OFD Nürnberg - S 7100 - 620/St 43

Umsatzsteuer und Insolvenz;

Geltendmachung von Umsatzsteuerforderungen und Aufrechnungsverbot

In der Frage, wie die festgesetzte Umsatzsteuer im Falle der Unternehmerinsolvenz im Erhebungsverfahren geltend zu machen ist, wird bei den Finanzämtern des OF-Bezirks bisweilen unterschiedlich verfahren. In der Vergangenheit kam es dadurch vermehrt zu ungerechtfertigten Umsatzsteuererstattungen an die Insolvenzmasse, obwohl eine Aufrechnungslage gegeben war. Zur Sicherstellung einer einheitlichen Rechtsanwendung bittet die OFD um Beachtung der nachstehenden Grundsätze.

1 Verhältnis von Insolvenzrecht zu Steuerrecht

Gem. § 251 Abs. 2 Satz 1 AO werden die Vorschriften der InsO durch das Steuerrecht nicht berührt und damit auch nicht eingeschränkt. Es gilt der Grundsatz „Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht”.

Für die Realisierung von Umsatzsteuerforderungen seitens des Finanzamts im Insolvenzverfahren ist entscheidend, ob diese zu den Insolvenzforderungen oder zu den Masseverbindlichkeiten zählen. Während Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen und – wenn überhaupt – nur anteilig getilgt werden, hat der Insolvenzverwalter Masseverbindllichkeiten vorab aus der Insolvenzmasse zu befriedigen (u.U. haftet er hierfür). Merkmal für die Einstufung als Insolvenz- oder Masseverbindlichkeit ist ausschließlich der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründetheit (§ 38 InsO), da es um die insolvenzrechtliche Vermögenszuordnung geht.

2 Insolvenzrechtliche Begründetheit

Bei der Umsatzsteuer zu unterscheiden ist die Begründetheit der Umsatzsteuer (§ 38 InsO), die Entstehung (§ 38 AO i.V.m. § 13 UStG) und deren Fälligkeit (§ 220 AO i.V.m. § 18 UStG).

Eine Abgabenforderung ist immer dann vor Insolvenzeröffnung begründet und damit als Insolvenzforderung im Sinne von § 38 InsO zur Tabelle anzumelden, wenn ihr Rechtsgrund zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Maßgeblich ist hier nicht die Vollrechtsentstehung materieller oder formeller Art, sondern der Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Eine Steuerforderung ist Insolvenzforderung i.S.v. § 38 InsO, wenn der umsatzsteuerlich relevante Lebenssachverhalt, vor Verfahrenseröffnung verwirklicht worden ist. Nicht entscheidend ist, wann der Anspruch steuerrechtlich entstanden ist.

Eine Umsatzsteuerforderung des Finanzamts gegenüber dem Unternehmer ist demgemäß insolvenzrechtlich dann begründet, wenn ihr Umsatzsteuertatbestand erfüllt wird. Der Umsatzsteuertatbestand ist gem. § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG erfüllt, sobald Lieferungen oder sonstige Leistungen vom Unternehmer im Inland gegen Entgelt ausgeführt werden. Entsprechendes gilt für Vorsteuerbeträge.

Beispiel:

Der Steuerschuldner A verkauft mit Zustimmung des vorläufigen „schwachen” Insolvenzverwalters am eine Maschine für 100.000 € zzgl. 16.000 € Umsatzsteuer. Am wird über das Vermögen des Insolvenzschuldners A das Insolvenzverfahren eröffnet.

Lösung:

Die Umsatzsteuer für die steuerbare und steuerpflichtige Lieferung entsteht gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1a UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums 11/2004. Die Umsatzsteuer-Vorauszahlung 11/2004 ist am fällig (§ 18 Abs. 1 Satz 3 UStG). Insolvenzrechtlich begründet (§ 38 InsO) ist die Umsatzsteuer für die Lieferung dagegen bereits am mit Ausführung der Leistung. Es handelt sich daher insoweit um eine Insolvenzforderung des Finanzamts, da die Begründetheit vor Insolvenzeröffnung liegt.

