BFH Urteil v. - VI R 79/06

Aufwendungen für ein sog. Erststudium nach abgeschlossener Berufsausbildung als Werbungskosten

Leitsatz

§ 12 Nr. 5 EStG bestimmt in typisierender Weise, dass bei einer erstmaligen Berufsausbildung ein hinreichend veranlasster Zusammenhang mit einer bestimmten Erwerbstätigkeit fehlt. Die Vorschrift enthält jedoch kein Abzugsverbot für erwerbsbedingte Aufwendungen.
§ 12 Nr. 5 EStG hindert die Abziehbarkeit von beruflich veranlassten Kosten für ein sog. Erststudium zumindest dann nicht, wenn diesem eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgegangen ist.
Eine Berufsausbildung im Sinne des Steuerrechts liegt nicht nur vor, wenn der Steuerpflichtige im dualen System oder innerbetrieblich Berufsbildungsmaßnahmen durchläuft. Allein maßgebend kann nur sein, ob die Ausbildung berufsbezogen ist und eine Voraussetzung für die geplante Berufsausübung darstellt.

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 1, EStG § 10 Abs. 1 Nr. 7, EStG § 12 Nr. 1, EStG § 12 Nr. 5, GG Art. 3 Abs. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der . geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielt Einkünfte aus Kapitalvermögen. Er absolvierte nach Erlangung der Mittleren Reife das Kaufmännische Berufskolleg Fremdsprachen an der X-Schule in Y. Dort erwarb er nach erfolgreicher Abschlussprüfung im Juli 2004 neben der allgemeinen Fachhochschulreife den Abschluss als „Staatlich geprüfter Wirtschaftsassistent”. Anschließend begann er an der Fachhochschule Z ein Studium im Studiengang Weltwirtschaftssprachen.

Für die Streitjahre (2004 und 2005) machte der Kläger Aufwendungen für das Studium in Höhe von 4 202 € (2004) und 12 482 € (2005) geltend. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) sah die Ausgaben als Berufsausbildungskosten i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an und ließ sie nur in Höhe von 4 000 € zum Abzug zu.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Hinweis auf § 12 Nr. 5 EStG ab. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 116 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er macht u.a. die Verfassungswidrigkeit des § 12 Nr. 5 EStG geltend.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer-Veranlagungen 2004 und 2005 dahingehend zu ändern, dass die von dem Kläger geltend gemachten weiteren Aufwendungen für das Studium in Höhe von 2 385 € (2004) und 8 482 € (2005) als vorweggenommene Werbungskosten berücksichtigt werden.

Das FA tritt der Revision entgegen und beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) ist dem Verfahren beigetreten (§ 122 Abs. 2 Satz 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

II. Die Revision des Klägers ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Entgegen der Auffassung des FG steht § 12 Nr. 5 EStG dem Abzug der Studienaufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nicht entgegen. Die Feststellungen des FG ermöglichen jedoch keine Entscheidung dazu, ob die Kosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG beruflich veranlasst sind.

Die durch das Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und weiterer Gesetze vom (BGBl I 2004, 1753, BStBl I 2005, 343) rückwirkend in Kraft getretene (s. Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes) Bestimmung des § 12 Nr. 5 EStG hindert die Abziehbarkeit von beruflich veranlassten Kosten für ein sog. Erststudium zumindest dann nicht, wenn diesem —wie im Streitfall— eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgegangen ist.

Nach § 12 Nr. 5 EStG dürfen Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung und für ein Erststudium weder bei den einzelnen Einkunftsarten noch vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden. Die Vorschrift bestimmt in typisierender Weise, dass Aufwendungen für eine erstmalige Berufsausbildung (und ein Erststudium) —von dem in Halbsatz 2 der Vorschrift genannten Fall abgesehen— noch nicht mit einer konkreten beruflichen Tätigkeit und hieraus fließenden Einnahmen im Zusammenhang stehen.

Wegen der weiteren Begründung verweist der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf das zur amtlichen Veröffentlichung bestimmte Urteil vom heutigen Tage (Senatsurteil vom VI R 14/07; s. auch Senatsentscheidung vom VI R 31/07).

