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23.07.2003 · IWW-Abrufnummer 031610

Bundesgerichtshof: Urteil vom 11.06.2003 – IV ZR 418/02

In der privaten Krankenversicherung hat der Versicherer auch solche Gutachten (einschließlich der Identität des Sachverständigen) bekannt zu geben, denen keine körperliche Untersuchung des Versicherten zugrunde liegt.


BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

IV ZR 418/02

Verkündet am:
11. Juni 2003

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, den Richter Dr. Schlichting, die Richterinnen Ambrosius und Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 11. Juni 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster/Westfalen vom 10. Oktober 2002 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist über seine Ehefrau bei der Beklagten krankenversichert. Die Beklagte hat seine Rechnungen für Behandlungen bei einem Heilpraktiker nur teilweise erstattet mit der Begründung, sie habe die Rechnungen ihrem medizinischen Berater zur Begutachtung vorgelegt; dieser halte bestimmte Diagnosen und Therapien nicht für medizinisch notwendig. Nach vergeblicher Einschaltung der Heilpraktiker-Berufshilfe e.V. verlangt der Kläger, einem von ihm benannten Arzt Einsicht in das nicht anonymisierte Gutachten des medizinischen Beraters der Beklagten zu gewähren, auf das sich diese bei ihrer Leistungsablehnung gestützt habe.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben; das Landgericht hat sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel hat Erfolg; es führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.

1. a) Nach Auffassung des Landgerichts ist die Berufung zulässig. Obwohl die Auskunft, zu der das Amtsgericht die Beklagte verurteilt hat, sie nur mit einem geringen Aufwand an Zeit und Kosten beschwere, werde die Berufungssumme des § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erreicht. Denn die Beklagte habe ein erhebliches Interesse daran, die Wertungen und insbesondere die Namen der für sie tätig gewordenen Ärzte nicht bekannt zu geben. Im Hinblick darauf hat das Landgericht den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 5.000 ? festgesetzt.

b) Die dagegen geltend gemachten Bedenken der Revision sind nicht begründet. Um das Interesse der an diesem Verfahren nicht beteiligten Ärzte geht es der Beklagten letzten Endes nicht. Sie trägt vielmehr vor, um sich eine feste Einstellung von Beratungsärzten zu ersparen, hole sie den Rat mehrerer Ärzte verschiedener Fachrichtungen als freier Mitarbeiter ein. Diesen sei daran gelegen, daß sie wegen ihrer Tätigkeit für die Beklagte nicht öffentlich angegriffen werden könnten. Deshalb habe die Beklagten ihnen Vertraulichkeit zugesichert. Wenn sie gleichwohl nach dem Urteil des Amtsgerichts den Namen und das Gutachten eines solches Arztes offenlegen müsse, werde sie ihn als Berater verlieren. Ihr bleibe nur die Möglichkeit, entweder bei der Prüfung ihrer Leistungspflicht in Zukunft auf medizinischen Sachverstand zu verzichten und die sich daraus ergebenden Nachteile hinzunehmen oder aber einen Gutachter zu finden, der die Kritik der Versicherten und der sie behandelnden Ärzte nicht scheut. Danach ist glaubhaft, daß das Urteil des Amtsgerichts über den für die Einsichtnahme des Klägers in das Gutachten erforderlichen Aufwand hinaus erhebliche wirtschaftliche Nachteile für die Beklagte haben wird. Sie übersteigen der Höhe nach jedenfalls - wie § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO voraussetzt - 600 ?. Die Berufung war daher zulässig.

2. a) In der Sache hält das Landgericht den vom Amtsgericht zugrunde gelegten Anspruch aus § 178m VVG nicht für gerechtfertigt. Zwar betreffe die Vorschrift nach ihrem Wortlaut nicht nur Gutachten, in denen der Sachverständige selbst die Anknüpfungstatsachen etwa durch körperliche Untersuchung feststelle. Auch wenn es sich lediglich um eine fachliche Bewertung vorgegebener Befunde handle, gehe es um Gutachten. § 178m VVG sei aber aufgrund seiner Entstehungsgeschichte einschränkend auszulegen. Die Regelung sei eingeführt worden, um dem Versicherten, der sich einer körperlichen Untersuchung auf Verlangen des Versicherers durch einen von diesem beauftragten Arzt unterzogen hat, ein Recht auf Information über das Ergebnis dieser Untersuchung zu verschaffen. Nur für solche Fälle einer ärztlichen Untersuchung sei vor Einführung des § 178m VVG (durch Gesetz vom 21. Juli 1994, BGBl. I S. 1630) eine Auskunftspflicht auf der Grundlage von § 242 BGB anerkannt gewesen (OLG Frankfurt VersR 1992, 224). Auch nach Sinn und Zweck der Regelung erfordere § 178m VVG keine Anwendung auf Gutachten, die sich in einer Bewertung erschöpfen. Denn ihnen komme keinerlei Bindungswirkung zu. Die Darlegungs- und Beweislast für den Anspruch auf Versicherungsleistung liege ungeachtet solcher vom Versicherer eingeholter Gutachten beim Versicherungsnehmer.

