BFH Urteil v. - III R 93/08 BStBl 2010 II S. 1060

Teilnahme am Schulunterricht zur Erfüllung der Schulpflicht als Berufsausbildung

Leitsatz

Zur Berufsausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG gehört auch die Teilnahme am Schulunterricht zur Erfüllung der Schulpflicht. Das gilt auch dann, wenn der Umfang des danach zu besuchenden Unterrichts zehn oder weniger Wochenstunden umfasst.

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a

Instanzenzug: (EFG 2009, 597) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

1Der im September 1985 geborene Sohn (S) des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) besuchte im Schuljahr 2003/2004 die Jungarbeiterklasse einer Staatlichen Berufsschule. Die Unterrichtszeit betrug acht (Schul-)Stunden pro Woche. Im Oktober 2004 begann er mit einer berufsvorbereitenden Maßnahme.

2Auf den im Oktober 2005 gestellten Antrag des Klägers setzte die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) im Februar 2006 Kindergeld für S für die Zeit ab August 2004 fest und lehnte eine Festsetzung für die Monate Oktober 2003 bis Juli 2004 mit der Begründung ab, der Besuch der Jungarbeiterklasse stelle keine Ausbildung i.S. des § 32 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) dar. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.

3Das Finanzgericht (FG) gab der auf die Festsetzung von Kindergeld für die Monate Oktober 2003 bis Juli 2004 gerichteten Klage mit Urteil vom III 103/2006 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 597) statt.

4Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse eine Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG.

5Zu klären sei, in welchem Umfang Zeit und Arbeitskraft des Kindes bei einer schulischen Ausbildung, die eine ernsthafte Vorbereitung auf das Berufsziel beinhalte, gebunden sein müssten. Nach der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes i.d.F. vom —DA-FamEStG 2004— 63.3.2 Abs. 5 (BStBl I 2004, 742) müsse die Ausbildung Zeit und Arbeitskraft des Kindes dermaßen in Anspruch nehmen, dass ein greifbarer Bezug zu dem angestrebten Berufsziel hergestellt werde und Bedenken gegen die Ernsthaftigkeit ausgeschlossen erschienen. Eine tatsächliche Unterrichts- und Ausbildungszeit von weniger als zehn Wochenstunden könne danach nur dann als ausreichende Ausbildung anerkannt werden, wenn Umstände vorlägen, nach denen der zusätzliche ausbildungsbezogene Zeitaufwand über das übliche Maß hinausgehe. Da das Gesetz keinen zeitlichen Mindestrahmen vorgebe und es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) auch nicht erforderlich sei, dass die Ausbildungsmaßnahme Zeit und Arbeitskraft des Kindes überwiegend in Anspruch nehme, stütze sich die DA-FamEStG auf die Rechtsprechung des BFH zu Au-pair-Verhältnissen, die für die Berücksichtigung als Berufsausbildung wöchentlich mindestens zehn Unterrichtsstunden verlange. Die Grundsätze für Au-pair-Verhältnisse seien nach Sinn und Zweck auch für andere Ausbildungsverhältnisse generell anwendbar. Kindergeldrechtlich sei es unerheblich, ob die Jungarbeiterklasse nur besucht worden sei, um die gesetzliche Schulpflicht zu erfüllen, oder ob der Schulbesuch —wie bei Au-pair-Verhältnissen— freiwillig gewesen sei.

6Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

8Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Entscheidung des FG, S habe sich in den Monaten Oktober 2003 bis Juli 2004 in Ausbildung befunden, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

9Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a, § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG —unter weiteren, hier nicht streitigen Voraussetzungen— Anspruch auf Kindergeld, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird.

10In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernsthaft und nachhaltig darauf vorbereitet. Dieser Vorbereitung dienen alle Maßnahmen, bei denen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erworben werden, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind. Die Ausbildungsmaßnahme braucht Zeit und Arbeitskraft des Kindes nicht überwiegend in Anspruch zu nehmen (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsurteil vom III R 85/08, BFHE 224, 546, BStBl II 2010, 298, m.w.N.).

11Zur Berufsausbildung in diesem Sinne gehört auch die Schulausbildung, an der das Kind teilnimmt, um der Schulpflicht nachzukommen. Entgegen DA-FamEStG 2004 63.3.2 Abs. 5 Satz 5 (ebenso DA-FamEStG 63.3.2 Abs. 5 Satz 5 i.d.F. vom , BStBl I 2009, 1030) kommt es insoweit nicht darauf an, ob die tatsächliche Unterrichtszeit (mindestens) zehn Wochenstunden beträgt. Entscheidend ist allein, ob das Kind an der entsprechenden Schulausbildung teilnimmt, wie sie durch die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen zur Erfüllung der Schulpflicht vorgesehen ist.

12Die Grundsätze, die der BFH für die Anerkennung eines Sprachschulunterrichts im Rahmen eines Au-pair-Aufenthaltes als Berufsausbildung aufgestellt hat (vgl. , BFHE 189, 107, BStBl II 1999, 710; VI R 24/99, BFH/NV 2000, 27; VI R 33/98, BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; vom VIII R 83/00, BFHE 198, 192, BStBl II 2002, 469; , BFH/NV 2006, 2256), finden auf die Teilnahme am Schulunterricht zur Erfüllung der Schulpflicht keine Anwendung. Denn anders als bei einem Sprachunterricht im Rahmen eines Au-pair-Aufenthaltes, der auf einem freiwilligen Entschluss des Kindes beruht und bei dem das Erfordernis der Teilnahme an einem theoretisch-systematischen Sprachunterricht mit grundsätzlich mindestens zehn Wochenstunden der Abgrenzung zu Urlaubsaufenthalten dient (vgl. Senatsurteil vom III R 26/06, BFHE 225, 331, BStBl II 2010, 296), ist das Kind zur Teilnahme am Schulunterricht zur Erfüllung der Schulpflicht verpflichtet.

13Das FG hat seiner Entscheidung diese Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt und hat in Würdigung der Umstände des Einzelfalls für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass S im Streitzeitraum Oktober 2003 bis Juli 2004 an einer staatlichen Berufsschule die Fachklasse für gewerblich tätige Jungarbeiter mit einer wöchentlichen Unterrichtsstundenzahl von acht Stunden tatsächlich und regelmäßig besucht hat und hierzu nach den Regelungen des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen in Verbindung mit der im Streitzeitraum gültigen Schulordnung für die Berufsschulen in Bayern zur Erfüllung seiner Schulpflicht verpflichtet war.

Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 1060
BFH/NV 2010 S. 1350 Nr. 7
BFH/PR 2010 S. 296 Nr. 8
BStBl II 2010 S. 1060 Nr. 21
DB 2010 S. 1444 Nr. 26
DB 2010 S. 8 Nr. 23
DStR-Aktuell 2010 S. 9 Nr. 23
DStRE 2010 S. 929 Nr. 15
EStB 2010 S. 245 Nr. 7
HFR 2010 S. 829 Nr. 8
KÖSDI 2010 S. 17025 Nr. 7
NJW 2010 S. 2911 Nr. 39
NWB-Eilnachricht Nr. 25/2010 S. 1954
StB 2010 S. 219 Nr. 7
StBW 2010 S. 532 Nr. 12
StC 2010 S. 9 Nr. 8
MAAAD-44399