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25.11.2004 · IWW-Abrufnummer 043007

Bundesfinanzhof: Urteil vom 24.08.2004 – VII R 50/03

Eine unzutreffende, jedoch bestandskräftig gewordene Lohnsteueranmeldung muss sich der als Haftungsschuldner in Anspruch genommene Geschäftsführer einer GmbH dann nicht nach § 166 AO 1977 entgegenhalten lassen, wenn er nicht während der gesamten Dauer der Rechtsbehelfsfrist Vertretungsmacht und damit das Recht gehabt hat, namens der GmbH zu handeln.


Gründe:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war alleiniger Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG (KG), über deren Vermögen im Dezember 1998 das Konkursverfahren eröffnet worden ist. Zuvor erließ das Amtsgericht am 5. November 1998 nach § 12 i.V.m. § 59 der Vergleichsordnung (VerglO) ein allgemeines Veräußerungsverbot und bestellte zugleich einen vorläufigen Vergleichsverwalter. Aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten wurden die von der KG für den Monat September 1998 geschuldeten Löhne erst am 12. und 22. Oktober 1998 ausgezahlt. Die Lohnsteuer-Anmeldung für September 1998 ging beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) am 14. Oktober 1998 ein. Mit Haftungsbescheid vom 5. November 1998 nahm das FA den Kläger u.a. wegen angemeldeter, jedoch nicht abgeführter Lohnsteuer für den Haftungszeitraum Juli, August und September 1998 sowie wegen Umsatzsteuerrückständen als Haftungsschuldner gemäß § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) in Anspruch.

Der Einspruch des Klägers führte zu einer Beschränkung des Haftungsbescheides auf die Lohnsteuerschulden der KG. Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen seine haftungsrechtliche Inanspruchnahme für die am 14. Oktober 1998 angemeldete Lohnsteuer für den Monat September 1998.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) urteilte mit seiner in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 618 veröffentlichten Entscheidung, dass das FA den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in Anspruch genommen habe. Als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH hätte der Kläger für eine Entrichtung der Lohnsteuer für die Löhne für den Monat September 1998 Sorge tragen müssen. Zwar sei die Lohnsteuer für die am 12. und 22. Oktober 1998 verspätet erfolgten Lohnzahlungen erst am 10. November 1998 fällig gewesen, jedoch müsse der Kläger die in der unzutreffenden Steueranmeldung gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzte Lohnsteuer, die am 10. Oktober 1998 fällig gewesen sei, nach § 166 AO 1977 gegen sich gelten lassen. Denn er wäre als Geschäftsführer in der Lage gewesen, die unzutreffende Lohnsteuer-Anmeldung anzufechten oder diese zu berichtigen. Ausweislich zweier Kontoauszüge hätten der KG bis zum 22. Oktober 1998 auch noch finanzielle Mittel zur Begleichung der Lohnsteuerrückstände zur Verfügung gestanden. Im Zeitpunkt der Abführungspflicht habe weder eine Zahlungsunfähigkeit vorgelegen noch sei die Überschuldung festgestellt worden. Im Übrigen hätte der Kläger die Liquiditätsschwierigkeiten erkennen können und die Löhne nur gekürzt als Vorschuss oder als Teilbetrag auszahlen dürfen. Dadurch dass er auf die Einziehung von Außenständen bzw. auf eine Erhöhung der Kreditlinie vertraut hätte, sei er bewusst ein Haftungsrisiko eingegangen. Die Pflichtverletzung des Klägers sei auch ursächlich für den eingetretenen Schaden gewesen, der bei Begleichung der Steuerschuld am 10. Oktober 1998 nicht eingetreten wäre.

Mit der Revision macht der Kläger eine Abweichung des erstinstanzlichen Urteils von der Senatsentscheidung vom 17. November 1992 VII R 13/92 (BFHE 170, 295, BStBl II 1993, 471) geltend. Dort habe der Bundesfinanzhof (BFH) entschieden, dass maßgeblich für den Zeitpunkt der Lohnsteuer-Anmeldung der Zeitpunkt der Lohnzahlung sei. Im Streitfall habe die Frist für die Abführung der Lohnsteuer für den Monat September aufgrund der im Oktober erfolgten Auszahlung der Löhne erst am 10. November 1998 geendet. Infolge der Anordnung der Verfügungsbeschränkung nach § 59 VerglO habe der Kläger zu diesem Zeitpunkt keine Verfügungsbefugnis über Mittel der KG mehr gehabt. Aufgrund dieser Verfügungsbeschränkung sei er auch nicht zur Anfechtung der Lohnsteuer-Anmeldung befugt gewesen. Das FG habe in unzulässiger Weise den Fälligkeitszeitpunkt vorverlegt, obwohl die Lohnsteuer-Anmeldung im ersten Drittel des Anmeldungszeitraums Oktober erfolgte.

Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Urteils des FG und der Einspruchsentscheidung vom 13. März 2001, sowie zu einer Beschränkung der Haftung auf die Lohnsteuer nebst steuerlichen Nebenleistungen.

In seiner Entscheidung ist das FG zu Unrecht davon ausgegangen, dass sich der Kläger den Inhalt der bestandskräftig gewordenen Lohnsteueranmeldung nach § 166 AO 1977 entgegenhalten lassen muss.

1. Als Geschäftsführer der Komplementär-GmbH hatte der Kläger nach § 34 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 35 Abs. 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) die Pflichten zu erfüllen, die der KG als Arbeitgeberin beim Lohnsteuerabzug oblagen. Ihn traf daher gemäß § 41a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) die öffentlich-rechtliche Verpflichtung, bis zum zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraumes dem FA die Summe der in diesem Zeitraum einzubehaltenden Lohnsteuer in einer Steuererklärung anzugeben und die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum insgesamt einbehaltene Lohnsteuer an das FA abzuführen.

a) Ist eine Lohnsteueranmeldung wie im Streitfall bestandskräftig geworden, richtet sich die Fälligkeit der Lohnsteuerschuld nach den in der Lohnsteueranmeldung gemachten Angaben. Diese Rechtsfolge ergibt sich aus der Funktion des Verfahrens der Lohnsteueranmeldung und der in § 168 Satz 1 AO 1977 getroffenen Regelung, nach der eine Steueranmeldung einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Dabei bestimmt der Inhalt der Steueranmeldung auch den Inhalt der Steuerfestsetzung (BFH-Entscheidung vom 13. August 1997 I B 30/97, BFHE 184, 92, BStBl II 1997, 700). Eine Festsetzung der Steuerschuld gegenüber dem Arbeitnehmer als dem eigentlichen Steuerschuldner setzt das Lohnsteueranmeldeverfahren nicht voraus. Vielmehr erklärt der Arbeitgeber mit der Abgabe der Steueranmeldung seine eigene Abführungsschuld aus § 41a Abs. 1 EStG und gibt damit eine Art Steueranerkenntnis ab (Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 168 AO 1977 Rdnr. 2). Nach der Rechtsprechung des Senats erwächst die Lohnsteueranmeldung mit ihrem Regelungsgehalt in materielle Bestandskraft, so dass sie in Bezug auf die einzubehaltende Lohnsteuer Tatbestandswirkung entfaltet (Senatsentscheidung vom 20. Januar 1998 VII R 80/97, BFH/NV 1998, 814).

Diese Wirkung der Steueranmeldung wird dadurch verstärkt, dass sie gemäß § 168 Satz 1 AO 1977 einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Zweck dieser Regelung ist die Beschleunigung und Ermöglichung der ersten Steuerfestsetzung ohne besondere Prüfung durch das FA allein aufgrund der Angaben des Steuerpflichtigen (vgl. amtliche Begründung zu § 145 AO 1977 a.F. BTDrucks VI/1982, 148). Das FA ist zur Nachprüfung der Angaben nicht verpflichtet, es hat jedoch das Recht, die Lohnsteuerfestsetzung bis zum Ablauf der vierjährigen Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO 1977) gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 aufzuheben oder zu ändern.

