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15.04.2005 · IWW-Abrufnummer 051061

Oberlandesgericht Köln: Urteil vom 29.06.2004 – 9 U 176/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


9 U 176/03
11 0 47/03 LG Aachen

Verkündet am 29.6.2004

OBERLANDESGERICHT KÖLN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

In dem Rechtsstreit
pp.

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln auf die mündliche Verhandlung vom 25. Mai 2004
durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Münstermann, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Halbach und die Richterin am Amtsgericht Dr. Dinkelbach

für R e c h t erkannt:

Unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel wird auf die Berufung des Klägers das am 10. September 2003 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des Landgerichts Aachen ? 11 O 47/03 ? teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.741,31 ? nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.3.2003 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 12 % und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 88 %.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger macht gegen den Beklagten zu 1) als Halter und Fahrer und gegen die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherer Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall am 1.9.2002 auf der Autobahn A xx geltend. Wegen des Sach- und Streitstandes wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO).

Das Landgericht hat der Klage unter Abzug der geltend gemachten Mehr-wertsteuer in Höhe von 4.203,51 ? nebst Zinsen nach der Anhörung des Klägers, des Beklagten zu 1) und der Vernehmung von Zeugen stattgegeben. Der Kläger müsse sich im Verhältnis zu den Beklagten einen Verursachungsbeitrag gemäß § 17 Abs. 2, 1 StVG nicht anrechnen lassen.

Mit der Berufung begehrt der Kläger eine teilweise Abänderung des angefochtenen Urteils. Er meint, dass die bei der Ersatzbeschaffung angefallene Mehrwertsteuer, die auf die Handelsspanne des Kfz-Händlers entfalle, gemäß § 249 Abs. 2 S. 2 BGB n. F. zu ersetzen sei. Die Handelsspanne des Händlers sei ? wie stets ? nicht bekannt. Der Aufschlag auf den Einstandspreis sei mit 20 % zu veranschlagen, so dass der Mehrwertsteueranteil 3,2/103,2 des Verkaufspreises betrage (zur genauen Berechnung vgl. Bl. 126 f. GA). Der Kläger verteidigt die vom Landgericht angenommene volle Haftung des Beklagten.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger weitere 833,80 ? nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 10.3.2003 zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

mit der Anschlussberufung beantragen sie,

unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Mit der Anschlussberufung rügen die Beklagten die Beweiswürdigung des Landgerichts. Aus der Bekundung der Zeugin N. lasse sich zur Unfallursache nichts herleiten. Das Landgericht habe das erstinstanzlich angebotene Unfall-rekonstruktionsgutachten einholen müssen. Aufgrund des unklaren Unfallhergangs spreche der Anscheinsbeweis nicht gegen den Beklagten zu 1). Es sei nur eine Haftungsquote von 50 % gerechtfertigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das erstinstanzliche Urteil sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers ist teilweise begründet. Die zulässige Anschlussberufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner über die bereits vorgerichtlich gezahlten 4.742,51 ? einen Anspruch auf Zahlung von 4.741,31 ? aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, 3 Nr. 1 PflVG. Das Fahrzeug des Klägers wurde unstrittig am 1.9.2002 beim Betrieb des vom Beklagten zu 1) gehaltenen und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Audi beschädigt. Der Unfall wurde nicht durch höhere Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG verursacht.

Im Ergebnis zu Recht ist das Landgericht von einer Haftung der Beklagten zu 100 % ausgegangen. Der Kläger muss sich einen eigenen Verursachungsbeitrag gemäß § 17 Abs. 1 und 2 StVG wegen des ganz überwiegenden von dem Beklagten zu 1) zu verantwortenden Verursachungsanteils nicht zurechnen lassen.

Allerdings steht nicht bereits aufgrund der erstinstanzlichen Zeugenaussagen fest, dass das klägerische Fahrzeug vor dem Zusammenstoß nicht nach links ausgeschert ist. Die Zeugin N. hat nach eigenen Angaben das Verkehrsgeschehen vor dem Zusammenstoß nicht beobachtet, sondern im Fußraum nach einer Zeitung gesehen. Vorher hat sie sogar geschlafen. Sie kann deshalb keine zuverlässigen Angaben zur Unfallursache machen. Leichte Lenkbewegungen sind für einen Beifahrer ohne Beobachtung der Strecke kaum wahrnehmbar. Die Zeugen T. konnten zu dem Unfallgeschehen keine Angaben machen.

