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  • · Fachbeitrag · Testamentsauslegung

    Erbe vorverstorben und kein Ersatzerbebestimmt ‒ was nun?

    von RA Uwe Gottwald, VorsRiLG a.D., Vallendar

    | In der Praxis kommt es häufig vor, dass privatschriftliche ‒ zuweilen auch öffentliche ‒ Testamente unvollständig sind und somit der (ergänzenden) Auslegung bedürfen. Insbesondere wird es oft unterlassen, für einen eingesetzten Erben einen Ersatzerben zu bestimmen. Unlängst hat sich das KG Berlin hiermit ausführlich beschäftigt und für die ergänzende Auslegungeinige Grundsätze aufgestellt. |

    Sachverhalt

    Die verwitwete und kinderlos am 12.6.19 verstorbene Erblasserin E hatte durch das eigenhändig geschriebene und unterschriebene Testament eine Testamentsvollstreckerin (TV) eingesetzt. Zudem war verfügt, dass ‒ abgesehen von zuvor abgehenden 4 Prozent aus dem Nachlasswert für die Vergütung der TV und je 1 Prozent für zwei Vermächtnisse ‒ aus dem Barvermögen und dem Erlös aus dem Verkauf ihrer Immobilien in Berlin

    • ihre noch lebenden drei Brüder B1‒B3 je 22 Prozent ihres Nachlasses,
    • der Bruder ihres vorverstorbenen Mannes (BM) ebenfalls 22 Prozent und
    • die Witwe (W) ihres vierten, vorverstorbenen Bruders 12 Prozent

    erhalten sollen.

     

    Für den Fall des Vorversterbens des Bruders ihres Mannes hat E bestimmt, dass seine Witwe 10 Prozent erhalten soll und die dann verbleibenden 12 Prozent zu jeweils 1/3 an ihre drei Brüder verteilt werden sollen. Ihren Anteil an einem Waldgrundstück außerhalb Berlins sollten ebenfalls ihre drei Brüder zu gleichen Teilen erben. Nach Errichtung des Testaments aber noch vor dem Tod der Erblasserin kam es zwischenzeitlich zu folgenden Sterbefällen:

     

     

    Die Testamentsvollstreckerin hat nach dem Tod der Erblasserin die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach der überlebende Bruder B3 Miterbe zu 90 Prozent und die Witwe von BM Miterbin zu 10 Prozent geworden sind.

     

    Diesem (Haupt-)Antrag hat das Nachlassgericht stattgegeben, weil die den vorverstorbenen Brüdern zugewiesenen Anteile allein dem überlebenden Bruder ebenso wie die frei gewordenen Anteile der weiteren beiden Erben angewachsen seien. Für eine Auslegung des Testamentes dahin, dass imFalle des Vorversterbens der Brüder ersatzweise deren Kinder treten sollen, lägen keine hinreichenden Anhaltspunkte vor. Der gegen diesen Beschluss eingelegten Beschwerde hat das Nachlassgericht nicht abgeholfen und die Akten dem KG zur Entscheidung vorgelegt.

    Entscheidungsgründe

    Das KG (9.4.21, 6 W 1/21, Abruf-Nr. 225376) hat der Beschwerde mit im Wesentlichen folgender Begründung stattgegeben: Ohne Bestimmung eines Ersatzerben ‒ wie hier hinsichtlich der eingesetzten Brüder ‒ sei durch individuelle Auslegung des Testaments gemäß § 133 BGB zu ermitteln, ob in der Einsetzung des Erben zugleich die Kundgabe des Willens gesehen werden kann, die Abkömmlinge des Bedachten zu Ersatzerben einzusetzen (so bereits RGZ 99, 82; BGH NJW 73, 240: KG Berlin ZEV 20, 485). Ließen die sonstigen Testamentsbestimmungen oder Umstände außerhalb des Testaments erkennen, dass der Erblasser die Zuwendung nicht gerade nur der von ihm bezeichneten Person hat machen, sondern für den ganzen Stamm hat gelten lassen wollen, also die Person nur als erste ihres Stamms benannt hat, so sei auch beim Fehlen der Voraussetzungen des § 2069 BGB eine stillschweigende Ersatzberufung anzunehmen.

     

    Die Kriterien, die für die Auslegung im Sinne einer Ersatzerbenbestimmung maßgebend sind, hat das KG im Einzelnen u. a. wie folgt dargelegt:

     

    • Wenn der Erblasser entweder an das Vorversterben des eingesetztenErben nicht gedacht habe oder wenn er dies zwar bedacht, das Einrücken der Kinder aber für selbstverständlich gehalten habe (vgl. RGZ 99, 86).

