. zuletzt Senat in VA 2004, 193 = VRS 107, 371). Stützt der Tatrichter den Schuldspruch auf ein Sachverständigengutachten, so ist in den Urteilsgründen eine verständliche und in sich geschlossene Darstellung der dem Gutachten zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen, der wesentlichen Befundtatsachen und der das Gutachten tragenden fachlichen Begründung erforderlich. Dem wird das amtsgerichtliche Urteil nicht in allem gerecht.

2. Der allein noch angegriffene Rechtsfolgenausspruch ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Das Amtsgericht ist bei der Rechtsfolgenbemessung von den Regelfolgen, die von der BußgeldkatalogVO in Tabelle 1 "Geschwindigkeitsüberschreitung" unter lfd. Nr. 11.1.9. vorgesehen sind, ausgegangen und hat die Regelgeldbuße von 275 ¤ und ein gegenüber dem vorgesehenen Regelfahrverbot von zwei Monaten um einen Monat reduziertes Fahrverbot von (noch) einem Monat festgesetzt.

Das Amtsgericht hat zur Verhängung dieses Fahrverbotes ausgeführt:

"Seit der Tat sind nunmehr 1,7 Jahre vergangen. Dieses kann allerdings nicht dazu führen, dass von der Verhängung eines Fahrverbotes gänzlich abgesehen werden kann. Der Betroffene, der in erster Linie weiß, ob die Angaben über seine Identität zutreffend sind oder nicht, und seine prozessualen Rechte in Anspruch nimmt, kann grundsätzlich nicht besser gestellt werden als ein einsichtiger Betroffener, der gesetzestreu die damit verbundenen Unannehmlichkeiten in Kauf nimmt. Dem Gericht ist bekannt, dass die zum Teil in der Rechtsprechung anders gesehen wird, insbesondere dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Verzögerung im gerichtlichen Bereich liegt....".

a) Gegen diese Begründung bestehen nicht unerhebliche Bedenken, auf die der Senat nachdrücklich hinweist. Zutreffend ist, dass nach letztlich übereinstimmender obergerichtlicher Rechtsprechung es trotz eines längeren Zeitablaufs nicht zum Wegfall des Fahrverbotes kommt, wenn die zeitliche Verzögerung der Ahndung vom Betroffenen zu vertreten ist (vgl. nur BayObLG NZV 2002, 280; OLG Hamm NZV 2004, 600 = zfs 2004, 135). Der Betroffene soll grundsätzlich keinen Vorteil daraus ziehen dürfen, wenn er selbst für die Überschreitung des obergerichtlichen Richtwertes von zwei Jahren die Verantwortung trägt. In dem Zusammenhang kann dem Betroffenen aber nicht zur Last gelegt werden, wenn er ihm in der StPO eingeräumte Rechte in Anspruch nimmt, wie also z.B. sich nicht zur Sache einlässt (§ 136 StPO) oder die Tat bestreitet bzw. von seinem ihm zustehenden Rechtsmitteln Gebrauch macht. Sämtliche darauf beruhende Verfahrensverzögerungen hat der Betroffene nicht zu vertreten (OLG Zweibrücken DAR 2000, 586; a.A. wohl OLG Köln NZV 2000, 217; siehe auch OLG Köln NZV 2004, 422). Die Grenze ist lediglich da zu ziehen, wo das Verhalten des Betroffenen subjektiv auf unlautere Verzögerung des Verfahrens abzielt (so schon OLG Hamm, a.a.O., mit ablehnender Anmerkung von Bode). Diese Abgrenzung entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und der Obergerichte zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Nach der Rechtsprechung des EGMR ist der Beschuldigte aufgrund der Selbstbelastungsfreiheit nicht verpflichtet, aktiv an dem gegen ihn geführten Strafverfahren mitzuwirken. Andererseits kann, wenn der Beschuldigte seine Verteidigungsrechte ausschöpft, die hierfür verstrichene Zeit dem Staat grundsätzlich nicht als unangemessene Verzögerung zugerechnet werden (zu allem eingehend Gaede wistra 2004, 166, 169 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des EGMR in Fn. 72). Dem entspricht die Rechtsprechung des BVerfG und des BGH, die Verfahrensverzögerungen, die durch die Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht eintreten, als Ausfluss der rechtsstaatlichen Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems ansehen (vgl. BVerfG NJW 2003, 2897; BGH NStZ 2001, 106 = wistra 2000, 462; BGH, Beschluss vom 22. März 2005, 3 StR 77/05). Legt man das zugrunde, dann kann das Ausschöpfen von Rechtsmitteln und Rechten durch einen Betroffenen grundsätzlich nicht als unlauter angesehen und muss die dadurch entstehende Verfahrensverzögerung bei der Beurteilung der Frage, ob langer Zeitablauf der Erforderlichkeit des Fahrverbotes entgegensteht, berücksichtigt werden. Die gegenteilige vom Amtsgericht vertretene Auffassung würde dazu führen, dass dem Betroffenen das Einlegen eines Rechtsmittels grundsätzlich zum Nachteil gereichen würde. Das ist rechtsfehlerhaft.