b) Nach Auffassung des Senats läßt sich dem Gesetz die vom Landgericht angenommene Einschränkung des § 178m VVG jedoch nicht entnehmen. In der Begründung des Gesetzesentwurfs zu dieser Vorschrift ist zwar nur davon die Rede, daß der Versicherte verpflichtet sei, sich auf Verlangen des Versicherers untersuchen zu lassen; ein Anspruch des Versicherten auf Auskunft über den Inhalt des erstellten Gutachtens sei im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf informationelle Selbstbestimmung nicht zu bestreiten (BT-Drucks. 12/6959 S. 107; vgl. aber auch Renger, VersR 1993, 678, 682, der nicht auf eine körperliche Untersuchung des Versicherten abhebt). Der Fall einer körperlichen Untersuchung, wie sie vom Versicherer nach § 9 Abs. 3 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MB/KK 94) sowie nach § 9 Abs. 3 der Musterbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (MB/KT 94) verlangt werden kann, legt die Einführung eines Auskunftsanspruchs in besonderer Weise nahe; er mag auch Anlaß für die Schaffung eines speziellen Auskunftsanspruchs gewesen sein. Das Gesetz beschränkt den Anspruch aber nicht auf derartige Fälle. Vielmehr gibt § 178m Satz 1 VVG dem Versicherungsnehmer oder jeder versicherten Person das Recht auf Auskunft über und Einsicht in Gutachten, die der Versicherer "bei der Prüfung seiner Leistungspflicht über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung eingeholt hat". Daraus muß selbst vor dem Hintergrund der in den Materialien gegebenen Begründung entnommen werden, daß der Anspruch auch dann gegeben ist, wenn der Gutachter den Versicherten nicht körperlich untersucht hat (so auch LG Stuttgart NJW-RR 1998, 173; Bach in: Bach/Moser, Private Krankenversicherung 3. Aufl. 2002 VVG § 178m Rdn. 4; BK/Hohlfeld, § 178m Rdn. 3).

3. a) Die Beklagte weist allerdings mit Recht darauf hin, daß § 178m Satz 1 VVG einen Anspruch nur hinsichtlich solcher Gutachten gibt, die der Versicherer "eingeholt" hat. Daraus wird geschlossen, daß Gutachten fest angestellter Mitarbeiter der Leistungs- oder Fachabteilungen von Versicherungen nicht dem Auskunfts- und Einsichtnahmeanspruch des § 178m VVG unterliegen (Bach, aaO Rdn. 5). Die Beklagte meint, auch wenn sie externen Rat bei Fachärzten einhole, gehe es nur um eine Stellungnahme für ihre internen Zwecke. Zumindest habe der Kläger kein berechtigtes Interesse, über den sachlichen Inhalt dieser Stellungnahmen hinaus die Namen der Gutachter zu erfahren. Dieses Begehren des Klägers könne sich auch nicht auf den Wortlaut des § 178m VVG stützen.

b) Jedenfalls wenn der Versicherer wie hier ein externes Gutachten eingeholt hat, ist er zu dessen Offenlegung verpflichtet. Daß dieses Gutachten der Prüfung seiner Leistungspflicht, mithin internen Zwecken dient, ändert daran nach dem Wortlaut des Gesetzes nichts. Der Versicherer holt das Gutachten ein, um sich in einer Zweifelsfrage Gewißheit zu verschaffen. Dazu bedarf es eines unbefangenen und fachlich geeigneten Sachverständigen. Fehlt es daran, kann das Gutachten seinen Zweck nicht erfüllen. Unter diesem Gesichtspunkt macht es keinen Sinn, wenn der Versicherer die Identität des Sachverständigen geheimhalten möchte. Eine solche Einschränkung würde das in § 178m VVG gewährleistete Recht des Versicherten auf Einsicht entwerten, weil ihm die Prüfung der Kompetenz und Unbefangenheit des Gutachters verschlossen bliebe. Erst die umfassende Kenntnis des Gutachtens einschließlich seines Urhebers erlaubt dem Versicherten eine sachgerechte Beurteilung der Frage, ob der Anspruch auf Kostenerstattung Aussicht auf Erfolg hat (LG Stuttgart NJW-RR 1998, 173). Insofern dient § 178m VVG der Waffengleichheit unter den Beteiligten des Versicherungsvertrages (Römer in: Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 178m Rdn. 1).

Das Amtsgericht hat der Klage daher mit Recht stattgegeben. Ob sie auch auf anderer Grundlage gerechtfertigt wäre, kann auf sich beruhen.

RechtsgebietVVGVorschriftenVVG § 178m

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