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21.07.2011 · IWW-Abrufnummer 112475

Landgericht Dortmund: Urteil vom 23.02.2011 – 2 O 253/10

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

T a t b e s t a n d

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer gemäß Versicherungsschein vom 20.05.2008 (Anlage 1 zur Klageschrift) bei dieser nach Maßgabe der AUB 2008 (Anlage 2 zur Klageschrift) bestehenden Unfallversicherung auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung in Anspruch. Nach Ziffer 5.2.3 der AUB 2008 sind vom Versicherungsschutz ausgeschlossen:

"Gesundheitsschäden durch Heilmaßnahmen oder Eingriffe am Körper der versicherten Person."

Die Klägerin wurde am 31.07.2008 wegen einer lumbalen Spinalkanalstenose in Höhe L4/L5 sowie eines Bandscheibenvorfalls im selben Segment im Gemeinschaftskrankenhaus I operiert. Im Operationsbericht wird hierzu Folgendes festgehalten:

"… Die Pat. ist intubiert beatmet, auf dem Bauch gelagert, Identifizierung des Bandscheibenfachs LWK 4/5 durch Röntgen. Danach erfolgte das Abwaschen und Abdecken des OP-Gebietes, Durchführung eines Hautschnittes in Höhe LWK 4/5 links (ca. 5 cm lang), Koagulation der kleinen Venen, danach erfolgte die Eröffnung der Fascia lumbosacralis in Höhe LWK 4/5, stumpfes Ablösen der paravertebralen Muskulatur, einsetzen eines Retraktors und Darstellung des interlaminären Fenster, wobei hier insbesondere die Lamina L4 dargestellt wird, Platzierung einer Röntgenmarkierung zur Durchleuchtungskontrolle, röntgenologisch handelt es sich eindeutig um das Segment LWK 4/5, von hier ausgehend wird die Lamina L4 in ihrer kompletten Ausdehnung nach kranial und kaudal dargestellt. Unter mikroskopischen Bedingungen wird nun eine erweiterte interlaminäre Fensterung durchgeführt, knöcherne Dekompression in Höhe LWK 4/5, Darstellung des Bandscheibenfachs LWK 4/5 von links, Ausräumung eines Bandscheibenvorfalls in Höhe LWK 4/5, nach Benutzung der gebogenen Fasszange kam es zu einem Zwischenfall (Das Maul der Fasszange brach ab), es wurde versucht von der linken Seite die das Metall zu bergen, dieser Versuch blieb ohne durchgreifenden Erfolg, daraufhin wurde der leitende Oberarzt T telefonisch informiert und zur OP gebeten. Wir entschieden uns zur Durchführung einer erweiterten interlaminären Fensterung auf der rechten Seite (durch translaminären Zugang), da der gebrochene Teil der Fasszange weit rechts lateral liegt.

Dies wurde durch Röntgen bestätigt. Es erfolgte durch Oberarzt T die Übernahme der OP, es erfolgte die Inzision der Fascia lumbosacralis auf der rechten Seite, stumpfes Ablösen der paravertebralen Muskulatur, Einsetzen eines Retraktors und Darstellung des interlaminären Fensters, wobei hier insbesondere die Lamina L4 dargestellt wird, unter mikroskopischen Bedingungen wird nun mit der Fräse rechts eine erweiterte interlaminäre Fensterung sowie knöcherne Dekompression durch transligamentären Zugang durchgeführt. Darstellung des duralen Schlauches sowie der Nervenwurzel L5 rechts. Nun wurde das Bandscheibenfach LWK 4/5 auf der rechten Seite dargestellt. Ausräumung des Bandscheibenfachs LWK 4/5 von links unter Durchleuchtungskontrolle konnte der gebrochene Anteil der Fasszange entfernt werden. Durchführung einer Röntgenkontrolle. (Kein Nachweis von Fremdmaterial im Situs), Spülung mit H2O2, anschließende Spülung mit NaCI, Anlage einer Redon-Drainage, schichtweiser Wundverschluss mittels Fasziennaht, Subkutannaht und Hautnaht. Steriler Wundverband und Redon auf Sog."

Erstmals mit Schreiben vom 25.02.2010 ihrer Prozessbevollmächtigten meldete die Klägerin der Beklagten das als Unfall gewertete Ereignis des Bruches der Fasszange vom 31.07.2008.

