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  • · Fachbeitrag · Aktuelle Gesetzgebung

    Digitale Schuldrechtsreform: Das kommt auf Sie zu

    | Kurz vor Ende der Legislaturperiode hat der Gesetzgeber mit zwei Gesetzesnovellen das BGB deutlich ergänzt und modifiziert. Mit dem Gesetz vom 25.6.21 „zur Umsetzung der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen“ (BGBl. I, 2123) wird die EU-Richtlinie 2019/770 (Digitale-Inhalte-Richtlinie) in nationales Recht umgesetzt (FMP 21, 175). Vom gleichen Tag stammt das „Gesetz zur Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und andere Aspekte des Kaufvertrags“ (BGBl. I, 2133), das den Vorgaben der EU-Richtlinie 2019/771 (Warenkaufrichtlinie) folgt. Beide Gesetze treten zum 1.1.22 in Kraft, greifen eng ineinander und begründen besondere Regelungen für den Rechtsverkehr mit digitalen Produkten, die in das allgemeine Vertragsrecht des BGB aufgenommen werden. Künftig wird man daher differenzieren müssen, ob der Vertragsgegenstand ein digitales oder analoges Produkt ist. Zudem werden mit den neuen Regelungen auch wesentliche Änderungen im Kaufrecht vollzogen. Die zahlreichen und umfangreichen Änderungen novellieren das Schuldrecht grundlegend. Unternehmer müssen diese Regelungen in ihren Vertragsbeziehungen berücksichtigen. Hier die wichtigsten 14 Aspekte im Überblick. |

    1. Neuer Sachmangelbegriff

    Der Sachmangelbegriff im Kaufrecht (§ 434 BGB) wird grundlegend neu gefasst. Künftig ist eine gelieferte Sache nur noch mangelfrei, wenn sie sowohl den objektiven als auch den subjektiven Anforderungen entspricht.

     

    Den objektiven Anforderungen entspricht die Sache, wenn sie

    • sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und
    • die übliche Beschaffenheit aufweist.

     

    Den subjektiven Anforderungen entspricht die Sache dann, wenn sie

    • die vereinbarte Beschaffenheit hat und
    • sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und
    • mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage ‒ und Installationsanleitungen, übergeben wird.

     

    Das führt dazu, dass eine Sache auch mangelhaft sein kann, wenn sie sich trotz Einhaltung der vereinbarten Beschaffenheit nicht auch zur gewöhnlichen Verwendung eignet. Denn anders als nach bisheriger Rechtslage müssen die objektiven und subjektiven Voraussetzungen nun kumulativ vorliegen. Beim Verkauf komplexer Produkte, bei denen die Beschaffenheit zwischen Verkäufer und Käufer im Einzelnen festgelegt wird und von der gewöhnlichen Beschaffenheit abweicht, können gesetzliche Gewährleistungsrechte trotz Einhaltung dieser Vereinbarungen entstehen.

     

    Beachten Sie | Vertragsmuster und AGB sind entsprechend anzupassen.

    2. Verschärfung des Verbrauchsgüterkaufrechts

    Die für den Kaufvertrag zwischen Unternehmern und Verbrauchern in §§ 474 ff. BGB vorgesehenen Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf werden verschärft. Nach § 477 BGB galt bislang die Vermutung, dass die Sache bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war, wenn sich innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang ein Sachmangel gezeigt hat. Dieser Zeitraum wird nun auf ein Jahr ausgedehnt.

     

    Nach § 476 Abs. 2 BGB sind weiterhin vertraglich vereinbarte Erleichterungen der Verjährung verboten, wenn die Vereinbarung zu einer Verjährungsfrist ab dem gesetzlichen Verjährungsbeginn von weniger als zwei Jahren führt. Bei gebrauchten Waren ist eine vertragliche Verkürzung der Verjährung auf ein Jahr möglich. Allerdings muss der Verbraucher nun vor Abgabe seiner Vertragserklärung von der Verkürzung der Verjährungsfrist in Kenntnis gesetzt werden und die Verkürzung muss im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart werden. Das schließt eine entsprechende Regelung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen künftig aus.

    3. Änderungen im Lieferantenregress

    Nach § 445a BGB kann der Verkäufer beim Verkauf einer neu hergestellten Sache von seinem Lieferanten Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er gegenüber dem Käufer tragen müsste. Nach § 445b Abs. 1 BGB verjähren diese Ansprüche in zwei Jahren ab der Ablieferung der Sache. § 445b Abs. 2 BGB enthält eine Ablaufhemmung, wonach die Verjährung bei Rückgriffsansprüchen gegen den Lieferanten frühestens zwei Monate nach dem Zeitpunkt eintritt, in dem der Verkäufer die Ansprüche des Käufers erfüllt hat. Die bislang dort auch geregelte Höchstgrenze der Ablaufhemmung von fünf Jahren nach Ablieferung der Sache vom Lieferanten an den Verkäufer ist nun entfallen.

