BFH Beschluss v. - XI R 42/06

Aufforderung des Bundesministeriums der Finanzen zum Beitritt: Änderungsmöglichkeit des Steuerbescheides als Voraussetzung für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustvortrag

Gesetze: EStG § 10d Abs. 4; FGO § 122

Instanzenzug:

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beantragte im Dezember 2004 die Feststellung eines verbleibenden Verlustabzugs zum gemäß § 10d Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom (BStBl I 1999, 304; zuvor § 10d Abs. 3 EStG 1990).

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) lehnte den Antrag ab. Es verwies darauf, dass der gegenüber dem Kläger ergangene Einkommensteuerbescheid vom (Gesamtbetrag der Einkünfte: 0 DM, Einkommensteuer: 0 DM) bestandskräftig sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Zur Begründung verwies es auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) in den Urteilen vom XI R 62/97 (BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3) und vom XI R 25/99 (BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817) zu § 10d Abs. 3 EStG 1990.

Der Kläger hält mit seiner —vom FG zugelassenen— Revision an seinem Klagebegehren fest.

II. Das vorliegende Verfahren sowie zwei weitere beim BFH anhängige Revisionen (XI R 20/06 und XI R 40/06) machen es erforderlich, die bisherige Rechtsprechung zum erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustvortrag bei Vorliegen eines bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides zu überprüfen.

1. Der erstmalige Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustvortrag ist sowohl in § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG in der im Streitfall geltenden Fassung als auch in Satz 4 angesprochen.

Der Senat hat mit Urteil in BFHE 187, 523, BStBl II 2000, 3 entschieden, Voraussetzung für den erstmaligen Erlass eines Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustabzug nach § 10d Abs. 3 Satz 4 EStG 1990 sei, dass der zugrunde liegende —bisher keinen Verlust ausweisende— Steuerbescheid noch entsprechend geändert werden könne. Der Steuerpflichtige habe innerhalb der Anfechtungsfrist für den Einkommensteuerbescheid den Erlass eines Feststellungsbescheides beantragen können. Insofern unterschieden sich die Rechtsschutzmöglichkeiten bei einer Steuerfestsetzung auf 0 DM nicht von denen eines Steuerpflichtigen, gegen den im Einkommensteuerbescheid eine Steuerschuld festgesetzt worden sei.

Der Senat hat an dieser Rechtsprechung in dem Urteil in BFHE 195, 545, BStBl II 2002, 817 festgehalten und für die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs eine Antragsfrist von einem Jahr seit Bekanntgabe des Einkommensteuerbescheides eingeräumt. Er ist in beiden Entscheidungen davon ausgegangen, dass sich der Erlass eines erstmaligen Feststellungsbescheides über den verbleibenden Verlustabzug nach § 10d Abs. 3 Satz 4 und 5 EStG 1990 richtet. Er hat sich dabei auf das Senatsurteil vom XI R 4/96 (BFH/NV 1997, 180) bezogen, das die Änderung eines Feststellungsbescheides betrifft. Er hat die Auffassung vertreten, dass für den Erlass eines erstmaligen Feststellungsbescheides Gleiches gelten müsse.

2. Diese Rechtsprechung ist in der Literatur teils gebilligt worden (vgl. z.B. Hallerbach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10d EStG Rz 121, 127; Lambrecht in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., § 10d Rz 36, 39; Lindberg in Frotscher, EStG, 6. Aufl., Freiburg 1998 ff., § 10d Rz 92 a.E.; Gatzka/Wilhelm, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2005, 1794, 1798; Valentin, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1576), überwiegend aber auf nachhaltige Kritik gestoßen (vgl. z.B. Schmidt/Heinicke, EStG, 26. Aufl., § 10d Rz 48; Schneider/Krammer in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 10d Rz 90; Schmieszek in Bordewin/Brandt, § 10d EStG Rz 333; Meyer, DStR 1989, 191, 238; Meyer/Ball, Deutsche Steuer-Zeitung 1997, 452; Meyer/ Ball, DStR 1999, 1257; Meyer/Ball, Die Information über Steuer und Wirtschaft —INF— 2002, 551; Meyer/Ball, DStR 2003, 1229; Süring, DStR 2006, 345; Gebhardt, Der Ertrag-Steuer-Berater 2003, 234 f.; Paus, INF 2003, 295, 300 f.; Sikorski, Der AO Steuer-Berater 2001, 187, 189).

3. Der Senat wird bei der Überprüfung seiner bisherigen Rechtsauffassung —abgesehen von den bereits in der Literatur erhobenen Einwendungen— insbesondere zu bedenken haben, dass die Tatbestandsmerkmale des § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG dem Wortlaut nach nicht erfüllt sind, wenn ein Einkommensteuerbescheid mit einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte oder mit Einkünften von 0 DM vorliegt. Denn zu den in Satz 4 des § 10d Abs. 4 EStG aufgezählten Tatbestandsmerkmalen für den Erlass, die Aufhebung oder Änderung eines Feststellungsbescheides gehört u.a., dass sich „die nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge” ändern. Nach Satz 2 sind verbleibender Verlustvortrag die bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, vermindert um die nach Absatz 1 abgezogenen und die nach Absatz 2 abziehbaren Beträge und vermehrt um den auf den Schluss des vorangegangenen Veranlagungszeitraums festgestellten verbleibenden Verlustvortrag.

Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift gehören zu den „nach Satz 2 zu berücksichtigenden Beträge(n)” nicht der Gesamtbetrag der Einkünfte, sondern (nur) die negativen Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht ausgeglichen sind.

Daraus folgt, dass nach dem Gesetzeswortlaut das Begehren auf Erlass eines erstmaligen Feststellungsbescheides jedenfalls dann nicht in den Regelungsbereich des Satzes 4 des § 10d Abs. 4 EStG (§ 10d Abs. 3 EStG 1990) fällt, wenn der entsprechende Einkommensteuerbescheid keine nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte, sondern einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte oder einen solchen von 0 DM ausweist. Denn wenn nicht ausgeglichene Einkünfte bisher gar nicht vorhanden waren, können sie sich auch nicht —wie nach Satz 4 erforderlich— geändert haben (vgl. zu dem Erfordernis der Änderung der in Satz 2 genannten Beträge auch bereits das Senatsurteil vom XI R 33/04, BFHE 212, 497, BFH/NV 2006, 1204).

Danach wird entscheidungserheblich sein, ob die Voraussetzungen für eine den Wortlaut korrigierende Auslegung (vgl. dazu z.B. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 266, 380) oder eine Rechtsfortbildung (vgl. dazu z.B. Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Rz 344 ff.) vorliegen.

4. Der Senat ersucht das Bundesministerium der Finanzen, dem Verfahren beizutreten. Es wird gebeten, den Beitritt bis zum zu erklären und bis zum eine Stellungnahme dazu abzugeben, ob und ggf. aus welchen Gründen die herkömmlichen Auslegungsregeln oder die anerkannten Grundsätze der Rechtsfortbildung ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung rechtfertigen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 48 Nr. 1
EStB 2008 S. 15 Nr. 1
KÖSDI 2008 S. 15855 Nr. 1
VAAAC-64325