b) Dieser Rechtsfehler führt jedoch nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung bzw. zum Wegfall des Fahrverbots durch Entscheidung des Senats. Die Rechtsbeschwerde übersieht nämlich, dass die BußgeldkatalogVO für den erheblichen Verkehrsverstoß ein zweimonatiges Fahrverbot vorsieht. In diesen Fällen vertritt die obergerichtliche Rechtsprechung die Auffassung, dass es bei so genannten langem Zeitablauf (vgl. dazu zuletzt auch Senat in NZV 20004, 598 = DAR 2004, 535 für ein Fahrverbot nach § 44 StGB; siehe auch BayObLG NZV 2004, 210) dann der Prüfung bedarf, ob dieses ganz zu entfallen hat oder ob es lediglich zu mildern ist (vgl. BayObLG NZV 2004, 100; OLG Naumburg DAR 2003, 133; OLG Frankfurt zfs 2004, 283 mit Anmerkung Bode). Zutreffend wird darauf hingewiesen, dass ein längeres Fahrverbot nicht ganz wegfallen dürfe, sondern um einen oder ggf. zwei Monate zu mildern sei (BayObLG und OLG Naumburg, jeweils a.a.O.). Denn ein völliger Verzicht auf die Verhängung eines Fahrverbots liefe in diesem Fall auf eine ungerechtfertigte Gleichbehandlung schwererer Verkehrsverstöße, für die zur Ahndung ein mehrmonatiges Fahrverbot geboten ist, mit leichteren, bei denen als Ahndung ein einmonatiges Fahrverbot ausreichend ist, hinaus. Für eine "Milderung" des Fahrverbots auf eine Dauer von einem oder zwei Monaten spreche auch die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur angemessenen Herabsetzung der Ahndung bei einer Verletzung des Beschleunigungsgebots nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK (BGHSt 24, 239/242; NStZ 1992, 229; NStZ-RR 2002, 219). Dieser überzeugenden Begründung schließt sich der Senat an. Deshalb ist es nicht zu beanstanden, dass das Amtsgericht das zweimonatige Regelfahrverbot nur um einen Monat reduziert und nicht gänzlich aufgehoben hat.

c) Das Amtsgericht hat schließlich auch die Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung zum Umfang der tatsächlichen Feststellungen hinsichtlich der der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen beachtet und festgestellt, dass der Betroffene von beruf Chemiker ist und in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebt (OLG Hamm NZV 2001, 177; siehe auch OLG Jena VRR 2005, 114).

Nach allem war somit die Rechtsbeschwerde mit der sich aus § 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 79 Abs. 3 OWiG ergebenden Kostenfolge zu verwerfen.

RechtsgebietBKatVOVorschriftenBKatVO § 4

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