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  • · Leserforum · Der Steuerberater fragt, der Strafverteidiger antwortet

    Corona-Soforthilfen

    von Dr. Karsten Webel, LL.M. (Indiana), Hamburg

    | Werden Corona-Soforthilfen zu Unrecht beansprucht, ist fraglich, welche Informationen die Finanzbehörden der Polizei zur Verfügung stellen werden. Dazu ein Fall aus der Praxis. |

     

    FRAGE DES STEUERBERATERS: Meine Mandantin ist eine selbstständige Yogalehrerin. Im Rahmen der Coronakrise hat sie ‒ wie zahlreiche andere Selbstständige ‒ ohne Rücksprache mit einem Steuerberater Corona-Soforthilfen i. H. v. 9.000 EUR beansprucht. Ob sie die Voraussetzungen dafür tatsächlich erfüllte, hat sie nicht eingehend geprüft. Sie hat mir mitgeteilt, dass sie die Einleitung eines Strafverfahrens wegen Subventionsbetrugs befürchtet. Fraglich ist, welche Informationen den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung stehen werden. Es ist davon auszugehen, dass die die Soforthilfe gewährenden Institutionen ihre Informationen der Polizei zugänglich machen werden. Aber haben die Strafverfolgungsbehörden auch Zugriff auf die den FÄ vorliegenden Besteuerungsunterlagen?

     

    ANTWORT DES STRAFVERTEIDIGERS: Zutreffend ist, dass in Strafverfahren im Hinblick auf die nicht gerechtfertigte Inanspruchnahme von Corona-Soforthilfen i. d. R. der Vorwurf des Subventionsbetrugs gem. § 264 StGB im Raum steht. Dabei handelt es sich nicht um eine Steuerstraftat i. S. d. § 369 Abs. 2 AO, sodass die Strafverfolgungsorgane der FÄ insoweit nicht zuständig sind. Folglich erhalten die FÄ derzeit in einer Vielzahl von Fällen Anfragen der Polizei, in denen unter Hinweis auf die geführten Strafverfahren nach § 264 StGB um die Übersendung der Steuerakten gebeten wird. Es dürfte unstrittig sein, dass die von der Polizei erbetenen Unterlagen § 30 AO unterliegen. Folglich ist auch die Weitergabe dieser Informationen am Maßstab der §§ 30 ff. AO zu messen. Erfolgt eine Weitergabe, ohne dass eine Offenbarungsbefugnis gegeben ist, kann dies den Tatbestand des § 355 StGB erfüllen, der als Sanktion eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe vorsieht.

     

    Die Offenbarung könnte in Fällen des Subventionsbetrugs durch die unberechtigte Inanspruchnahme von Corona-Soforthilfen nach § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. b) AO zulässig sein. Aktuell gehen die Strafgerichte davon aus, dass dies der Fall sei (vgl. z. B. LG Aachen 16.11.20, 86 Qs-302 Js 736/20-19/20, wistra 21, 126). Unstrittig ist, dass es sich beim Subventionsbetrug um eine Wirtschaftsstraftat i. S. d. Nr. 5 lit. b) handelt. Die Strafgerichte gehen ferner davon aus, dass diese Taten nach ihrer Begehungsweise und dem Umfang des verursachten Schadens auch geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören bzw. das Vertrauen der Allgemeinheit in die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und öffentlicher Einrichtungen schwer zu erschüttern. Dies begründen sie damit, dass es sich bei dem Subventionsbetrug um ein sensibles Delikt handele, die gesamte Bevölkerung von den Auswirkungen der Pandemie betroffen sei und durch den Missbrauch des Vertrauensvorschusses das allgemeine Vertrauen in die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs erheblich erschüttert werde. Folglich erwarte die Allgemeinheit berechtigterweise eine effektive strafrechtliche Verfolgung entsprechender Verdachtsfälle.

