BFH Urteil v. - VI R 60/07

Aufwendungen der Großeltern für Besuche ihres im Ausland lebenden Enkelkindes keine außergewöhnliche Belastung

Leitsatz

Aufwendungen der Großeltern für Reisen zu ihrem im Ausland bei der sorgeberechtigten Mutter lebenden Enkelkind sind nicht zwangsläufig im Sinne des § 33 EStG.
Großeltern haben ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. Allein der Umstand, dass aus familiengerichtlicher Sicht der Umgang der Großeltern mit ihrem Enkelkind dessen Wohl dient, besagt nicht, dass deshalb dieser Umgang auch - rechtlich oder tatsächlich - zwangsläufig zu erfolgen hat und deshalb eine nicht disponible Einkommensverwendung nach sich zieht.

Gesetze: EStG § 31, EStG § 32 Abs. 6, EStG § 33, BGB § 1685

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurden im Streitjahr (2003) als Ehegatten zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie sind die Großeltern der 1998 geborenen M. Der Kindesvater und Sohn der Kläger ist im Januar 2000 tödlich verunglückt; zu jener Zeit war ein Verfahren auf Scheidung der Ehe der Kindeseltern anhängig. Die Kindesmutter wehrte sich gegen Besuchskontakte der Kläger. Daraufhin setzten diese ihr Recht auf Umgang aus § 1685 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) gerichtlich durch; die Familiengerichte waren der Auffassung, dass der Kontakt dem Kindeswohl entspreche. Nachdem die Kindesmutter nach Spanien verzogen war, führten die Kläger erneut familienrechtliche Auseinandersetzungen; im Streitjahr haben die Kläger ihre Enkelin achtmal in Spanien besucht.

In ihrer Einkommensteuererklärung 2003 machten die Kläger außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 20 155 € geltend. Davon entfiel ein Betrag in Höhe von 5 906 € auf Anwaltskosten zur Durchsetzung des Umgangsrechts und ein Betrag in Höhe von 8 184 € auf Reisekosten. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) lehnte mit Bescheid vom die Anerkennung der Reisekosten ab und ließ unter Berücksichtigung einer zumutbaren Belastung die bezeichneten Anwaltskosten sowie weitere Krankheitskosten in Höhe von 8 934 € zum Abzug nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu. Der Einspruch der Kläger hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 131 veröffentlichten Gründen ab.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2003 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, dass Reisekosten in Höhe von 8 184 € als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die von den Klägern geltend gemachten Reisekosten nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar sind.

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Einkommensteuer ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse sowie gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Die Aufwendungen entstehen gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG zwangsläufig, wenn der Steuerpflichtige sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (Zwangsläufigkeit dem Grunde nach) und soweit sie den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (Zwangsläufigkeit der Höhe nach).

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH— (z.B. Urteil vom III R 39/05, BFHE 218, 136, BStBl II 2007, 764, und —betreffend die Abziehbarkeit von Aufwendungen eines Elternteils für Besuche seines von ihm getrennt lebenden Kindes— Urteile jeweils vom III R 28/05, BFHE 219, 119, BStBl II 2008, 287; III R 30/06, BFH/NV 2008, 539; III R 41/04, III R 55/05 und III R 71/06, jeweils juris) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die typischen Aufwendungen der Lebensführung sind dagegen ungeachtet ihrer Höhe im Einzelfall aus dem Anwendungsbereich des § 33 EStG ausgeschlossen. Sie werden in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag (§ 32a Abs. 1 Satz 2 EStG) berücksichtigt (z.B. BFH-Urteil in BFHE 218, 136, BStBl II 2007, 764). Familienbedingte Aufwendungen sind bis 1995 durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs (Freibeträge und Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz) und ab 1996 durch die Regelungen des Familienleistungsausgleichs (Freibeträge oder Kindergeld, vgl. § 31, § 32 Abs. 6 und X. Abschnitt EStG) abgegolten (z.B. , BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54, und vom III R 60/96, BFH/NV 1997, 755).

b) Zu den nicht außergewöhnlichen, bei typisierender Betrachtungsweise abgegoltenen Aufwendungen gehören —wie der III. Senat des BFH in den genannten Urteilen vom nochmals wiederholt hervorgehoben hat— in der Regel die Kosten für Fahrten, um nahe Angehörige zu besuchen (z.B. , BFHE 161, 69, BStBl II 1990, 894, und III R 145/85, BFHE 161, 73, BStBl II 1990, 895 —Besuch des Ehegatten bzw. des Kindes in der Haftanstalt—; vom III R 28/89, BFH/NV 1992, 96, m.w.N. —Besuch des kranken Vaters—), es sei denn, die Fahrten werden ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit unternommen (, BFHE 161, 432, BStBl II 1990, 958).

