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  • · Fachbeitrag · Vertragsarztrecht

    Regressverfahren wird nach Tod des Arztes gegen dessen Erben fortgeführt

    von RA, FA MedR Philip Christmann, Berlin/Heidelberg, christmann-law.de

    | Ein Verwaltungsverfahren zur Prüfung von Regressanträgen wegen unzulässiger Verordnung von Arzneimitteln ist nach dem Tod des Arztes unter Beteiligung der Erben fortzusetzen. Ein Regressanspruch als öffentlich-rechtlicher Schadensausgleich ist nicht höchstpersönlicher Natur. Die Erben des Arztes haften für ein unwirtschaftliches Verordnungsverhalten des Vertragsarztes (Landessozialgericht [LSG] Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 08.11.2017, Az. L 3 KA 80/14). |

    Der Fall

    Ein Vertragsarzt hatte in den Quartalen II/2011 bis IV/2012 für eine an Diabetes erkrankte Patientin das Antidiabetikum Competact® verordnet. Die gesetzliche Krankenversicherung der Patientin meinte, dieses Arzneimittel sei vom Leistungskatalog ausgeschlossen. Die Versicherung verlangte von der beklagten Prüfungsstelle, sie möge einen Arzneimittelregress gegen den Arzt festsetzen. Das Präparat Competact® sei nach der Anlage III Nr. 49 der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) nicht verordnungsfähig. Dies verweigerte die Prüfungsstelle unter Hinweis darauf, dass der Arzt mittlerweile verstorben sei. Zudem sei ein Regressanspruch als öffentlich-rechtlicher Schadensausgleich höchstpersönlicher Natur und gehe deshalb nicht auf die Alleinerbin des Arztes über. Das Sozialgericht (SG) Hannover wies die Klage der Versicherung als unbegründet ab. Die Versicherung ging in Berufung.

    Die Entscheidung

    Das LSG hob die ablehnenden Bescheide der Prüfungsstelle auf und verpflichtete diese, über die Anträge der klagenden gesetzlichen Krankenversicherung auf Wirtschaftlichkeitsprüfung zu entscheiden und zu prüfen, ob hier ein Regress begründet sei. Das LSG stellte fest, dass die hier in dem Arzneimittel Competact® eingesetzten Glitazone gemäß der AM-RL i. d. F. vom 18.12.2008/22.01.2009 (zuletzt geändert am 17.02.2011) von der Verordnung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien.

     

    Keine Recht höchstpersönlicher Natur

    Im Weiteren wies das LSG darauf hin, dass Verwaltungsverfahren grundsätzlich auch gegen die Erben fortgeführt würden. Eine Ausnahme bestehe nur dann, wenn das vererbte Recht höchstpersönlicher Natur sei. Eine solche Höchstpersönlichkeit sei zu verneinen, wenn auch ein anderer als der Rechtsinhaber (hier: der Arzt) die Verpflichtung erfüllen könne. Regressansprüche wegen Arzneimitteln seien aber nicht höchstpersönlicher Natur. Bei dem hier von der Krankenversicherung geltend gemachten Arzneimittelregress handele es sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts um einen besonderen Typus eines verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruchs. Durch diesen soll der Schaden ausgeglichen werden, der einer Krankenkasse entstanden ist, weil ein Vertragsarzt zu ihren Lasten rechtlich unzulässige Arzneimittelverordnungen vorgenommen hat. Die darin liegende Pflicht zum Geldersatz könne nicht nur vom Vertragsarzt, sondern auch von dessen Erben erfüllt werden.

     

    Zeitpunkt des Entstehens des Regressanspruchs nicht maßgeblich

    Die Berechtigung der Prüfgremien zum Regress bleibe im Übrigen auch nach dem Ausscheiden des Arztes aus der vertragsärztlichen Versorgung und auch nach dessen Tod bestehen.

     

    Dem Übergang einer eventuellen Verpflichtung zur Zahlung von Schadenersatz auf die Erbin stehe auch nicht entgegen, dass der Regressanspruch erst mit der Festsetzung des Regressbetrags durch die Prüfungsstelle entsteht. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sei es für die Vererblichkeit eines Regressanspruchs ausreichend, dass die wesentliche Entstehungsgrundlage ‒ die Verordnung des Arzneimittels ‒ schon erfolgt sei.

     

    Erbin kann sich gegen Regressbescheid verteidigen

    Nach Ansicht des LSG sei die Erbin auch in der Lage, sich gegen den Bescheid zu verteidigen, etwa indem sie vorbringt, die Verordnung sei im Einzelfall medizinisch geboten gewesen. Denn sie dürfe auch Zugriff auf die Patientenunterlagen haben, die im Erbfall auf sie übergingen. Der Einsichtnahme der Erbin in die Patientenunterlagen des Arztes stünden auch keine datenschutzrechtlichen Vorschriften im Wege. Die Erbin verletze auch keine ärztliche Schweigepflicht im Sinne des § 203 Strafgesetzbuch, wenn sie der Prüfungsstelle gegenüber zur Wahrnehmung ihrer Interessen patientenbezogene Umstände zur Darlegung eines Ausnahmefalls vorbringe, denn § 298 SGB V erlaube ihr eine solche Offenbarung.

     

    Sollte die Erbin im Einzelfall praktische Schwierigkeiten haben, eine ausnahmsweise gegebene Verordnungsfähigkeit vorzutragen (z. B. weil Notizen des Arztes unleserlich oder in unverständlichen Kürzeln abgefasst sind), so sei es im Übrigen Sache der Prüfungsstelle, diesen Schwierigkeiten ggf. bei der Sachverhaltswürdigung Rechnung zu tragen.

     

    PRAXISHINWEIS | Die Erben können sich nach alledem einer Haftung für ein Fehlverhalten des Arztes nicht entziehen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass Erben eines Vertragsarztes auch Risiken und Pflichten auf sich nehmen, die zum Zeitpunkt des Erbfalls noch gar nicht erkennbar sind. Vor Annahme einer solchen Erbschaft ist es daher sinnvoll, wenn sich der Erbe über die möglichen Risiken aus nachlaufenden Verfahren anwaltlich beraten lässt. Die Frist zur Ausschlagung einer Erbschaft beträgt sechs Wochen ab Kenntniserlangung des Erbfalls (§ 1944 Absatz 1 BGB).

     

    Während einer Übergangsphase von bis zu sechs Monaten dürfen die Erben nach entsprechendem Antrag gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung die Praxis eines verstorbenen Vertragsarztes fortführen (§ 4 Absatz 3 BMV-Ä). Binnen sechs Monaten können sie also die Praxis (z. B. mittels eines Vertreters) am Leben erhalten und die Veräußerung auf einen Nachfolger in die Wege leiten.

     
    Quelle: Ausgabe 04 / 2018 | Seite 16 | ID 45200318