Die Beklagte lehnte unter Hinweis auf den Ausschluss gemäß Ziffer 5.2.3 AUB 2008 die Leistung einer Invaliditätsentschädigung ab.

Die Klägerin meint, die Beklagte berufe sich zu Unrecht auf den Ausschluss aus Ziffer 5.2.3 AUB 2008, da der Abbruch der Fasszange während der Operation keine Realisierung der dem Heileingriff anhaftenden eigentümlichen Gefahr darstelle. Ein eingriffstypisches Risiko habe sich nicht verwirklicht. Der Abbruch der Fasszange habe sich nur rein zufällig bei Gelegenheit der Behandlung ereignet.

Die Klägerin behauptet, sie habe erst durch ein Gutachten der Gutachterkommission für ärztliche Haftpflichtfragen im Februar 2010 davon Kenntnis erlangt, dass es zu einem iatrogenen Bruch der Fasszange mit daraus resultierenden neurologischen Folgen gekommen sei.

Sie macht einen unfallbedingten Invaliditätsgrad von 50 % geltend.

Mit dem Klageantrag zu 1) macht sie rückständige Unfallrenten für die Zeit vom 31.07.2008 bis zum 30.06.2010 (24 Monate á 300,00 € = 7.200,00 €) sowie eine Kapitalleistung in Höhe von 58.000,00 € geltend.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie 65.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.03.2010 zu zahlen,

2.

die Beklagte ferner zu verurteilen, ihr ab Juli 2010, monatlich im Voraus, eine Unfallrente in Höhe von monatlich 300,00 € bis zum Ende des Monats, in dem sie stirbt, zu zahlen,

3.

die Beklagte ferner zu verurteilen, an sie 1.880,20 € an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

4.

die Beklagte ferner zu verurteilen, an sie 775,64 € an außergerichtlichen Kosten für die Einholung der Deckungszusage nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf den Ausschluss der Ziffer 5.2.3 AUB 2008.

Sie bezweifelt die Kausalität des Bruches der Fasszange für die geltend gemachte Invalidität; bereits ein durch den Bruch der Fasszange bedingter Erstschaden sei nicht nachgewiesen. Die von der Klägerin geltend gemachten gesundheitlichen Folgen könnten auf die bestehende Vorerkrankung oder auch auf eine missglückte Operation zurückzuführen sein.

Daneben fehle es an einer fristgerechten Geltendmachung der Invalidität und einer schriftlichen ärztlichen Feststellung unfallbedingter Invalidität.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf die geltend gemachte Invaliditätsleistung, Ziffer 2.1 AUB 2008, aus mehreren Gründen nicht zu.

I.

Dem geltend gemachten Anspruch steht der Ausschlussgrund gemäß Ziffer 5.2.3 AUB 2008 entgegen.

Dabei kann dahinstehen, ob der Bruch der Fasszange und dessen Auswirkungen überhaupt einen Gesundheitsschaden bei der Klägerin verursacht haben. Denn ggf. wäre er durch eine Heilmaßnahme bedingt. Heilmaßnahmen sind alle zu therapeutischen Zwecken erfolgenden Maßnahmen oder Handlungen. Für den Ausschluss ist es dabei erforderlich, dass die Gesundheitsschädigung als adäquate Folge einer Heilmaßnahme eintritt. Allerdings muss sich dabei eine Gefahr verwirklicht haben, die der durchgeführten Heilmaßnahme eigentümlich ist. Nicht hinreichend ist also eine Schädigung, die lediglich zufällig aus Anlass einer Heilbehandlung eingetreten ist und zu den Risiken des täglichen Lebens zählt (BGH VersR 1988, 1148; OLG Stuttgart r+s 2007, 257 m. w. N.; Leverenz in Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage, Band 9, AUB 2008, Ziff. 5.2.3, Rdnr. 18, 34; Kloth, Private Unfallversicherung, K, Rdnr. 80). Eine Schädigung tritt beispielsweise nur zufällig aus Anlass einer Heilbehandlung ein, wenn der Patient auf dem Weg zu einer ärztlichen Behandlung oder in einer Arztpraxis stürzt (BGH aaO), nicht jedoch bei einem Sturz aufgrund einer Kreislaufschwäche, welche auf die vorangegangene ärztliche Betäubung bei einer Operation zurückzuführen ist (LG Berlin VersR 2003, 54). Für den Fall des Einsatzes technischer Hilfsmittel bei der Durchführung einer Heilmaßnahme hat die Rechtsprechung zutreffend wie folgt differenziert: Die eigentümliche Gefahr einer Heilmaßnahme verwirklicht sich etwa dann, wenn der Bügel einer eingesetzten Herzklappe bricht (BGH a.a.O.) oder auch, wenn der Patient infolge einer Überhitzung des Badewassers in einem Stangerbad einen Kreislaufkollaps erleidet (OLG Köln VersR 1973, 959). Dagegen verwirklicht sich das mit einer Heilmaßnahme verbundene erhöhte Risiko nicht, wenn ein 5-jähriges Kind bei dem Einatmen von Kamilledämpfen die Schüssel mit heißem Wasser vom Tisch zieht und sich dabei verbrüht, weil ein ähnlicher Unfall auch hätte passieren können, wenn heißer Kaffee oder Tee auf dem Tisch gestanden hätte (OLG Saarbrücken VersR 1997, 956).

