Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww

02.03.2012 · IWW-Abrufnummer 120628

Finanzgericht Bremen: Urteil vom 13.02.2012 – 1 V 113/11

1. Die Verfassungsmäßigkeit der Benachteiligung von eingetragenen Lebenspartnerschaften gegenüber Ehepaaren durch die Versagung der Eintragung der Lohnsteuerklassen III und V sowie des Splittingtarifs ist ernstlich zweifelhaft i. S. d. § 69 Abs. 2 FGO.

2. Das zur Gewährung von Aussetzung der Vollziehung wegen der materiellen Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes nötige besondere berechtigte Interesse des eingetragenen Lebenspartners an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes überwiegt die gegen die Aussetzung sprechenden öffentlichen Belange.

3. Wird der Antrag, die Eintragung einer Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte zu ändern, abgelehnt, ist einstweiliger Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung des Ablehnungsbescheids zu gewähren.


FG Bremen v. 13.02.2012

1 V 113 / 11

Tatbestand

Gründe
I.

Die Antragstellerinnen begehren die vorläufige Änderung der Eintragungen der Lohnsteuerklassen auf den Lohnsteuerkarten für das Jahr 2012.

Die Antragstellerinnen begründeten am … die Lebenspartnerschaft (Lebenspartnerschaftsurkunde Nr. … des Standesamts …). Sie leben nicht getrennt und sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig. Sie beziehen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Am … beantragten die Antragstellerinnen, für das ganze Jahr 2012 auf ihren fortgeltenden Lohnsteuerkarten für die Antragstellerin zu 1. die Lohnsteuerklasse III und für die Antragstellerin zu 2. die Lohnsteuerklasse V einzutragen.

Mit Bescheid vom … lehnte der Antragsgegner den Wechsel in die Steuerklassenkombination III/V ab. Zur Begründung führte er aus, dass § 26 Abs. 1 EStG voraussetze, dass eine Ehe im zivilrechtlichen Sinne bestehe. Eine eingetragene Lebenspartnerschaft stehe der Ehe nicht gleich.

Gegen diesen Bescheid legten die Antragstellerinnen fristgerecht Einspruch ein und beantragten sinngemäß die Aussetzung der Vollziehung.

Mit Bescheid vom … lehnte der Antragsgegner den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ab. Mit Schreiben vom selben Tage teilte er den Antragstellerinnen mit, dass das Einspruchsverfahren gemäß § 363 Abs. 2 AO ruhe, bis das Bundesverfassungsgericht über die anhängigen Verfahren entschieden habe.

Am … haben die Antragstellerinnen die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung des Bescheides vom … beantragt.

Zur Begründung führen sie aus, dass vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Änderung der Steuerklassen im Wege der Aussetzung der Vollziehung nach § 69 FGO zu gewähren sei und verweisen auf den BFH-Beschluss vom 8. Juni 2011 III B 210/10 , BFH/NV 2011, 1692, die Beschlüsse des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2011 3 V 2820/ 11 , StE 2011, 743 und 2. Dezember 2011 3 V 3699/ 11 und den Beschluss des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 4. Oktober 2011 2 V 1588/ 11 .

§ 38b EStG sei im Hinblick auf den Familienstand der Lebenspartnerschaft lückenhaft, weil dort der Familienstand „verpartnert” nicht geregelt sei. Diese Lücke müsse durch Anwendung der für Verheiratete geltenden Regeln ausgefüllt werden, weil die Lebenspartnerschaft in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht einer Ehe entspreche.

