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29.07.2003 · IWW-Abrufnummer 031645

Bayerisches Oberstes Landesgericht: Beschluss vom 21.05.2003 – 2 ObOWi 219/03

Wird bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrs-Alkoholkontrolle durch die Polizei in einem Fahrzeug Alkoholgeruch festgestellt, so reicht dies für sich allein noch nicht aus, Fragen des Polizeibeamten nach der Herkunft des Alkoholgeruchs als "Vernehmung" des Fahrers mit entsprechender vorheriger Belehrungspflicht zu bewerten.



BayObLG, 2. Senat für Bußgeldsachen
Beschluss vom 21.5.2003
2 ObOWi 219/03


2 ObOWi 219/03 4/Str/v

Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung der Vorsitzenden Richterin Hirt sowie der Richter Dumler und Dr. Seidl

in dem Bußgeldverfahren XXX

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

am 21. Mai 2003 einstimmig b e s c h l o s s e n :

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hof vom 18. Februar 2003 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

G r ü n d e :

I.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der zulässigen Rechtsbeschwerde (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

1. Die vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge, das Amtsgericht habe mit der Verwertung der durch Aussage des Polizeibeamten eingeführten Äußerung, die der Betroffene nach dem Anhalten gegenüber dem Polizeibeamten gemacht hat, gegen ein Verwertungsverbot verstoßen, genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG (vgl. Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 136 Rn. 27). Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

a) Zu der in Frage stehenden Situation werden in dem angefochtenen Urteil (Bl. 2 f.) folgende Feststellungen
getroffen:

"Der zu I. festgestellte Sachverhalt beruht auf den uneidlichen Angaben des Zeugen POK W . Dieser hat am 13.10.2002 um 11.10 Uhr mit seinem Kollegen POM H auf Streifenfahrt in W /S /K eine verdachtsunabhängige Alkoholkontrolle durchgeführt. Er habe dabei den Betroffenen R mit dessen Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen - kontrolliert. Während der Kontrolle habe er im Fahrzeug des Betroffenen Alkoholgeruch feststellen können. Daraufhin habe er diesen informatorisch befragt, woraufhin der Betroffene ihm gegenüber geäußert hätte, nach einem Tischtennisspiel in der Ortschaft B zwei Bier getrunken zu haben und von dort bis zur Kontrollstelle gefahren zu sein. Daraufhin sei der Betroffene belehrt worden und habe keine weiteren Angaben mehr gemacht. Der Betroffene sei mit zur Dienststelle der PI N gebracht worden. Dort sei ein Atemalkoholtest durchgeführt worden mit dem Gerät der Marke Träger, Alcotest 7110 Evidential. Nachdem die Kontrolle um 11.10 Uhr stattgefunden und die Fahrstrecke von der Ortschaft B bis zur Kontrollstelle mehrere Kilometer betragen habe mit einer vom Zeugen geschätzten Fahrzeit von 10 bis 15 Minuten, habe er um 11.26 Uhr einen Atemalkoholtest mit dem Betroffenen durchgeführt. Das Testgerät sei ordnungsgemäß geeicht. Er sei mit der Bedienung des Gerätes vertraut. Die 1. Messung sei um 11.26 Uhr mit einem Ergebnis von 0,352 mg/l und die 2. Messung um 11.29 Uhr mit einem Ergebnis von 0,365 mg/l durchgeführt worden. Daraus wurde ordnungsgemäß ein Mittelwert von abgerundet 0,35 mg/l gebildet. Die Messung sei ordnungsgemäß verlaufen.

Von der Richtigkeit der Angaben des Zeugen W geht das Gericht aus. Dieser hat glaubwürdig und nachvollziehbar den von ihm festgestellten Sachverhalt geschildert."

b) Die wiedergegebene Äußerung des Betroffenen dürfte dann nicht verwertet werden, wenn er zum Zeitpunkt der Befragung, also bereits vor seiner Äußerung, "Beschuldigter" im Sinne des § 163 a Abs. 4 Satz 1 StPO gewesen wäre. Denn nur dann hätte eine Belehrungspflicht (§ 163 a Abs. 4 Satz 1 und 2 StPO) bestanden, die von dem Polizeibeamten, der den Betroffenen erst nach dieser Äußerung über sein Recht zu schweigen belehrt hat, nicht rechtzeitig wahrgenommen worden wäre.

Tatsächlich lag aber keine Beschuldigtenvernehmung, sondern lediglich eine informatorische Befragung vor.

aa) Die erste Frage an einen im Rahmen einer Verkehrskontrolle angehaltenen Kraftfahrer ist in aller Regel keine "Vernehmung", sie dient üblicherweise lediglich der Vorinformation des Polizeibeamten. Der vereinzelt vertretene "faktische oder materielle Vernehmungsbegriff", der alle Äußerungen einer Person, welche ein Strafverfolgungsorgan direkt oder indirekt herbeigeführt hat, als Ergebnis einer "Vernehmung" bewertet, findet keine Stütze im Gesetz. Rechtsprechung und h.L. folgen daher dem "formellen Vernehmungsbegriff" (vgl. KMR/Lesch StPO vor § 133 Rn. 16 m.N.). Dem folgt auch der Senat.