Nach alldem stellt sich eine (gegebenenfalls vorliegende) Gesundheitsschädigung durch den Bruch der Faßzange als adäquate Folge der am 31.07.2008 durchgeführten und als Heilmaßnahme zu qualifizierende Operation dar. Dabei kann dahinstehen, ob der Bruch etwa auf einem Materialfehler, einem Kunstfehler des Operateurs oder einem von dem Operateur nicht beeinflussbaren schicksalhaften Verlauf, etwa aufgrund von Besonderheiten in der Konstitution der Klägerin, bedingt war. Denn in allen denkbaren Varianten hätte sich die eigentümliche Gefahr der Operation verwirklicht. Es handelte sich eben nicht um einen Vorgang, der sich so oder ähnlich auch bei anderer Gelegenheit hätte ereignen können. Mit dem ärztlichen Instrument kommt der Patient naturgemäß erst im Rahmen der Operation in Kontakt. Dass bei einem ärztlichen Instrument ein Materialfehler vorliegt, mag ein seltener Umstand sein. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, eine adäquate Verursachung durch die Heilmaßnahme zu verneinen, weil der Kontakt mit einem ärztlichen Instrument wiederum für eine Operation typisch ist und sich die Verwendung von schadhaften Materialien und Instrumenten nie gänzlich ausschließen lässt. Aber auch dann, wenn der Bruch der Fasszange durch einen Kunstfehler verursacht worden sein sollte (die Klägerin trägt lediglich einen iatrogenen Bruch der Fasszange vor) ist der Ausschluss zu bejahen. Denn auch Schäden, die durch einen ärztlichen Kunstfehler entstanden sind, werden von dem Ausschluss erfasst (OLG Hamm VersR 1979, 1100; OLG Schleswig VersR 2003, 587, zustimmend Marlow r+s 2004, 353 (356); Leverenz, a.a.O., Rdnr. 29; Kloth, aaO; Mangen, Versicherungsrechtshandbuch, 2. Aufl., Rdnr. 83).

Soweit die Klägerin mit lediglich formelhafter Wendung geltend macht, der Abbruch der Fasszange während der Operation vom 31.07.2008 stelle keine dem Heileingriff anhaftende eigentümliche Gefahr dar, vielmehr sei die Fasszange nur rein zufällig bei Gelegenheit des Eingriffes abgebrochen, so ist dieses Vorbringen einer Beweisaufnahme durch Sachverständigengutachten nicht zugänglich. Die Klägerin hat schon keine Fallgestaltung vorgetragen, nach der sich die eigentümliche Gefahr eines Heileingriffes nicht verwirklicht hat. Wie bereits dargelegt, kann die Ursache für den Bruch der Fasszange für das vorliegende Verfahren auch offen bleiben. Denn nach allen denkbaren Varianten hat sich hier die eigentümliche Gefahr einer Heilbehandlung realisiert. Die dem zugrunde liegende Wertung ist eine juristische und mithin dem Beweis durch ein medizinisches Sachverständigengutachten nicht zugänglich.

II.

