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  • · Nachricht · Akteneinsichtsrecht

    Kein Anspruch auf Einsicht in die Handakte der Betriebsprüfung nach Art. 15 Abs. 1 DSGVO

    von Rechtsassessor Dr. Matthias Gehm, Limburgerhof und Speyer

    | Das FG Baden-Württemberg hat zu der strittigen Frage entschieden, ob der Steuerpflichtige aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO ein Recht auf Einsichtnahme in die Behördenakte herleiten kann und dieses Recht ‒ im Unterschied zum FG Saarland (Beschluss 3.4.19, 2 K 1002/16, EFG 19, 1217) ‒ verneint (FG Baden-Württemberg 26.7.21, 10 K 3159/20). |

    Sachverhalt

    Bei einer Betriebsprüfung, die sich auch auf die Umsatzsteuer bezog, vertrat das FA die Auffassung, dass der Kläger keine ordnungsgemäße Buchführung vorgelegt habe. Weil der Kläger Zuschätzungen befürchtete, beantragte er gestützt auf Art. 15 Abs. 1 DSGVO Akteneinsicht in die Handakte der Betriebsprüfung, was das FA ablehnte. Die Handakte wurde auch dem FG im anschließenden finanzgerichtlichen Verfahren nicht vorgelegt.

    Entscheidungsgründe

    Der Kläger kann gem. § 32i Abs. 2 AO mittels Verpflichtungsklage gegen die Verweigerung der Akteneinsicht vorgehen, wobei allein durch die Rechtshängigkeit ihm aber kein Anspruch nach § 78 FGO zusteht, weil ja gerade strittig ist, ob die Handakte der Einsicht unterliegt (BFH Beschluss 27.3.14, II B 68/13, BFH/NV 14, 1072).

     

    Kein Anspruch nach DSGVO

    Indes verleiht ihm Art. 15 Abs. 1 DSGVO keinen Anspruch auf Akteneinsicht. Dabei konnte das FG Baden-Württemberg die Frage unbeantwortet lassen (strittig vgl. FG Niedersachsen 28.1.20, 12 K 213/19, EFG 20, 665, Rev. BFH II R 15/20), ob Art. 15 Abs. 1 DSGVO sich nur auf harmonisierte Steuerarten erstreckt, da ja die Umsatzsteuer auch Gegenstand der Außenprüfung gewesen ist.

     

    Denn Art. 15 Abs. 1 DSGVO wie auch Art. 8 Abs. 1 und 2 GRC räumen dem Betroffenen nur aus Gründen der Transparenz ein (punktuelles) Auskunftsrecht ein, welche personenbezogenen Daten von Dritten erhoben worden sind, um so die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung überprüfen zu können. Dieses Recht dient nicht der Schaffung eines (vollumfänglichen) Zugangs zu Verwaltungsdokumenten (EuGH 17.7.14, C-141/12, BeckRS 2014, 81234; BVerwG 16.9.20, 6 C 10.19, NVwZ 21, 80), was sich auch aus dem Wortlaut des Art. 15 Abs. 1 DSGVO herleitet, der sich nur auf personenbezogene Daten bezieht.

     

    Somit können solchermaßen von der Finanzverwaltung selbst geschaffene Daten, wie angewandte Schätzungsmethoden oder Schlussfolgerungen nicht eruiert werden. Diese stellen auch keine Datenverarbeitung nach Art. 4 Nr. 2. DSGVO dar (FG Sachsen 8.5.19, 5 K 337/19, EFG 20, 661). Das heißt, der Kläger macht keine datenschutzrechtlichen, sondern steuerverfahrensrechtliche Interessen geltend, die nicht von Art. 15 DSGVO erfasst sind.

     

    Kein Anspruch nach Abgabenordnung

    Die AO regelt das Recht auf Akteneinsicht im Verwaltungsverfahren nicht. Insofern besteht nur ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung durch das FA (BFH 23.2.10, VII R 19/09, BStBl II 10, 729).

     

    Ermessensfehler stellte das FG gemäß § 102 FGO aber nicht fest, da die strittige Frage der nicht ordnungsgemäßen Buchführung auf den dem FA durch den Kläger überlassenen Unterlagen beruht und der Antrag auf Akteneinsicht während der laufenden Betriebsprüfung gestellt wurde, sodass die Einsicht nicht der Nachvollziehbarkeit der Verwaltungsentscheidung dient.

     

    Kein Anspruch nach Informationsfreiheitsgesetz

    Wie sich aus § 2 Abs. 3 Nr. 4 LIFG Baden-Württemberg ergibt, greift diese Regelung nicht gegenüber den Landesfinanzbehörden.

    Relevanz für die Praxis

    Die Entscheidung belegt, dass auch weiterhin ungeklärt ist, inwiefern im Besteuerungsverfahren ein Akteneinsichtsrecht aus Art. 15 DSGVO hergeleitet werden kann. Leider hat das FG Baden-Württemberg nicht die Revision zugelassen. Insofern bleibt aber abzuwarten, wie sich der BFH im Verfahren II R 15/20 ggf. positionieren wird.

     

    Die Finanzverwaltung hat sich hierzu bisher auch nicht eindeutig positioniert. Vielmehr vertritt das BMF die Meinung, dass das FA zwar nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 DSGVO dem von der Datenverarbeitung Betroffenen unentgeltlich eine Zusammenstellung der persönlichen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung waren (ggf. elektronisch, Art. 15 Abs. 3 S. 3 DSGVO), zur Verfügung stellen muss. Gleichzeitig wird hierin aber kein allgemeines Akteneinsichtsrecht im Besteuerungsverfahren gesehen, lediglich könne das FA die Akteneinsicht im Rahmen des Zweckmäßigen gemäß § 32d Abs. 1 AO nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens gewähren (BMF, BStBl I 20, 143, Rz. 32, 66 f.).

     

    Zudem sei der Hinweis erlaubt, dass die Einsichtnahme in die Handakte, auch Fallheft genannt, der Betriebsprüfung bzw. Steuerfahndung einen Dauerstreitpunkt darstellt. Dies gilt nicht nur für das Besteuerungs-, sondern auch das Steuerstrafverfahren, da hier die Finanzverwaltung sich regelmäßig weigert, Einsicht zu gewähren, weil es sich um ein Verwaltungsinternum handle (vgl. Gehm, Kompendium Steuerstrafrecht, 3. Aufl. 17, S. 415 ff., 443).

    Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 204 | ID 47640586

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