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07.09.2005 · IWW-Abrufnummer 052588

Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 06.06.2005 – 3 Ss OWi 141/05

Die tatrichterliche Überzeugung davon, dass der Betroffene bei Verhängung eines Fahrverbotes mit der Kündigung des Arbeitsplatzes rechnen muss, darf sich nicht ausschließlich aus nicht näher belegten Angaben des Betroffenen ableiten. Die Verwertung einer nicht aktuellen Bescheinigung, die ca. mindestens neun Monate alt gewesen ist, genügt dieser Überprüfungspflicht nicht.


Beschluss

Bußgeldsache

gegen R.H.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Herford vom 10. Dezember 2004 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 06. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG n.F. nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch nebst den diesem zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herford, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Herford hat den Betroffenen durch Urteil vom 10. Dezember 2004 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 28 km/h zu einer Geldbuße von 150,- ¤ verurteilt und von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen.

Nach den Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 14.05.2004 um 14.37 Uhr mit dem PKW BMW, amtliches Kennzeichen XXXXXX, die Klosterbauerschafter Straße in Kirchlengern in Fahrtrichtung Dünne. Dort wurde seine Geschwindigkeit mit einem Laser-Geschwindigkeitsmessgerät des Herstellers Riegl Laser Measurement Systems GmbH vom Typ LR90-235/P, Gerätenummer: S 66995, unter Abzug eines Toleranzwertes von 3 km/h mit 78 km/h gemessen.

Zu den persönlichen Verhältnissen hat das Amtsgericht u.a. festgestellt, dass der Betroffene als angestellter Bauleiter in einem Ingenieurbüro in Paderborn tätig ist und seine Tätigkeit erfordere, dass er täglich Baustellen in ganz Deutschland anfahren müsse, teilweise mehrere Baustellen an einem Tag. Wegen der weiteren Feststellungen des Amtsgerichts zur Sache und zur Person, insbesondere auch die einschlägige Vorbelastung des Betroffenen im Verkehrszentralregister vom 31.03.2004 wird wegen der Einzelheiten auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Amtsgericht hat unter Erhöhung der Regelbuße von 60,- ¤ auf 150,- ¤ von der gemäß § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatVO indizierten Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen, weil hierdurch die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen gefährdet würde. Hierzu hat das Amtsgericht Folgendes ausgeführt:

"Der Betroffene ist als Bauleiter angestellt. Er hat durch Vorlage einer Bescheinigung seines Arbeitgebers nachgewiesen, dass ihm im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes die Kündigung droht. Zwar ist diese Bescheinigung anlässlich der letzten Geschwindigkeitsüberschreitung erstellt worden - der Betroffene hat aber glaubhaft bekundet, dass sich an dem Umstand, dass er seinen Arbeitsplatz verlieren würde, nichts geändert hat.

Wie der Betroffene glaubhaft dargelegt hat, ist er als Bauleiter auf seinen Führerschein angewiesen. Es ist ihm wegen des engen Terminplans und des Umstandes, dass er häufig spontan und ungeplant zu Baustellen fahren muss, nicht möglich, zu den zahlreichen Baustellen etwa mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren oder sich durch einen Dritten fahren zu lassen.

Des weiteren hat der Betroffene nachvollziehbar bekundet, dass es ihm nicht möglich sei, Urlaub von mehr als 10 Tagen zu nehmen, da er in seinem kleinen Unternehmen für einen längeren Zeitraum nicht entbehrlich sei. Zur Zeit laufe zudem ein großes Projekt, welches seine Firma zu betreuen habe (Universität Paderborn).

Trotz des ordnungswidrigen Verhaltens des Betroffenen, das im Zusammenhang mit der Vorverurteilung eine Ordnungswidrigkeit von nicht unerheblichem Gewicht darstellt, war es zu rechtfertigen, ausnahmsweise von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen und die hinreichende Abschreckungswirkung durch die drastische Erhöhung der Regelbuße zu erreichen.

Zwar ist zugunsten des Betroffenen auch bei der letzten Verurteilung von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen worden - allerdings zeigt sein erneuter Verstoß nach Auffassung des Gerichts gerade nicht, dass eine Erhöhung der Regelbuße nicht ausreichend wäre, auf den Betroffenen hinreichend einzuwirken: Wie dieser glaubhaft bekundet hat, war er der Ansicht, es gelte eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 70 km/h. Er hatte bereits auf dem Hinweg die Messbeamten gesehen, in deren Kontrolle er auf dem Rückweg geriet.

Das Gericht glaubt dem Betroffenen hier, dass er nicht "sehenden Auges" in eine Laserkontrolle gefahren wäre, wenn er nicht angenommen hätte, dass er sich noch außerorts befinden würde.

Durch sein Fehlverhalten, dass zwar unvermeidbar war, hat er aber jedenfalls nicht zum Ausdruck gebracht, dass ihn eine Geldbuße allein nicht hinreichend abschrecken würde."