Der Anspruch auf eine Invaliditätsleistung, Ziffer 2.1 AUB 2008 ist aus einem weiteren Grund nicht gegeben. Denn die Klägerin hat eine schriftliche ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität, Ziffer 2.1.1.1 AUB 2008 nicht vorgelegt Bei dieser Regelung handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine Anspruchsvoraussetzung, die prozessual nicht verzichtbar ist und die die Parteien allenfalls unstreitig stellen können (OLG Celle, NJOZ 2004, 612; r+s 2002, 260; OLG Frankfurt, r+s 2004, 518; OLG Hamm, NVersZ 2001, 551). An die bedingungsgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung sind allerdings keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Sie muss sich nicht abschließend zu einem bestimmten Invaliditätsgrad äußern. Die Feststellungen der Unfallbedingtheit eines bestimmten Dauerschadens muss auch nicht richtig sein und dem Versicherer nicht innerhalb der bestimmten Frist zugehen, sofern sie nur fristgerecht getroffen worden ist. Allerdings müssen sich aus der Invaliditätsfeststellung die ärztlicherseits dafür angenommene Ursache und die Art der Auswirkungen ergeben. Sie muss damit die ärztliche Aussage enthalten, dass das Unfallereignis für den Dauerschaden ursächlich ist, wobei die bloße Möglichkeit der Kausalität nicht ausreicht (OLG Hamm, r+s 2007, 74; MDR 2006, 1045; OLG Frankfurt, r+s 2003, 29). Auch muss die Feststellung eine Aussage zur Invalidität dem Grunde nach treffen (BGH, r+s 1997, 84). Dem genügen die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Berichte ersichtlich nicht. Soweit die Klägerin auf den Bericht des Gemeinschaftskrankenhauses I vom 21.10.2008 (Anlage zum Schriftsatz der Klägerin vom 31.08.2010, Bl. 23 f. d. A.) Bezug nimmt, so rechtfertigt dies keine abweichende Beurteilung. Zum einen wird dort lediglich eine krankheitsbedingte Schädigung der Cauda equina attestiert, infolgedessen eine teilweise Lähmung der Beine und Füße sowie der Blase und des Mastdarms vorliege. Damit wird eine unfallbedingte Schädigung gerade nicht festgestellt. Ebenfalls nicht ausreichend ist es, soweit in dem Bericht formuliert wird:

"Inkomplettes Cauda-Syndrom nach Operation an der lumbalen Spinalkanalstenose und postoperativer Blutung . . .".

Denn insoweit wird nur ein Bezug zu der Operation, nicht jedoch zu der Komplikation des Bruches der Fasszange hergestellt. Im Übrigen wird auch ein Kausalzusammenhang zwischen der Operation selbst und dem Cauda-Syndrom durch die Wendung "nach Operation" nicht hergestellt. Die Feststellung eines durch diese Wendung zum Ausdruck gebrachten bloß zeitlichen Zusammenhanges reicht nicht aus. Der Annahme, dass der Wendung "nach Operation" eine Kausalität zum Ausdruck gebracht werden sollte, steht zudem entgegen, dass - wie zuvor dargelegt -, an anderer Stelle eine krankheitsbedingte Schädigung als Ursache für die Lähmungserscheinungen angegeben wird.

Das Vorliegen einer schriftlichen ärztlichen Feststellung unfallbedingter Invalidität ist vorliegend auch nicht entbehrlich. Insoweit kann dahinstehen, ob die AUB 2008 im Hinblick auf die Frist für die schriftliche ärztliche Feststellung unfallbedingter Invalidität intransparent sind (so OLG Hamm VersR 2008, 811 in einem obiter dictum). Denn auch dann, wenn man entgegen der herrschenden Auffassung in der Rechtsprechung (OLG Düsseldorf r+s 2009, 424; OLG Köln VersR 2009, 1484; OLG Karlsruhe VersR 2009, 538) mit dem OLG Hamm eine Intransparenz annehmen wollte, so wäre jedenfalls das Vorliegen einer schriftlichen ärztlichen Feststellung unfallbedingter Invalidität - unabhängig von der Einhaltung der Frist - noch erforderlich (LG Dortmund NJOZ 2009,2067 mit näherer Begründung).

Nach alledem war zu erkennen wie geschehen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.

RechtsgebieteUnfallversicherung, Auschluss Heilmaßnahme

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