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  • · Fachbeitrag · Neue Geschäftsfelder

    Digitalisierungsberatung als neue Dienstleistung für Steuerberater

    von Dipl.-Ing. Wolfgang Neumann, Westerstede, www.avisara.de, und StB Jürgen Derlath, Münster

    | An der Digitalisierung kommt niemand vorbei und niemand weiß, wie unsere technologische Welt in zehn Jahren aussehen wird. Analoger wird sie jedenfalls nicht mehr. Es ist also Zeit für die Steuerberater, nicht nur die eigenen Prozesse auf die Höhe der Zeit zu bringen, sondern auch das Dienstleistungsportfolio der Kanzlei zu „digitalisieren“. Diese Aufgabe müssen die Kanzleien nicht allein bewältigen. Fast jede Kanzlei hat einen IT-Dienstleister, den sie als Partner ins Boot holen könnte, so wie sie das in der Zusammenarbeit bei Rechtsthemen mit Rechtsanwälten und Notaren auch tut. |

    Die Digitalisierung hat bereits alle Bereiche erfasst

    Der Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021 in Deutschland liegt bei 58 (100 = vollständige Digitalisierung), variiert allerdings je nach Branche. Im Baugewerbe liegt er bei 52, bei den Banken und Versicherungen bei 67. Die freiberuflichen technischen und wirtschaftlichen Dienstleistungen, zu denen auch die Steuerberatung zählt, liegen mit einem Indexwert von 56 unter dem Durchschnitt von 58 und näher beim Baugewerbe (mit dem die Steuerberatung wenig gemein hat) und weit weg von den Banken und Versicherungen (mit denen die Steuerberatung recht viel gemeinsam hat).

     

     

    Der Trend zur Digitalisierung hat nicht erst mit Auftreten der Pandemie begonnen. Going digital ist bereits Kernthema in vielen Konzernen und hat zwischenzeitlich auch Einzug in kleine und mittlere Unternehmen gehalten. Auch ist die Digitalisierung nicht mehr ein rein interner Prozess im Unternehmen, sondern zwischenzeitlich auch unternehmensübergreifend implementiert. Der Digitalisierungsdruck wird somit für alle Unternehmen immer größer. Die Konzerne bieten für Rechnungen, Lieferungen Bestellungen bereits seit geraumer Zeit digitale Plattformen an, was zwangsläufig dazu führt, dass sich die Lieferanten an diese Struktur anpassen müssen.

     

    Betrachtet man nur die Entwicklung im Sektor Internet of Things (IoT), dann stellt man fest, dass alle Geräte, die netzfähig sind, zukünftig auch miteinander kommunizieren und Daten austauschen können. Angefangen von Fitnessarmbändern, die den Puls messen, über Smart Home, das Steuern von Licht, Rollos etc. bis zur Industrie 4.0, wo industrielle Produktion mit Informations- und Kommunikationstechnologie miteinander intelligent verzahnt werden. Es wird bald keinen Bereich mehr geben, in dem die Digitalisierung nicht präsent sein wird.

     

    Das gilt nicht nur für den industriellen Sektor. Allein im Geschäftsfeld digitale Produkte und Dienstleistungen im Gesundheitswesen wird ein europaweites Marktvolumen von ca. 155 Mrd. EUR bis 2025 erwartet (Quelle: dzw Portal für dentales Praxiswissen). Die Einführung von ePA (elektronische Patientenakte), eGK (elektronische Gesundheitskarte), eRezept und vieles mehr zeigt auf, wie groß der Markt der Digitalisierung ist und welches beträchtliche Volumen sich dahinter verbirgt.

     

    Im behördlichen Bereich schließlich hat sich Deutschland gesetzlich verpflichtet, dass Bürger und Unternehmen bis spätestens 2022 ihre Anträge, Nachweise und Berichtspflichten an Bund, Länder und Kommunen online abwickeln können. Grundlage dafür ist das Online-Zugangsgesetz.

    Warum aber gerade der Steuerberater?

    Im Bereich der Digitalisierung tummeln sich viele Berater. Das macht es Unternehmen schwer, den richtigen auszuwählen. Der Steuerberater aber kennt als einziger die Geschäfte seiner Mandanten. Möglicherweise wurde für eine Reihe von Mandanten bereits eine Verfahrensdokumentation erstellt, die den Einstieg in die Digitalisierung einzelner Prozesse vereinfacht.

     

    Der Steuerberater hat weiterhin einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Digitalisierungsberatern: Er genießt das volle Vertrauen der Mandanten. Durch die Vertrauensbildung und Nähe zum Mandanten/Kunden hat der Steuerberater einen großen Vorteil. Gerade bei der Digitalisierung spielt Vertrauen eine große Rolle, denn vom Gelingen hängt der Markterfolg des Mandanten ab. Letztendlich kann eine fehlgeschlagene Implementierung auch zur Insolvenz des Unternehmens führen.

     

    Damit aber das Zusammenspiel Steuerberater und Mandant nach der Digitalisierung reibungslos funktioniert, ist es unabdingbar, dass auch die betreuende Kanzlei digitale Prozesse implementiert hat.