b) Entgegen der Ansicht des FG muss sich aber der Kläger den Inhalt der bestandskräftigen Lohnsteueranmeldung für September 1998 nicht gemäß § 166 AO 1977 entgegenhalten lassen. Nach dieser Vorschrift entfaltet die Bestandskraft eines Bescheides auch gegenüber demjenigen Wirkung, der in der Lage gewesen wäre, den gegen den Steuerpflichtigen erlassenen Bescheid als dessen Vertreter, Bevollmächtigter oder kraft eigenen Rechts anzufechten. Hinsichtlich der von einer KG abgegebenen Lohnsteueranmeldung gehört zu dem in § 166 AO 1977 angesprochenen Personenkreis auch der gesetzliche Vertreter der geschäftsführenden Komplementär-GmbH (§ 34 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 35 Abs. 1 GmbHG). Dieser muss --ebenso wie andere zur Anfechtung berechtigte gesetzliche Vertreter von Personen- oder Kapitalgesellschaften-- unanfechtbare Lohnsteueranmeldungen gegen sich gelten lassen (vgl. Senatsentscheidungen vom 23. März 1993 VII R 38/92, BFHE 171, 10, BStBl II 1993, 581, und in BFH/NV 1998, 814).

Nach der Rechtsprechung des Senats führt § 166 AO 1977 jedoch nur dann zum Ausschluss von Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung, wenn der gesetzliche Vertreter während der gesamten Dauer der Rechtsbehelfsfrist Vertretungsmacht und damit das Recht gehabt hat, namens der GmbH zu handeln (vgl. Senatsurteil vom 21. Januar 1986 VII R 196/83, BFH/NV 1986, 512, und Senatsbeschluss vom 28. März 2001 VII B 213/00, BFH/NV 2001, 1217). Im Streitfall bestand diese Möglichkeit für den Kläger nicht, denn zwischen dem Eingang der Lohnsteuer-Anmeldung beim FA am 14. Oktober 1998, mit dem gemäß § 355 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 die Einspruchsfrist in Lauf gesetzt worden ist, und der Einleitung des Insolvenzverfahrens am 5. November 1998 und dem damit verbundenen Verlust der Verfügungsbefugnis lag lediglich ein Zeitraum von drei Wochen, in denen eine Einspruchseinlegung möglich gewesen wäre. Da der Kläger die Einspruchsfrist nicht in vollem Umfang ausschöpfen konnte, ist er nach § 166 AO 1977 nicht mit Einwendungen gegen die Lohnsteueranmeldung ausgeschlossen. Folglich kann dem Kläger die auf der unzutreffenden Steueranmeldung beruhende Festsetzung der Lohnsteuer --insbesondere die vermeintliche Fälligkeit des Lohnsteueranspruchs am 10. Oktober 1998-- nicht entgegengehalten werden.

c) Im Streitfall kann sich der Kläger somit zu Recht darauf berufen, dass die Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer nicht bereits am 10. Oktober 1998, sondern wegen der Auszahlung der Septemberlöhne erst im Monat Oktober 1998 gemäß § 41c Abs. 1 EStG erst zum tatsächlichen Fälligkeitszeitpunkt am 10. November 1998 begründet worden ist. Zu diesem Zeitpunkt war ihm jedoch aufgrund des eingeleiteten Konkursverfahrens und der am 5. November 1998 erfolgten Bestellung eines vorläufigen Vergleichsverwalters die Verfügungsbefugnis entzogen worden, so dass selbst bei Annahme einer Pflichtverletzung des Klägers durch ungekürzte Auszahlung der für den Monat September geschuldeten Löhne in Kenntnis der Liquiditätsprobleme der KG diese für die Nichtentrichtung der Lohnsteuer nicht ursächlich geworden wäre. Da es somit jedenfalls an der zu fordernden Kausalität zwischen einer etwaigen Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden fehlt, hat das FA den Kläger zu Unrecht als Haftungsschuldner für die streitgegenständliche Lohnsteuer herangezogen (vgl. insoweit auch Urteil des Senats in BFHE 170, 295, 297, 298, BStBl II 1993, 471).

d) Die Sache ist spruchreif. Da das FG seiner Entscheidung eine von der Senatsauffassung abweichende Beurteilung der Rechtslage zugrunde gelegt hat, waren das erstinstanzliche Erkenntnis sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben. Abzuändern war der Haftungsbescheid vom 8. Januar 1999, soweit der Kläger darin für die im Oktober 1998 ausgezahlten Löhne geschuldete Lohnsteuer nebst steuerlichen Nebenleistungen in Anspruch genommen worden ist.

RechtsgebieteAO 1977, EStGVorschriftenAO 1977 § 166 AO 1977 § 34 AO 1977 § 69 EStG § 41a Abs. 1

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