c) Durch die Regelungen des Kinderlastenausgleichs bzw. ab 1996 des Familienleistungsausgleichs sind nach höchstrichterlicher Rechtsprechung auch die Kosten eines alleinstehenden Elternteils für Wochenendfahrten zu einem von ihm getrennt lebenden Kind in Erfüllung der elterlichen Pflicht zur Personensorge abgegolten (, BFHE 148, 22, BStBl II 1987, 167, und vom III R 23/88, BFH/NV 1992, 172, unter 1.b). Die Aufwendungen eines geschiedenen, nicht sorgeberechtigten Vaters für Fahrten zu seinem Kind aufgrund seines Besuchsrechts nach § 1634 BGB a.F. hat der III. Senat des BFH —in einem den Veranlagungszeitraum 1990 betreffenden Fall— ebenfalls als typische —nicht nach § 33 EStG steuermindernd zu berücksichtigende— Kosten der Lebensführung behandelt (Urteil in BFHE 180, 551, BStBl II 1997, 54). An den Grundsätzen jener Entscheidung hat der III. Senat des BFH auch für nachfolgende Veranlagungszeiträume festgehalten (vgl. für das Jahr 1998, III R 28/05 für das Jahr 1999, III R 55/05 für die Jahre 1999 und 2000, III R 30/06 für die Jahre 2001 und 2002 bzw. III R 71/06 für die Jahre 2000 bis 2002). Die in seinem Urteil vom III R 141/95 (BFH/NV 2004, 1635, unter II.3.) —Streitjahr war 1990— erwähnten, aber offen gelassenen Fragen hat der III. Senat des BFH in seinen späteren Urteilen vom nicht mehr aufgegriffen; in der früheren Entscheidung ist noch ausgeführt, es sei erwogen worden, ob notwendige Aufwendungen getrennt lebender Eltern für den Umgang mit dem bei dem anderen Elternteil lebenden Kind zwangsläufig erwachsen und in gewissem Umfang als außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG berücksichtigt werden können.

2. Diese Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt, sind auch Aufwendungen von Großeltern für Besuche ihres von ihnen getrennt lebenden Enkelkindes regelmäßig nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar. Auch im Streitfall kommt ein solcher Abzug nicht in Betracht.

a) Die Aufwendungen der Kläger für Reisen zu ihrem Enkelkind nach Spanien sind nicht zwangsläufig i.S. des § 33 EStG. Dabei kann dahinstehen, ob dem Tatbestandsmerkmal der „Zwangsläufigkeit” lediglich deklaratorische Bedeutung zukommt, weil bereits das Merkmal der „Außergewöhnlichkeit” es erfordert, dass die Einkommensverwendung atypisch und zwingend erforderlich, d.h. nicht disponibel ist (vgl. Arndt, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 33 Rz C 1 f.; Schmidt/Loschelder, EStG, 27. Aufl., § 33 Rz 16).

Nach § 1685 Abs. 1 BGB in seiner gegenwärtig geltenden Fassung haben Großeltern ein Recht auf Umgang mit dem Kind, wenn dieser dem Wohl des Kindes dient. Eine gesetzliche Umgangspflicht wie bei Eltern (§ 1684 Abs. 1 BGB) trifft die Großeltern nicht. Allein der Umstand, dass aus familiengerichtlicher Sicht der Umgang der Großeltern mit ihrem Enkelkind dessen Wohl dient, besagt nicht, dass deshalb dieser Umgang auch —rechtlich oder tatsächlich— zwangsläufig zu erfolgen hat und deshalb eine nicht disponible Einkommensverwendung nach sich zieht.

Nach den mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen nicht angegriffenen und deshalb den Senat nach § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG waren die Besuche der Kläger auch nicht medizinisch indiziert oder therapeutisch notwendig (vgl. z.B. Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach —HHR—, § 33 EStG Rz 300, Stichwort Besuchsfahrten, Besuchsreisen). Dass der Umgang in psychologischen Gutachten befürwortet ist, besagt lediglich, dass die Besuche dem Kindeswohl gedient haben. Deshalb waren die Besuche der Kläger auch insoweit weder tatsächlich noch sittlich zwangsläufig.