    4. Digitale Produkte

    Für den Rechtsverkehr mit digitalen Produkten wird im BGB-Schuldrecht ein neuer Titel 2a eingefügt und in den §§ 327 bis 327u BGB werden umfassende neue Regelungen getroffen, die sich allgemein mit den Besonderheiten digitaler Vertragsgegenstände beschäftigen. Dabei gelten diese Vorschriften nur bei Verbraucherverträgen (§ 310 Abs. 3 BGB), also nur bei Verträgen, die die Bereitstellung von digitalen Produkten durch den Unternehmer an einen Verbraucher beinhalten.

     

    Unter digitalen Produkten werden sowohl digitale Inhalte als auch digitale Dienstleistungen verstanden. Digitale Inhalte sind nach § 327 Abs. 2 BGB n. F. Daten, die in digitaler Form erstellt und bereitgestellt werden. Dazu gehören etwa Software, Audio- oder Videodateien, die zum Download bereitgestellt werden. Digitale Dienstleistungen werden definiert als Dienstleistungen, die dem Verbraucher die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von digitalen Daten oder den Zugang zu ihnen ermöglichen. Das sind z. B. Streaming-Dienste, Cloud-Speicherplatz oder Zugang zu sozialen Netzwerken.

     

     

    Vom Anwendungsbereich der §§ 327 ff. BGB werden allerdings eine Reihe von Verträgen ausgenommen (§ 327 Abs. 6 BGB n. F.).

     

    Checkliste / Von der Neuregelung nicht erfasste Verträge

    Nicht erfasst von der neuen Regelung werden die in § 327 Abs. 6 BGB n. F. geregelten Verträge:

     

    • Verträge über andere Dienstleistungen als digitale Dienstleistungen, unabhängig davon, ob der Unternehmer digitale Formen oder Mittel einsetzt, um das Ergebnis der Dienstleistung zu generieren oder es dem Verbraucher zu liefern oder zu übermitteln;
    • Verträge über Telekommunikationsdienste i. S. d. § 3 Nr. 61 des TKG, mit Ausnahme von nummernunabhängigen interpersonellen Telekommunkationsdiensten i. S. d. § 3 Nr. 40 TKG;
    • Behandlungsverträge nach § 630a BGB;
    • Verträge über Glücksspieldienstleistungen, die einen geldwerten Einsatz erfordern und unter Zuhilfenahme elektronischer oder anderer Kommunikationstechnologien auf individuellen Abruf eines Empfängers erbracht werden;
    • Verträge über Finanzdienstleistungen;
    • Verträge über die Bereitstellung von Software, für die der Verbraucher keinen Preis zahlt und die der Unternehmer im Rahmen einer freien und quelloffenen Lizenz anbietet, sofern die vom Verbraucher bereitgestellten personenbezogenen Daten durch den Unternehmer ausschließlich zur Verbesserung der Sicherheit, der Kompatibilität oder der Interoperabilität der vom Unternehmer angebotenen Software verarbeitet werden;
    • Verträge über die Bereitstellung digitaler Inhalte, wenn die digitalen Inhalte der Öffentlichkeit auf eine andere Weise als durch Signalübermittlung als Teil einer Darbietung oder Veranstaltung zugänglich gemacht werden;
    • Verträge über die Bereitstellung von Informationen i. S. d. Informationsweiterverwendungsgesetzes.
     

     

    5. Nicht nur Geld zählt

    § 327 BGB n. F. setzt voraus, dass sich der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet. Dazu gehört jedenfalls die Zahlung in Geld. Neben einer Geldzahlung werden aber auch alle sonstigen Gegenleistungen erfasst, denen eine Zahlungsfunktion zukommt. Dazu gehören z. B. Bitcoins, E-Coupons, aber auch analoge Darstellungen wie z. B. Geschenkgutscheine oder Rabattpunkte.

     

    Nach § 327 Abs. 3 BGB n. F. sind die Regelungen auch anwendbar, wenn der Verbraucher dem Unternehmer personenbezogene Daten bereitstellt, sofern der Unternehmer diese nicht ausschließlich zu dem Zweck verwendet, seine Leistungspflicht oder an ihn gestellte rechtliche Anforderungen zu erfüllen (dazu FMP 21, 175).

    6. Rechtsmängel an digitalen Produkten

    Nach § 327d BGB ist der Unternehmer bei Bereitstellung eines digitalen Produkts verpflichtet, das Produkt frei von Produkt- und Rechtsmängeln bereitzustellen. Was unter einem Produkt- und Rechtsmangel zu verstehen ist, wird in §§ 327e bis g BGB dezidiert geregelt. Auch hier wird, wie im allgemeinen neuen Kaufrecht, zwischen subjektiven und objektiven Anforderungen differenziert. Von den objektiven Anforderungen an digitale Produkte kann durch Vertrag nur abgewichen werden, wenn der Verbraucher vor Abgabe seiner Vertragserklärung davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal des digitalen Produkts von diesen Anforderungen abweicht und diese Abweichung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde (§ 327h BGB n. F.).