Gegen dieses Urteil richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird und die sich insbesondere gegen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes richtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich der Rechtsbeschwerde unter ergänzenden Ausführungen angeschlossen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache zumindest vorläufig Erfolg. Sie führt zu einer Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils im Rechtsfolgenausspruch.

Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegens eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäß von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (vgl. BGH NZV 1992, 286, 288). Dem Tatrichter ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes, freies Ermessen eingeräumt, das nur auf Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist, sondern der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist durch gesetzlich niedergelegte oder von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalls oder Regelfalls, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbots nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (vgl. Senatsentscheidungen vom 14.02.2005 - 3 Ss OWi 604/04 -; 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 04.07.2002 - 3 Ss OWi 339/02 -; 06.06.2000 - 3 Ss OWi 237/00 -; 20.03.1997 - 3 Ss 0Wi 52/97 -; 06.02.1997 - 3 Ss OWi 13/97 -).

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Betroffene berufliche und wirtschaftliche Schwierigkeiten als Folge eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher kein Absehen von der Verhängung des Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z.B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder der Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14.02.2005 - 3 Ss OWi 604/04 -; 04.03.2004 - 3 Ss OWi 769/03 -; 11.05.2004 - 3 Ss OWi 239/04 -; 26.02.2002 - 3 Ss OWi 1065/01; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 25 StVG Rdz. 25 m.w.N.). Dass die Verhängung eines Fahrverbotes vorliegend mit derart schwerwiegenden Folgen für den Betroffenen verbunden ist, hat das Amtsgericht nicht festgestellt.

Soweit in den Urteilsgründen ausgeführt wird, der Betroffene habe im Falle der Verhängung eines Fahrverbotes mit der Kündigung durch seinen Arbeitgeber zu rechnen, beruht diese Feststellung zum einen auf einer früheren Bescheinigung der Arbeitgeberin anlässlich der letzten Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen und im Übrigen lediglich auf den Angaben des Betroffenen, die einer kritischen Überprüfung offenbar nicht unterzogen worden sind. Die tatrichterliche Überzeugung darf sich nicht ausschließlich aus nicht näher belegten Angaben des Betroffenen ableiten; die Verwertung einer nicht aktuellen Bescheinigung, die nach dem Datum der Voreintragung vom 31.03.2004 ca. mindestens neun Monate alt gewesen ist, genügt dieser Überprüfungspflicht nicht.

Überdies hätte sich das Amtsgericht mit der Frage näher befassen müssen, ob dem Betroffenen nicht andere zumutbare Maßnahmen zur Abwendung erheblicher beruflicher Nachteile infolge der Verhängung des Fahrverbotes zur Verfügung stehen. Dass der Betroffene nach eigenen Angaben Urlaub von nicht mehr als 10 Tagen nehmen könne, hat das Amtsgericht ebenfalls keiner näheren Überprüfung unterzogen. Insbesondere aber die Möglichkeit einer zumindest teilweisen Überbrückung der Dauer des Fahrverbots durch die Inanspruchnahme von Urlaub sowie einer teilweise Benutzung von Mietwagen bzw. öffentlichen Verkehrsmitteln und/oder der Beschäftigung eines Aushilfsfahrers in der verbleibenden Vollstreckungszeit des Fahrverbotes als Kombination dieser Maßnahmen hätten der näheren Erörterung bedurft. Die Möglichkeit, notfalls auf eigene Kosten einen Aushilfsfahrer zu beschäftigen, wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung auch bei notwendiger Aufnahme einer Kreditverpflichtung zur Finanzierung der damit verbundenen Kosten für zumutbar gehalten (vgl. BayObLG NZV 2002, 143; OLG Frankfurt NStZ-RR 2000, 312 f.). Dass die zuletzt genannten Maßnahmen unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse des Betroffenen hier ausscheiden, lässt sich aus dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, das sich mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen nicht näher befasst. Aufgrund seiner beruflichen Position als Bauleiter spricht jedoch einiges dafür, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen - auch unter Berücksichtigung etwaiger Darlehensverpflichtungen durch Eigentumserwerb - jedenfalls als durchschnittlich, wenn nicht sogar besser einzustufen sind und die kurzzeitige Finanzierung eines Aushilfsfahrers ermöglichen.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Betroffene bei Verhängung des Fahrverbotes in den Genuss der sogenannten 4-Monats-Frist des § 25 Abs. 2 a StVG kommen dürfte, wodurch er seinen Urlaub und die Vollstreckung des Fahrverbotes in die bauschwache Jahreszeit verlegen könnte.

Die aufgezeigten Begründungsmängel führen zur Aufhebung des Urteils im gesamten Rechtsfolgenausspruch, da zwischen Geldbuße und Fahrverbot eine Wechselwirkung besteht. Eine eigene Sachentscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht Betracht, da noch weitere Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen getroffen werden können. Die Sache ist daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Herford zurückzuverweisen.

RechtsgebieteBKatV, StPOVorschriftenBKatV § 4 StPO § 267

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