3 Aufrechnung mit Insolvenzforderungen gegen Forderungen der Masse

3.1 Grundsatz

Eine Aufrechnung kann erklärt werden, wenn die Aufrechnungslage gegeben ist; dies bedeutet Erfüllbarkeit der Verpflichtung des aufrechnenden Finanzamts (Hauptforderung, Erstattungsanspruch) und gleichzeitige Fälligkeit der Forderung des Finanzamts (Gegenforderung, Steueranspruch).

Das Finanzamt erhält über § 94 InsO grundsätzlich die Möglichkeit, sich unabhängig vom Insolvenzverfahren im Steuererhebungsverfahren durch Aufrechnung gegen einen an das Finanzamt gerichteten Steuererstattungsanspruch zu befriedigen. Eine bestehende Aufrechnungslage wird durch die Insolvenzeröffnung nicht berührt. Auch wenn die aufzurechnenden Steuerforderungen im Zeitpunkt der Insolvenzverfahrenseröffnung noch bedingt oder nicht fällig, aber schon begründet sind, kann gem. § 95 Abs. 1 InsO die Aufrechnung erfolgen, wenn das Aufrechnungshindernis beseitigt ist (Aufrechnungslage nach Verfahrenseröffnung).

Der BStBl 2004 II S. 815 klargestellt, dass das Finanzamt im Insolvenzverfahren mit Gegenforderungen aufrechnen kann, die vor Verfahrenseröffnung entstanden sind, ohne dass es deren vorheriger Festsetzung, Feststellung oder Anmeldung zur Insolvenztabelle bedarf. Die Fälligkeit richtet sich in diesen Fällen nach § 220 Abs. 2 Satz 1 AO, wonach der Anspruch mit seiner Entstehung fällig wird.

3.2 Aufrechnungsverbot

Gem. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist die Aufrechnung allerdings unzulässig, wenn das Finanzamt als Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist. Das Aufrechnungsrecht des Finanzamts wird damit in der Weise eingeschränkt, dass die Gegenseitigkeit der Steuerforderungen bereits im Insolvenzeröffnungszeitpunkt bestanden haben muss. Das Finanzamt kann daher nicht mit Umsatzsteuerforderungen, die vor Insolvenzeröffnung begründet sind (Insolvenzforderungen), gegen nach Insolvenzeröffnung begründete Vorsteueransprüche (Masseforderungen) aufrechnen.

Die Aufrechnung ist dagegen zulässig, wenn die nach Insolvenzeröffnung festgesetzten Vorsteuerbeträge bereits vor Insolvenzeröffnung begründet waren. Insolvenzrechtlich ist es unerheblich, dass ein Vorsteueranspruch umsatzsteuerrechtlich lediglich den Charakter einer unselbständigen Besteuerungsgrundlage hat und keinen steuerrechtlich selbständigen Auszahlungsanspruch darstellt ( BStBl 1994 II S. 83). Die Zusammenfassung von Umsatzsteuer aus Leistungen und Vorsteuer auf Ebene der Steuerfestsetzung ist insolvenzrechtlich ohne Bedeutung, da insolvenzrechtlich die einzelne Forderung (Besteuerungsgrundlage) und nicht der saldierte Steueranspruch (§ 37 AO) maßgeblich ist (§ 174 Abs. 2 InsO). Für die aus dem jeweiligen einzelnen Umsatz resultierende Umsatzsteuer und für den jeweiligen einzelnen Vorsteuerbetrag ist daher zu entscheiden, ob eine Begründetheit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegeben ist. Die Zuordnung einer Umsatzsteuerzahllast bzw. eines Erstattungsanspruchs laut einer Voranmeldung oder Jahreserklärung insgesamt zu Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten bzw. -Forderungen der Masse würde dem insolvenzrechtlichen Einzelanspruchsgrundsatz zuwiderlaufen.

Außerhalb eines Insolvenzverfahrens ist die isolierte Aufrechnung gegen einen Vorsteueranspruch allerdings nicht möglich (vgl. BStBl 1983 II S. 612).

3.3 Festsetzung und Erhebung

Die Aufrechnung hat keinen Einfluss auf die sich aus dem UStG ergebende Umsatzsteuerfestsetzung ( BStBl 1998 II S. 634). Vorsteuerbeträge, die erst nach Insolvenzeröffnung geltend gemacht werden (können), aber Eingangsleistungen vor Insolvenzeröffnung betreffen, sind insolvenzrechtlich vor Insolvenzeröffnung begründet. Sie können im Erhebungsverfahren mit Insolvenzforderungen aufgerechnet werden, sind jedoch nicht aus der an den Insolvenzverwalter adressierten Umsatzsteuerfestsetzung auszuscheiden.

