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  • · Fachbeitrag · Kündigung

    „Schonfristzahlung“ und ordentliche Kündigung des Wohnraummietverhältnisses

    von VRinLG Astrid Siegmund, Berlin

    | In der Instanzrechtsprechung werden unter Hinweis auf die unbefriedigenden Folgen der beschränkten Wirkung der „Schonfristzahlung“ auf die fristlose Kündigung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB und einen daraus resultierenden Wertungswiderspruch immer wieder Ideen entwickelt, diesen ohne Tätigwerden des Gesetzgebers (judikativ) aufzulösen (LG Bonn WuM 15, 293, nachgehend BGH 6.10.15 und 23.2.16, VIII ZR 321/14 ; LG Berlin [ZK 66], WuM 17, 650, nachgehend BGH 19.9.18, VIII ZR 231/17, Abruf-Nr. 204832 ; Geldmacher, MK 18, 203 ). Ob das möglich ist, musste der BGH nun erneut entscheiden. |

     

    Sachverhalt

    Der Beklagte mietete 2015 eine 97 qm große Wohnung von der Rechtsvorgängerin der Klägerin. Die Miete beträgt seit Mietbeginn monatlich 1.000 EUR warm. Von 7/18 bis 4/19 zahlte der Beklagte eine geminderte Miete in Höhe von 840 EUR monatlich; in 5/19 zahlte er nichts. Wegen eines Mietrückstands von 2.600 EUR erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 7.5.19 die fristlose, hilfsweise die ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses und erhob am 8.6.19 Räumungsklage. Der Beklagte glich den Mietrückstand durch zwei Zahlungen in 6/19 aus. Das AG hat den Beklagten zur Räumung verurteilt, das LG die Klage abgewiesen. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung (BGH 13.10.21, VIII ZR 91/20, Abruf-Nr. 226160).

     

    Entscheidungsgründe

    Das LG hat ‒ so der BGH ‒ die Grundsätze der Gesetzesauslegung falsch angewendet und daher angenommen, dass durch einen Ausgleich des Mietrückstands innerhalb der Schonfrist des § 569 BGB nicht nur die fristlose, sondern auch die fristgemäße Kündigung des Wohnraummietvertrags unwirksam wird. § 569 BGB ‒ mit der amtlichen Überschrift „Außerordentliche fristlose Kündigung aus wichtigem Grund“ ‒ regelt in Abs. 3 Nr. 2, dass die Kündigung auch dann unwirksam wird, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und Entschädigung nach § 546 Abs. 1 befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet.

     

    MERKE | Die Vorschrift ist weder unmittelbar noch mangels Vorliegens der Voraussetzungen für eine Analogie ‒ einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes ‒ entsprechend auf die fristgemäße Kündigung anwendbar. Ein anderes Ergebnis lässt sich ‒ anders als das LG angenommen hat ‒ auch nicht über die Auslegung der Vorschrift erreichen. Die einander ergänzenden anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung leiten aus dem Wortlaut der Norm, der Systematik, dem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzmaterialien und der Entstehungsgeschichte den objektiven Willen des Gesetzgebers ab (an den der Richter über Art. 20 Abs. 3 GG gebunden ist). Ausgangspunkt jeder Gesetzesauslegung ist dabei der Wortlaut einer Norm. Das nach dem Wortlaut sprachlich Mögliche steckt dabei die Grenzen ab, innerhalb derer ein vom Gesetz verwendeter Begriff überhaupt ausgelegt werden kann.

     

     

    Beachten Sie | Gerade die Gesetzesmaterialien bieten hilfreiche Anhaltspunkte für die Beantwortung von Zweifelsfragen. Sie werden von der Rechtsprechung ‒ so auch hier vom BGH ‒ und in der Kommentarliteratur inzwischen umfänglich herangezogen. Das Wohnraummietrecht des BGB ist seit ca. 50 Jahren ein beliebtes Regelungsgebiet des Gesetzgebers. Auf seine Motive können Sie über die Seiten des Deutschen Bundestags (Drucksachen) oder über Suchbegriffe vom Gesetzentwurf über die Beratung im Rechtsausschuss und Sachverständigenanhörungen komfortabel und vollständig zugreifen.