Es bestünden ernstliche Zweifel, ob die angewandten Vorschriften mit dem Grundgesetz vereinbar seien. Diese ergäben sich aus dem BVerfG-Beschluss vom 7. September 2009 1 BvR 1164/07 , BVerfGE 124, 199 und dem BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07 , 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400, in denen das BVerfG im Einzelnen dargelegt habe, wann Ehegatten im Vergleich zu Lebenspartnern begünstigt werden dürften. Lebenspartner dürften gegenüber Ehepaaren nur benachteiligt werden, wenn das betreffende Gesetz die Privilegierung der Ehe vom Vorhandensein gemeinsamer Kinder abhängig mache. Dies sei beim Splittingverfahren gerade nicht der Fall. Eine Reihe von Finanzgerichten habe entschieden, dass der Ausschluss der Lebenspartner vom Splittingverfahren gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße oder zumindest im Sinne von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO rechtlich ernstlich zweifelhaft sei. Diese Beschlüsse seien auf der Website des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland (http://lsvd.de/1357.0.html#c7199) zugänglich. Auch der Bundesfinanzhof habe mit Beschlüssen vom 14. Dezember 2007 III B 25/07, BFH/NV 2008, 779, vom 16. Juli 2011 III B 217/10, BFH/NV 2011, 1901 und 15. November 2011 III R 36/10 festgestellt, dass die beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Verfassungsbeschwerden nicht aussichtslos seien.

Es bestünden ernstliche Zweifel im Sinne von § 361 Abs. 2 Satz 2 AO an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Insoweit werde auf die Beschlüsse des Finanzgerichts Baden-Württemberg vom 12. September 2011 3 V 2820/ 11 , StE 2011, 743 und 2. Dezember 2011 3 V 3699/1 sowie den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Finanzgerichts vom 9. Dezember 2011 5 V 213/ 11 verwiesen.

Bestünden Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes, verlange die Rechtsprechung über den Gesetzeswortlaut hinaus, dass der Antragsteller ein berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes habe. In Ausnahmefällen könne trotz ernstlicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung höher zu bewerten sein als das Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das BVerfG bei der Feststellung der Verfassungswidrigkeit steuerlicher Regelungen aus Gründen der Rechtssicherheit eine Nichtigkeitserklärung vermieden und es dem Gesetzgeber überlassen habe, im Rahmen seines Gestaltungsspielraums eine Rechtsänderung herbeizuführen (Hinweise auf BFH-Beschlüsse vom 6. November 1987 III B 101/86, BFHE 151, 428, BStBl II 1988, 134 und vom 20. Juli 1990 III B 144/89, BFHE 162, 542, BStBl II 1991, 104).

Bei den Antragstellerinnen liege ein solcher Ausnahmefall nicht vor, so dass ihr berechtigtes Interesse an der Aussetzung der Vollziehung der Ablehnung der Änderung ihrer Steuerklassen nicht hinter dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Haushaltsführung zurückzutreten brauche. Wegen der geringen Zahl eingetragener Lebenspartnerschaften habe eine Aussetzung der Vollziehung keine erhebliche Breitenwirkung. Es sei im Hinblick auf den BVerfG-Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07 , 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400 nicht zu erwarten, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist zur Nachbesserung des Einkommensteuergesetzes einräumen und während dieses Zeitraums die Fortgeltung der verfassungswidrigen Rechtslage anordnen werde. Es sei gänzlich unwahrscheinlich, dass der Gesetzgeber das Ehegattensplitting etwa auf Familien mit Kindern beschränke, um Lebenspartner nicht gleichstellen zu müssen.

Durch die Änderung der Lohnsteuerklassen werde die Einkommensteuerveranlagung der Antragstellerinnen nicht vorweggenommen. Sollte das Bundesverfassungsgericht die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft nicht für verfassungswidrig erklären, könne die Änderung der Lohnsteuerklassen im nachfolgenden Veranlagungsverfahren durch Festsetzung einer Nachzahlung rückgängig gemacht werden.

Die Antragstellerinnen beantragen,

1.den Bescheid des Antragsgegners vom … aufzuheben,

2.die Vollziehung des Bescheids des Antragsgegners vom … gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 FGO auszusetzen und anzuordnen, dass für das ganze Jahr 2012 die Steuerklasse der Antragstellerin zu 1. von I in III und die Steuerklasse der Antragstellerin zu 2. von I in V zu ändern sind.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag als unbegründet zurückzuweisen.

