BFH Beschluss v. - IV B 121/06

Grundsatz "in dubio pro reo" steht der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen nicht entgegen; Anforderungen an die Überzeugungsbildung i.S. von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO

Gesetze: AO § 162, AO § 169, FGO § 96, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug: ,F

Gründe

Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen.

1. Nach § 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde angefochten werden, mit der geltend zu machen ist, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 FGO vorliegen. Nach dieser Vorschrift ist die Revision nur zuzulassen, wenn (1.) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2.) die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert oder (3.) ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist dabei nur zulässig, wenn einer dieser Revisionszulassungsgründe bezeichnet und die Erfüllung seiner Voraussetzungen schlüssig dargelegt wird (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

2. An einer solchen Darlegung fehlt es im Streitfall. Weder bezeichnen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) einen der Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO, noch lässt sich in ihren Ausführungen die schlüssige Darlegung eines Zulassungsgrundes erkennen.

a) Soweit die Kläger geltend machen, es sei „grundsätzlich” zu klären, ob „trotz Beweispflicht des Beklagten” und Beschwerdegegners (Finanzamt —FA—) „eine Klage lediglich beruhend auf Annahmen, Indizien und Interpretationen abgewiesen werden” könne, entsprechen ihre Ausführungen nicht den Darlegungsanforderungen (vgl. dazu , BFH/NV 2003, 1040; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, jeweils m.w.N.). Grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des BFH zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage, die dem materiellen oder dem Verfahrensrecht angehören kann (vgl. dazu Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 27), das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (, BFH/NV 2003, 1082, m.w.N.). Diese Voraussetzungen haben die Kläger nicht dargelegt.

Die Kläger werfen insoweit letztlich keine klärungsbedürftigen Rechtsfragen auf, sondern beanstanden im Grunde die Rechtmäßigkeit der Vorentscheidung und die vom Finanzgericht (FG) vorgenommene Einzelfallwürdigung. Die Rüge, die Vorentscheidung sei rechtswidrig, eröffnet nach ständiger Rechtsprechung des BFH aber nicht die Revision (vgl. BFH-Beschlüsse vom X B 86/99, BFH/NV 2000, 681; vom IV B 15/00, BFH/NV 2001, 1280, und vom IV B 67/04, BFH/NV 2006, 234), wenn —wie im Streitfall— eine willkürliche oder greifbar gesetzwidrige Beurteilung nicht ersichtlich ist (vgl. , BFH/NV 2006, 802, m.w.N.).

b) Die Kläger haben auch einen Verfahrensmangel nicht in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO gebotenen Form dargelegt. Eine schlüssige Rüge erfordert hier, dass die Tatsachen, die den Mangel ergeben, im Einzelnen angeführt werden und dass dargelegt wird, dass die Entscheidung des FG auf dem Mangel beruhen kann (s. hierzu aus jüngster Zeit den , BFH/NV 2007, 1039).

Soweit die Kläger sinngemäß rügen, das FG habe den Grundsatz „in dubio pro reo” nicht beachtet, fehlt es an dem schlüssigen Vortrag eines Verfahrensmangels. Es ist nicht dargetan, dass das FG diesen Grundsatz verletzt hat.

Das Verfahren vor dem FG richtet sich nach der FGO. Dies gilt auch insoweit, als das FG im Rahmen der Prüfung der Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO) beurteilen musste, ob objektiv und subjektiv der Tatbestand einer Steuerhinterziehung erfüllt ist. Zwar ist insoweit auch im Besteuerungsverfahren der Grundsatz „in dubio pro reo” zu beachten (vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 749, m.w.N.). Dieser Grundsatz greift allerdings nur ein, solange Zweifel nicht zu beheben sind. Er untersagt dem FG hingegen nicht, auf Grund vielfältiger Feststellungen zu der vollen Überzeugung zu gelangen, dass eine Steuerhinterziehung zu bejahen ist (, BFH/NV 2005, 1485). Ebenso wenig steht der Grundsatz „in dubio pro reo” der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 162 AO i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO entgegen, da der Steuerpflichtige im Besteuerungsverfahren zur Mitwirkung verpflichtet bleibt (vgl. , BFHE 198, 7, BStBl II 2002, 328; , BFH/NV 2005, Beilage 2, 125).

Die nach Ansicht der Kläger fehlerhafte Tatsachen- und Beweiswürdigung durch das FG ist kein Verfahrensmangel; vielmehr sind die Grundsätze der Beweiswürdigung dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 82, m.w.N.).

c) Im Übrigen hat das FG seine Entscheidung über die Frage, ob die Kläger zu 1. und 2. auch nach dem bis zur Gründung der GmbH als Mitunternehmer bei der GbR (Klägerin zu 3.) Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielten bzw. ob die Klägerin zu 3. im Streitzeitraum (1991 bis 1995) einen Gewerbebetrieb unterhielt und als Unternehmer anzusehen war, gemäß § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung getroffen.

In der Rechtsprechung des BFH sind die Anforderungen, die an die Überzeugungsbildung i.S. von § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO zu stellen sind, bereits hinreichend geklärt. Danach ist für die Überzeugungsbildung erforderlich, dass der Tatrichter ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln und nur seinem persönlichen Gewissen unterworfen persönliche Gewissheit in einem Maße erlangt, dass er an sich mögliche Zweifel überwindet und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann, wobei der Richter nicht eine von allen Zweifeln freie Überzeugung anstreben darf, sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit überzeugen muss (, BFH/NV 1987, 560). Dabei hat das FG auch alle Indizien, die für oder gegen das Vorliegen einer Tatsache sprechen, zu berücksichtigen und in seine Gesamtwürdigung einzubeziehen (vgl. , BFHE 189, 428, BStBl II 2000, 67, m.w.N.). Auf bloße Unterstellungen darf das FG seine Überzeugungsbildung grundsätzlich nicht stützen (vgl. , BFHE 162, 199, BStBl II 1991, 100, unter 2. der Gründe).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 2241 Nr. 12
OAAAC-60532