     

    Der Befund des BGH ist eindeutig: Die Wirkung der „Schonfristzahlung“ beschränkt sich auf die fristlose Kündigung. Dafür spricht nicht zuletzt die jüngere Gesetzgebungsgeschichte, die belegt, dass der Gesetzgeber ein Erstrecken der Schonfristzahlung auf die ordentliche Kündigung (bisher) ablehnt (zuletzt: BT-Drucksache 19/6158). Eindeutige Entscheidungen des Gesetzgebers darf der an Recht und Gesetz gebundene Richter (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die im Parlament nicht erreichbar war. Die Beseitigung gewisser ‒ vom Berufungsgericht zutreffend gesehener Wertungswidersprüche (vgl. auch Milger, NZM 13, 553) ‒ sowohl im Verhältnis der ordentlichen zur fristlosen Kündigung als auch im Verhältnis zwischen den zivilrechtlichen Beendigungsmöglichkeiten eines Mietvertrags und den Einschreitungsbefugnissen der Sozialbehörden ‒ ist nicht Aufgabe der Rechtsprechung ‒ so der BGH. Wie bereits in den Entscheidungen vom 19.9.18 (VIII ZR 231/17, a. a. O., Abruf-Nr. 204832; VIII ZR 261/17) zeigt der BGH am Ende erneut die (begrenzten) von ihm aus dem geltenden Recht abgeleiteten Möglichkeiten auf, Wertungswidersprüche aufzulösen, ohne die Grenzen des Art. 20 Abs. 3 GG zu überschreiten.

     

    MERKE | Nicht jede auf einen Mietrückstand gestützte, hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung führt im Ergebnis zur Beendigung des Mietverhältnisses. Im Rahmen des Tatbestands des § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist das Vorliegen einer schuldhaften, erheblichen Vertragsverletzung zu prüfen und dabei eine unverschuldete wirtschaftliche Notlage zu berücksichtigen (BGH WuM 05, 250; 4.2.15, VIII ZR 175/14; 20.7.16, WuM 16, 682; Milger, NZM 13, 553). Bei einem Ausgleich der Mietrückstände ist außerdem zu prüfen, ob die Berufung auf die ordentliche Kündigung treuwidrig (§ 242 BGB) erscheint (BGH 19.9.18, VIII ZR 231/17; VIII ZR 261/17).

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung zeigt ein gewisses Verständnis für das „Unbehagen“, das die Wertungswidersprüche auslösen, die das Berufungsgericht ‒ so der BGH ‒ zutreffend benannt hat. Die Entscheidung lässt sich insoweit als Appell an den Gesetzgeber verstehen, tätig zu werden. Andererseits wird mehr als deutlich, dass wir „in Teufels Küche“ geraten, wenn (im Zweifel) jeder Richter ‒ am Ende auch ohne Not ‒ eigene rechtspolitische Vorstellungen an die Stelle klarer Entscheidungen des Gesetzgebers setzt. Ohne Not deshalb, weil das geltende Recht Spielräume bietet, auf die der BGH ‒ oft ungehört ‒ unermüdlich verweist. Auch wenn § 242 BGB der Ruf einer „Notlösung“ anhaftet ‒ die Regelung steht nun einmal (aus guten Gründen) im Gesetz und erfüllt (auch) Korrekturfunktionen.

     

    PRAXISTIPP | Die Möglichkeit der Entlastung (§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB), die der BGH immer wieder anspricht, ist kein Selbstläufer! Das Gericht kann insoweit keine Feststellungen „von Amts wegen“ treffen; es bedarf des (aktiven!) Vortrags. Entlastungsgründe müssen in der Beratung ggf. erfragt und dann in den Rechtsstreit eingeführt werden, nicht erst im Rahmen der Diskussion um die Gewährung einer Räumungsfrist, sondern bereits auf Tatbestandsebene. In der Beratung kann sich auch die Möglichkeit bieten, auf ein über § 242 BGB berücksichtigungsfähiges Verhalten nach Ausspruch der Kündigung Einfluss zu nehmen (z. B. Einrichtung eines Dauerauftrags, „überobligatorische“ Schonfristzahlung, LG Berlin [ZK 65], WuM 19, 94). Auch der Vermieter kann ggf. gehalten sein, vorangegangenes oder paralleles vertragswidriges Verhalten des Mieters in den Rechtsstreit einzuführen, um die „wertende Betrachtung“ im Rahmen des § 242 BGB zu beeinflussen (Beispiel: LG Berlin [ZK 65], GE 19, 1116). Auch das ist in der Beratungspraxis zu berücksichtigen.

     
    Quelle: Ausgabe 02 / 2022 | Seite 28 | ID 47918641