BFH Urteil v. - III R 66/06

Nichtberücksichtigung von Lohnsteuer bei der Prüfung des Jahresgrenzbetrags verstößt nicht gegen Gleichheitssatz

Gesetze: EStG § 32 Abs. 4, EStG § 62 Abs. 1, EStG § 63 Abs. 1, EStG § 2 Abs. 2, GG Art. 3 Abs. 1

Instanzenzug: FG des Landes Brandenburg Urteil vom 6 K 1236/02 (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) hat einen im Jahr 1973 geborenen Sohn (S), der im Streitjahr 1999 studierte. S erzielte 1999 Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 15 726 DM; hiervon wurde Lohnsteuer in Höhe von 497 DM einbehalten, die S im Jahr 2001 erstattet bekam.

Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für S ab Januar 1999 auf, da dessen Einkünfte und Bezüge im Jahr 1999 den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. für das Jahr 1999 (EStG) in Höhe von 13 020 DM überstiegen. Der hiergegen gerichtete Einspruch blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hob mit Urteil vom 6 K 1236/02 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 137) den Bescheid vom auf und gewährte für das Jahr 1999 Kindergeld. Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge hatte das FG unter Berufung auf den (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) von den Einkünften des S die einbehaltene Lohnsteuer von 497 DM abgesetzt. Es ergaben sich unter dem Grenzbetrag liegende Einkünfte und Bezüge in Höhe von 12 882 DM.

Die Familienkasse rügt mit ihrer Revision die Verletzung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG. Das FG habe bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge des S den Jahresgrenzbetrag überstiegen, zu Unrecht die Lohnsteuer von den Einkünften des S abgezogen.

Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Entgegen der Auffassung des FG sind die Lohnsteuer und der Solidaritätszuschlag nicht von den Einkünften abzusetzen mit der Folge, dass die Einkünfte und Bezüge des S den maßgeblichen Jahresgrenzbetrag von 13 020 DM übersteigen.

1. Für ein volljähriges Kind besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld nur dann, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 13 020 DM im Kalenderjahr 1999 hat.

Der Begriff der Einkünfte ist in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definiert und je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Einnahmen die Werbungskosten abzuziehen. Nach dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 würde eine andere Auslegung des Begriffs der Einkünfte, die von der „tradierten steuerlichen Terminologie” abwiche, dem Wortlaut und dem systematischen Zusammenhang widersprechen und damit auch dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers.

Nach Ansicht des BVerfG verstößt jedoch die Berücksichtigung der —einkommensteuerrechtlich den Sonderausgaben zuzurechnenden— Sozialversicherungsbeiträge als Einkünfte des Kindes gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), weil Eltern mit sozialversicherungspflichtigen Kindern, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nur wegen der als Einkünfte behandelten Sozialversicherungsbeiträge überschritten, gegenüber Eltern mit nicht sozialversicherungspflichtigen Kindern benachteiligt seien, deren Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag nicht überstiegen. Daher seien im Wege verfassungskonformer Auslegung des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG Einkünfte —ebenso wie die Bezüge— nur zu berücksichtigen, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet seien. Nach Auffassung des BVerfG sind deshalb jedenfalls diejenigen Beträge, die —wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge— von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht für den Unterhalt zur Verfügung stehen und deshalb keine Entlastung bei den Eltern bewirken können, nicht als Einkünfte anzusetzen.

Der Senat hat bereits durch Urteil vom III R 4/07 (BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738) entschieden, dass die vom Arbeitslohn einbehaltene Lohnsteuer bei der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag übersteigen, nicht von den Einkünften abzuziehen ist. Die Nichtberücksichtigung der Lohnsteuer verstößt —anders als die Nichtberücksichtigung der Sozialversicherungsbeiträge— nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, da auch Kinder mit nicht lohnsteuerpflichtigen Einkünften Einkommensteuer zu zahlen haben, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen den Grundfreibetrag übersteigt. Die sich aus dem Lohnsteuerabzug möglicherweise ergebenden Liquiditätsnachteile gegenüber Kindern, die Einkommensteuer bezahlen, ohne dass Einkommensteuervorauszahlungen festgesetzt wurden, ist als Typisierung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Zudem wird die Lohnsteuer —anders als die Sozialversicherungsbeiträge— wieder erstattet, wenn das zu versteuernde Einkommen den Grundfreibetrag nicht übersteigt.

2. Da das FG von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen. Denn ohne Abzug der Lohnsteuer übersteigen die Einkünfte und Bezüge des S den Jahresgrenzbetrag von 13 020 DM (12 882 DM + 497 DM = 13 379 DM), sodass der Anspruch auf Kindergeld entfällt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
SAAAD-03660