Er führt zur Begründung aus, dass in eingetragener Lebenspartnerschaft lebende Steuerpflichtige keine Ehegatten seien. Sie erfüllten daher nicht die gesetzlichen Voraussetzungen für die Steuerklassen III oder V. Für sie sei gemäß § 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b EStG die Lohnsteuerklasse I einzutragen. Es könne nicht von einer offenkundigen Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung ausgegangen werden. Der BFH habe in seinem Beschluss vom 14. Dezember 2007 III B 25/07, BFH/NV 2008, 779 die anhängigen Verfassungsbeschwerden lediglich als „nicht von vorneherein aussichtslos” bezeichnet.

Der Einwand der Antragstellerinnen, der Ausschluss von in eingetragener Lebensgemeinschaft lebenden Steuerpflichtigen vom Splittingtarif (§ 32a Abs. 5 EStG) und deren ausschließliche Zuordnung zur Steuerklasse I (§ 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1b EStG) stelle einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG dar und sei verfassungswidrig, rechtfertige für sich allein die beantragte Aussetzung der Vollziehung nicht.

Die Aussetzung der Vollziehung eines Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an der Verfassungswidrigkeit der Norm, auf der der Verwaltungsakt beruhe, bedürfe wegen des Geltungsanspruchs jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes zusätzlich eines besonderen berechtigten Interesses des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.

§ 38b EStG sei ebenso wie § 26 EStG formell verfassungsgemäß zustande gekommen. Ein besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerinnen liege nicht vor. Das Lohnsteuerabzugsverfahren sei dem eigentlichen Veranlagungsverfahren als Vorauszahlungsverfahren vorgelagert. Die jetzt eingetragene Lohnsteuerklasse I habe daher verglichen mit der beantragten Lohnsteuerklasse III lediglich für wenige Monate höhere Vorauszahlungen zur Folge. Die Antragstellerinnen hätten nicht vorgetragen, weshalb dieses für sie nicht zumutbar sei. Auch könne über die Anwendbarkeit des Splittingtarifs endgültig erst im Veranlagungsverfahren entschieden werden. Es sei den Antragstellerinnen daher wie der weit überwiegenden Zahl der Steuerpflichtigen, deren Steuerbescheide wegen anhängiger Verfassungsbeschwerden für vorläufig erklärt worden seien, zuzumuten, die Entscheidung des BVerfG abzuwarten.

Dem Gericht haben die vom Antragsgegner vorgelegten Sonderakten Rechtsbehelfsakten (1 Bd.) vorgelegen. Der Inhalt dieser Akten ist, ebenso wie der Inhalt der Gerichtsakten, Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen, soweit in diesem Beschluss auf sie verwiesen wird. Insoweit wird auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen.



Gründe

II.

Der nach § 69 Abs. 3 und 4 Satz 1 FGO zulässige Antrag ist begründet.

1. Das Begehren der nicht vertretenen Antragstellerinnen ist bei sachgerechter Auslegung dahin zu verstehen, dass sie beantragen, die Vollziehung des Bescheides vom … bis einen Monat nach Abschluss des Einspruchsverfahrens dergestalt auszusetzen, dass ab dem 1. Januar 2012 vorläufig bei der Antragstellerin zu 1. die Steuerklasse III und bei der Antragstellerin zu 2. die Steuerklasse V berücksichtigt wird.

Die zeitliche Beschränkung des Antrags beruht darauf, dass die Aussetzung der Vollziehung eines durch Einspruch angefochtenen Bescheides längstens bis zum Ablauf der Klagefrist gegen die das außergerichtliche Vorverfahren abschließende Entscheidung angeordnet werden kann (vgl. Koch in Gräber, FGO, 7. Aufl. 2010, § 69 FGO Rz. 151; Dumke in Schwarz, FGO, Stand 15.05.2010, § 69 Rz. 69; FG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29. März 1984 IX V 440/83 , EFG 1984, 564).