     

    • Sei der Bedachte eine dem Erblasser nahestehende Person, lege die Lebenserfahrung die Prüfung nahe, ob der Erblasser eine Ersatzerbenberufung der Abkömmlinge des Bedachten gewollt habe oder gewollt haben würde. Dabei sei entscheidend, ob die Zuwendung dem Bedachten alsErsten seines Stamms oder seiner Familie oder nur ihm persönlich, z. B.wegen der persönlichen Beziehung und Nähe, gegolten hat (KG ErbR 20, 410; Palandt-Weidlich, BGB, 80. Aufl., § 2069 Rn. 9 m. w. N.).

     

    • Die erforderliche Andeutung im Testament könne dann schon in der Tatsache der Berufung dieser Person gesehen werden. Letzteres komme insbesondere dann in Betracht, wenn der Erblasser alle noch lebendenGeschwister bedacht habe, ohne sich davon leiten zu lassen, zu welchem seiner Geschwister er ein gutes oder weniger gutes Verhältnis habe(BayObLG RPfleger 97, 215; FamRZ 00, 70; FamRZ 04, 569; FamRZ 05, 68).

     

    • Weitere Auslegungskriterien waren im vorliegenden Fall:
    •  
      • Die Zuweisung an die eingesetzten Brüder zum gleichen prozentualen Anteil (Gleichbehandlung); auch die Gleichbehandlung derselben mit dem Bruder ihres vorverstorbenen Ehemannes;
    •  
      • das Alter der Brüder und deren bedingungslose Einsetzung;
    •  
      • die Ersatzerbeneinsetzung der Ehefrau des Bruders ihres verstorbenen Ehemannes, die ansonsten nicht zum Zuge gekommen wäre;
    •  
      • die vorgetragene und nicht bestrittene Äußerung der Erblasserin gegenüber einem ihrer Brüder, dass sie ihn und seine Familie bedacht habe.

    Relevanz für die Praxis

    Nicht nur das KG, sondern die Rechtsprechung insgesamt geht zu Recht davon aus, dass die ergänzende Auslegung zur Schließung einer Lücke ‒ fehlende Ersatzerbenbestimmung ‒ vorzunehmen ist. Das Ergebnis hängt stets vom Einzelfall ab. Das KG sieht mit der überwiegenden Rechtsprechung bereits die Berufung des zunächst eingesetzten Erben „als ersten seines Stammes“ als erforderliche Andeutung an. Diese Auffassung ist sehr weitgehend und birgt die Gefahr der fehlerhaften Ermittlung des hypothetischen Willens des Erblassers. Schließlich ist immer zu berücksichtigen, dass das Gericht einen Willen des Erblassers feststellt, den dieser ausdrücklich gerade nicht geäußert hat und ihm auch nicht entsprechen mag. Das aber ist die Gefahr jeglicher ergänzenden Auslegung. Durch eine klare und eindeutige Abfassung der Verfügung von Todes wegen sollte eine ergänzende Auslegung daher nach Möglichkeit vermieden werden.

     

    Dem Berater hilft die Kenntnis der vorgenannten Rechtsprechung aber auch dann, wenn der Erbfall bereits eingetreten ist und er sich auf der Seite einer der Beteiligten um den Nachlass streitet. Vertritt er einen der möglichen Ersatzerben, dann hat er dem Gericht die Gründe und Anhaltspunkte, die für eine Ersatzerbenbestimmung im Wege der ergänzenden Auslegung maßgebend sind, substanziiert darzulegen. Nur so kann er das Gericht von dem Ergebnis seiner Auslegung überzeugen. Vertritt er einen eingesetzten Erben, dem die Chance der Anwachsung eröffnet ist, hat er die Gründe und Anhaltspunkte aufzuzeigen, die die Auslegung mit dem Ergebnis der Ersatzerbenbestimmung ausschließen.

     

    PRAXISTIPP | Für den Berater ist es wichtig, dass der Mandant bei der Erbeinsetzung auf einen möglichen „Wegfall“ des gewillkürten Erbes vor Eintritt des Erbfalls hingewiesen wird. Er ist zudem auf die Möglichkeit der Bestimmungeines Ersatzerben hinzuweisen. Falls er dies nicht möchte, sind ihm die Folgen der Unterlassung wie die Anwachsung oder Ersatzberufung im Wege der Auslegung aufzuzeigen. Möchte der Mandant ausdrücklich keine Ersatzerbenbestimmung, ist es im Zweifel angezeigt, dass er dies im Testament niederlegt, z. B. mit dem Satz: „Von einer Ersatzerbenbestimmung für den Wegfall der eingesetzten Erben wird ausdrücklich abgesehen.“ Möchte er andererseits eine solche, dann wird durch eine klare letztwillige Verfügung die Auslegung vermieden, z. B. mit dem Satz: „Zum Ersatzerben des [...] bestimme ich den [...].“

     
    Quelle: Ausgabe 11 / 2021 | Seite 185 | ID 47686464