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  • · Nachricht · Kanzleientwicklung

    Die Verfahrensdokumentation als Einstieg in die Prozess- und Digitalisierungsberatung

    | Eugen Müller hat Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsrecht studiert und ist nach ein paar Jahren im Konzernrechnungswesen eines großen Autoherstellers 2015 in das Familienunternehmen eingestiegen. Zusammen mit Timo Blum führt er seit 2017 die Müller Blum Steuerberatungsgesellschaft mbH in Fürth. Die Kanzlei hat bewusst keinen Branchenschwerpunkt, sondern es werden vor allem kleine bis mittelgroße Kapitalgesellschaften betreut. Das Dienstleistungsportfolio umfasst GoBD & Tax Compliance, Immobilienbesteuerung und steuerliche Zukunftsberatung ‒ doch dazu weiter unten. |

    Der Weg zur digitalen Kanzlei

    JÜRGEN DERLATH: Sie sind 2015 mit fünf Mitarbeitern eingestiegen. Heute sind es 17 und Digitalisierung ist die Grundvoraussetzung für die Zusammenarbeit im Mandat. Wie digital war die Kanzlei 2015?

     

    EUGEN MÜLLER: Die Kanzlei war noch nicht da, wo sie heute steht. Allerdings fing ich mit der Digitalisierung auch nicht bei null an. Im ersten halben Jahr hab ich jeden Arbeitsschritt in der Kanzlei mindestens einmal selbst gemacht. Das war wichtig, denn später wird man vom Tagesgeschäft aufgefressen, nimmt man sich diese Zeit nicht mehr und hat auch nicht den Abstand. Danach habe ich angefangen zu überlegen, wie die Abläufe effizienter gestaltet werden können. Oft traf ich auf analoge Abläufe, die auch in der Kanzleisoftware hätten digital abgebildet werden können. So war der erste Schritt die konsequente Ausnutzung der Möglichkeiten, die das System damals bot.

     

    JÜRGEN DERLATH: Und wie ging es weiter?

     

    EUGEN MÜLLER: Wir kamen dann nach einiger Zeit an die Grenzen der damaligen Software. Es geht ja nicht nur um die digitalen Prozesse in der Kanzlei selbst, sondern zum Beispiel auch um die digitale Zusammenarbeit mit den Mandanten. 2019 haben wir dann auf DATEV umgestellt. Die Umstellung wurde neun Monate lang geplant. In dieser Zeit haben wir gerade auch mit den Mandanten sehr viel kommuniziert; denn die mussten ja auch von heute auf morgen umlernen. Die Umstellung selbst hat dann vier Monate gedauert ‒ mit unfassbar vielen Schulungen: An drei Tagen in der Woche haben wir mit dem neuen System gearbeitet und an zwei Tagen hatten wir Ganztagsschulungen.

    GoBD und Tax Compliance, steuerliche Zukunftsberatung ...

    JÜRGEN DERLATH: Wenn man sich so die Kanzleiseiten von Steuerberatern ansieht, dann werden dort FiBu, Jahresabschluss und Steuererklärungen angeboten. Bei Ihnen steht da aber GoBD & Tax Compliance, Immobilienbesteuerung und steuerliche Zukunftsberatung. Fragen neue Mandanten Sie eigentlich, ob sie bei Ihnen auch eine ganz normale FiBu bekommen können?

     

    EUGEN MÜLLER: Nein, die Frage ist in der Tat noch nie gekommen. Aber neue Mandate kommen häufig über Empfehlungen von Mandanten. Die wissen dann bereits, worauf sie sich bei uns einlassen. Es ist überhaupt so, dass neue Mandanten vor allem zu uns kommen, weil sie mit dem Berater digital zusammenarbeiten wollen. Viele sind mit der Zusammenarbeit mit dem Vorberater durchaus zufrieden. Und so wechseln die Mandanten auch schweren Herzens, aber ab einem gewissen Punkt passen die analogen Prozesse dann einfach nicht mehr. Wir suchen auch keine neuen Mandate der FiBu wegen. Sondern wir wollen mit denen Prozesse und die Digitalisierung gestalten. Im Zuge dessen übernehmen wir auch die klassischen Aufgaben.