     

    Die Reaktion der Landesfinanzverwaltungen auf die Anfragen der Polizei sind allerdings ‒ zumindest derzeit noch ‒ unterschiedlich:

     

    In einigen Bundesländern stehen die FÄ auf dem Standpunkt, dass die Strafgerichte die Bedeutung des § 30 AO verkennen und zu sehr den Gesichtspunkt der Strafverfolgung in den Vordergrund stellen. Die Pflicht der Steuerpflichtigen, alle steuerlich relevanten persönlichen, wirtschaftlichen und sozialen Tatsachen vollständig und wahr zu offenbaren ‒ und somit z. B. auch Einkünfte aus einer Straftat ‒, erfordert spiegelbildlich auch einen wenn schon nicht umfassenden, aber doch zumindest sehr weitgehenden Schutz der vorliegenden Daten. Folglich sind nach dieser Ansicht „normale“ Wirtschaftsstraftaten nicht ausreichend, um eine Offenbarungsbefugnis nach Nr. 5 lit. b) zu begründen, da danach eine Erschütterung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erforderlich ist, was bei 9.000 EUR offensichtlich nicht vorliegt. Nach dieser Ansicht kommt eine Offenbarung somit allenfalls in Fällen des besonders schweren (§ 264 Abs. 2 StGB) sowie des banden- oder gewerbsmäßigen Subventionsbetrugs (§ 264 Abs. 3 i. V. m. § 263 Abs. 5 StGB) infrage.

     

    Folge: Vertritt die Landesfinanzverwaltung diesen Ansatz, wird sie die Herausgabe verweigern. Daraufhin wird sich die Polizei i. d. R. über die Staatsanwaltschaft ans zuständige (Straf-)Gericht wenden und eine Beschlagnahme beantragen. Gegen einen solchen Beschluss können und haben auch schon einige Finanzbehörden Beschwerde eingelegt, sind aber auch in der zweiten Instanz mit ihren Argumenten vor den Strafgerichten nicht durchgedrungen, sodass sie die von der Polizei begehrten Unterlagen herausgeben mussten.

     

    Vor diesem Hintergrund gehen aber einige Landesfinanzverwaltungen auch so mit polizeilichen Anfragen um, dass sie aufgrund der mittlerweile z. B. auch vom LG Hamburg und vom LG Köln bestätigten Rechtsprechung der Strafgerichte die Steuerakten an die Polizei herausgeben, um sich diese Auseinandersetzung mit absehbarem Ergebnis zu ersparen. Da hilft es auch nichts, dass die Strafgerichte die h. M. in der steuerrechtlichen Literatur wohl gegen sich haben dürften. Denn insoweit sitzen sie schlichtweg am längeren Hebel.

     

    Darüber hinaus könnten sich die Strafgerichte auch auf einen Vergleich mit anderen von der Finanzverwaltung akzeptierten Fällen der Offenbarungsbefugnis berufen, die sich aus Nr. 11 des AEAO zu § 30 ergeben. Wiegt z. B. ein Gewerbeuntersagungsverfahren wirklich schwerer als ein Strafverfahren wegen Subventionsbetrugs? Oder was ist mit der Beleidigung, üblen Nachrede oder Verleumdung in Bezug auf einen Amtsträger? Die Erodierung des § 30 Abs. 4 Nr. 5 lit. b) AO über die letzten Jahre dürfte sich nun an dieser Stelle ‒ getrieben von der einseitigen Sicht auf die Erfordernisse des Strafverfahrens und unter Missachtung der Bedeutung des § 30 AO für das gesamte Besteuerungsverfahren ‒ weiter fortsetzen.

     

    FAZIT | Im Ergebnis können und müssen Sie vorliegend somit davon ausgehen, dass die Polizei die Steuerakten Ihrer Mandantin erhalten wird, wenn sie sich mit einem entsprechenden Anliegen an das zuständige Finanzamt wendet. Die einzige Frage dürfte im Normalfall sein, wie lange es dauert und wie viel Gegenwehr das FA vorher leistet.

     
    Quelle: Ausgabe 07 / 2021 | Seite 167 | ID 47355844

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