Eine "Vernehmung" liegt danach nur vor, wenn der Fragestellende der Auskunftsperson in amtlicher Eigenschaft entgegentritt - was hier gegeben ist - und in dieser Eigenschaft Auskunft verlangt, wozu allerdings eine bloße informatorische Befragung nicht ausreicht.

bb) Letztere ist dann anzunehmen, wenn das Strafverfolgungsorgan zwar als solches aktiv geworden ist, jedoch noch kein konkreter individualisierter Anfangsverdacht im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO vorliegt und der Befragte noch nicht die Stellung des "Beschuldigten" erlangt hat (vgl. BGH NStZ 1983, 86; KMR/Lesch aaO Rn. 18 m.w.N.).

Der Begriff des "Beschuldigten" bestimmt sich nach einem objektiv-materiellen Element (Tatverdacht) und einem finalen Verfolgungsakt (vgl. BGHSt 38, 214/227 f.; BGH JR 1998, 166; BayObLG StV 1995, 237).

Dabei muss der Tatverdacht individualisiert und über die Schwelle bloßer Vermutungen hinaus konkretisiert sein (vgl. KMR/Lesch aaO Rn. 7).

Bei der Beurteilung, ob diese Schwelle bereits überschritten ist, steht dem Polizeibeamten ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. BGHSt 38, 214/228; BGH StV 1997, 281; SK/Rogall StPO 3. Aufl. vor § 133 Rn. 17), innerhalb dessen zu beachten ist, dass einerseits dem Grundsatz der Aussagefreiheit eines Beschuldigten möglichst weitgehend Geltung verschafft werden soll, andererseits aber - ebenfalls zugunsten der Auskunftsperson - auch gewährleistet werden muss, dass möglichst frühzeitig Klarheit darüber erlangt wird, ob etwa im Raum stehende Zwangsmaßnahmen, wie bei körperlichen Untersuchungen, in Betracht kommen (vgl. KMR/Lesch aaO Rn. 6).

Bei einer verdachtsunabhängigen Verkehrskontrolle ist im Hinblick darauf, dass bei Feststellung konkreter Anhaltspunkte für eine den zulässigen Grenzwert überschreitende Alkoholisierung des angehaltenen Fahrers die Anordnung einer körperlichen Untersuchung dieses Fahrers die Folge ist, dem angehaltenen Fahrer die "Beschuldigteneigenschaft" erst dann zuzuordnen, wenn die Anzeichen für eine den Grenzwert überschreitende Alkoholisierung so deutlich sind, dass diese dem Polizeibeamten für sich allein schon die Anordnung einer körperlichen Untersuchung als unverzichtbar erscheinen lassen.

Die bloße Wahrnehmung von Alkoholgeruch im Auto - nach den vom Senat der rechtlichen Überprüfung allein zu Grunde zu legenden Feststellungen in dem angefochtenen Urteil (vgl. BGH NJW 1998, 3654/3655) hat der Polizeibeamte "im Fahrzeug des Betroffenen Alkoholgeruch" bemerkt und nicht etwa Alkoholgeruch in der Atemluft des Betroffenen - reicht für die Bejahung konkreter Anhaltspunkte im oben angesprochenen Sinne nicht aus.

Alkoholgeruch im Auto kann durchaus auch andere Ursachen haben, als eine die Grenzen des § 24 a Abs. 1 StVG überschreitende Alkoholisierung des Fahrers. Es war daher sachgerecht, dass der Polizeibeamte den Betroffenen zunächst nach der Ursache des Alkoholgeruchs fragte. Zum Zeitpunkt dieser Frage und zum Zeitpunkt der Antwort lag mithin keine "Vernehmungssituation" vor, der Betroffene war noch nicht "Beschuldigter".

c) Die Äußerung, die der Betroffene gegenüber dem Polizeibeamten gemacht hat, durfte daher verwertet werden. Sie wurde durch die in der Hauptverhandlung erfolgte Vernehmung des Polizeibeamten als Zeuge ordnungsgemäß eingeführt.

2. Die mithin als fehlerfrei getroffen zu bewertenden Feststellungen des Amtsgerichts, aus denen sich auch die Einhaltung der Vorschriften zum Alkoholtest im Rahmen eines standardisierten Messverfahrens ergibt, tragen den Schuldspruch.

3. Auch der Rechtsfolgenausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

II.
Die Rechtsbeschwerde ist daher als unbegründet zu verwerfen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

VorschriftenStPO § 163 a Abs. 4 StVG § 24 a

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