2. Danach ergibt sich hier, dass § 12 Nr. 5 EStG nicht zur Anwendung kommt, weil der Kläger vor Aufnahme des Studiums bereits eine Berufsausbildung absolviert hatte. Die vom Kläger geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Wirksamkeit des § 12 Nr. 5 EStG sind nicht entscheidungserheblich.

a) Der steuerrechtliche Begriff der Berufsausbildung wird vom Gesetz nicht näher beschrieben (s. § 10 Abs. 1 Nr. 7, § 12 Nr. 5, § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG). Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist unter Berufsausbildung die Ausbildung zu einem künftigen Beruf zu verstehen. In Berufsausbildung befindet sich, wer sein Berufsziel noch nicht erreicht hat, sich aber ernstlich darauf vorbereitet. Der Vorbereitung auf ein Berufsziel dienen alle Maßnahmen, bei denen es sich um den Erwerb von Kenntnissen, Fähigkeiten und Erfahrungen handelt, die als Grundlage für die Ausübung des angestrebten Berufs geeignet sind (s. etwa , BFHE 189, 88, BStBl II 1999, 701; vom VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403; s. auch Söhn, Steuer und Wirtschaft 2002, 97). Gegenbegriff zur Berufsausbildung ist die Allgemeinbildung, die keine notwendige Voraussetzung für eine geplante Berufsausübung darstellt (, BFHE 217, 450, BStBl II 2007, 814; Pfab, Die Behandlung von Bildungsaufwendungen im deutschen Einkommensteuerrecht, Frankfurt/Main, 2008, 246).

b) Der Kläger hat mit dem Besuch des Kaufmännischen Berufskollegs Fremdsprachen eine Berufsausbildung im Sinne der genannten Rechtsprechung absolviert. Er hat einen qualifizierten Berufsabschluss erreicht und ist berechtigt, die Berufsbezeichnung „Staatlich geprüfter Wirtschaftsassistent” zu führen (§ 2 Abs. 4 der Verordnung des Kultusministeriums über die Ausbildung und Prüfung an den Kaufmännischen Berufskollegs vom , Gesetzblatt für Baden-Württemberg —GBl BW— 1995, 489). Nach Auffassung des Senats liegt eine Berufsausbildung im Sinne des Steuerrechts nicht nur vor, wenn der Steuerpflichtige im dualen System oder innerbetrieblich Berufsbildungsmaßnahmen durchläuft. Allein maßgebend kann nur sein, ob die Ausbildung berufsbezogen ist und eine Voraussetzung für die geplante Berufsausübung darstellt. Das ist bei dem in Rede stehenden Kaufmännischen Berufskolleg Fremdsprachen der Fall. Um im Bereich der fremdsprachlichen Korrespondenz tätig zu werden, bedarf es keiner zusätzlichen Ausbildung. Im Übrigen haben die Entwicklungen in der Arbeitswelt und auf dem Ausbildungssektor die öffentliche Hand veranlasst, über die traditionellen Wege hinaus zusätzliche Ausbildungswege zu eröffnen. Es besteht für das Steuerrecht keine Veranlassung, sich dem zu verschließen.

Zwar kann mit dem erfolgreichen Ablegen einer Zusatzprüfung auch die Fachhochschulreife erworben werden (§ 1 Abs. 4, §§ 22 ff. der Verordnung in GBl BW 1995, 489). Diese zusätzliche Qualifikation nimmt jedoch der Ausbildung nicht ihren eigentlichen Charakter als Berufsausbildung. Soweit das BMF hier eine andere Auffassung vertritt, kann sich dem der Senat nicht anschließen ( BStBl I 2005, 955, Tz. 7).

3. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Das FG hat —aus seiner Sicht zu Recht— nicht geprüft, ob die Aufwendungen des Klägers für das Studium an der Fachhochschule Z beruflich veranlasst und damit dem Grunde nach vorweggenommene Werbungskosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind. Davon ist auszugehen, wenn das Studium Berufswissen vermittelt und damit auf die Erzielung von Einnahmen gerichtet ist (s. dazu Senatsentscheidung in BFHE 214, 370, BStBl II 2006, 764). Sollte das FG im zweiten Rechtsgang den erforderlichen erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang bejahen, wird es zudem noch Feststellungen zu den vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen treffen müssen.

Fundstelle(n):
DStRE 2012 S. 272 Nr. 5
EStB 2009 S. 390 Nr. 11
MAAAD-29320