Es wird aus Praktikabilitätsgründen nicht beanstandet, wenn in der Praxis im Einvernehmen mit dem Insolvenzverwalter die nach § 38 InsO vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Umsatzsteuer- und Vorsteuerbeträge unter der bisherigen Steuernummer bzw. der besonderen Steuernummer für Insolvenzforderungen und die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Umsatzsteuer- und Vorsteuerbeträge ausschließlich unter der neu zugeteilten StNr. für Masseansprüche vorangemeldet/erklärt werden (vgl. UNIFA-Word-Vorlage „Merkblatt für den Insolvenzverwalter”/Veranlagung/InsO).

3.4 Beispiel

Insolvenzeröffnung ist am . Im September erfolgt die Rechnungserteilung über die vorläufige Insolvenzverwaltung i.H.v. 100.000,00 EUR zzgl. 16.000,00 EUR Umsatzsteuer.


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USt-VA 07/2004
USt-VA 08/2004
USt-VA 09/2004
 
 
davon vor Insolvenzeröffnung begründet
davon nach Insolvenzeröffnung begründet
 
davon vor Insolvenzeröffnung begründet
davon nach Insolvenzeröffnung begründet
 
davon vor Insolvenzeröffnung begründet
davon nach Insolvenzeröffnung begründet
USt
0,00
0,00
0,00
10.000,00
5.000,00
5.000,00
31.000,00
0,00
31.000,00
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
./. VoSt
./. 10.000,00
./. 10.000,00
0,00
./. 16.000,00
./. 3.000,00
./. 13.000,00
./. 18.000,00
./. 16.000,00
./. 2.000,00
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Zahllast
 
 
0,00
 
2.000,00
 
13.000,00
 
29.000,00
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Erstattung
./. 10.000,00
./. 10.000,00
 
./. 6.000,00
 
./. 8.000,00
 
./. 16.000,00
 


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USt-Jahreserklärung 2004
 
 
davon vor Insolvenzeröffnung begründet
davon nach Insolvenzeröffnung begründet
USt
41.000,00
5.000,00
36.000,00
 
 
 
 
./. VoSt
./. 44.000,00
./. 29.000,00
./. 15.000,00
 
 
 
 
Zahllast
 
 
21.000,00
 
 
 
 
Erstattung
./. 3.000,00
./. 24.000,00
 


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07/2004:
Das Finanzamt rechnet i.H.v. 10.000,00 € mit bisher angemeldeten USt-Rückständen (Insolvenzforderungen) auf.
08/2004:
Das Finanzamt erstattet (anstelle von 6.000,00 €) 8.000,00 € an die Masse und meldet 2.000,00 € als weitere USt-Schuld zur Tabelle an.
09/2004:
Das Finanzamt macht (anstelle von 13.000,00 €) 29.000,00 € Masseverbindlichkeiten geltend und rechnet i.H.v. 16.000,00 € mit Insolvenzforderungen auf.

Das Finanzamt darf mit einer vor Insolvenzeröffnung begründeten Umsatzsteuerforderung gegen eine nach Insolvenzeröffnung entstandene Vorsteuerforderung des Unternehmers insoweit aufrechnen, als die Vorsteuer bereits vor Insolvenzeröffnung begründet war. Das aus dem Beispielsfall folgende Ergebnis ist steuersystematisch und insolvenzrechtlich konsequent, da die Vermögensmassen strikt getrennt werden und sich die Masseverbindlichkeiten nicht ungerechtfertigterweise aufgrund von vorinsolvenzlich begründeten Vorsteuern vermindern. Die Masse wird genau in der Höhe mit Umsatzsteuer belastet, wie sie diese auch begründet hat. Die für Zwecke der Steuererhebung bereits im Voranmeldungsverfahren vollzogene Aufteilung der Umsatzsteuern nach der insolvenzrechtlichen Begründetheit zieht desweiteren keine Folgeprobleme bei der Durchführung der Jahresfestsetzung nach sich.

OFD Nürnberg v. - S 7100 - 620/St 43

Fundstelle(n):
VAAAB-42409