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  • 05.10.2001 · IWW-Abrufnummer 011182

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 30.05.2001 – VI R 177/99

    Beugt eine Maßnahme des Arbeitgebers einer spezifisch berufsbedingten Beeinträchtigung der Gesundheit des Arbeitnehmers vor oder wirkt ihr entgegen, kann der dem Arbeitnehmer aus der Maßnahme erwachsende Vorteil im Einzelfall nicht als Arbeitslohn zu erfassen sein.


    Gründe:
    I.

    Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt ein mittelständisches Unternehmen in der EDV-Branche. Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung stellte der Prüfer fest, dass seit dem 1. Januar 1995 ein Masseur den Betrieb der Klägerin aufgesucht hat, um Arbeitnehmer auf Kosten der Klägerin zu massieren. Die Dauer der Einzelmassage belief sich auf ca. 15 Minuten. In dem fraglichen Zeitraum (1. Januar bis 30. Juni 1995) hat der Masseur insgesamt 22 Besuche á 4,5 Stunden abgerechnet und 376 medizinische Massagen verabreicht. Die Kosten beliefen sich auf insgesamt 11 878 DM. Jeder Arbeitnehmer konnte selbst darüber entscheiden, ob er sich massieren lassen wollte. Von den 63 Arbeitnehmern der Klägerin ließen sich 46 Mitarbeiter massieren. Einzelne Arbeitnehmer erhielten in den 6 Monaten nur eine, andere dagegen bis zu 18 Massagen. Aufgrund dieses Sachverhalts ermittelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) eine Lohnsteuer-Nachforderung in Höhe von 5 606,40 DM. Mit ihrer gegen den Lohnsteuer-Pauschalierungsbescheid gerichteten Klage machte die Klägerin u.a. geltend, dadurch, dass alle ihre Mitarbeiter ausschließlich an Bildschirmarbeitsplätzen tätig seien, würden als typische Berufskrankheiten Rücken- und Nackenschmerzen hervorgerufen. Die Massagen hätten der Erhaltung bzw. Wiederherstellung der Arbeitskraft und damit der Vermeidung von Krankheitstagen gedient. Die Mitarbeiter hätten durch die Massagen keine eigenen Aufwendungen erspart. Massagen, die der Hausarzt verordne, bezahle die Krankenkasse. Werde ein an einem Bildschirmarbeitsplatz tätiger Arbeitnehmer wegen Rücken- oder Nackenbeschwerde krank geschrieben, gehe der Arbeitsausfall dagegen zu Lasten des Arbeitgebers. Die Massagen würden der gesamten Belegschaft angeboten, kein Mitarbeiter werde bevorzugt. Das eigenbetriebliche Interesse der Klägerin werde nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Arbeitnehmer selbst darüber entscheiden könnten, ob sie die Massagen in Anspruch nähmen oder nicht. Die unterschiedliche Häufigkeit, mit der die Mitarbeiter die Massagen in Anspruch nähmen, beruhe allein auf der jeweiligen Dringlichkeit der Behandlung.

    Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 121 veröffentlichten Gründen abgewiesen. Die Klägerin habe mit den Massagen für ihre Mitarbeiter durchaus auch eigenbetriebliche Gründe verfolgt. Das Interesse der Arbeitnehmer an der Erlangung des nicht unerheblichen Vorteils sei jedoch nicht zu vernachlässigen, da sie in der Regel eigene Aufwendungen für die Massagen erspart hätten.

    Mit ihrer dagegen gerichteten Revision rügt die Klägerin die Verletzung der §§ 8, 19 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Mit den Massagen leiste sie einen Beitrag für die Gesundheitsfürsorge ihrer Arbeitnehmer. Bei der Möglichkeit, sich massieren zu lassen, handele es sich um eine Maßnahme der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes ohne Entlohnungscharakter.

    Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid aufzuheben und die Lohnsteuer um 5 606,40 DM herabzusetzen.

    Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

    Das FG habe zutreffend dargelegt, dass die Verabreichung der Massagen nicht ganz überwiegend eigenbetrieblich veranlasst gewesen sei.

    II.

    Die Revision ist begründet. Der angefochtene Gerichtsbescheid war aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Der Senat kann aufgrund der vom FG getroffenen Feststellungen nicht abschließend entscheiden, ob den Arbeitnehmern der Klägerin durch die Massagen ein als Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 8 Abs. 2 EStG zu beurteilender geldwerter Vorteil erwachsen ist.