    7. Update-Pflicht

    Besondere Bedeutung gewinnen dabei die Bestimmungen über die Aktualisierungen von digitalen Produkten (Update-Pflicht). Nach § 327 f BGB n. F. muss der Unternehmer sicherstellen, dass dem Verbraucher während des maßgeblichen Zeitraums Aktualisierungen, die für den Erhalt der Vertragsmäßigkeit des digitalen Produkts erforderlich sind, bereitgestellt werden und der Verbraucher über diese Aktualisierungen informiert wird. Das bezieht sich auch auf Sicherheitsaktualisierungen.

     

    PRAXISTIPP | In der Praxis wirft diese Regelung einige Fragen auf. So ist eine zeitliche Begrenzung der Update-Pflicht nicht vorgesehen. Somit wird letztlich eine Verlängerung der Gewährleistungsfrist begründet, ohne dass der Verkäufer deren Ende sicher bestimmen kann. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Updates regelmäßig vom Hersteller bereitgestellt werden, der nicht mit dem Verkäufer identisch ist. Daher ist der Verkäufer auf die Mitwirkung des Herstellers angewiesen. Verkäufer müssen sich also rechtzeitig darauf einstellen, durch entsprechende vertragliche Anpassungen diesem Umstand Rechnung zu tragen.

     

    8. Rechte des Verbrauchers bei Mängeln

    Nach § 327i BGB kann der Verbraucher bei einem mangelhaften digitalen Produkt folgende Rechte geltend machen:

     

    • § 327l BGB: Nacherfüllung
    • § 327m BGB: Vertragsbeendigung oder nach § 327n BGB Preisminderung
    • § 280 Abs. 1 oder § 327m Abs. 3 BGB: Schadenersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen

    9. Verjährung

    Die o. g. Rechte des Verbrauchers bei Mängeln verjähren in zwei Jahren (§ 327j BGB n. F.). Bei einer einmaligen Bereitstellung eines digitalen Produkts beginnt die Frist unmittelbar mit der Bereitstellung. Handelt es sich hingegen um eine dauerhafte Bereitstellung eines digitalen Produkts, verjähren die Ansprüche nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ende des Bereitstellungszeitraums.

     

    Ansprüche wegen Verletzung der Aktualisierungspflicht verjähren nicht vor Ablauf von zwölf Monaten nach dem Ende des für die Aktualisierungspflicht maßgeblichen Zeitraums. Eine Ablaufhemmung begründet § 327j Abs. 4 BGB n. F. Danach tritt die Verjährung frühestens vier Monaten nach dem Zeitpunkt ein, in dem sich der Mangel erstmals gezeigt hat.

    10. Beweislastumkehr

    Ähnlich wie beim Verbrauchsgüterkaufvertrag wird auch bei der Bereitstellung digitaler Produkte eine Beweislastumkehr gesetzlich verankert (§ 327k BGB n. F.). Sobald sich bei einem digitalen Produkt innerhalb eines Jahres seit seiner erstmaligen Bereitstellung ein vertragswidriger Zustand zeigt, wird vermutet, dass das digitale Produkt bereits bei Bereitstellung mangelhaft war (§ 327k Abs. 1 BGB n. F.). Zeigt sich bei einem dauerhaft bereitgestellten digitalen Produkt während der Dauer der Bereitstellung ein vertragswidriger Zustand, wird vermutet, dass das digitale Produkt während der bisherigen Dauer der Bereitstellung mangelhaft war (§ 327k Abs. 2 BGB n. F.).

    11. Rückgriff des Unternehmers

    § 327u BGB n. F. regelt den Regress zwischen beteiligten Unternehmern. Danach kann der Unternehmer von dem anderen Unternehmer, der sich ihm gegenüber zur Bereitstellung eines digitalen Produkts verpflichtet hat, Ersatz der Aufwendungen verlangen, die ihm im Verhältnis zu einem Verbraucher wegen einer durch den Vertriebspartner verursachten Vertragsverletzung entstanden sind. Dieser Rückgriffsanspruch ist binnen einer Frist von sechs Monaten geltend zu machen.

    12. Änderungen im besonderen Schuldrecht

    Durch die speziellen Regelungen für digitale Produkte wird kein neuer Vertragstypus geschaffen. §§ 327 ff. BGB sind vielmehr als typenübergreifende Bestimmungen für alle besonderen Vertragsarten anzusehen. Verträge über digitale Produkte müssen also weiterhin einem bestimmten Vertragstypus zugeordnet werden. So wird der Erwerb einer Software weiterhin als Kaufvertrag zu qualifizieren sein, die zeitweise Überlassung eines Cloud-Speicherplatzes weiterhin als Mietvertrag. So sind die Vorschriften zum Verbrauchsgüterkauf, Schenkungsvertrag, Mietvertrag und Werklieferungsvertrag ebenso angepasst worden, um sie mit den §§ 327 ff. BGB kompatibel zu machen.

    Quelle: Ausgabe 12 / 2021 | Seite 213 | ID 47754961