     

    JÜRGEN DERLATH: Und die drei Gebiete auf der Website?

     

    EUGEN MÜLLER: Die Immobilienbesteuerung deckt mein Partner, Timo Blum, ab. Da geht es um das Rechnungswesen für Immobiliengesellschaften. GoBD und Tax Compliance sind mehr mein Part und bei der steuerlichen Strukturberatung geht es darum, bei der Strategie zu unterstützen. Also z. B.: Passt die Gesellschaftsstruktur zu dem, was die Mandantin oder der Mandant in Zukunft vorhat, aber mit dem Fokus auf der steuerlichen Strategiebegleitung.

    ... und die Verfahrensdokumentation

    JÜRGEN DERLATH: Aber wie sind Sie auf die Idee gekommen, ausgerechnet das Thema GoBD so prominent und an erster Stelle auf der Kanzleiwebsite auszuweisen?

     

    EUGEN MÜLLER: Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass etwa um den Zeitpunkt, in dem ich in die Kanzlei eingestiegen bin, die neuen GoBD herausgekommen sind. Ich war in dem Moment so für Prozesse sensibilisiert, da passte das wie die Faust aufs Auge. Und der Prozessansatz ist dann auch kennzeichnend für unsere Beratung geworden. 2015/2016 waren wir damit noch sicherlich die Vorreiter. Wenn ich an die ersten Verfahrensdokumentationen denke, die wir damals erstellt haben, die haben kaum die Kosten gedeckt. Aber wir hatten ja auch keine Erfahrungswerte; dafür haben wir in dieser Phase viel gelernt.

     

    JÜRGEN DERLATH: Und jetzt hat wirklich jeder Ihrer Mandanten eine Verfahrensdokumentation?

     

    EUGEN MÜLLER: Die Mehrheit. Aber wir verkaufen die Verfahrensdokumentation ja auch nicht als Stand-alone-Produkt zur Absicherung in der Betriebsprüfung. Für uns ist das der Einstieg in die Prozess- und Digitalisierungsberatung, keine Versicherungspolice. Wir haben gemerkt, dass wir da in der Argumentation zum Kunden umdenken mussten. Klar, die Finanzverwaltung besteht auf eine Verfahrensdokumentation. Das ist eine gute Ausgangslage, weil so externer Druck da ist, nicht anders als bei der Erfüllung steuerlicher Verpflichtungen. Aber wir haben dann doch recht schnell gesehen, dass das Argument in die Sackgasse führt. Wer nur an Absicherung interessiert ist, geht die anderen Schritte nicht mit.

    Verfahrensdokumentation und die Finanzverwaltung

    JÜRGEN DERLATH: Ehrlich gesagt kann ich gerade nicht erkennen, dass die Finanzverwaltung Druck machen würde. Es mag Fälle geben, aber gerade auch angesichts der Diskussion darüber, ob die Finanzverwaltung so etwas Komplexes überhaupt in einer normauslegenden Verfügung einfordern kann, gehen sie meines Wissens noch nicht „aufs Ganze“.

     

    EUGEN MÜLLER: In Bayern ist es so, dass die Prüfer seit 2018 zu Beginn einer Prüfung die Verfahrensdokumentation des Mandanten regelmäßig anfordern. Ich gebe Ihnen allerdings insoweit recht, als dass die Verfahrensdokumentation bei uns bislang nie von der Betriebsprüfung thematisiert wurde. Die Prüfer nehmen die Verfahrensdokumentation zur Akte. Feedback haben wir noch keines bekommen. Das ist schon etwas kurios. Wir und die Mandanten machen uns im Vorfeld viel Arbeit und dann kommt da nichts … Ich wüsste schon ganz gern: Konnten die damit was anfangen? Fehlt aus deren Sicht vielleicht etwas? Können wir was besser machen? …

     

    JÜRGEN DERLATH: Und es ist ja auch nicht so, dass die Finanzverwaltung in den GoBD minutiös vorgegeben hätte, was sie da lesen wollen.