2. Der so verstandene Antrag ist nach § 69 Abs. 3 FGO zulässig.

Wird es abgelehnt, die Eintragung der Lohnsteuerklasse auf der Lohnsteuerkarte zu ändern, ist einstweiliger Rechtsschutz nicht im Verfahren der einstweiligen Anordnung nach § 114 Abs. 3 FGO, sondern durch Aussetzung der Vollziehung des ablehnenden Bescheides nach § 69 Abs. 3 FGO zu gewähren (vgl. BFH-Beschluss vom 8. Juni 2011 III B 210/10, BFH/NV 2011, 1692, Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 2. Dezember 2011 3 V 3699/ 11 ; Finanzgericht Köln, Beschluss vom 7. Dezember 2011 V 2831/ 11 , Schleswig Holsteinisches Finanzgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2011 V 213/ 11 , Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2011 13 V 268/ 11 ).

3. Der Antrag ist auch begründet.

Die Aussetzung der Vollziehung soll gemäß § 69 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Abs. 3 Satz 1, zweiter Halbsatz FGO erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

Ernstliche Zweifel i. S. von § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen, wenn bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des unstrittigen Sachverhalts, der gerichtsbekannten Tatsachen und präsenter Beweismittel neben für die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts sprechenden Umständen gewichtige Gründe zu Tage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtslage bewirken oder zu Unklarheiten hinsichtlich von Tatfragen führen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Beschluss vom 30. März 1999 I B 139/98, BFHE 188, 131, m. w. N.). Eine überwiegende Erfolgsaussicht des Einspruchs bzw. der Klage ist für die Aussetzung der Vollziehung nicht erforderlich (vgl. BFH-Beschluss vom 5. November 1998, VIII B 74/98, BFH/NV 1999, 468). Wurde eine streitige Rechtsfrage noch nicht höchstrichterlich entschieden und werden in der Rechtsprechung der Finanzgerichte unterschiedliche Auffassungen vertreten, können ernstliche Zweifel bestehen (BFH-Beschluss vom 26. April 2010 V B 3/10, BFH/NV 2010, 1664).

a) Es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom …, mit dem der Antragsgegner die Änderung der Lohnsteuerklassen abgelehnt hat.

§ 38b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 5 EStG könnte mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar und verfassungswidrig sein, da nach dieser Bestimmung nur Ehegatten, nicht aber Lebenspartner die Eintragung der Lohnsteuerklassen III und V verlangen können.

Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist der Ausschluss eingetragener Lebenspartnerschaften von der Zusammenveranlagung wegen der nach Art. 6 Abs. 1 GG gebotenen Förderung der Ehe zulässig (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 2006 III R 29/06, BFH/NV 2007, 663).

Demgegenüber hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07 , 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400 die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG beanstandet.

Auch die Benachteiligung von Lebenspartnerschaften gegenüber Ehepaaren im Einkommensteuerrecht durch die Versagung des Splittingtarifs könnte aus den vom Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung angeführten Gründen verfassungswidrig sein. Beim Bundesverfassungsgericht sind unter den Aktenzeichen 2 BvR 288/07, 2 BvR 1981/06, 2 BvR 909/06 Verfassungsbeschwerden wegen der steuerlichen Ungleichbehandlung eingetragener Lebenspartnerschaften anhängig, die auch nach Auffassung des BFH „nicht von vorneherein aussichtslos” sind (BFH-Beschluss vom 14. Dezember 2007 III B 25/07, BFH/NV 2008, 779).

In der finanzgerichtlichen Rechtsprechung werden ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Benachteiligung von Lebenspartnern gegenüber Ehegatten durch die Regelungen über das Ehegatten-Splitting bejaht (Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 12. September 2011 3 V 2820/ 11 , StE 2011, 743 und 2. Dezember 2011 3 V 3699/ 11 ; Finanzgericht Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 4. Oktober 2011 2 V 1588/ 11 ; Finanzgericht Köln, Beschluss vom 7. Dezember 2011 4 V 2831/ 11 ; SchleswigHolsteinisches Finanzgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2011 5 V 213/ 11 ; Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2011 13 V 268/ 11 ).

b) Die Antragstellerinnen haben ein besonderes berechtigtes Interesse an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, das die gegen die Aussetzung sprechenden öffentlichen Belange überwiegt.

