OFD Niedersachsen - S 2246 - 57 - St 221/St 222

Ertragsteuerliche Behandlung von standortübergreifenden ärztlichen Teilgemeinschaftspraxen

1. Allgemeines

Nach § 18 der Berufsordnung der Ärztekammer Niedersachsen (entspricht weitgehend § 18 der Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte) dürfen sich Ärzte – auch beschränkt auf einzelne Leistungen – zu Berufsausübungsgemeinschaften, Organisationsgemeinschaften, Kooperationsgemeinschaften und Praxisverbünden zusammenschließen. Danach können Ärzte neben ihrer originären Tätigkeit in ihren Einzelpraxen oder Gemeinschaftspraxen für die Erbringung bestimmter Leistungen sog. standortübergreifende Teilgemeinschaftspraxen betreiben. Ein Arzt kann auch mehreren solcher Teilgemeinschaftspraxen angehören.

Der Behandlungsvertrag kommt jeweils mit der Teilgemeinschaftspraxis zustande. Innerhalb der Teilgemeinschaftspraxis ist es allerdings zulässig, dass die Leistungserbringung zwischen den Beteiligten aufgegliedert wird (z. B. die arbeitsteilige Trennung von Diagnose und Therapie). Die Partner werden dann gemäß ihrem individuellen Leistungsbeitrag als Haupt- und Nachbehandler auf der Grundlage von zuvor bestimmten Leistungseinheiten am Gewinn und Verlust beteiligt.

Voraussetzung für die gemeinsame Berufsausübung ist ferner, dass die beteiligten Ärzte mehr oder minder gleiche Rechte und Pflichten haben und jeder Gesellschafter an unternehmerischen Chancen und Risiken beteiligt ist. Dies wird typischerweise in einer prozentualen Gewinn- und Verlustbeteiligung, in einer Mitwirkung an Investitions- und Personalentscheidungen und in einer Kapitalbeteiligung zum Ausdruck kommen.

2. Mitunternehmerschaft

Eine Teilgemeinschaftspraxis ist ertragsteuerrechtlich als Mitunternehmerschaft im Sinne des § 18 IV i. V. m. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu behandeln. Die Ärzte entfalten durch ihre Erbringung von medizinischen Leistungen im Rahmen einer Teilgemeinschaftspraxis mitunternehmerische Initiative und tragen das mit der Ausübung der Tätigkeit verbundene mitunternehmerische Risiko (vgl. BStBl 1984 II, S. 751, und , BStBl II, S. 896). Darüber hinaus liegt auch eine gemeinschaftliche Gewinnerzielungsabsicht auf Ebene der Gesellschaft vor.

Leistungen der beteiligten Ärzte sind keine (gewerblichen) Vermittlungsleistungen – auch nicht teilweise – gegenüber dem jeweils anderen Arzt oder der Teilgemeinschaftspraxis. Vielmehr handelt es sich um Gesellschafterbeiträge an die Mitunternehmerschaft.

3. Einkunftsart

Grundsätzlich erzielt eine Teilgemeinschaftspraxis als Mitunternehmerschaft Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Übt jedoch die Mitunternehmerschaft neben der freiberuflichen Tätigkeit auch eine schädliche gewerbliche Tätigkeit aus oder sind nicht zugelassene Ärzte als Partner beteiligt, so führt dies zur Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG. Die Teilgemeinschaftspraxis erzielt dann insgesamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Dies gilt aber nur, wenn der Anteil der originär gewerblichen Tätigkeit die Geringfügigkeitsgrenze von 1,25 v. H. überschreitet (vgl. H 15.8 (5) Geringfügige gewerbliche Tätigkeit EStH 2009).

4. Betriebsausgabenabzug

Die im Zusammenhang mit den Betriebseinnahmen der Teilgemeinschaftspraxis stehenden Aufwendungen fallen üblicherweise in den Praxen der beteiligten Ärzte an (z. B. Nutzung von Personal und Sachmitteln der Praxis des beteiligten Arztes) bzw. werden diesen von Dritten in Rechnung gestellt. Da diese Aufwendungen jedoch unmittelbar durch die ärztliche Tätigkeit in der Teilgemeinschaftspraxis und nicht durch die Berufsausübung in der eigenen Praxis des beteiligten Arztes veranlasst sind, liegen insoweit Sonderbetriebsausgaben der beteiligten Ärzte bei der Teilgemeinschaftspraxis vor. Die Qualifikation der Aufwendungen als Sonderbetriebsausgaben nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 2. Halbsatz EStG ist vorrangig vor der Qualifikation als Betriebsausgaben der Praxis des beteiligten Arztes (vgl. , BStBl 2006 II S. 361 unter I. 4.).

Der Sonderbetriebsausgabenabzug ist der Höhe nach nur entsprechend dem tatsächlichen Nutzungsumfang der Wirtschaftsgüter und des Personals der jeweiligen Einzelpraxis für Zwecke der Teilgemeinschaftspraxis zuzulassen. Das gilt auch in den Fällen, in denen Wirtschaftsgüter einheitlich einem Betriebsvermögen zuzuordnen sind (siehe 5.). Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass sich der Sonderbetriebsausgabenabzug und der Anteil der in der Einzelpraxis des beteiligten Arztes zu kürzenden Betriebsausgaben entsprechen.

5. Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsvermögen

Werden Wirtschaftsgüter der beteiligten Ärzte der Teilgemeinschaftspraxis zur Nutzung überlassen, so sind diese Wirtschaftsgüter nach folgenden Grundsätzen dem jeweiligen Betriebsvermögen zuzuordnen:

  • Nutzung des Wirtschaftsguts zu 100 v. H. von der Teilgemeinschaftspraxis

    • zwingende Zuordnung des Wirtschaftsguts zum Sonderbetriebsvermögen der Teilgemeinschaftspraxis,

  • Nutzung des Wirtschaftsguts zu mehr als 50 v. H., aber zu weniger als 100 v. H. von der Teilgemeinschaftspraxis

    • aufgrund überwiegender Nutzung durch die Teilgemeinschaftspraxis ist das Wirtschaftsgut dem Sonderbetriebsvermögen der Teilgemeinschaftspraxis zuzuordnen,

  • Nutzung des Wirtschaftsguts zu mehr als 50 v. H., aber zu weniger als 100 v. H. von Praxis des beteiligten Arztes

    • aufgrund überwiegender Nutzung durch die Praxis des beteiligten Arztes ist das Wirtschaftsgut dem Betriebsvermögen dieser Praxis zuzuordnen,

  • Nutzung des Wirtschaftsguts hälftig durch Teilgemeinschaftspraxis und Praxis des beteiligten Arztes

    • aus Vereinfachungsgründen ist der beantragten Zuordnung des Wirtschaftsguts durch den Steuerpflichtigen zu folgen.

Zum Betriebsausgabenabzug Hinweis auf 4. Danach sind die durch die Nutzung der Wirtschaftsgüter entstehenden Aufwendungen bei den Einzelpraxen der beteiligten Ärzte und der Gemeinschaftspraxis nur entsprechend dem tatsächlichen Nutzungsumfang der Wirtschaftsgüter als Betriebsausgaben abziehbar.

6. Verfahren

Da die Teilgemeinschaftspraxis eine Mitunternehmerschaft ist, sind die Einkünfte der Gesellschafter nach §§ 179 Abs. 1, 180 Abs. 1 Nr. 2a AO gesondert und einheitlich festzustellen.

OFD Niedersachsen v. - S 2246 - 57 - St 221/St 222

Fundstelle(n):
DStR 2011 S. 74 Nr. 2
MAAAD-57544