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  • · Fachbeitrag · Gerichtsvollziehervollstreckung

    Keiner hat‘s gemerkt: Berliner Räumung auch aus Zuschlagsbeschluss möglich

    von Dipl.-Rechtspfleger Peter Mock, Koblenz

    | Soll aus einem Zuschlagsbeschluss zwangsgeräumt werden, sind nach Ansicht vieler Gerichtsvollzieher die vom BGH ( VE 06, 63 ) entwickelten Grundsätze über die sog. Berliner Räumung nicht anzuwenden. Ein Irrglaube - wie der folgende Beitrag beweist. |

    1. So argumentieren die Gerichtsvollzieher und der BGH

    Die Gerichtsvollzieher und auch einige Gerichte (vgl. LG Saarbrücken DGVZ 10, 216; AG Wuppertal DGVZ 10, 178), die hier eine Berliner Räumung ablehnen, begründen dies wie folgt:

     

    • Beim Zuschlagsbeschluss stehe dem Gläubiger kein Vermieterpfandrecht (§ 562 BGB) an den im Eigentum des Schuldners stehenden Einrichtungsgegenständen zu. Folglich könne die Zwangsvollstreckung nicht auf die Herausgabe des Grundstücks beschränkt werden, vielmehr müssten die im Eigentum eines Schuldners stehenden beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind, gemäß § 885 Abs. 2 ZPO vom Gerichtsvollzieher weggeschafft und erforderlichenfalls sachgerecht eingelagert werden.
    •  
    • Der Gläubiger könne sich deshalb nicht auf ein Vermieterpfandrecht berufen, weil zwischen ihm und dem Schuldner kein Mietverhältnis bestehe bzw. bestanden habe. Somit seien die Voraussetzungen des § 562 Abs. 1 S. 1 BGB nicht erfüllt.

     

    • § 562 BGB sei auch nicht analog anzuwenden. Denn die Rechtsbeziehung der Parteien seien mit denen in einem Mietverhältnis nicht vergleichbar. Zwischen Gläubiger und Schuldner bestehe kein Vertragsverhältnis, sondern lediglich ein gesetzliches Schuldverhältnis im Sinne der § 93 ZVG, §§ 985 ff. BGB (LG Bonn NJW-RR 11, 93; LG Saarbrücken DGVZ 10, 216; AG Wuppertal DGVZ 10, 178).

     

    Die Gerichtsvollzieher folgern daraus, dass sie es somit von einem angemessenen Kostenvorschuss abhängig machen (§ 4 GvKostG) dürfen, den Zwangsvollstreckungsauftrag auszuführen. |

     

    Der BGH (2.10.12 und 6.6.13, I ZB 78/11) hat zwischenzeitlich diese Ansicht geteilt und der zuvor ergangenen, die Gerichtsvollzieher bestätigende Rechtsprechung, zugestimmt. Er hat Folgendes geäußert:

     

    Der Gläubiger könne zwar die Zwangsvollstreckung nach § 885 ZPO auf die Herausgabe der Wohnung beschränken, wenn er an sämtlichen in den Räumen befindlichen Gegenständen ein Vermieterpfandrecht geltend mache. Das Vermieterpfandrecht habe Vorrang vor der in § 885 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 ZPO bestimmten Entfernung der beweglichen Sachen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung sind. Schutzwürdige Belange des Vollstreckungsschuldners würden dadurch nicht in einem Ausmaß betroffen, dass von einer auf die Herausgabe begrenzten Zwangsvollstreckung abzusehen sei.

     

    Diese Rechtsprechung sei aber nicht auf die Vollstreckung eines Zuschlagsbeschlusses nach § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG übertragbar. Anders als in den Fällen des Vermieterpfandrechts könne sich der Gläubiger bei einer auf § 93 Abs. 1 S. 1 ZVG gestützten Vollstreckung auf kein Recht zur Inbesitznahme hinsichtlich der in der Wohnung befindlichen Sachen berufen.

     

    Damit fehle es an einem vorrangigen Recht des Gläubigers, das der nach § 885 Abs. 2 und 4 ZPO gerade auch im Interesse des Schuldners vorgesehenen Entfernung der Sachen entgegensteht.

    2. BGH-Rechtsprechung ist seit 1.5.13 hinfällig

    Nahezu unbekannt ist allerdings der Einfluss des Mietrechtsänderungsgesetzes zum 1.5.13, insbesondere des zu diesem Zeitpunkt eingeführten § 885a ZPO für die Vollstreckung aus dem Zuschlagsbeschluss (vgl. auch VE 13, 85). Dort heißt es:

     

    • § 885a ZPO im Wortlaut

    Der Vollstreckungsauftrag kann auf die Maßnahmen nach§ 885 Abs. 1 ZPO beschränkt werden.

