BFH Urteil v. - IX R 53/07

Änderung eines rechtswidrigen Bescheids nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO; Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften

Leitsatz

1. Im Jahr 2000 entstandene nicht ausgleichbare Veräußerungsverluste sind in die gesonderte Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags mit einzubeziehen, da ein verbleibender Verlustvortrag für Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erstmals auf den gesondert festzustellen ist.
2. Ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehender rechtswidriger Bescheid ist entgegen dem Wortlaut des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO zu ändern; insoweit besteht kein Ermessen der Finanzbehörde.

Gesetze: AO § 164 Abs. 2, EStG § 10d Abs. 4, EStG § 23 Abs. 3

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gab in seiner Einkommensteuererklärung für das Jahr 2000 keine Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung (EStG) an. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) veranlagte den Kläger mit Bescheid vom erklärungsgemäß zur Einkommensteuer; das FA wies die sonstigen Einkünfte darin mit 0 DM aus.

Mit Schreiben vom erklärte der Kläger für das Jahr 2000 —zwischen den Beteiligten nicht streitige— Verluste aus dem An- und Verkauf von Wertpapieren in Höhe von 40 552 DM und beantragte, den zum verbleibenden Verlustvortrag für die Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften gesondert festzustellen und die —unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) ergangenen— Feststellungsbescheide über die zum und verbleibenden Verlustvorträge entsprechend zu ändern. Das FA lehnte die Anträge ab. Die hiergegen gerichteten Einsprüche blieben ohne Erfolg.

Der Kläger nahm seine Klage hinsichtlich der gesonderten Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags zurück, nachdem der (BFHE 212, 41, BStBl II 2007, 158) entschieden hatte, über die Verrechenbarkeit von Verlusten aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S. des § 23 EStG, die im Entstehungsjahr nicht ausgeglichen werden könnten, sei —ein gesondertes Feststellungsverfahren sehe die Vorschrift nicht vor— im Jahr der Verrechnung zu entscheiden. Das Finanzgericht (FG) änderte mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1774, veröffentlichten Urteil die Verlustfeststellungsbescheide zum und zum und erhöhte den verbleibenden Verlustvortrag jeweils um die im Jahr 2000 entstandenen Veräußerungsverluste.

Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 23 Abs. 3 Satz 9 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 (JStG 2007) vom (EStG 2007). Die Verluste aus dem Jahr 2000 könnten nicht mehr als verbleibender Verlustvortrag gesondert festgestellt werden, da der —bisher keine Verluste ausweisende— Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000 bestandskräftig sei und nicht mehr geändert werden könne.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt hinsichtlich der gesonderten Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zu einem hiervon abweichenden Urteilsausspruch (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Bezüglich der gesonderten Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags führt sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).

1. Verbleibender Verlustvortrag zum

a) Das FG hat zu Unrecht den Feststellungsbescheid vom durch das angefochtene Urteil abgeändert. Ein solches Gestaltungsurteil ist nach § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO nur bei einer Anfechtungsklage zulässig. Im Streitfall handelt es sich aber um eine Verpflichtungsklage gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative FGO, da der Kläger die Änderung eines bereits bestandskräftigen Steuerbescheids begehrt (vgl. , BFHE 145, 545, BStBl II 1986, 245). Eine Entscheidung zu Gunsten des Klägers kann daher nach § 101 FGO nur dahin gehen, das FA zu verpflichten, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen.

b) In der Sache hat das FG im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Feststellungsbescheid über den zum verbleibenden Verlustvortrag nach § 164 Abs. 2 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO zu ändern und der verbleibende Verlustvortrag um die nicht ausgleichbaren Veräußerungsverluste aus dem Jahr 2000 zu erhöhen ist.

aa) Gemäß § 164 Abs. 2 Satz 1, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO kann ein unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 Satz 1 AO) stehender Feststellungsbescheid aufgehoben oder geändert werden, solange der Vorbehalt —wie im Streitfall— wirksam ist. Ein rechtswidriger Bescheid ist entgegen dem Wortlaut des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO zu ändern; insoweit besteht kein Ermessen der Finanzbehörde (vgl. Heuermann in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 164 AO Rz 22).

bb) Die im Jahr 2000 entstandenen, nicht ausgleichbaren Veräußerungsverluste sind in die gesonderte Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags mit einzubeziehen, da ein verbleibender Verlustvortrag für Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften erstmals auf den gesondert festzustellen ist (vgl. , BFHE 198, 395, BStBl II 2002, 681, zu § 10d Abs. 3 EStG 1990).