    Womit beginnen? Mit den Schnittstellenprozessen

    Der Einstieg in die Digitalisierungsberatung sollte zunächst in den Bereichen erfolgen, in denen sich der Steuerberater bereits sehr gut auskennt. Das sind z. B. alle diejenigen Prozesse, die heute noch an den Schnittstellen von Kanzlei und Mandat unnötigerweise analog (in Papierform) ablaufen. Die ersten Projekte könnten daher lauten:

    • Ersetzendes Scannen einführen
    • Kontoauszüge digitalisieren
    • Kassenbuch digital führen
    • Elektronische Rechnungen erstellen
    • Digitalen Finanzbericht abliefern

     

    Natürlich kann der Steuerberater auch tiefer in die Prozesse des Mandanten eindringen, sofern die entsprechenden IT-Branchen-Kenntnisse vorhanden sind. In der Regel ist dies eher selten der Fall. Dasselbe gilt für das erforderliche Branchenwissen, das für das Verständnis der Prozesse und die Kenntnisse der oft branchenspezifischen Softwares erforderlich ist. Wer bislang das Thema Spezialisierung vor sich hergeschoben hat, dem begegnet es also an dieser Stelle wieder.

     

    Und noch ein wichtiger Punkt: Der Mandant erwartet, dass der Berater von der Analyse bis zur Übergabe an den Mandanten das Projektmanagement übernimmt. Für Steuerberater normalerweise ein unbekanntes Feld. Es sind Kenntnisse über die einschlägigen Softwareprodukte, Abhängigkeiten zu anderen bzw. zu bestehenden Systemen zwingend notwendig. Aus diesem Grund sollte ein Steuerberater entweder über ausreichende IT-Kenntnisse verfügen und der IT gegenüber sehr aufgeschlossen sein oder das Projekt gemeinsam mit seinem IT-Partner betreuen.

    Wie läuft so ein Digitalisierungsprojekt ab?

    Die Digitalisierungsprojekte für Mandanten könnten ‒ grob beschrieben ‒ so ablaufen:

     

    • Am Anfang steht die Analyse und Machbarkeit der zu digitalisierenden Geschäftsprozesse.

     

    • Ist die zu implementierende Struktur klar, müssen Angebote über Dienstleistung, Software und ggf. Hardware eingeholt werden. An dieser Stelle muss sehr genau geprüft werden, welche Leistungen angeboten werden und ob die Kanzlei/oder der IT-Dienstleister bezüglich der angefragten Leistung bereits Erfahrungen hat.

     

    • Im Anschluss daran erfolgt nach Freigabe durch den Geschäftsführer die Implementierung. An dieser Stelle vollzieht sich der Wandel von den theoretischen Abläufen hin zum praktischen Einsatz von Software, Hardware und Implementierungsspezialisten (IT-Dienstleister). Nach mehreren gemeinsamen Projekten verlaufen die Implementierungsphasen erfahrungsgemäß immer unproblematischer.

     

    • Ein Digitalisierungsprojekt endet mit der Übergabe an den Kunden und der Abnahme. Eventuell wird für die weitere laufende Begleitung des Mandanten ein Servicevertrag abgeschlossen.

     

    Beachten Sie | Wichtig ist, dass die Kanzlei von vornherein ihre Rolle im Digitalisierungsprojekt vor dem Hintergrund von Kenntnissen und Fähigkeiten realistisch einschätzt. Übernimmt sie allein den Digitalisierungsauftrag des Mandanten, um ihn selbst auszuführen, was z. B. bei den oben beschriebenen Schnittstellenprozessen problemlos möglich sein dürfte? Oder nimmt sie den Auftrag gemeinsam mit einem IT-Partner an und sieht ihre Rolle darin aufzupassen, dass z. B. die Compliance-Anforderungen an Prozesse und Softwares eingehalten werden, wohingegen der IT-Partner das eigentliche Digitalisierungsprojekt leitet? Im letztgenannten Fall muss dann auch der IT-Partner bereit und in der Lage sein, die weitere laufende Betreuung, den Servicevertrag, zu übernehmen.

    Wie die Dienstleistung an die Mandanten bringen?

    Die oben beschriebene Herangehensweise fokussiert sich auf Unternehmen, die bereits Mandanten beim Steuerberater sind. Vertrieb und Kundenansprache sind auf diese Art und Weise schnell zu realisieren und die „hitrate“ (Anzahl Angebote zu erzielten Aufträgen) ist signifikant höher als bei einer offenen Kundenansprache.

     

    Vorteil bei der offenen Kundenansprache ist natürlich die hohe Anzahl an möglichen Kunden. Nachteil ist allerdings, dass der Steuerberater von seinen Kollegen als Konkurrent wahrgenommen und der Vertrieb damit erschwert wird. Empfehlenswert wäre, sollte die freie Ansprache gewählt werden, auf dem Markt mit einer anderen Unternehmensbezeichnung aufzutreten, so wie das schon einige Kanzleien erfolgreich vorexerzieren.

    Wie weiter?

    Steuerberater, die sich der Digitalisierungsberatung vertieft widmen wollen, sei angeraten, dies nicht als Nebentätigkeit zu sehen. Die Beratung und Umsetzung erfordert viel Zeitaufwand und manchmal auch starke Nerven. Aber der Markt ist offen und wächst und ist eigentlich für Steuerberater mit IT-Affinität ein lohnenswertes Geschäftsfeld. Darüber hinaus ist die Digitalisierungsberatung ein wichtiger Anlass, noch einmal über das eigene Kanzleinetzwerk nachzudenken. Eine gut vernetzte Kanzlei hat heute schon Rechtsanwälte, Notare und vielleicht auch Banker im Kanzleinetzwerk. Der Vorteil ist derselbe wie im Verhältnis Steuerberater und Mandant: Man kennt sich ‒ man vertraut sich. Der IT-Dienstleister der eigenen Kanzlei wird aber oft genug nur als eigener Dienstleister gesehen. Wer aber in die Digitalisierungsberatung einsteigen will, braucht einen IT-Partner im Kanzleinetzwerk.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Die Verfahrensdokumentation als Einstieg in die Prozess- und Digitalisierungsberatung (KP 21, 198)
    Quelle: Ausgabe 06 / 2022 | Seite 100 | ID 47918792

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