     

    Folge: In § 885 Abs. 1 ZPO ist die reine Besitzeinweisung geregelt, ohne dass es auf den sonstigen Besitz des Schuldners ankommt. Daher kann auch aus einem Zuschlagsbeschluss die kostengünstige Berliner Räumung eingeleitet werden. Denn § 885a ZPO setzt kein Vermieterpfandrecht mehr voraus!

     

    MERKE | Diese Rechtsfolge ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/10485, S. 31). Dort heißt es:

     

    “Absatz 1 sieht vor, dass der Vollstreckungsauftrag des Gläubigers auf die Besitzverschaffung an den Räumen beschränkt werden kann. Abweichend von der Konstruktion der „Berliner Räumung“ setzt die vereinfachte Räumung nicht voraus, dass der Gläubiger sein Vermieterpfandrecht an den in die Räume eingebrachten Gegenständen des Schuldners ausübt. Damit beschränken sich die Regelungen in der ZPO auf die zwangsweise Durchsetzung des Herausgabeverlangens.”

     

    Für Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren stellt die Gesetzesänderung eine große Erleichterung dar. Denn aufgewendete - erhebliche - Räumungskosten gegen den Schuldner kann man in der Regel nicht wieder eintreiben.

     

    PRAXISHINWEIS | Sollte der Gerichtsvollzieher dennoch auf einen Kostenvorschuss beharren und eine vereinfachte Räumung ablehnen, sollten Sie hiergegen Erinnerung einlegen (§ 766 ZPO).

     

     

    Musterformulierung / Beschränkter Räumungsauftrag nach Zuschlagsbeschluss (§ 885a ZPO)

    An das Amtsgericht ...

     

    - Gerichtsvollzieherverteilerstelle -

     

    In der Zwangsvollstreckungsangelegenheit

     

    Gläubiger ./. Schuldner

     

    wird anliegend die vollstreckbare Ausfertigung des Zuschlagsbeschlusses des Amtsgerichts ... vom ..., Az. ... K .../... überreicht, mit dem Auftrag, den Schuldner aus dem Besitz der im Titel bezeichneten Wohnung/Objekts in ... (genaue Bezeichnung) zu setzen und den Gläubiger in den Besitz einzuweisen.

     

    Es wird darauf hingewiesen, dass seit dem Inkrafttreten des Mietrechtsänderungsgesetzes zum 1.5.13 die Rechtsprechung des BGH (DGVZ 13, 155) obsolet geworden ist, dass die sog. Berliner Räumung nicht bei einem Zuschlagsbeschluss anzuwenden ist. Diese Rechtsfolge ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 17/10485, S. 31). Dort heißt es:

     

    “Absatz 1 sieht vor, dass der Vollstreckungsauftrag des Gläubigers auf die Besitzverschaffung an den Räumen beschränkt werden kann. Abweichend von der Konstruktion der „Berliner Räumung“ setzt die vereinfachte Räumung nicht voraus, dass der Gläubiger sein Vermieterpfandrecht an den in die Räume eingebrachten Gegenständen des Schuldners ausübt. Damit beschränken sich die Regelungen in der ZPO auf die zwangsweise Durchsetzung des Herausgabeverlangens.

     

    Rechtsanwalt

     

    Leserservice: Haben auch Sie zu dieser Problematik Erfahrungen gemacht oder ggf. Entscheidungen erstritten? Teilen Sie dies der Redaktion per E-Mail mit (ve@iww.de). Im Rahmen unserer Berichterstattung werden wir in einer der nächsten Ausgaben von VE hierüber berichten.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Auswirkungen des Mietrechtsänderungsgesetzes auf die Vollstreckung, VE 13, 85
    • Räumungskosten nach „Berliner Modell“ vor 1.5.13 keine notwendigen Zwangsvollstreckungskosten, VE 15, 76
    • Mietrechtsänderungsgesetz wirkt sich auf die Vollstreckung aus, VE 11, 183
    • Seit dem Mietrechtsänderungsgesetz können Räumungskosten verzinslich festgesetzt werden, RVGprof. 15, 129
    • Grundsätze der Räumungsvollstreckung, VE 14, 142
    • Zur Problematik des Beitrags siehe auch Musielak/Voit/Lackmann, ZPO, 13. Aufl., § 855a Rn. 1
    Quelle: Ausgabe 09 / 2016 | Seite 162 | ID 44188829