Sind die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes auf Bedenken gegen die materielle Verfassungsmäßigkeit einer gesetzlichen Bestimmung, auf der der Verwaltungsakt beruht, gegründet, ist wegen des Geltungsanspruchs des formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes ein besonderes berechtigtes Interesse des Antragstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich. Dieses ist gegeben, wenn das Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen gegenüber den gegen die Aussetzung sprechenden öffentlichen Belangen überwiegt. Bei dieser Abwägung kommt es maßgeblich einerseits auf die Bedeutung und die Schwere des durch die Vollziehung des angefochtenen Steuerbescheids eintretenden Eingriffs beim Steuerpflichtigen und andererseits auf die Auswirkungen einer Aussetzung hinsichtlich des Gesetzesvollzuges und des öffentlichen Interesses an einer geordneten Haushaltsführung an, während das Gewicht der ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betroffenen Vorschrift nicht von ausschlaggebender Bedeutung ist (BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558 m.w.N.).

Der BFH räumt dem Aussetzungsinteresse des Steuerpflichtigen den Vorrang vor den öffentlichen Interessen ein, wenn das Bundesverfassungsgericht eine ähnliche Vorschrift für nichtig erklärt hatte (BFH-Beschluss vom 1. April 2010 II B 168/09, BFHE 228, 149, BStBl II 2010, 558 unter Hinweis auf BFH-Beschluss vom 15. Dezember 2000 IX B 128/99, BFHE 194, 157, BStBl II 2001, 411). Die Gründe, aus denen das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 21. Juli 2010 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400 die Benachteiligung der eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe im Erbschafts- und Schenkungsteuergesetz als verfassungswidrig angesehen hat, sprechen auch für die Verfassungswidrigkeit der Benachteiligung der eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe im Einkommensteuerrecht durch die Versagung des Splittingtarifs ( Finanzgericht Köln, Beschluss vom 7. Dezember 2011 4 V 2831/ 11 ).

Ein besonderes berechtigtes Interesse der Antragstellerinnen an der Aussetzung des ablehnenden Bescheides kann ferner aus der Tatsache hergeleitet werden, dass ihnen die begehrten Eintragungen der Lohnsteuerklassen aus personenbezogenen Gründen wegen ihrer sexuellen Orientierung versagt werden ( Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Beschluss vom 20. Dezember 2011 5 V 223/ 11 ). Denn die Entscheidung für die Ehe oder die eine eingetragene Lebenspartnerschaft ist untrennbar mit der sexuellen Orientierung verbunden (BVerfG-Beschluss vom 7. Juli 2009 1 BvR 1164/07, BVerfGE 124, 199).

Demgegenüber sind überwiegende öffentliche Belange nicht ersichtlich. Dass öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung wird durch die Aussetzung der Vollziehung kaum betroffen ( Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, Beschluss vom 9. Dezember 2011 5 V 213/ 11 ; Niedersächsisches Finanzgericht, Beschluss vom 21. Dezember 2011 13 V 268/ 11 ; Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 12. September 2011 3 V 2820/ 11 , StE 2011, 743). Denn es besteht nur eine geringe Zahl von eingetragenen Lebenspartnerschaften. Nach einer Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes vom 21. Juni 2011 bestanden im Jahre 2010 in Deutschland ca. 23.000 eingetragene Lebenspartnerschaften ( http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/ DE/Presse/pm/zdw/2011 /PD11__025__p002.psml).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde wird gemäß § 128 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache zugelassen.

RechtsgebieteEStG, FGO, GGVorschriftenEStG § 38b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 EStG § 38b Abs. 1 S. 2 Nr. 5 EStG § 38b Abs. 1 S. 2 Nr. 1b EStG § 26b EStG § 32a Abs. 5 GG Art. 3 Abs. 1 FGO § 69 Abs. 3 S. 1 FGO § 69 Abs. 2 S. 2

Sprechen Sie uns an!

Kundenservice
Max-Planck-Str. 7/9
97082 Würzburg
Tel. 0931 4170-472
kontakt@iww.de

Garantierte Erreichbarkeit

Montag - Donnerstag: 8 - 17 Uhr
Freitag: 8 - 16 Uhr