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  • · Fachbeitrag · intensivmedizin

    Folgen des BVerfG-Beschlusses zur Triage: neue Handlungsempfehlungen für (Chef-)Ärzte?

    von Prof. Dr. iur. Michael Tsambikakis, Tsambikakis & Partner, tsambikakis.com

    | Die Coronapandemie stellt die Ärzteschaft weiterhin vor Herausforderungen. Neben der ohnehin kapazitätsbedingten angespannten Ausgangslage in der Patientenversorgung treffen Ärztinnen und Ärzte bei Triage-Entscheidungen auf ein nicht alltägliches Haftungsrisiko. Nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu den Benachteiligungsrisiken von Menschen mit Behinderungen entschieden (Urteil vom 16.12.2021, Az. 1 BvR 1541/20, CB 01/2022, Seite 1). Ergeben sich daraus neue, möglicherweise verallgemeinerbare Maßstäbe für Triage-Entscheidungen? |

    Status quo ‒ Die Haftungsrisiken

    Chefärztinnen und Chefärzten droht zivilrechtlich eine vertragliche und eine deliktische Haftung. Dabei können ihnen die Triage-Entscheidungen nachgeordneter Ärztinnen und Ärzte als Erfüllungs- bzw. Verrichtungsgehilfen zugerechnet werden (CB 08/2020, Seite 2). Zudem schwebt das Damoklesschwert einer etwaigen Strafbarkeit über den Entscheidern in einer Triage-Situation. Zwar führt nur ein persönlicher Schuldvorwurf zur Strafbarkeit, aber die strafrechtlichen Fragen sind leider für die Ärzteschaft noch nicht ausreichend geklärt worden. Anders als im Zivilrecht ist eine Zurechnung des strafbaren Verhaltens nachgeordneter Ärzte nicht möglich. Leitlinie bleibt: Eine coronabedingte Triage-Entscheidung ist rechtmäßig, wenn sie gemäß den klinischen Erfolgsaussichten getroffen wird (CB 05/2020, Seite 2). Daher ist sie nicht nur aus klinisch-ethischen Gründen sorgsam zu treffen und zu dokumentieren; ein solches Vorgehen vermeidet spätere haftungs- und strafrechtliche Folgen.

    BVerfG nimmt den Gesetzgeber in die Pflicht

    Neun Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen wandten sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Untätigkeit des Gesetzgebers, der bisher keine rechtlichen Vorgaben für eine Triage-Entscheidung getroffen hat. Sie befürchteten, in einer etwaigen Triage-Situation wegen ihrer Behinderung bzw. Vorerkrankung benachteiligt zu werden und beriefen sich dabei auf ihre Grundrechte. Das BVerfG nimmt nun eindeutig den Gesetzgeber in die Pflicht, geeignete Regelungen und Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen und Vorerkrankungen im Fall einer pandemiebedingten Triage zu treffen, damit niemand wegen seiner Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger medizinischer Ressourcen benachteiligt wird.