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  • · Fachbeitrag · Insolvenz

    Inanspruchnahme des Haftpflicht-VR eines insolventen Schädigers durch den Geschädigten

    | Kann der Geschädigte nach der Insolvenz des Schädigers dessen Haftpflicht-VR in Anspruch nehmen, wenn der Haftpflichtanspruch zur Tabelle angemeldet wurde? Diese Frage hat nun der BGH entschieden. |

    1. Ausgangsfall

    Der Kläger beauftragte den VN (ein Umzugsunternehmen) im Juni 2010 mit Umzugsleistungen sowie der Ein- und Auslagerung von Gegenständen. Er behauptet, es sei zu Schäden und Verlusten am Umzugsgut gekommen.

     

    Der VN unterhielt bei dem beklagten VR eine Verkehrshaftungsversicherung. Versichert war das Risiko der gesetzlichen Haftpflicht des VN als Umzugsunternehmen mit Lagerhaltung.

     

    Über das Vermögen des VN wurde im September 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt. Am 18.10.12 meldete der Kläger eine (Haftpflicht-)Forderung in Höhe von 33.530,15 EUR nebst 3.078,65 EUR Zinsen zur Tabelle an, die der Insolvenzverwalter in voller Höhe feststellte. Er überließ dem Kläger mit Schreiben vom 11.12.12 und 5.7.13 die Geltendmachung des Deckungsanspruchs des VN gegen die Beklagte und ermächtigte ihn, den Anspruch auch gerichtlich zu verfolgen.

     

    Die Beklagte verwies darauf, den Schaden bereits mit einer ‒ unstreitigen ‒ Zahlung von 6.000 EUR abgegolten zu haben. Sie lehnte daher eine weitere Regulierung ab. Im April 2018, während der Anhängigkeit des Rechtsstreits in zweiter Instanz, wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Bei der Schlussverteilung erhielt der Kläger 14.307,07 EUR.

     

    Das LG hat der auf Zahlung von 30.608,80 EUR nebst Zinsen und 4,50 EUR vorgerichtlicher Kosten gerichteten Klage stattgegeben. Das OLG hat, nachdem der Rechtsstreit in Höhe von 14.307,07 EUR übereinstimmend für erledigt erklärt worden war, die Klage im Übrigen abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein über den zuletzt genannten Betrag hinausgehendes Begehren weiter, soweit nicht die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO und vorgerichtliche Kosten in Höhe von 4,50 EUR betroffen sind.

    2. Die Entscheidung des BGH

    Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen (10.3.21, IV ZR 309/19, Abruf-Nr. 221408). Dieser hat nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts einen Schaden von maximal 11.750 EUR erlitten und hierfür von der Beklagten sowie in der Schlussverteilung insgesamt 20.307,07 EUR erhalten.

     

    Entgegen der Auffassung der Revision kann der Kläger einen darüber hinausgehenden Anspruch gegen die Beklagte nicht darauf stützen, dass in der Tabelle eine höhere Forderung (33.530,15 EUR nebst 3.078,65 EUR Zinsen) festgestellt wurde. Das Berufungsgericht hatte entschieden, dass der VR hieran nicht gebunden sei. Dies hat der BGH aus Rechtsgründen nicht beanstandet.

    3. Die Vorgehensweise bei der Insolvenz

    Der BGH hat für entsprechende Insolvenzfälle die Vorgehensweise folgendermaßen skizziert:

     

    Übersicht / Haftpflichtschaden in der Insolvenz

    • § 110 VVG räumt dem Geschädigten bei Insolvenz des VN ein Recht auf abgesonderte Befriedigung an dessen Freistellungsanspruch gegen den Haftpflicht-VR ein. Daher kann der Geschädigte den Haftpflicht-VR des Schädigers ohne Pfändung und Überweisung des Deckungsanspruchs unmittelbar auf Zahlung in Anspruch nehmen (vgl. zu § 157 VVG in der bis 2007 geltenden Fassung [VVG a.F.] BGH 20.4.16, IV ZR 531/14, VersR 16, 783 Rn. 16; 17.3.04, IV ZR 268/03, VersR 04, 634 unter II 2, jeweils m.w.N.

     

    • Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den VR ist aber ‒ wie beim Zahlungsanspruch des VN ‒ weiter, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gemäß § 106 S. 1 VVG festgestellt worden ist. Grund ist, dass der Geschädigte durch § 110 VVG keine weitergehende Rechtsstellung als der VN erlangt (vgl. zu § 154 VVG a. F. BGH 20.4.16, IV ZR 531/14, VersR 16, 783 Rn. 16; 17.3.04, IV ZR 268/03, VersR 04, 634).

     

    • Eine solche Feststellung kann nach dem Gesetz auch durch ein Anerkenntnis des Haftpflichtanspruchs erfolgen, sei es durch den (nicht insolventen) VN, sei es durch den Insolvenzverwalter (vgl. zu § 154 VVG a. F. BGH 17.3.04, IV ZR 268/03, VersR 04, 634).

     

    • Der Senat ist zum VVG a. F. davon ausgegangen, dass in der widerspruchslosen Feststellung des Haftpflichtanspruchs des Geschädigten zur Tabelle ein Anerkenntnis im Sinne von § 154 Abs. 1 S. 1 VVG a.F. liegt (BGH a. a. O.). Hieran hält der Senat für das neue Recht (§ 106 S. 1 VVG) fest. Gründe für eine abweichende Beurteilung sind nicht ersichtlich.

     

    • Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob der VR im Deckungsverhältnis gebunden ist. Nach dem VVG n. F. unterliegt das vom VN gegenüber dem Geschädigten erklärte Anerkenntnis zwar gemäß § 105 VVG keinen bedingungsgemäßen Einschränkungen mehr. Es bleibt aber grundsätzlich ohne Einfluss auf das Deckungsverhältnis. Verspricht der VN dem Geschädigten mehr, als diesem zusteht, geht der Mehrbetrag zulasten des VN (BT-Drucks. 16/3945 S. 86 li. Sp.). Nach dem Regelungsplan des neuen Rechts muss der VR die Möglichkeit haben, die Berechtigung des vom Geschädigten geltend gemachten Anspruchs zu prüfen (BT-Drucks. a. a. O.). Wird das Anerkenntnis ohne Zustimmung des VR abgegeben, kommt ihm bindende Wirkung im Sinne von § 106 S. 1 VVG deshalb regelmäßig nur in dem Umfang zu, in welchem eine Haftpflichtschuld des VN nach materieller Rechtslage tatsächlich besteht; Letzteres ist gegebenenfalls inzident im Deckungsprozess gegen den VR zu klären.

     

    • Das gilt auch, wenn das Anerkenntnis durch widerspruchslose Feststellung des Haftpflichtanspruchs zur Tabelle erfolgt ist. Der Geschädigte wird im Insolvenzfall nicht benachteiligt, wenn man die auch sonst für die Bindungswirkung von Anerkenntnissen nach § 106 S. 1 VVG geltenden Grundsätze heranzieht. Vielmehr käme es einer nicht gerechtfertigten Privilegierung des Geschädigten im Insolvenzfall gleich, wollte man dem Insolvenzverwalter die Befugnis einräumen, den VR zugunsten des Geschädigten zu belasten.
     
    Quelle: Ausgabe 10 / 2021 | Seite 174 | ID 47321307