     

    EUGEN MÜLLER: Genau. Das Positive ist, so viel können Sie dann auch wieder nicht falsch machen. Und auch hier sieht man, dass es problematisch ist, dem Mandanten die Verfahrensdokumentation nur als Versicherungspolice zu verkaufen. Klar kann man sagen, der Prüfer hat nichts beanstandet, also hat es doch funktioniert. Aber Sie werden als Mandant auf der anderen Seite das Gefühl nicht los, dass es auch einfacher und mit weniger Aufwand gegangen wäre. Deswegen ist es gut, über greifbare Mehrwerte, wie Prozessverbesserungen zu kommen. Da ist dann der Versicherungsschutz ein Kollateralnutzen.

    Verfahrensdokumentation und der Mandant

    JÜRGEN DERLATH: Wie viel Arbeit macht denn eine Verfahrensdokumentation?

     

    EUGEN MÜLLER: Das ist ganz unterschiedlich. Aber in jeder Kanzlei gibt es Mandanten mit gleich gelagerten Prozessen, z. B. wenn die Mandanten Unternehmen online nutzen. Für diese Unternehmen gibt es Standards, sodass die Erstellung in einem halben bis einem Tag fertig sein kann, natürlich unter der Voraussetzung, dass das Unternehmen mitarbeitet und alle Unterlagen beisteuert. Bei gleichartigen Mandaten machen wir eine erste Bestandsaufnahme über Online-Formulare. Auf dieser Basis wird die Dokumentation vorbereitet und die restlichen offenen Punkte werden gemeinsam nachgearbeitet.

     

    JÜRGEN DERLATH: Apropos Mitarbeit des Mandanten. Die wenigsten Mandanten dürften interne Prozessdokumentationen haben. Sie arbeiten da mit Auskunftspersonen, die nach bestem Wissen und Gewissen Ihre Fragen beantworten. Aber niemand weiß alles oder ist davor gefeit, mit besten Absichten etwas Falsches mitzuteilen.

     

    EUGEN MÜLLER: Ja, dieses Frage-Antwort-Spiel zwischen uns und dem Mandanten ist zusätzlich auch sehr zeitintensiv. Es wäre viel besser, wir könnten die tatsächlichen Verhältnisse durch Übernahme aus anderen Systemen, im Idealfall sogar aus den Echtdaten rekonstruieren. Das Problem ist, dass wir noch nicht in der Lage sind, Massendaten im Sinne eines echten Process Mining in strukturierter Form automatisch zu extrahieren und auszuwerten.

    Paradigmenwechsel in der Betriebsprüfung

    JÜRGEN DERLATH: Das wäre vermutlich etwas, was die Betriebsprüfung auch gerne können würde, Stichwort Prozessprüfung statt Belegprüfung.

     

    EUGEN MÜLLER: Schon 1995 wurde in BMF-Schreiben eine Verfahrensdokumentation für datenverarbeitende Systeme gefordert. Damals waren das Inseln, heute sind das aber mächtige Systeme oder miteinander verbundene Systeme, in denen Sie mit der traditionellen Belegprüfung nicht weit kommen. Nehmen wir einen Online-Händler. Der hat 8.000 Verkäufe über seinen Shop am Tag. Welche Größe soll da die Stichprobe haben, um sich ein Bild von der zutreffenden Verarbeitung zu machen. Dazu müssen Sie sich den Prozess selbst ansehen. Welche Voreinstellungen bietet das System? Welche Einstellungen wurden ausgewählt und zu welchen Ergebnissen führen die. Dann verplausibilisieren sie das noch mit ein paar Belegen, um sicherzugehen, dass sich die Einstellungen auch auswirken.

     

    Mit der traditionellen Beleg-Betriebsprüfung wird das auch nichts mit der zeitnahen Betriebsprüfung. Wenn ich als Unternehmen sowieso geprüft werde, dann will ich doch lieber zeitnah wissen, wenn die Finanzverwaltung etwas anders sieht und will mir nicht fünf Jahre später ein Mehrergebnis und Nachzahlungszinsen vorrechnen lassen, dass mir schwindelig wird.

    Organisation und Abrechnung

    JÜRGEN DERLATH: Noch einmal kurz zurück zur Erstellung von Verfahrensdokumentationen. Wie haben Sie das intern organisiert und vor allem, wie halten Sie die Verfahrensdokumentationen aktuell?