(1) Der aus dem Veranlagungszeitraum 2000 verbliebene Verlustvortrag ist nicht nach § 10d Abs. 4, § 23 Abs. 3 Satz 9 zweiter Halbsatz EStG 2007 gesondert festzustellen, da das FA eine solche Feststellung bereits vor dem Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2007 am (vgl. Art. 20 Abs. 1 JStG 2007) bestandskräftig abgelehnt hat. Der Ablehnungsbescheid trifft für die Beteiligten die verbindliche Regelung, dass kein Feststellungsverfahren durchzuführen ist; denn der Kläger hat seine Klage gegen diesen Bescheid zurückgenommen, weil das Einkommensteuergesetz bis zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2007 keine Rechtsgrundlage für ein Feststellungsverfahren über nicht ausgleichbare Verluste aus den Einkünften i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG vorsah (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 212, 41, BStBl II 2007, 158). Der Senat braucht daher nicht zu entscheiden, ob § 23 Abs. 3 Satz 9 zweiter Halbsatz EStG 2007 nach § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG 2007 anzuwenden wäre.

(2) Gemäß § 10d Abs. 4, § 23 Abs. 3 Satz 9 zweiter Halbsatz EStG 2007 ist erstmals auf den ein verbleibender Verlustvortrag gesondert festzustellen. Denn nach § 52 Abs. 39 Satz 7 EStG 2007 ist § 23 Abs. 3 Satz 9 zweiter Halbsatz EStG 2007 auch in den Fällen anzuwenden, in denen am die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist. Die Feststellungsfrist für die gesonderte Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags war am noch nicht abgelaufen, weil zu diesem Zeitpunkt über den Rechtsbehelf noch nicht unanfechtbar entschieden worden ist (vgl. § 171 Abs. 3a, § 181 Abs. 1 Satz 1 AO).

2. Verbleibender Verlustvortrag zum

a) Das FG hätte das Verfahren hinsichtlich der Änderung des Feststellungsbescheids über den zum verbleibenden Verlustvortrag gemäß § 74 FGO aussetzen müssen, bis das FA die gesonderte Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags geändert hat. Denn der Kläger begehrt eine Änderung des zum gesondert festgestellten verbleibenden Verlustvortrags allein wegen der Veräußerungsverluste aus dem Jahr 2000. Über diese Verluste ist aber —wie ausgeführt— bei der gesonderten Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags zu entscheiden, welche als Grundlagenbescheid (vgl. § 171 Abs. 10 AO) für den Feststellungsbescheid über den zum verbleibenden Verlustvortrag gemäß § 182 Abs. 1 AO Bindungswirkung hat (vgl. § 10d Abs. 4 Satz 2, § 23 Abs. 3 Satz 9 zweiter Halbsatz EStG 2007, sowie , BFH/NV 2000, 948, m.w.N., zu § 10d Abs. 3 EStG 1990).

Eine abweichende Beurteilung ergibt sich nicht daraus, dass das FG auch über die Änderung der gesonderten Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags zu entscheiden hatte. Denn das FG hatte die Bindungswirkung des Feststellungsbescheids über den zum verbleibenden Verlustvortrag zu beachten, da es diesen Bescheid —wie ausgeführt— nicht selbst gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 FGO ändern konnte.

Dieser Verfahrensfehler berührt die Grundordnung des Verfahrens und ist deshalb ohne Verfahrensrüge zu beachten (vgl. , BFHE 192, 241, BStBl II 2001, 9, m.w.N.).

b) Das angefochtene Urteil ist daher auch bezüglich der gesonderten Feststellung des zum verbleibenden Verlustvortrags aufzuheben. Die Sache ist aber nicht spruchreif; sie wird insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen, das sein Verfahren nach § 74 FGO aussetzen und die Änderung des Feststellungsbescheids über den zum verbleibenden Verlustvortrag abwarten muss.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2009 S. 364 Nr. 3
HFR 2009 S. 578 Nr. 6
AAAAD-05568