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25.11.2003 · IWW-Abrufnummer 032640

Landgericht Aachen: Urteil vom 16.10.2003 – 6 S 69/03

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


6 S 69/03
5 C 199/02 AG Geilenkirchen

LANDGERICHT AACHEN

Urteil

In dem Rechtsstreit XXX

hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Aachen

auf die mündliche Verhandlung vom 04.09.2003 durch XXX für
R e c h t erkannt:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.04.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen ? 5 C 199/02 ? abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 933,10 ? nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 05.11.2002 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die gegen sie gerichtete Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

G r ü n d e

I.
Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall vom 27.09.2002 geltend. Die Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig. Nach einem von dem Kläger eingeholten Sachverständigengutachten wurde der Wiederbeschaffungswert des beschädigten Klägerfahrzeugs auf 7.200,- ? einschließlich Mehrwertsteuer geschätzt. Den Restwert bezifferte der Sachverständige auf 4.200,- ? einschließlich Mehrwertsteuer (vgl. hierzu Bl.7 GA). Die Beklagte erstattete dem Kläger den Wiederbeschaffungsaufwand in Höhe von 3.000,- ? abzüglich der in dem Betrag von 7.200,- ? enthaltenen Mehrwertsteuer (= 993,10 ?) und zahlte diesem daher insgesamt einen Betrag in Höhe von 2.006,90 ? aus. Der Kläger erwarb am 19.10.2002 ein Ersatzfahrzeug aus privater Hand und zahlte hierfür 9.000,- ?.

Die Parteien streiten über die Höhe der Schadensersatzforderung und insbesondere über die richtige Auslegung des § 249 Abs. 2, S. 2 BGB n.F.. Mit Urteil vom 11.04.2003, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, ist die auf Zahlung der einbehaltenen Mehrwertsteuer (= 993,10 ?) gerichtete Klage abgewiesen worden.

Gegen dieses Urteil, das dem Kläger am 23.04.2003 zugestellt worden ist, hat dieser mit einem am 17.05.2003 beim Berufungsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung mit einem am 23.06.2003 bei Gericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz begründet.

In der Berufungsbegründung beruft sich der Kläger darauf, dass bei einem Ankauf des Ersatzfahrzeuges aus privater Hand die Mehrwertsteuer als preisbildender Faktor zu berücksichtigen sei. Bei einem Privatkauf sei ein pauschaler Abzug allein aufgrund des Umstandes, dass dieses Geschäft umsatzsteuerfrei sei, auch nach der Neuregelung in § 249 Abs. 2, S. 2 BGB n.F. nicht geboten.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Geilenkirchen vom 11.04.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 933,10 ? nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit dem 05.11.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass eine Kappung der Schadensersatzleistung um die enthaltene Mehrwertsteuer im Hinblick auf den Wortlaut des § 249 Abs. 2, S. 2 BGB n.F. unvermeidlich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.
Die in formeller Hinsicht unbedenkliche Berufung führt auch in der Sache selbst zum Erfolg.

Nach § 249 BGB hat, wer zum Schadensersatze verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Für die Berechnung von Kraftfahrzeugschäden stehen dem Geschädigten im Allgemeinen zwei Wege der Naturalrestitution zur Verfügung: die Reparatur des Unfallfahrzeugs oder die Anschaffung eines (gleichwertigen) Ersatzfahrzeugs. Nach § 249 Abs. 2, S. 2 BGB n.F. ist im Rahmen dieser Naturalrestitution Umsatzsteuer (= Mehrwertsteuer) nur zu ersetzen, ?wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist? (zur Anwendbarkeit seit dem 01.08.2002 vgl. Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB). Im Rahmen der Ersatzbeschaffung ist umstritten, ob eine Kappung der Schadensersatzleistung um die durchschnittlich anfallende Mehrwertsteuer auch dann erfolgen muß, wenn der Geschädigte das Ersatzfahrzeug im Rahmen eines Kaufvertrages mit einem privaten Anbieter erwirbt, bei dem gerade keine Mehrwertsteuer anfällt. Überwiegend wird in Fällen der geschilderten Art eine Abrechnung auf Nettobasis als unvermeidlich angesehen (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 62. Aufl. 2003, § 249 (n.F.), Rdnr.17; Heß ZfS 2002, 367 (369); Lemcke r + s 2002, 265 (273)). Nach anderer Auffassung ist ein solcher pauschaler Umsatzsteuerabzug bei Vorliegen eines konkreten Deckungskaufes nicht zwingend (Huber, Das neue Schadensersatzrecht, 1. Aufl. 2003, § 1, Rdnr.297).