     

    EUGEN MÜLLER: Wir sind ein Steuerberater und drei Mitarbeiter, die das Thema Verfahrensdokumentation/Prozessberatung besetzen. Bei der Erstellung selbst ist die Unterstützung durch eine Software unerlässlich. Mindestens einmal im Jahr werden Verfahrensdokumentationen aktualisiert. Ansonsten haben wir es geschafft, dass ein großer Teil unserer Mandate uns aktiv über Änderungen informiert bzw. uns vor anstehenden Änderungen bereits mit in die Entscheidungsfindung einbindet, um GoBD-konforme Entscheidungen treffen zu können.

     

    JÜRGEN DERLATH: Und wie rechnen Sie die Arbeit ab?

     

    EUGEN MÜLLER: Die Erstellung wird mal nach Zeit, mal pauschal abgerechnet. Das kommt auf die Komplexität an. Die Pflege wird nach Zeit abgerechnet.

     

    JÜRGEN DERLATH: Muss ich Ihr Mandant sein, um von Ihnen eine Verfahrensdokumentation zu bekommen?

     

    EUGEN MÜLLER: Nein. Wir haben schon für ein paar große Unternehmen solche Projekte als Externe durchgeführt. Da bestand nie die Absicht, das Mandat deklaratorisch zu übernehmen. Wir arbeiten auch mit anderen Steuerberatern zusammen, die diese Dienstleistung für ihre Mandanten nicht selbst anbieten. Die werden in alle Schritte eingebunden und natürlich wird der Schutz des Mandats vereinbart. Der Mandant will die Leistung zwar aus einer Hand, aber das heißt nicht, dass sie zwingend aus meiner Hand kommen muss. Sie kann auch aus meinem Netzwerk kommen.

    Ein Rat für den, der in die Prozessberatung einsteigen will

    JÜRGEN DERLATH: Zum Abschluss: Was raten Sie dem Kollegen, der Kollegin, die das Thema für sich besetzen will? Kann die Dienstleistung die womöglich langfristig wegbrechenden Umsätze aus dem Kerngeschäft kompensieren?

     

    EUGEN MÜLLER: Grundsätzlich eignet es sich für jede Kanzlei. Allerdings hat es nur Sinn, das anzugehen, wenn man es strukturiert angeht.

     

    Ich kann aber Kanzleien verstehen, die das nicht möchten, da diese sich auf andere Themen fokussieren. Wichtig ist, von Beginn an auf eine technische Unterstützung zurückzugreifen, um das Ganze auch skalieren zu können. Es gibt mittlerweile viele unterschiedliche Angebote, wichtig ist, dass die Software, mit der die Verfahrensdokumentationen gemacht werden, zur Philosophie passt, mit der die Kanzlei die Dienstleistung erbringt. Zusätzlich ist wichtig, von Beginn an Mitarbeiter einzubinden, da diese sich in den zu dokumentierenden Prozessen teilweise besser auskennen und dieses Thema dann auch nicht zum Flaschenhals beim Steuerberater wird.

     

    Zu Ihrer zweiten Fragen, ich glaube, das Thema muss sich noch weiter entwickeln. Im Moment bietet die Verfahrensdokumentation einen guten Einstieg in die Prozess- und Digitalisierungsberatung. Ich kann den Mandanten heute schon bei der Einrichtung der berühmten „Vorsysteme“ der Buchhaltung helfen und mit der Zeit werden sich weitere komplexe Dienstleistungen der Datenanalyse und dem Process Mining entwickeln. Wichtig ist, mittelfristig aus diesem „Zeit für Geld“ herauszukommen. Bei diesem Spiel sind die Verdienstmöglichkeiten begrenzt. Die Zukunft gehört skalierbaren Dienstleistungen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Die Verfahrensdokumentation aus Sicht einer Betriebsprüfung (Köchling, KP 21, 104)
    • Die Verfahrensdokumentation ‒ notwendiges Übel oder Chance für ein neues Geschäftsfeld? (Neumann, KP 21, 32)
    • GoBD-Leitfäden, Muster-Verfahrensdokumentationen und FAQ-Kataloge (KP 4.9.20)
    Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 198 | ID 47326871

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