Dem bereits erstinstanzlich angebotenen Beweis der Beklagten, ein Sachverständigengutachten zur Unfallrekonstruktion einzuholen, war nicht nachzugehen. Die Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens ist zur Aufklärung der strittigen Umstände des Unfallgeschehens nicht geeignet. Durch ein Sachverständigengutachten lässt sich, wie die Beklagten selbst einräumen, gerade nicht die entscheidende Frage klären, auf welcher Fahrbahn sich die beteiligten Fahrzeuge vor und während der Kollision befanden. Nach der Unfallschilderung der Beklagten soll sich der teilweise Fahrbahnwechsel des klägerischen Fahrzeugs schon vor dem Zusammenstoß vollzogen haben, so dass anhand der Schäden auch keine Lenkbewegung des Klägers mehr erkennbar sein kann. Die Schlussfolgerungen, welche die Beklagten aus der möglichen Aufprallgeschwindigkeit über die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Unfallhergangs ziehen wollen, sind reine Spekulationen. Warum der Beklagte zu 1) nicht nach links ausgewichen ist, lässt sich mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens nicht klären. Die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge vor der Kollision sind außer Streit und bedürfen keiner Klärung durch einen Sachverständigen.

Für ein alleiniges Verschulden des Beklagten zu 1) als Auffahrendem spricht der erste Anschein. Grundsätzlich anerkannt ist, dass bei Auffahrunfällen der Anscheinsbeweis eingreift. Wer im gleichgerichteten Verkehr auf den Voraus-fahrenden auffährt, war in der Regel unaufmerksam oder zu dicht aufgefahren (vgl. nur Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Auflage (2003), § 4 StVO, Rn. 17 m. w. N.; KG MDR 2001, 808). Dieser Anscheinsbeweis greift dann nicht ein, wenn der Auffahrende Umstände darlegt und beweist, die die ernsthafte Möglichkeit ergeben, dass das Geschehen atypisch verlaufen ist. Ein solcher atypischer Verlauf liegt beispielsweise dann vor, wenn der Vorausfahrende in engem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall die Fahrspur gewechselt hat (BGH NJW 1991, 230, 231; OLG Köln r + s 2004, 213; OLG Köln VersR 1991, 1195; OLG Hamm MDR 1998, 713; OLG Naumburg NJW-RR 2003, 809; KG MDR 2001, 808). Allerdings reicht es nach Auffassung des Senats nicht aus, wenn der Auffahrende bloß behauptet, der Vorausfahrende habe die Spur gewechselt. Es müssen sich aus den unstreitigen oder bewiesenen Umständen zumindest konkrete Anhaltspunkte und Indizien ergeben, dass dies so gewesen ist (BGH MDR 1989, 150; Senat r + s 2004, 214; KG MDR 2001, 808; anders OLG Naumburg NJW-RR 2003, 809; OLG Hamm MDR 1998, 712).

Konkrete Anhaltspunkte für einen Spurwechsel des Klägers vor der Kollision können die Beklagten nicht beweisen. Wie bereits ausgeführt, ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Nachweis eines Spurwechsels nicht geeignet. Die Bekundungen der Eltern des Beklagten zu 1), dass ihr Sohn ihnen gegenüber von einem Herüberziehen des Mercedes nach links berichtet habe, beweisen noch nicht den tatsächlichen Unfallhergang. Sonstige Umstände lassen ebenfalls nicht den Schluss auf einen vorangegangenen Spurwechsel des Klägers zu. Die seitliche Versetzung der Schäden kann problemlos darauf zurückgeführt werden, dass die Fahrbahn deutlich breiter als die Fahrzeuge ist und die Fahrzeuge sich möglicherweise seitlich versetzt innerhalb einer Fahrbahn befanden (vgl. auch Senat r + s 2004, 213; KG MDR 2001, 808). Dass der Beklagte zu 1) nicht auf die linke Spur auswich, spricht ebenfalls nicht für einen Spurwechsel des Klägers. Es ist durchaus denkbar, dass der Beklagte den Unfall infolge überhöhter Geschwindigkeit ohne äußere Ursache allein verschuldete und kurz vor der Kollision falsch reagierte. Die fehlende Aufklärbarkeit geht zu Lasten der für die Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs beweispflichtigen Beklagten.