Die Kammer schließt sich der letztgenannten Auffassung an. Es ist nicht einzusehen, dass der Geschädigte allein aufgrund seines Entschlusses, das Ersatzfahrzeug aus privater Hand zu erwerben, einen Abschlag hinzunehmen hat, der aus der konkreten Ersatzbeschaffung nicht zu rechtfertigen ist. Der Erwerb eines Gebrauchtwagens aus privater Hand kann zumindest als ebenso üblich angesehen werden wie der Kauf eines Gebrauchtwagens bei einem Händler (vgl. Huber a.a.O. Rdnr.301 m.w.N.). Ausgangspunkt und Zweck der Neuregelung in § 249 Abs. 2, S. 2 BGB n.F. war es, eine sog. ?Überkompensation? des Geschädigten, der auf Gutachtenbasis eine ?fiktive? Abrechnung von Sachschäden vornimmt, in Zukunft zu vermeiden. Insbesondere im Kfz-Bereich sollte der Ersatz des reinen Sachschadens ein Stück weit von einer zu abstrakten Berechnung gelöst und mehr an dem konkreten Schaden ausgerichtet werden (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf BT-Drucksache 14/7752, S.22 ff.). Die Umsatzsteuer solle nur dann zu ersetzen sein, ?wenn sie zur Wiederherstellung des früheren Zustandes eingesetzt wird und nicht dann, wenn es um eine - aus der Sicht des Schadensersatzrechts - zweckfremde Verwendung geht? (vgl. BT-Drucksache 14/7752, S.23).

Vorliegend steht im Hinblick auf den konkreten Deckungskauf des Klägers eine zweckfremde Verwendung des überlassenen Geldbetrages nicht in Rede. Vielmehr wurde sowohl der bereits überlassene als auch der mit dieser Klage noch geltend gemachte Restbetrag im ureigenen Sinne der Naturalrestitution eingesetzt, nämlich zur Beschaffung eines Ersatzfahrzeuges. Der Kläger hat mit dem Kauf dieses Ersatzfahrzeuges am 19.10.2002 seinen Willen zur Wiederherstellung des früheren Zustandes (Naturalrestitution) konkret manifestiert. Es ist nicht Aufgabe des neuen Schadensersatzrechtes, den Gebrauchtwagenmarkt in irgendeiner Form zu steuern. Es muss einem Geschädigten daher weiterhin die Möglichkeit verbleiben, den ihm durch das schädigende Ereignis entstandenen Bedarf bei einem privaten Verkäufer zu decken. Der pauschale Abzug von Umsatzsteuer in diesen Fällen würde den Handel zwischen Privatleuten erschweren und unattraktiv gestalten. Die Märkte des gewerblichen und des privaten Gebrauchtwagenhandels existieren nebeneinander, ohne dass ein vernünftiger Grund bestünde, dem Geschädigten in einem Fall den vollen Schadensersatz zu belassen und in dem anderen Fall - und zwar endgültig - auf einen pauschalen Umsatzsteuerabzug zu verweisen. Zwar wird der private Verkäufer andere Faktoren und Wertvorstellungen in den von ihm verlangten Verkaufspreis einfließen lassen als der professionelle Händler, der zudem einer verschärften Haftung aus Gewährleistung ausgesetzt ist (vgl. § 475 BGB n.F.). Im Ergebnis wird für jeden gängigen Pkw aber eine bestimmte Preismarge existieren, die den am Markt zu erzielenden Preis in etwa vorgibt. Ein Grund, speziell den gewerblichen Markt durch eine bestimmte Form der Schadensregulierung bevorzugt zu behandeln, besteht nicht.

Die Kürzung des Schadensbetrages um einen fiktiven Umsatzsteueranteil bei Privatkäufen liefe letztlich auch darauf hinaus, den Grundsatz der Totalreparation, der einen vollständigen Schadensausgleich für den Geschädigten vorsieht, zu verlassen. Dieser Grundsatz der Totalreparation war - neben dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und dem Verbot der Überkompensation - wesentlicher Ausgangspunkt der Überlegungen zur Neufassung des § 249 Abs. 2 BGB (vgl. BT-Drucksache 14/7752, S.13).

Entscheidend ist allein der bei dem Kläger konkret eingetretene Schaden, den dieser in Höhe von 3.000,- ? erlitten und zwischenzeitlich wieder hat beseitigen lassen. Die Regulierung dieses Schadens hat sich - ganz im Sinne der Neuregelung - konkret an den tatsächlich getroffenen Dispositionen des Klägers zur Schadensbeseitigung zu orientieren. Hiernach steht diesem noch ein restlicher Zahlungsanspruch in zuerkannter Höhe zu.

Die Zinsforderung des Klägers rechtfertigt sich aus §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 2, 288 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vor-läufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da es sich bei der Frage, ob die Regulierung eines Unfallschadens, den der Geschädigte durch die Beschaffung eines Ersatzwagens aus privater Hand hat beseitigen lassen, grundsätzlich einem pauschalen Umsatzsteuerabzug gemäß § 249 Abs. 2, S. 2 BGB n.F. unterliegt, um eine klärungsbedürftige, von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang nicht entschiedene Frage handelt, deren Auftreten in einer Vielzahl von Fällen zu erwarten und daher von grundsätzlicher praktischer Bedeutung ist.

Berufungsstreitwert: 933,10 ?

RechtsgebietBGBVorschriften§ 249 Abs. 1 S. 2 BGB

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