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  • · Honoraranspruch

    Nutzung „objektiv wertlosen“ Zahnersatzes: OLG Köln definiert die Kriterien

    Bild: ©geralt - pixabay.com

    von RAin Doris Mücke, Bad Homburg

    | Zahnärzte haben keinen Honoraranspruch, wenn die erbrachte Leistung für den Patienten völlig wertlos ist ( PA 12/2018, Seite 2 ). Nutzt der Patient diese Leistung trotzdem, besteht der Honoraranspruch des Zahnarztes fort ( PA 12/2018, Seite 2 ). Doch was bedeutet „Nutzung“ eigentlich? Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hat kürzlich die Honorarklage einer Abrechnungsgesellschaft aus abgetretenem Recht abgewiesen (Urteil vom 10.06.2020, Az. 5 U 171/19, Abruf-Nr. 217193 ) und dabei Kriterien definiert, wann eine Nutzung unbrauchbaren Zahnersatzes vorliegt und wann nicht. |

    Sachverhalt

    Eine Patientin hatte beim Zahnarzt eine prothetische Neuversorgung ihres Ober- und Unterkiefers durchführen lassen. Die Versorgung im Unterkiefer bereitete ihr direkt nach der Behandlung Beschwerden. Diese bestanden trotz mehrerer Nachbesserungen fort. Wie sich später herausstellte, waren die Ursachen zahntechnischer Natur. Der behandelnde Zahnarzt kam zu dem Ergebnis, dass eine Neuanfertigung erforderlich sei. Diese ließ die Patientin jedoch nicht mehr ausführen, sondern sie suchte einen anderen Zahnarzt auf. Die Rechnung für die Behandlung zahlte sie nicht. Zugleich beantragte sie ein gerichtliches Beweisaufnahmeverfahren gegen den Erstbehandler.

     

    Während der nächsten zweieinhalb Jahre verblieb die fehlerhafte Versorgung im Mund der Patientin. Wegen des laufenden Verfahrens war kein anderer Zahnarzt bereit, den fehlerhaften Zahnersatz zu entfernen und eine neue Versorgung anzufertigen. Gleichzeitig bot der Erstbehandler der Patientin mehrfach die kostenpflichtige Neuanfertigung an. Die Patientin sollte jedoch das gerichtliche Beweisverfahren zurücknehmen und die entstandenen Kosten tragen. Zudem sollte dasselbe Dentallabor beauftragt werden, das die fehlerhafte Erstversorgung hergestellt hatte. Dies lehnte die Patientin ab.

     

    Parallel dazu verhandelte die Patientin mit ihrem Kostenträger über die Kostenübernahme für eine neue prothetische Versorgung. Nach dessen Zusage ließ sie sich von einem anderen Zahnarzt behandeln und wurde schließlich zufriedenstellend versorgt. Inzwischen hatte die Abrechnungsstelle, an die der Erstbehandler seine Honorarforderung abgetreten hatte, Zahlungsklage erhoben. Das OLG Köln wies diese in zweiter Instanz ab.

     

    MERKE | Die Vorinstanz hatte der Klage noch stattgegeben (Landgericht [LG] Köln, Urteil vom 23.07.2019, Az. 3 O 62/18). Das Gericht war der Auffassung, die Patientin nutze den fehlerhaften Zahnersatz, und sah daher einen Honoraranspruch des Erstbehandlers. Allerdings hatte das LG wegen des festgestellten Mangels des Zahnersatzes die Honorarforderung mit einem Schmerzensgeldbetrag i. H. v. 1.500 Euro verrechnet.

     

    Entscheidungsgründe

    Ausgehend von § 628 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i. V. mit § 630b BGB führte das Gericht aus, dass der Vergütungsanspruch eines Zahnarztes bei Kündigung des Vertrages entfalle, soweit die fehlerhafte Leistung für den Patienten kein Interesse mehr habe. Das Gericht sah keinen Honoraranspruch des Zahnarztes, weil keine Nutzung einer „objektiv wertlosen Versorgung über einen längeren Zeitraum“ vorlag. Von einer solchen war der Bundesgerichtshof (BGH) in einem ähnlichen Fall ausgegangen (Urteil vom 29.03.2011, Az. VI ZR 133/10, PA-Beitrag online unter iww.de/pa, Abruf-Nr. 44574553). Der Patient hatte die Versorgung damals etwa drei Jahre getragen.

     

    Im vorliegenden Fall habe die Patientin die Erstversorgung nie akzeptiert. Sie habe direkt nach der Erstbehandlung und den erfolglosen Nachbesserungen eine Neuversorgung angestrebt und zugleich ein gerichtliches Beweisaufnahmeverfahren angestrengt. Dass die fehlerhafte Versorgung zweieinhalb Jahre im Mund der Patientin verblieben sei, sei kein Verschulden der Patientin. Verantwortlich seien u. a. die Bedingungen des Erstbehandlers für das Neuanfertigen der Versorgung. Diese seien der Patientin nicht zuzumuten.

    Kriterien für die Nutzung von Zahnersatz

    Der BGH hat den Zeitraum für eine werthaltige „Weiternutzung“ des Zahnersatzes nicht klar begrenzt. Deshalb bestehe ‒ so das OLG Köln ‒ ein gewisser Beurteilungsspielraum bei der Frage, wie lange und unter welchen Umständen der Patient den fehlerhaften Zahnersatz tragen dürfe, ohne dass dieser einen wirtschaftlichen Wert habe, der den Honoraranspruch des Zahnarztes bestehen lasse. Bisher hatte das OLG Köln diesen Zeitraum als sehr kurz angesehen. Mit seiner Entscheidung vom 10.06.2020 ist das Gericht von seiner bisherigen strengen Bewertung abgerückt und hat nähere Kriterien festgelegt, wann eine werthaltige Nutzung vorliegt. Das Gericht betont, dass diese Kriterien stets auf den Einzelfall bezogen anzuwenden seien.

     

    • Werthaltige Nutzung von Zahnersatz: Beurteilungskriterien des OLG Köln
    • Eine werthaltige Nutzung fehlerhafter Vorsorgungen ‒ und damit ein Honoraranspruch ‒ liegt vor, wenn
      • der Patient die Versorgung tatsächlich als solche nutzt, obwohl er eine reelle und zumutbare Alternative hat.
      • er über einen längeren Zeitraum Anstrengungen unterlässt, die die ernste Absicht der Neuversorgung erkennen lassen (z. B. Beweissicherung, Einholung HKP bei Nachbehandler, Finanzierung).
    • Der Patient soll seine Rechtsposition gegenüber dem Zahnarzt nicht verschlechtern oder aufgeben müssen. Daher ist ihm eine angemessene Frist von wenigen Monaten zur Einleitung der Beweissicherung zu gewähren.
    • Ein Abwarten bis zur Vorlage einer aussagekräftigen Begutachtung (z. B. Privat- oder Kassengutachten, gerichtliches Gutachten) ist unschädlich.
    • Rein finanzielle Erwägungen gegen das Anfertigen einer Neuversorgung sind kritisch zu hinterfragen. Ggf. ist eine Finanzierung der Kosten der Neuversorgung möglich, sodass dies einer Weiterbehandlung nicht entgegensteht.
     

     

    FAZIT | Das OLG Köln gibt mit dem Urteil hilfreiche Beurteilungskriterien vor. Es stellt gleichzeitig klar, dass allein das Tragen der fehlerhaften Versorgung über einen gewissen Zeitraum nicht das einzige Beurteilungskriterium sein kann, den Honoraranspruch des Zahnarztes bestehen zu lassen.

     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2020 | Seite 2 | ID 46834632