Aufgrund des ganz überwiegenden Verschuldens des Beklagten zu 1) kommt die Anrechnung eines Mitverursachungsanteils des Klägers gemäß §§ 17 Abs. 1, 2 StVG nicht in Betracht. Ein Mitverschulden des Klägers scheidet mangels Nachweises eines (teilweisen) Spurwechsels ohnehin aus. Doch auch die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeugs tritt völlig hinter den Verursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) als Auffahrendem und die erheblich erhöhte Betriebsgefahr des Audi aufgrund der Geschwindigkeit von 230 km/h zurück. Es ist anerkannt, dass sich ein Unfallbeteiligter eine erhöhte Betriebsgefahr anrechnen lassen muss, wenn er auf der Autobahn mit einer deutlich über der Richtgeschwindigkeit liegenden Geschwindigkeit unterwegs war (vgl. OLG Hamm VersR 2001, 779; OLG Frankfurt/M VersR 1997, 74; OLG Köln VersR 1991,1188). Dies ist gerechtfertigt, weil bei Überschreiten der Richtgeschwindigkeit Gefahrensituationen erheblich schwerer zu beherrschen sind. Hinzu kommt, dass der Beklagte zu 1) im Zeitpunkt des Unfalls Führerscheinneuling war und schon aus diesem Grunde seine Geschwindigkeit seiner mangelnden Fahrpraxis hätte anpassen müssen.

Der Höhe nach steht dem Kläger unter Berücksichtigung der vorgerichtlich gezahlten 4.742,51 ? ein Anspruch auf Zahlung weiterer 4.741,31 ? zu. Hinsichtlich der Schadenshöhe ist lediglich die zu erstattende Mehrwertsteuer im Streit. Der Senat hält gemäß §§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB n. F., 287 ZPO einen Betrag von 537,80 ?, welcher 2% des Kaufpreises von 26.890 ? entspricht, zur Erstattung der vom Kläger bei der Ersatzbeschaffung gezahlten Mehr-wertsteuer für begründet.

Zu Recht hat das Landgericht angenommen, dass der Kläger gemäß § 249 Abs. 2 S. 2 BGB n. F., der nach Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB Anwendung findet, keine Mehrwertsteuer auf die Reparaturkosten verlangen kann, weil er das Fahrzeug nicht hat reparieren lassen. Allerdings kann der Geschädigte beim Kauf eines Ersatzfahrzeugs vom Gebrauchtwagenhändler die gemäß § 25 a UStG nach der Differenz zwischen dem Händlereinkaufs- und Verkaufspreis zu berechnende Umsatzsteuer als ersatzfähigen Schaden geltend machen (LG Darmstadt r + s 2003, 439; AG Halle NJW 2003, 2616; AG Papenburg NJW 2003, 2617). Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte im Übrigen eine fiktive Schadenberechnung auf Reparaturkostenbasis vornimmt (Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 249, Rn. 18). Bei einem Erwerb vom Gebrauchtwagenhändler gegen Rechnung ist davon auszugehen, dass Mehr-wertsteuer tatsächlich angefallen ist. Damit ist den gesetzlichen Vorgaben Genüge getan (vgl. hierzu auch AG Halle NJW 2003, 2616 f.). Durch die Neufassung des § 249 BGB soll dem Geschädigten nicht die Möglichkeit genommen werden, auf der Basis fiktiver Reparaturkosten abzurechnen.

Der Senat schätzt die Höhe der angefallenen Mehrwertsteuer gemäß § 287 ZPO auf 2 % des Händlerverkaufspreises. Es ist anerkannt, dass in Fällen, in denen die Mehrwertsteuer ? wie üblich ? nicht in der Rechnung des Händlers ausgewiesen ist, die Höhe gemäß § 287 ZPO geschätzt werden kann. Der Senat hält im Wege der Schätzung einen Mehrwertsteueranteil von 2 % des Verkaufspreises für ausreichend und angemessen (so auch LG Darmstadt r + s 2003, 439; AG Halle NJW 2003, 2616). Eine zu hohe Schätzung des Mehrwertsteueranteils, etwa auf 3 % oder mehr, liefe dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung zuwider, wonach nur tatsächlich angefallene Mehr-wertsteuer erstattet werden soll. Einen höheren Mehrwertsteueranteil hätte der Kläger konkret nachweisen müssen, was er nicht getan hat.

Der Zinsanspruch ist begründet aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ein Anlass, gemäß § 543 Abs. 2 ZPO die Revision zuzulassen, besteht nicht. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 5.037,31 ?

RechtsgebieteVerkehrsrecht, UmsatzsteuererstattungVorschriften§ 249 BGB, §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 3 Nr. 1 PflVG

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