Schließlich ergibt sich auch aus dem Umstand, dass der Kindesvater und Sohn der Kläger verstorben ist, jedenfalls nach einkommensteuerlichen Maßstäben keine sittlich begründete Zwangsläufigkeit der Reisekosten. Unabhängig von der Frage, ob sittliche Verpflichtungen steuerlich nur anerkannt werden können, wenn sie wie rechtliche mit Sanktionen bewehrt sind (vgl. HHR/Kanzler, § 33 EStG Rz 190), determinieren die Motive der Kläger, ihr Enkelkind zu besuchen, die streitige Einkommensverwendung nicht in einer Weise, dass diese als nicht mehr disponibel erscheint. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Enkelin der Kläger keine Vollwaise ist, sondern bei der sorgeberechtigten Kindesmutter lebt.

b) Die von den Klägern getragenen Reisekosten sind aber auch nach anderen Maßstäben nicht außergewöhnlich. Bei typisierender Betrachtungsweise liegen Reisekosten von Großeltern zur Herstellung des Umgangs mit ihren Enkelkindern auch nicht der Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen. Enkelkinder leben typischerweise bei ihren Eltern oder einem Elternteil; ihr Aufenthaltsort spiegelt deshalb auch die berufliche und persönliche Mobilität der Eltern. Im Hinblick auf gesteigerte berufliche Mobilitätsanforderungen ist eine räumliche Nähe zum Lebensmittelpunkt der Großeltern nicht mehr die Regel; auch ein längerfristiger Auslandsaufenthalt der Enkel ist nicht mehr ungewöhnlich. Deshalb handelt es sich bei den streitbefangenen Reisekosten um mehr oder weniger typischen Aufwand der Kontaktpflege. Ob dieser Aufwand im Streitfall auch aufgrund der Vielzahl der Reisen der Höhe nach besonders ausgeprägt war, ist bei typisierender Betrachtungsweise zu vernachlässigen; denn der Grad der Intensität der Kontaktpflege ist unter den hier vorliegenden Umständen (insbesondere kein medizinisch indizierter Umgang) disponibel.

c) Schließlich führt auch der Umstand, dass die Kläger als Großeltern über die Berücksichtigung ihres Existenzminimums hinaus keine Entlastung im Rahmen des Familienleistungsausgleichs erhalten, im Streitfall zu keiner steuerlichen Anerkennung einer außergewöhnlichen Belastung. Wenn bei einem von seinem Kind getrennt lebenden Elternteil, der —anders als die Kläger— Unterhaltslasten zu tragen hat, keine zusätzliche Anerkennung von Reisekosten für den —auch aufgrund gesetzlicher Verpflichtung— ausgeübten Umgang nach § 33 EStG geboten ist, so gilt dies erst recht, wenn keine Unterhaltspflicht des Umgangsberechtigten und dementsprechend auch keine Unterhaltsleistungen an das Kind festgestellt werden. Denn der einkommensteuerrechtliche Familienleistungsausgleich gemäß §§ 31 f., 62 ff. EStG dient insgesamt der Berücksichtigung der Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern und sorgt für die gebotene steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrages in Höhe des Existenzminimums des Kindes. Er entspricht der geminderten steuerlichen Leistungsfähigkeit aufgrund der typischen Unterhaltspflichten. Bestehen diese Pflichten nicht und findet deshalb kein Familienleistungsausgleich statt, so sind Aufwendungen der Kontaktpflege grundsätzlich nicht ersatzweise als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen.

Dass damit die streitbefangenen Aufwendungen der Kläger als Kosten der Lebensführung lediglich mit dem Grundfreibetrag abgegolten werden, begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Gesetzgeber darf nämlich auch im Bereich des subjektiven Nettoprinzips generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen treffen, ohne wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Aufgrund dieses Beurteilungsspielraums des Gesetzgebers wird das von der Einkommensteuer freizustellende sachliche Existenzminimum durch den Grundfreibetrag berücksichtigt (BFH-Urteile in BFHE 219, 119, BStBl II 2008, 287, und in BFH/NV 2008, 539; , nicht veröffentlicht). Damit sind grundsätzlich auch Aufwendungen von Großeltern für den Umgang mit dem von ihnen getrennt lebenden Enkelkind abgegolten.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 1111 Nr. 7
BFH/PR 2009 S. 295 Nr. 8
EStB 2009 S. 235 Nr. 7
HFR 2009 S. 784 Nr. 8
JAAAD-21094