    1. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats gehören zum Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG u.a. Vorteile, die "für" eine Beschäftigung gewährt werden. Dem in § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG benutzten Tatbestandsmerkmal "für" eine Beschäftigung ist zu entnehmen, dass der einem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendete Vorteil Entlohnungscharakter haben muss. Demgegenüber sind solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände des Einzelfalles nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen (st. Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs --BFH--, Urteile vom 4. Juni 1993 VI R 95/92, BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687, 689, m.w.N.; vom 25. Mai 2000 VI R 195/98, BFHE 192, 299, BStBl II 2000, 690). Das Ergebnis einer solchen, den Arbeitslohncharakter verneinenden Würdigung hat der Senat damit beschrieben, dass der Vorteil ganz überwiegend im eigenbetrieblichen Interesse gewährt sein muss. Da eine betriebliche Veranlassung jeder Art von Lohnzahlungen zugrunde liegt, muss sich aus den Begleitumständen, wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergeben, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, deshalb vernachlässigt werden kann. Das Erfordernis des eindeutigen Vorrangs anderer als Entlohnungszwecke kommt bei der Verwendung des Begriffs "eigenbetriebliches Interesse" durch die hinzugefügten Worte "ganz überwiegend" zum Ausdruck (vgl. BFH-Urteile in BFHE 171, 74, BStBl II 1993, 687, 689; in BFHE 192, 299, BStBl II 2000, 690).

    Das Interesse des Arbeitnehmers, den Vorteil zu erlangen, kann vernachlässigt werden, falls sich dieser im Verhältnis zu den vom Arbeitgeber verfolgten gewichtigen betriebsfunktionalen Zwecken und der besonderen Geeignetheit des dazu eingesetzten Mittels als notwendige Begleiterscheinung darstellt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 192, 299, BStBl II 2000, 690, unter 4. b, a.E.).

    2. Im Streitfall hat das FG nicht hinreichend berücksichtigt, dass die Massagen nach dem Vorbringen der Klägerin einer spezifisch berufsbedingten Beeinträchtigung der Gesundheit der Arbeitnehmer vorbeugen bzw. ausgleichend entgegenwirken sollten. Danach könnte --im Rahmen der anzustellenden objektiven Würdigung aller Einzelumstände-- der Arbeitslohncharakter der Massagen zu verneinen sein. Im Übrigen reichen die vom FG getroffenen Feststellungen nicht dazu aus, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, die Klägerin habe nicht aufgrund eines ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesses ihren Mitarbeitern die Möglichkeit eröffnet, sich massieren zu lassen. Das FG hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob die Klägerin mit der Verabreichung der Massagen besonders gewichtige betriebsfunktionale Zielsetzungen verfolgt hat und die Massagen für die Erreichung dieser Zielsetzungen besonders geeignet waren.

    3. Die Sache ist nicht spruchreif, sie war zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG wird die fehlenden Feststellungen im zweiten Rechtsgang --z.B. durch die Einholung von Auskünften des medizinischen Dienstes einer Krankenkasse bzw. Berufsgenossenschaft oder durch das Gutachten eines Sachverständigen-- nachzuholen haben. Insbesondere bedarf es Feststellungen dazu, wie häufig bei Arbeitnehmern, die ganztags an Bildschirmarbeitsplätzen wie bei der Klägerin tätig sind, mit körperlichen, die Arbeitsleistung beeinträchtigenden Beschwerden und Fehlzeiten infolge der Arbeitsbedingungen zu rechnen ist. Erst auf der Grundlage dieser Feststellungen ist eine objektive Würdigung möglich, ob die Klägerin mit den Massagen besonders gewichtige betriebsfunktionale Zielsetzungen verfolgt hat. Ferner bedarf es Feststellungen dazu, ob die auf Veranlassung der Klägerin verabreichten Massagen besonders dazu geeignet waren, möglichen mit der Tätigkeit an Bildschirmarbeitsplätzen verbundenen Beschwerden --vorbeugend-- entgegenzuwirken und gegebenenfalls krankheitsbedingte Arbeitsausfälle zu verhindern. Das FG wird schließlich auch dem Vorbringen der Klägerin nachzugehen haben, die unterschiedliche Häufigkeit, mit der die Mitarbeiter die Massagen in Anspruch genommen hätten, sei ausschließlich auf die jeweilige Dringlichkeit der Behandlung zurückzuführen gewesen.

    RechtsgebietEStGVorschriftenEStG § 8 Abs. 1 Satz 1 EStG § 19 Abs. 1 Satz 1